Problem von Anonym - 18 Jahre

Ich möchte die Familie zusammenhalten

Hallo liebes Kummerkasten Team.

Bevor ich zu meinem Problem komme, möchte ich zuerst mal die Situation bei uns zu Hause erklären.
Ich bin seit kurzem 18 Jahre alt und lebe noch mit meinen Eltern. Ich habe 3 kleine Halbgeschwister, die alle sehr viel jünger sind als ich. Meinen richtigen Vater kenne ich nicht und seit einigen Jahren wurde ich von meinem Stiefvater adoptiert. (meine Mutter ist meine biologische Mutter)
Beide Elternteile sind Gehörgeschädigt. Meine Mutter ist schwerhörig, was heisst, dass sie mit Hilfe eines Hörgeräts sogar telefonieren kann. Mein Stiefvater jedoch ist gehörlos und hört gar nichts.
In letzter Zeit gerät unsere Familie immer mehr und mehr in Streit. Streit in dem Sinne, dass meine Mutter die Nerven verliert und uns alle nur noch anschreit und sich über ihr schreckliches Leben aufregt. Sie sagt oft, dass sie am liebsten abhauen würde und Abends streitet sie sich dann lautstark mit meinem Stiefvater und es passiert nicht selten, dass sie sagt ihn nicht mehr zu lieben. (was meine kleine Schwester dann jedes Mal wieder aus der Bahn wirft.. )
Ich denke, das mangelnde Gehör meines Stiefvaters spielt eine wesentliche Rolle im Ablauf dieser Streitigkeiten. Im laufe meines Lebens hatte ich sehr viel Kontakt zu gehörlosen Menschen und etwas, das mir bei den meisten immer wieder auffällt, ist die Unfähigkeit auf andere einzugehen oder ihre Probleme zu verstehen. Damit will ich nicht sagen, dass sie etwa unintelligent wären, aber ich nehme an, dass es schlicht und einfach unglaublich schwierig ist Gefühle verstehen zu können, wenn man keine Möglichkeit hat die Emotionen, die mithilfe der Stimme weitergegeben werden, wahrzunehmen. (Zumindest denke ich, dass dies der Grund sein könnte)
Das ist auch immer gut zu erkennen, wenn meine Eltern sich mal wieder in den Haaren liegen. Oft läuft es dann ungefähr so ab:

Mutter: ?Ich habe es satt! Alles muss ich alleine machen. Alle anderen sitzen bloss faul rum und zählen darauf, dass ich ihnen den Dreck hinterher räume. Am liebsten würde ich abhauen, damit ihr endlich seht wie ihr alleine klar kommt!?
Vater: ?Ich habe auch etwas gemacht!?
Mutter: ?Was zum Beispiel? Mit den Kindern geschimpft, wie immer???
Vater: ?NEIN! Hör auf so blöd zu tun, ich habe die Wäsche aufgehängt..?

Und so geht es jedes Mal. Nicht nur ich, sondern auch meine kleinen Geschwister schütteln jedes mal den Kopf wenn wir hören, wie er sich zu verteidigen versucht. Dabei wäre es doch viel einfacher, wenn er ihr Verständnis zeigen und sie zu verstehen versuchen würde. Ich weiss, dass meine Mutter einen ziemlich grausamen Vater hatte. Ich selbst habe auch bei ihm gewohnt, als ich und meine Mutter noch alleine waren. Ich kann mir vorstellen, dass sie eine schwere Kindheit hatte und deswegen noch heute Probleme hat und psychisch darunter leidet. Ich bin sicher, dass alles viel besser werden würde, wenn sie jemanden hätte, der sich um sie kümmert und ihr zuhört.
Im Moment sehe ich nur wie unsere Familie immer mehr und mehr auseinander fällt. Mit jedem Streit werden ihre Ausbrüche häufiger. Meine Geschwister und ich versuchen immer vorsichtig zu sein mit den Dingen, die wir sagen.. oft reicht nur ein kleines Wort und die Bombe ist wieder geplatzt. Besonders meine kleinste Schwester leidet unter der ganzen Situation. Während eines solchen Streits versuche ich oft mit meinen Geschwistern darüber zu reden, zum einen, damit ich mich selbst davon ablenken kann und zum anderen, damit sie nicht das Gefühl haben alleine dadurch zu müssen. Ich weiss nicht recht, ob es die richtige Strategie ist, aber ich erhoffe mir somit sie auf irgendeine weise von einem psychischen Schaden zu schützen, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Denn ich glaube, dass dinge wie ein chaotisches Familien leben grossen Schaden anrichten können, besonders in so einem jungen Alter.
Natürlich bringt dies auf die Dauer nicht allzu viel und ich weiss wirklich nicht, wie es nun weitergehen soll.
Ich fühle mich sehr oft verantwortlich für all die Streitigkeiten zwischen uns und unserer Mutter. Ein Jahr zuvor wurde ich in eine psychiatrische Klinik gebracht (ich bin freiwillig gegangen) da ich sehr grosse soziale Probleme und mich auch regelmässig selbst verletzt habe. (was ich seither aber nie mehr getan habe). Ich werde niemals ihren Blick vergessen, als sie erfuhr was mit mir los war. Ich denke sie fühlt sich verantwortlich und glaubt wahrscheinlich sie hätte als Mutter versagt. Ich habe ihr nie das Gegenteil gesagt, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche als ihr sagen zu können, dass es ganz alleine meine eigene Schuld war und sie eine der wichtigsten Personen in meinem Leben ist. Nur ist es mir nahezu unmöglich solche Gefühle offen kundzugeben. Noch nie habe ich es geschafft jemandem zu sagen wie viel er mir bedeutet.. daher denke ich, dass sie gar nicht weiss wie wichtig sie für mich ist.
Dann, im Dezember/Januar dieses Jahr haben wir 5 ganze Wochen kein Wort mehr miteinander geredet. Alles fing damit an, dass ich mein Zimmer nicht aufgeräumt habe, nachdem sie mich bereits ein zweites Mal darauf aufmerksam gemacht hatte. Ich muss zugeben, dass ich ein ziemlich fauler Mensch bin, besonders wenn der Schulstress noch dazukommt. Also war sie natürlich stinkwütend auf mich und da ich immer sehr grosse Angst vor ihr habe, wenn sie nicht gut auf mich zu sprechen ist, habe ich mich darauf in mein Zimmer gesperrt. Ich bin generell ein Mensch, der es immer allen Rechtmachen will und besonders negative Kritik überhaupt nicht gut erträgt. Und da meine Mutter einer der wichtigsten Menschen in meiner Welt ist, kann ich es umso weniger gut ertragen, wenn sie wütend auf mich ist. Sie hat dies jedoch als Trotz gedeutet und ist nur noch wütender geworden.. und so ging das 5 ganze Wochen lang, in denen ich beinahe völlig durchgedreht bin. Mein Tag bestand aus Schule, Kopfschmerzen und Geschrei zu Hause oder aber ich wurde völlig ignoriert. Sie warf mir unter anderem an den Kopf, dass sie sich wünsche mich niemals geboren zu haben und dass ich nicht mehr ihre Tochter wäre; am liebsten würde sie mich aus dem Haus werfen sobald ich 18 bin, sagte sie. Bis ich dann einen Unfall hatte und durch einen glücklichen Zufall nicht Frontal von einem Auto erwischt wurde. Nachdem ich aus dem Spital entlassen wurde, war alles wieder okay.
Doch die Abstände zwischen Frieden und Krieg werden immer kleiner. Da ich die älteste bin, fühle ich mich dafür verantwortlich, dass meine Geschwister das ganze einigermassen okay durchstehen. Ausserdem wünsche ich mir nichts sehnlicher, als meiner Mutter irgendwie helfen zu können. Ich weiss, dass sie leidet und ich weiss, dass ihr eigener Mann sie kein bisschen versteht. Aber jedes Mal wenn sie wütend ist traue ich mich gar nicht erst in ihre nähe. Dann ist da mein Stiefvater, den ich eigentlich nie wirklich gemocht habe, da er meistens nichts anderes tut als mit uns Kindern zu schimpfen, jedoch habe ich gehört wie er letztens zu meiner Mutter sagte: ?Ja, ich weiss, ich bin ein sehr, sehr dummer Mann.? und das mit so einer unglaublichen Traurigkeit in der Stimme, das es mir fast das Herz gebrochen hat.
Ich weiss nun einfach nicht mehr weiter. Ich wünschte ich hätte die macht unsere Familie zusammenzuhalten, damit niemand mehr leiden muss. Aber dazu bin ich zu schwach. Meist verstecke ich mich in meinem Zimmer und beginne zu weinen anstatt etwas zu tun.
Manchmal denke ich mir, dass es das Beste wäre wenn ich ausziehen würde, somit könnte ich mich besser auf die Schule konzentrieren und meine Geschwister hätten einen Ort wo sie hingehen könnten, wenn meine Mutter wieder einen ihrer Ausbrüche hat.
Jedoch habe ich keine Ahnung wie ich das finanziell hinkriegen soll. (wahrscheinlich bleibt es ohnehin nur ein Gedanke)
Im Moment habe ich einfach das Gefühl, dass die Verantwortung zu gross wird. Es gibt so viele Sachen in meinem Kopf von denen ich überzeugt bin, dass ich sie tun muss, nur fehlt mir der Mut oder die Motivation diese auch in Tat umzusetzen.
Ich sehe zur Zeit rein gar nichts mehr.

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich!

Du bist nicht zu schwach, die Familie zusammenzuhalten - sondern es ist für einen allein eine unschaffbare Aufgabe. Eine Familie besteht immer aus mehreren Menschen und Zusammenhalten findet bei jedem einzelenen statt. Du kannst die Arme nicht so weit ausbreiten, sie alle gleichzeitig zu halten. Nur, wenn jeder die Arme ausbreitet, habt ihr alle Halt.

Ich muss sagen, ich war beim Lesen sehr von Deinem Verantwortungsbewusstsein angetan - und von der Liebe, die mir da zwischen den Zeilen entgegensprang. Du bist ein sensibler Mensch, oder? Deine kleinen Geschwister sind Dir so wichtig und auch Deiner Mutter bringst Du -trotz allem- viel Liebe entgegen. Selbst Dein Vater, den Du nie besonders leiden konntest, rührt Dich, wenn er voller Traurigkeit ist.

Nur leider kannst Du selbst diese Gefühle nur schwer nach außen tragen, wenn ich Dich richtig verstanden habe. "Mama, ich hab Dich lieb" ist so ein schöner Satz, der auch eine Menge bewegt.

Verständnis entgegenbringen, Lösungen suchen, Gefühle deutlich machen - all das sollte m.E. nicht dann sein, wenn Deine Mutter gerade voller Wut steckt. Ich denke nicht, dass sie dann wirklich empfänglich ist für diese Dinge. Sondern ganz in Ruhe; vielleicht bei einem schönen Abendspaziergang? Könntest Du das schaffen? Willst Du das schaffen?

Und letztendlich muss ich noch mal auf meinen ersten Absatz zurückkommen: Du kannst es nicht allein auf Deinen Schultern tragen. Wenn jeder einen Packen übernimmt, wird es automatisch leichter für alle. Ich kann nur raten, einfach mal zu einer Familienberatung zu gehen (bieten die meisten Städte kostenfrei an). Dort, in einem angeleiteten Gespräch werdet ihr viel schneller die Antworten finden und auch Gefühle zum Ausdruck bringen können als zu Hause.

Ein kleines Beispiel aus meinem Leben: Meine Mutter war bei so einer Beratung zusammen mit meiner kleinen Schwester (13). Beide in der festen Überzeugung, der andere könne ihn nicht leiden, hat ihn nicht lieb und deshalb gab es nur noch Streit. Keiner von beiden konnte auf den anderen zugehen (ich habe mit Engels- und Teufelszungen geredet). Dann die Beratung und zwei Fragen, bzw. die Antworten, haben alles leichter gemacht: Liebst Du Deine Tochter? Liebst Du Deine Mama? Schon komisch, dass da erst ein Fremder daherkommen musste, aber so war es und so kann es bei euch auch sein.

Alles Gute!
Dana