Problem von Anonym - 15 Jahre

Hilfe! Hier läuft was gewaltig schief!

Guten Abend,

ich höre gerade ,,we will rock you" und heule heimlich. Ich muss das jetzt einfach loswerden, ich habe verdammte Angst vor der Zukunft! Manchmal weiß ich einfach nichtmehr weiter, es ist wirklich nicht einfach damit umzugehen was hier bei uns manchmal passiert.

Mein Vater ist Alkoholiker und neigt zu Gewalttätigkeiten wenn er einen über den Durst getrunken hat. Dann bebt das Haus wenn mein lieber alter Herr sich nicht mehr im Zaum halten kann. Ich muss zusehen wie meine Mutter langsam aber sicher durchdreht und bin absolut hilflos und überfordert mit der Situation. Wer glaubt die Bedeutung von Phsychoterror zu kennen, der kann von Glück reden dass er noch nicht an einem Abend wie heute Gast unserer ,,Familie" war.

Mein Vater langweilt sich lieber den ganzen lieben langen Tag statt, wie es sich gehören würde, geregelt arbeiten zu gehen und für seine Frau und Kind zu sorgen. Stattdessen schuftet meine Mutter ständig. Sie war trotz dem allen all diese Jahre, in denen wir durch die Hölle und wieder zurück gehen mussten eine wirklich wunderbare Mum für mich. Sie war immer bemüht mich glücklich zu machen und für mich da zu sein. Nun ich muss sagen dies gelang und gelingt ihr erstaunlich gut, Respekt kann ich nur sagen. Mein Vater hingegen rastet regelmäßig wegen Kleinigkeiten aus und macht uns das Leben zur Hölle. Er kann der liebste Papa der Welt sein und am selben Abend schon ein furchteinflößendes Monster. Dieser ewige Wechsel nagt an den Nerven, soviel ist sicher! Er war sogut wie nie für mich da wenn ich ihn brauchte, ging während meiner ganzen Kindheit nicht einmal mit mir ins Museum oder in den Zoo, gab mir niemals einen guten Rat oder erschien zu Elternabenden. Obwohl er stets genug Zeit dafür gehabt hätte. Dies lehrte mich das zu werden was ich heute bin: Eine ehrgeizige Einzelkämpferin!

Alles was mir meine Eltern nicht beibringen konnten lehrte ich mir selbst, ich wälze ein Fachbuch nach dem anderen, tue alles um nicht so zu enden wie mein lieber Vater. Ich bin das genaue Gegenteil von ihm, und ihm doch so ähnlich! Das ist doch konfus, ich weiß nicht recht was ich davon halten soll.

Ich bin recht gut in der Schule, gehe in die 10. Klasse Realschule, trotz eines Vaters der einem manches mal das Lernen nicht gerade einfach macht weil er, während man versucht zu lernen laut mit meiner Mutter streitet.

Ich engargiere mich im Sozialen Bereich und arbeite mit Kindern die nicht selten ein ähnliches Schicksal haben wie ich, Kindern die (mehr oder weniger wegen sowas) auf eine Förderschule gehen. Ich besuche sie einmal im Jahr und halte ihnen Vorträge, über das was jedem Kind wenigstens für ein paar Stunden ein Lächeln auf die Lippen zaubert: Tiere, die sie auch streicheln dürfen. So habe ich schon einem Mädchen die Angst vor Hunden nehmen können und einem anderen Kind die Angst vor Ratten. Das macht mich irgendwie glücklich. Manchmal erzählen sie mir dann auch von ihren Problemen und ich denke für mich, irgendwo her kenne ich das....

Ich schreibe Gedichte, male, fotografiere Insekten, lerne mit Freude die menschliche Anatomie auf Latein => flüchte mich in etwas was mir keiner nehmen kann, mein eigenes Wissen! Etwas das mir das Gefühl gibt wenigstens geistlich stark zu sein. Das ist DAS Gebiet in dem ich meinen Vater regelmäßig schlagen kann, er ist fürchterlich eingebildet und glaubt er sei unglaublich schlau, doch jedesmal wenn ich ihn durch meine Worte bremsen kann, triumphiert es in mir. Doch deshalb lerne ich all das nicht, sondern wegen Mir ganz allein, es gibt mir einfach das Gefühl mein Leben zu nutzen, es nicht zu verschwänden und ich möchte gerne mit gebildeten Menschen auf einer Ebene kommunizieren können. Leider gäbe es (wenn ich so nachdenke) auch eine ganz andere Erklährung für meinen Wissensdrust: Mein Dad macht meine arme Mutter regelmäßig runter weil sie nicht sooo gebildet ist, zumindest nicht so wie er. Er lässt sie spühren wie winzig klein sie sich neben seinem allmächtigen Antlitz zu fühlen hat! Vielleicht bin ich nur so weil ich nicht genauso behandelt werden will, weil ich IHM überlegen sein möchte... denn nur so vermag man ihn zu stoppen.

Er wiederum muss sich regelmäßig bei solchen Gelgegenheiten von mir runterseten lassen, denn dann führe ICH ihm vor Augen dass er zwar früher mal ein bewundernswerter Mann war, den ich sicher gerne kennengelernt hätte, er sich aber mittlerweile seit 20 Jahren nur noch auf dem ausruht was er früher mal geschafft hat. Alte Lorbeerblätter verwelken pflege ich immer zu sagen! So kann ich meine Mutter zumindest ansatzweise vor seinen Phsychoattacken schützen. Doch mindestens genauso oft kann ich es auch nicht, denn dann lässt er sich nicht auf meine Strategie ein, dann streitet er nicht mit mir statt mit meiner Mutter. Ich besitze zum Glück die Fähigkeit bei Bedarf manche Leute in Grund und Boden reden zu können, so auch meinen lieben Daddy, dem dann leider nicht selten die Worte fehlen und er resigniert. Darauf habe ich es abgesehen.

Ich bin in der Pubertät und sollte deshalb ausschließlich mit mir selbst beschäftigt sein, doch mich beschäftigt vielmehr was in meiner direkten Umgebung so alles falsch läuft. Dennoch bin ich ein willensttarker junger Mensch mit klaren Vorstellungen vom Leben.

Mein Lebensmotto: ... Nothing breaks me down...

und so lebe ich auch!

Innerlich bin ich erstaunlich ruhig und gelassen wenn Zuhause die Post ab geht. Auch in der Schule mieme ich eher das stille Bio-Genie. Ich habe klare Ziele im Leben, ich möchte eines Tages glücklich verheiratet sein, zwei Kinder haben, einen Schäferhund und ein Haus im Grünen. Ich möchte Tierärztin werden und meinen Vater eines Tages so richtig hängen lassen. Ich weiß, Rache ist weder im Sinne der Bibel, noch meine Art. Doch da ich sowieso an meine eigene Philosophie glaube und auch sonst stets vorbildlich lebe, darf ich auch einmal gegen die Werte und Normen verstoßen. Ich weiß ganz genau dass ich nicht möchte, dass meine Kinder einmal ihren Opa kennen lernen. Und sie sollen in einer wunderbaren kleinen Famlie aufwachsen, so wie ich es auch gerne gehabt hätte.

Manchmal wünsche ich mir in Situationen wie dieser, einen Schäferhund zu haben, der mich beschützen könnte, er müsste sicher nur knurren und mein Dad wäre still wie ein kleines Mäuschen! Eines Tages habe ich einen Schäferhund, doch er wird meinen lieben Vater wohl nicht kennen lernen müssen, denn das tue ich ihm nicht an. Meine jetztigen Hunde sind ja schon arm dran mit so einem Kerl im Rudel! Mein Dad schreckt nämlich nichtmal davor zurück die Hunde zu schlagen/wegzuschläudern (aber nicht extrem, keiner wird dabei verletzt). Der große Hund, der wirklich respekteinflößend sein könnte, liegt immer regungslos in der Ecke wenn mein Dad austickt, der wacht höchstens mal kurz auf und wundert sich. Der KLeine hingegen möchte gerne helfen und kassiert deswegen manchmal die auswirkungen einer Männerhand. Er ist schon ganz ängstlich wenn mein Dad nachts auch nur die Tür öffnet und versteckt sich unter der Bettdecke. Das zerreißt mir jedesmal das Herz. Wenn mein Dad dem Hund gegenüber unverschämt wird, kann ich mich aber nicht mehr zügeln, dann gibts richtig Ärger. Einmal hab ich meinen Dad wegen sowas sogar schonmal auf den Boden einer Zimmerecke befördert. Jedoch ohne groß Gewalt anwenden zu müssen, denn das ist unter meiner Würde.

Es gab schon Zeiten in denen ich ernsthaft Sorge um das Leben meiner geliebten Mutter hatte, damals vermochte mein Vater zu einer unberechenbaren Furie zu werden und hatte jedesmal einen Gesichtsausdruck, der einem gewaltig das Fürchten lehren konnte. Glücklicherweise besserte sich dieser Zustand wieder etwas und ich hatte schon lange keine Angst mehr heimzukommen und eine böse Überraschung zu erleben.

Meine Mutter resigniert innerlich jedoch mittlerweile fast gänzlich, nach 30 Jahren zu Seiten eines ,,Wehrwolfs" (der binnen eines Tages von sanftmütig zur Furie mutieren kann) ist das auch kein Wunder. Ihr fehlt es bedauerlicherweise zumeist an der rechten Strategie im Umgang mit meinem Vater. Sie präsentiert manchmal geradezu ihre Angriffspunkte und bricht dann in Verzweiflung aus wenn sie atackiert wird. Naja doch auch mich, die zumeist die richtige Strategie parat zu haben glaubt, kann gelegentlich die selbstverständliche Grausamkeit in der Redensart meines Daddys zur Weißglut treiben. Nächte voller Tränen und lange Stunden der innerlichen Hilflosigkeit habe ich hinter mir. Doch das war mit Sicherheit nicht alles. Aber ich weiß ich halte durch, nur noch drei/vier Jahre, dann bin ich volljährig und feiere den ersten Tag des Rests meines Lebens. Den Tag an dem ich ausziehe, zu studieren beginne und all das hinter mir lassen kann. Hoffentlich.

Ich werde meinem Vater niemals verzeihen können was er mir angetan hat/ bzw meiner Mutter vorallem, eines schönen Tages wenn ich gänzlich unabhänging von dem Thyran bin, werde ich ihn das auf ganzer Linie spüren lassen. Dann möchte ich sehen wer von uns das letzte Wort hat! Das schlimme ist, man kann mit ihm nicht reden, er versteht nicht was er tut! Er ist sich nie irgendeiner Schuld bewusst! Wenn malwieder eine Tür zu Bruch geht, heißt es am nächsten Tag nur: Ja ihr habt ja nicht aufgemacht, da musste ich sie doch aufbrechen... ihr seid doch selber schuld! Aber das sind wir nicht! Nur er will es nicht verstehen!

Keiner weiß von dem was ich hier durchstehen muss.... nur hier kann ich darüber sprechen, denn hier kann ich anonym bleiben. Das ist gut so.

Wenn ich sehe mit welchen lächerlichen Problemchen sich andere Teenies rumschlagen müssen, Pickel, erstes Liebeskummer, erster Rausch, Sex weil alle sagen das ist ein MUSS mit 15.... wenn ich schon hören muss wie sie sich Sorgen machen ob sie wohl zur nächsten Saufparty gehen können....
Das versetzt mich innerlich in Aufruhr und ich muss mich zurückhalten denen nicht den Vogel zu zeigen. Das sind junge Leute denen es an rein garnichts fehlt und denen die ganze Welt mit all ihren Wundern zu Füßen liegt und die haben nichts besseres im Sinn als eine wilde Achterbahnfahrt durch die Abgründe eben jenes faszinierenden Planeten zu unternehmen und sich gehen zu lassen!!!! Sowas macht mich mindestens ebenso wütend wie mein Vater der mich um 3:00 vor einer Schulaufgabe aufweckt weil er besoffen ist und streiten will.

Wenn das die Alternative zu meinem Teenie-Leben ist, dann gefalle ich mir so besser, so wie ich jetzt bin. Vielleicht denke ich so über die ,,normalen" Teenager, weil ich die Kehrseite des Lebens kennengelernt habe... aber wieso braucht es denn immer einen Wendepunkt im Leben der einem die Augen öffnet? Man wird doch nicht blind geboren!!! Wenn ich morgens aufstehe, egal wie mies die Nacht war und einen Schmetterling auf einem taubesetzten Blütenblatt sitzen sehe, bin ich sehr glücklich, ich denke so geht es nicht vielen Leuten meines ALters. Klar denken die ich wäre ein sentimentaler Freak, doch oftmals sage ich ihnen, in zwanzig Jahren vielleicht werdet ihr verstehen was ich meine. Naja ich werde wohl nie erfahren ob meine Vermutung stimmt...

Ich habe gelernt mir meine Fröhlichkeit nicht verderben zu lassen, mich selbst dann noch zu freuen wenn es scheinbar keinen Grund dazu gibt, das hilft mir sehr und es funktioniert. Ich habe einmal ein passendes Gedicht dazu geschrieben und wenn ich deprimiert bin lese ich es gedanklich und reiße mich zusammen, glaube wieder an das was ich darin predige.

Ich versuche jeden Tag meines Lebens zu würdigen und ihn sinnvoll zu verbringen. Ich versuche die Blindheit des Alltags zu überwinden und meinen Geist fliegen zu lassen. Ich träume mich hinfort in eine duftende Blumenwiese wannimmer ich kurz vor einem Weinanfall bin.... dann geht es mir besser. Das Träumen schützt meine Seele... das macht mir Angst... soweit bin ich schon...

aber ich weiß, es sind nur noch 3 Jahre... dann bin ich weg... dann ziehe ich aus! Hoffentlich bin ich bis dahin noch nicht völlig durchgeknallt... ich tue alles um das zu vermeiden... den Sieg gönne ich meinem Dad nicht.... NIEMALS... soweit bekommt er mich nicht... und wenn ich 100 mal ,,we will rock you" hören muss (sonst höre ich fast nie Musik)....

Ich sitze hier und höre ungefähr zum 10. mal dieses Lied und meine Tränen sind mittlerweile wieder getrocknet... dieses Lied und alles was ich eben niedergeschrieben habe hat meinen Kampfgeist wiederbelebt... ich werde nicht aufgeben... NEIN.... ich werde weiterkämpfen... auch wenn es wie immer nicht leicht wird...
Ich sitze hier vor dem Bildschirm und verspühre eine tiefe Inspiration für ein neues Gedicht... ich träume wiedermal von einem Bächlein, das sich durch einen bunten Herbstwald schlängelt und von dichten Nebelschwaden umgeben ist... der Nebelschleier lichtet sich und erste Sonnenstrahlen dringen hindurch.... neben dem Bach sehe ich eine glückliche junge Frau nebst ihres geliebten Schäferhundes stehen, sie sieht mir irgendwie ähnlich.... welch schönes Bild....

So nun glaube ich es ist Zeit mich zu verabschieden,
ich werde jetzt noch ein paar mal dieses ,,we will rock you" hören und nichtmehr darüber nachdenken warum manche Teenager wegen Lapalien verzweifeln und sich konfus aber ,,altersgemäß" unverständlich verhalten ohne einen Grund dafür zu haben. Ich hätte Grund genug dafür, doch man sollte sich nicht einfach so gehen lassen und es danach auf das Schicksal schieben.
Allerdings ist das Ansichtssache... dies hier war eben meine....

Gute Nacht,

S. , die sich jetzt erleichtert fühlt

Jeanett Anwort von Jeanett

Hallo,

ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich bin echt beeindruckt. Aber nicht nur das, deine Geschichte schockiert natürlich auch, und sie nötigt wahrscheinlich jedem, der sie liest, dir gegenüber Respekt ab.

Es tut mir unwahrscheinlich leid, was du durchmachen musst. Andererseits bewundere ich deine Stärke, mit der du das alles durchstehst. Eigentlich gibt es gar nichts, was ich dir raten könnte, denn du bist selbst stark genug. Du bist intelligent und selbstbewusst, du weißt genau, was du willst - und ich glaube, du wirst es in deinem Leben weit bringen, mit Sicherheit. Und du hast es auch verdient!

Deine arme Mutter tut mir sehr leid, genauso wie dir. Ich hoffe, sie wartet nicht mehr allzu lange, um sich von diesem Mann zu trennen. Es geht immer weiter, auch für sie. Und Arbeit findet sich auch, wenn man sich für nichts zu schade ist. Und sie hat eine wunderbare Tochter, darüber kann sie glücklich sein. Warum soll man sich das Leben durch eine solche ungesunde Beziehung kaputt machen lassen, wo man doch nur einmal lebt?

Ich wünsche dir alles Glück der Welt, und dass sich alle deine Träume erfüllen lassen, du hast es verdient! Und deiner Mutter wünsche ich den Mut, sich von dieser Beziehung zu lösen.

Alles Gute für euch beide, viel Glück und ein glückliches Leben!

Liebe Grüße, Jeanett