Problem von Anonym - 24 Jahre

Die Vergangenheit lässt mich nicht los...

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich weiss garnicht wie ich anfangen soll...

Meine Kindheit war nicht sehr rosig und ich habe bis heute ein schwieriges Verhältnis bzw. eine Art Hass/Liebe zu meiner Mutter. Meine Mutter schlug mich wenn sie nicht weiter wusste und war völligst überfordert. Mein Vater steht bis heute unter dem Scheffel meiner Mutter, ich liebe ihn über alles, aber er war nie für mich da wenn ich ihn brauchte. Er war in meiner Kindheit eigentlich immer Arbeiten, manchmal wochenlang nicht zuhause, meine Mutter war ganz alleine und ich war ihrer Laune ausgesetzt. Neben der häuslichen Gewalt, die ich erfahren habe, habe ich als Kind Pädophile (darunter ein enges Familienmitglied) quasi magisch angezogen... jetzt jede einzelne Situation aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen, aber ich habe heute noch Alpträume davon. Ich wurde nie vergewaltigt, jedoch gegen meinen Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen. Der \"Täter\" lebt heute friedlich, fröhlich, frei und ich sehe ihn an allen Familienfesten und mache gute Miene zum bösen Spiel. Meine Eltern waren finanziell immer gut gestellt, hatten ein eigenes Haus mit Garten etc. pp. (also keine Hartz4-Familie) und haben immer versucht das Bild einer glücklichen Familie nach außen im Dorf zu wahren.

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Ich habe nicht eine einzige schöne Erinnerung an meine Kindheit. NICHT EINE! Wenn ich an die Vergangenheit denke, fühle ich nur Hilflosigkeit, Wut, Trauer... Ich erinnere mich an Momente, in denen ich in meinem Zimmer saß (eingeschlossen mit Zimmerarrest ohne Essen und Trinken- das war die liebste Folterethode meiner Mutter) und nicht mehr Leben wollte. Ich hatte eine so unendliche Wut in mir- und das schon als kleines Mädchen mit ca. 5-6 Jahren. Ich hab andere Kinder in der Grundschule immer beneidet um ihre liebevollen Eltern. Das zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben, bis ich mit 19 endlich ausziehen konnte. 19 Jahre meines Lebens waren der Horror! Meine Mutter tickte bei Kleinigkeiten aus (und wenn es nur eine vergessene Hose im Bad war) oder redete tagelang kein Wort mit mir. Ich musste meine Wäsche selber waschen + bügeln, mein Essen selber kochen. Mein kleiner Bruder (6 Jahre Altersunterschied) wurde dabei immer verhätschelt, bekam alles was er wollte. Ich war mit Sicherheit kein einfaches Kind (Schreikind als Baby), aber meine Mutter war sich der Konsequenz bei ihrem Kinderwunsch nicht bewusst und welche Verantwortung ein Kind mit sich bringt. Sie hätte es lieber bleiben lassen sollen.

Auch wurde mir immer vorgehalten, dass sie meine Freundin (braves Mädel, aus gutem Haus, gute Noten etc.// Bitte merken, kommt am Schluss nochmal was dazu) viel lieber als Tochter hätte. Wenn ich Streit mit meinen Freundinnen hatte kam von meinen Eltern nur \"Naja, denk mal drüber nach, du wirst sicher Schuld haben\". Als ich mit 15 Jahren verkündete, dass ich sterben und mich umbringen will kam der Spruch \"Mach doch\". Keine tröstenden Worte, kein Mitgefühl, in mir steigt heute noch der Hass hoch, wenn ich daran denke. Meine Mutter hatte (hat evtl. immernoch?) Depressionen und hat meinen Vater betrogen, dass habe ich als Kind alles mitbekommen.

Ich selbst habe selber immer mal mehr oder weniger depressive Phasen, aber ich denke sogar, dass ich das geerbt habe. Als Jugendliche habe ich meine Sorgen oft (alleine in meinem Zimmer) in Alkohol verdrängt, ich war nicht fähig raus vor die Tür zu gehen. Auch hätte ich, wenn ich es bekommen hätte, sicher alles an Drogen genommen. Zum Glück gabs damals aufm Dorf nur Gras, welches ich (wenn ich mal welches hatte) auch gerne konsumiert habe. Zum Glück habe ich mich immer wieder selber aus dem Sumpf holen und meine Gedanken wieder auf ein neues Ziel focusieren können. Das ging eine Zeit, bis das Tief wieder kam und mich mit seiner vollen Wucht zu Boden riss.


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Mein Leben ist nun wirklich schön geworden. Ich habe einen lieben Mann und eine Traumwohnung. Mein Chef schätzt mich, meine Kollegen mögen mich. Richtige Freunde habe ich zwar keine, ich bin jedoch eher ein Einzelgänger und bin sehr gerne alleine für mich. Ich habe viele gute Bekannte, wenn sich jedoch eine tiefere Freundschaft anbahnt, blocke ich recht schnell ab. Ich arbeite die ganze Woche hart und hab am Wochenende kein Kopf. Ich bin dann meistens schlichtweg zu faul und zu müde mich zu verabreden. Mit dieser Situation bin ich garnicht unglücklich, ich mag Ruhe.

Meine Vergangenheit lässt mich jedoch nicht los. Ich hatte erst letzte Nacht einen Traum, dass ich verfolgt werden. Ich träume öfter, dass ich umgebracht werde von einem Mann, der mich z. B. hochhebt und mir das Genick bricht. Ich spüre ein knacken und in dem Moment wache ich auf. Oder ich werde ertränkt, oder erschlagen oder oder oder... Ich träume von einem Fremden, der mich vergewaltigt, von dem ich mich in manchen Fällen losreiße und fliehe. Manchmal reiße ich mich nicht los und werde dummerweise einfach nicht wach, ich spüre regelrecht den tiefen Schmerz in mir (im Traum). Ich träume, dass ich meine Mutter anschreihe, dass ich sie hassen würde, ich träume, dass ich meine Mutter umbringe und mich danach gut fühle. Ich wache oft auf und bin total niedergeschlagen.

Ich hatte schon an eine Psychotherapie gedacht und sogar schon einige Psychologen kontaktiert. Da ich aber Kassenpatient bin, ist das alles nicht so einfach. Das Vorgespräch bei einer Psychologin habe ich abgesagt. Ich habe mich einfach nicht getraut hinzugehen, habe Angst, dass ich damit noch mehr \"Hoppla\" werde und alles müsam Verträngte dann erst richtig hochkommt. Eigentlich bräuchte ich einen Ansprechpartner, der mich ein bisschen ans Händchen nimmt und mir den richtigen Weg weist. Sowas wie ein Coach, an den ich mich wenden kann und der auch mal für mich bei einem Psychologen anruft und die Situation schildert usw.

Habt ihr einen Tipp für mich? Ich weiss manchmal nicht wohin mit dem ganzen Schmerz und igel mich wochenlang in mich selbst ein. Auf der Arbeit versuche ich mich zusammenzureißen und bin eine wirklich gute Schauspielerin... aber zuhause angekommen fall ich wieder zurück. Mein Mann weiss nicht wie er mir helfen kann. Er kann es auch nicht wirklich nachvollziehen, oft habe ich das Gefühl ich rede gegen eine Wand. Ich bin öfter zickig zu ihm und bin wegen Kleinigkeiten schlecht drauf... und ertappe mich dabei, wie ich immer mehr wie meine Mutter werde.

Auch will ich auf keinen Fall Kinder! Ich hab viel zu sehr Angst, dass ich die (teilweise leider wirklich geerbten) Verhaltensmuster an mein Kind weitergebe. Die Kindheit will ich keinem Kind zumuten. Besser ist es dann, dass es nie existiert, so wie ich hätte nie existieren dürfen.

Ich wünsche mir, endlich mit meiner Vergangenheit abschließen zu können. Endlich die Verhaltensmuster zu durchbrechen und mir von Außenstehenden nicht immer alles gefallen zu lassen und nicht immer den Weg mit dem geringsten Widerstand gehen. Ich will endlich glücklich sein und diese Wut im Bauch loswerden. Ich will mich nicht mehr minderwertig fühlen, so wie mir von meiner Mutter immer suggeriert wurde.

Die am Anfang erwähnte Freundin wohnte natürlich noch ewig zu Hause, hat letzten Endes Abitur gemacht, studiert jetzt und wird sicher mal einen super Job finden, bei der sie viel Geld verdient. Alle meine Bekannte haben einen ähnlichen Lebenslauf. Nur ich habe gerade mal die Realschule und eine Ausbildung geschafft (zwar mit super Noten, aber was ist das im Vergleich zu einem Diplom oder Bachelor-Studiengang?). Es war einfach nicht möglich länger zuhause zu wohnen. Ich gebe meiner Mutter die Schuld dafür, dass ich nie das richtige Rüstzeug aus meinem Elternhaus für eine erfolgreiche Zukunft mitbekommen habe. Gleichzeitig weiss ich aber auch, dass ich selbst meines Glückes Schmied bin und mich von diesen Gedankenmustern lösen muss. Ich kann es aber nicht. Ich fühle mich minderwertig, wenn ich sehe was alle meine Klassenkameraden von damals auf die Beine gestellt haben. Und ich habe nur eine Ausbildung und arbeite jetzt ganz normal. Ich mach nichts besonderes, ich verdiene nicht viel Geld. Ich fühle mich wie ein Versager.

Bitte helft mir!

Dana Anwort von Dana

Liebe Unbekannte!

Zuerstmal lass mich sehr direkt sein:

SCHEISS drauf, dass die Freunde jetzt einen achsotollen Studiengang hingekriegt haben! Du bist supertoll und wundervoll. Und das meine ich mehr als ernst!

Denn du hast es geschafft, TROTZ dieser ganzen wirklich schlimmen Dinge, die dir in deinem Leben widerfahren sind, die Schule zu beenden, eine gute Ausbildung mit guten Noten zu schaffen UND jetzt ein Leben zu leben, das dich erfüllt. Mit lieben Menschen um dich herum.

Und ich sage dir ehrlich: Ich ziehe vor dir den Hut und zolle dir höchsten Respekt! Egal, was deine Mutter dir angetan hat, egal, was sie dir für gemeine Sachen gesagt hat: du bist ein wirklich starker und wertvoller Mensch. Viele wären untergegangen, hätten sich aus dieser Scheiße nicht rausholen können. Dir ist es gelungen. Du hast mit viel Stärke vieles ertragen und hast es GESCHAFFT.

Was bitte ist so schwer daran, wenn man aus einem behüteten Haus kommt und alle Förderung der Welt kriegt, dann ein Abi zu machen und ein Studium drauf zu setzen? Sorry, das ist nicht schwer, wenn man die nötige Intelligenz mitbringt.

Du hast deine Situation mehr als intelligent gelöst. Du bist raus, sobald es möglich war, hast dich unabhängig gemacht. Besser ging es doch gar nicht.

Ich finde dich richtig toll und bin begeistert, was du hinbekommen hast.

Das erstmal dazu.
So...und nun Tränen trocknen und den nächsten Teil auch angehen.

Dass deine Vergangenheit dich nicht loslässt, ist nur allzu verständlich. Und ich sage es ganz klar: du wirst um einen Psychotherapeuten nicht herum kommen. Die sind geschult, die erleben solche Sachen sehr oft. Du hast schlimme Dinge erlebt und hast ein Recht auf Unterstützung, denn alleine schaffst du das nicht. Das ist nicht böse gemeint. Lass es mich bildlich ausdrücken. Ein Schäfchen kann sich vielleicht selbst aus einem Graben retten, aber die Wunden, die es dabei abbekommt, müssen von einem Arzt gereinigt und verbunden werden, sonst bluten sie, eitern sie, entzünden sich und das Schäfchen wird immer schwächer.

Du bist ein sehr mutiges "Schäfchen", wenn wir mal bei diesem Vergleich bleiben. Du hast wirklich Tolles geleistet, jetzt steht dir Hilfe zu.

Gut, du bist Kassenpatientin, da dauert es leider immer mal etwas länger. Aber es gibt die Möglichkeiten, sich bei mehreren Psychotherapeuten auf die Warteliste setzen zu lassen, bzw auch schon mal eine Therapie auf privater Basis anzufangen. Es gibt viele Psychologen, die so nett sind, nicht den vollen Stundenpreis zu verlangen, wenn man ihn nicht zahlen kann.

Ich war auch mal eine Weile bei einer Psychologin. Als ich die Augen aufriss, als sie mir ihr Honorar sagte, ist sie mir sehr nett entgegen gekommen. Sprich doch mit deinem Mann darüber, deine Gesundheit hat hohe Priorität. Schließlich will dein Mann ja auch eine Frau, die endlich entspannen kann und der es auch in der Seele gut geht. Vielleicht könnt ihr zusammen legen und dir so ein paar Stunden "schenken", einfach, dass es los geht. Wenn man privat zahlt, geht es nämlich bei einigen Psychologen plöööötzlich durchaus.

Die Aufarbeitung wird dich einiges an Zeit kosten, aber sie wird wirklich heilsam sein. Wahrscheinlich wird es eine Art Traumatherapie, denn die Dinge, die du erlebt hast, können eigentlich nur traumatisiert haben. Ich bewundere dich wirklich, wie du die Kraft all die Jahre aufgebracht hast. Und da du so eine starke Frau bist, wirst du die Therapie auch wirklich gut machen. Du musst vielleicht noch etwas warten, aber dann bekommst du wirklich gute Hilfe.

Und trau dich! Geh auf jeden Fall hin! Die fressen einen da nicht, die sind da, um dir zu helfen. Es sind zum Großteil offene und sehr nette Menschen, die schnell wissen, wie sie sich auf dich einlassen können. Ich habe selbst nur gute Erfahrungen gemacht.

Wichtig ist: der Psychologe, die Psychologin muss zu dir passen. Wenn du das Gefühl hast, es passt nicht, hast du das Recht zu gehen. Auch darfst du Wünsche äußern, wie die Therapie zu laufen hat. Wenn dir was nicht passt oder zu schnell geht, kannst du das sagen. Die Therapeuten sind dann nicht sauer, sondern passen sich im Regelfall an.

Lass es dir nochmal sagen:
Du bist eine tolle Frau mit viel Kraft, die unglaublich viel geschafft hat. Sei stolz auf dich! Und mach genau da weiter, woran du jetzt bist. Geh und hol dir fachliche Hilfe, die mit dir Vergangenheitsbewältigung macht. Du wirst lernen, die Dinge in deinem Leben ganz nach unten zu kriegen. Keller und Tür zu. Oder im Meer ersäuft. Denn da gehört dieser Mist hin.

Ich ziehe den Hut und wünsche dir wirklich alles Liebe und Gute für deinen weiteren Weg! Auf gehts!

Von Herzen,

Dana