Problem von Anonym - 18 Jahre

Ständige Demütigung, keine Anerkennung

Guten Abend!

Auch wenn es beschämend ist, werde ich Ihnen meine Probleme schildern, da ich eine neutrale Meinung benötige.

Also, es geht um meinen Vater. Um es kurz zu fassen: Er schenkte mir noch nie in meinem Leben Anerkennung, bevorzugt meinen jüngeren Bruder, und demütigt mich in der Öffentlichkeit!

Ich werde im Mai mein Abitur ablegen. Meine Noten sind überdurchschnittlich gut (wahrscheinlich Abschlussnote besser als 1,5) und waren es auch immer; nur wurde ich deswegen noch nie von meinem Vater gelobt. Nie erhielt ich seinerseits Anerkennung. Schlimmer noch. brachte ich mal ein Zeugnis mit einem Durchschnitt heim, der nicht 1,x war, hieß es direkt, dass ich mehr anstrengen müsse, weniger spielen sollte etc.
Dabei hat mein Vater selbst "nur" einen Realschulabschluss.
Ebenso bin ich Zeit meines Lebens unterfordert gewesen.
Nie hielten es meine Eltern für nötig mir Möglichkeiten des Weiterbildens zu schaffen- laut meines Vaters sei es zu teuer (obwohl wir keine Geldprobleme haben...)
Auch wenn ich fragte, ob ich denn privaten Japanisch- oder Altgriechischunterricht erhalten könne, wurde ich ignoriert oder abgewiesen.
Wenn mein Bruder aber irgendetwas will, dann bekommt er es sofort von meinem Vater!- egal was- Das teuerste Spielzeug (wahrscheinlich haben wir schon Videospiele im Wert von über tausend Euro- aber wehe ich wünsche mir mal ein Buch...), Aufmerksamkeit ohne Ende und wenn mein Bruder sagt ich will das und das essen oder ich will da und da hin- der Wusch ist ihm zu befehl.

Mein Bruder ist frech! Er beleidigt meine Mutter, bringt sie zum weinen! Er ist ein schlechter Hauptschüler! Er ist faul! Hilft nicht im Haushalt! Und ist der schlimmste Egoist unter der Sonnne!
Und immer, wenn er Schund baut oder ich mich über ihn aufrege oder ihn auf sein schlechtes Benehmen hinweise, bekomme ich Ärger von meinem Vater.

Heute zum Beispiel:
Wir aßen zu Abend,( ich sitze stets neben meinem Bruder, da wir eine Bank am Tisch stehen haben bleibt mir nichts anderes übrig) und mein Bruder frisst wie der letzte Bauer und liegt dabei auf dem Tisch und lässt mir kaum noch Platz, ich saß schon halb auf dem Boden.
Ich machte in mehrmals darauf aufmerksam sich vernünftig hinzusetzen, nur bringt es nichts an ihn zu appelieren... Ich wurde etwas lauter und sagt ihm er solle nicht wie ein Bauer fressen, schließlich möchte ich auch am Tisch sitzen- prompt schrie mich mein Vater los ich solle verschwinden, ich könnte mich auch wo anders hinsetzen (wie aber vorher beschrieben bleibt mir kein anderer Platz).
Meine Mutter sagte ihm aber, dass ich Recht habe, mein Bruder solle sich vernünftig hinsetzen und mich in Ruhe lassen- sie wurde genauso angeschrien...

Als wäre diese Zweiklassigkeit noch nicht genug, demütigt mich mein Vater in der Öffentlichkeit.
Ich bin Vegetarierin- und mein Vater nutzt jede erdenklich Möglichkeit mich damit aufzuziehen- so besuchen wir seitdem nur noch Restaurants die eigentlich nur noch Fleisch führen. Wenn ich dann versuche irgendwas zu bestellen, dann meckert mein Vater immer rum ich solle alles nicht so kompliziert machen- zuhause bleiben darf ich aber nicht... dann heißt es, wir sollen alle was gemeinsam tun...
Er geringschätzt meine Arbeit in Gegenwart von Freunden und Familienmitgliedern- so kritisiert er mich ständig, wenn ich male oder Selbstgemachtes verschenke, sagt mein essen würde nicht schmecken, wenn ich Gekochtes serviere... die Liste ist endlos.

Nur weiß ich nicht wie ich reagieren soll oder warum er das tut.
Ich ziehe mich schon möglichst zurück um nicht in Kontakt mit ihm treten zu müssen- aber so kann es doch nicht weiter gehen.
Auch versuchte ich schon mit ihm zu reden, es brachte aber nix.
Ich hoffe ich kann eine neutrale Meinung von Ihnen erhalten.

Danke im voraus!

Bernd Anwort von Bernd

Liebe Unbekannte.

So schlimm das ist! Und so sehr es mich als Mann selbst beschämt, Dir gestehen zu müssen:
Viele Männer können nicht damit umgehen, wenn sie eine Frau an ihrer Seite haben, der sie geistig nicht gewachsen sind!
Und mit Kindern, von denen sie überflügelt werden.

Irgendwie haben wir Deppen das wohl immer wieder drauf, unsere Autorität in Gefahr zu sehen, wenn jemand besser ist als wir.

Und so, wie Du es beschreibst, ist Dein Bruder auf dem besten Wege, zu einem dieser Prachtexemplare von "Mann" verzogen zu werden.

Die einfachste Möglichkeit, einen Menschen, dem man geistig nicht gewachsen ist, "klein" zu halten, ist, ihn lächerlich zu machen und ihn zu demütigen. Dazu passt auch, was Du darüber schreibst, wenn ihr essen geht: er sucht ganz gezielt die Punkte heraus, an denen Du angreifbar, verletzbar bist.

Oft beginnt dieses "Machtspiel" der überforderten Väter mit der Pubertät der Kinder. Weil da die Kinder zum ersten mal beweisen, dass sie den unbedingten Willen haben, sich gegen eine Autorität, die sie plötzlich nicht mehr anerkennen können, durchzusetzen.

Vielleicht kannst Du Dich an einen solchen ersten großen Konflikt zwischen Deinem Vater und Dir erinnern?
Von mir weiß ich, dass ich meinen Vater gerne dadurch provoziert habe, dass ich ihn mit Fremdwörtern "mundtod" zu bekommen versucht habe.
Er hat genau so reagiert, wie ich es aus meinem jetzigen Blickwinkel heraus hätte erwarten müssen. Bei uns beiden hat es recht lange gedauert, bis wir wieder ein vernünftiges Verhältnis zueinander gefunden haben.
Eigentlich erst, nachdem ich schon zuhause ausgezogen war und er nicht anders konnte als anzuerkennen, dass ich auch ohne ihn etwas zustande bringen konnte.

Auch wenn es Dir weh tun mag: Die Aufgabe von euch Jungen ist es, euren Weg zu finden und zu gehen! Wenn ihr Glück habt, sind eure Eltern euch eine Stütze dabei und sind stolz darauf, dass ihr sie überflügelt!
Du hast weniger Glück.
Das darf Dich aber nicht davon abhalten, Dir Ziele zu setzen und Deinen Weg zu suchen. Und ihn unbeirrt zu gehen!
Du wirst irgendwann einmal merken, dass Dein Vater, auch wenn er selbst es Dir nicht eingestehen kann, heimlich stolz auf seine Tochter ist!
So wie ich es auch bei meinem Vater gemerkt habe. Nicht weil er es mir erzählt hat. Sondern über das, wie er über mich mit anderen geredet hat, wenn ich nicht dabei war. Wenn er also nicht den "Chef der Familie" hat herauskehren müssen.

Erwarte also nicht zuviel von ihm! Konzentriere Dich lieber drauf, Deinen Zielen zu folgen!
Deine Zukunft ist wichtiger als eure gemeinsame Gegenwart!

Und, ganz wichtig: Was Dir Dein Vater demonstriert, kannst Du auch ganz leicht bei einem Partner wiederfinden! Pass auf, dass Du Deinen Partner nicht unbedingt nach den gängigen Gesichtspunkten auswählst. Sondern schau auch danach, ob er in der Lage ist, Dich als ebenbürtig zu akzeptieren!
Lasse Dich nicht vereinnahmen, sondern achte darauf, dass Du als eigenständige Persönlichkeit geachtet und geliebt wirst!

Dann hat Dein gestörtes Verhältnis zu Deinem Vater Dir wenigstens noch ein Gutes gebracht: er hat Dir als schlechtes Beispiel gedient!

Alles Liebe,

Bernd