Problem von Anna - 24 Jahre

Ich bin völlig am Ende

Ich bin 24 Jahre alt und mit meinem Leben überfordert.
Bereits mit 4 Jahren wurde ich zum Missbrauchsopfer. Das hat zwar jetzt nichts mit der eigentlichen Sache zu tun, aber ich vermute, dass dieses Ereignis damals den Grundstein für meine Veranlagung zum Psycho-Dasein gelegt hat. Seit ich 16 bin, leide ich an Depressionen. Ich habe damals eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht, die ich auch 2 Jahre durchgehalten habe. Im 3. Lehrjahr bin ich dann aufgrund von Mobbing, erneutem sexuellen Missbrauch und Überforderung zu einem Psycho-Wrack geworden, habe Ess- und Angststörungen entwickelt, die mich an den Rand des Suizids getrieben haben. Meine Freundin hat mich damals gerettet und ermutigt, die Ausbildung abzubrechen und das Abitur nachzuholen. Das ist mir sogar gelungen. In dieser Zeit hat sich meine psychische Gesundheit enorm verbessert. Ich konnte eine Therapie machen, die Essstörungen überwinden und habe gelernt mit den Depressionen zu leben. Mit 19 lernte ich meinen Freund kennen, mit dem ich nun 4 Jahre zusammen bin. Er hat mir so viel gegeben, dass es mir besser ging – lediglich mein Abiturschnitt hat darunter gelitten. Mit 21 wollte ich Deutsch studieren. Ich komme eigentlich aus Norddeutschland und leider ist hier der NC in den meisten Fächern sehr hoch. Das war ein Grund, der mich dazu bewegte, nach Süddeutschland zu gehen, um zu studieren. Ein anderer war, dass ich gerne „erwachsener“ und unabhängiger sein wollte. Unabhängiger vor allem von meinem Freund. Ich weiß, das wird in den Augen der meisten wahrscheinlich bescheuert und nicht nachvollziehbar klingen, aber ich habe damals gemerkt, dass ich unheimlich stark auf ihn fixiert bin und den Wunsch gehabt, mir zu beweisen, dass ich auch ohne ihn etwas erreichen kann. Außerdem hätte ich im Norden meinen Wunsch-Studienplatz nicht bekommen und fand eine Beziehung nicht Grund genug, dafür auf meine berufliche Orientierung zu verzichten. Also zog ich mit meiner Freundin nach Bayern, wo wir beide unser Studium begannen. Zuerst lief alles ganz gut, bis unsere Freundschaft durch das Zusammenwohnen auf so engem Raum sehr stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Heimweh hatte ich da noch keines. Ich habe ein paar nette Freunde kennen gelernt und jedoch innerhalb des ersten Jahres festgestellt, dass mein Studium nicht das Richtige für mich ist.
Schließlich entwickelte sich in mir der Wunsch, Fremdsprachen zu studieren. Ich war in den Ferien in Frankreich und Irland gewesen und hatte verschiedene Praktika absolviert. So brach ich das Deutschstudium ab und bewarb ich mich für Englisch und Französisch an der gleichen Uni. Für meinen Studienplatz musste ich schließlich sehr kämpfen und ich habe ihn auch nur im Nachrückverfahren bekommen. Leider machte mir schon in den ersten paar Wochen des Studiums meine Gesundheit einen Strich durch die Rechnung – Diagnose: Gebärmutterhalskrebs. Ich musste 2 Krankensemester einlegen und ein Jahr lang pausieren. Die Zeit habe ich zuhause bei meinen Eltern und meinem Freund verbracht und trotz der schweren Krankheit sehr genossen. Ich habe mich wohl auch sehr verändert in der Zeit, bin emotional sehr labil geworden und habe mich wieder meiner Persönlichkeit im Alter von 16 Jahren angenähert. Nun bin ich wieder im Süden, in meiner mittlerweile eigenen Wohnung und studiere wieder Französisch und Englisch (erneut im 1. Semester) und alles ist schrecklich. Ich finde einfach keinen Anschluss bei den Leuten, habe keine Freunde im Kurs, meine Klasse scheint mich zu hassen. Ich weiß nicht, was ich ihnen getan habe. Vielleicht ist es der Altersunterschied oder dass ich durch den Krebs einfach schrecklich mitgenommen aussehe. Ich werde nicht zurückgegrüßt, ich werde verspottet und vorgeführt, ich habe so etwas noch nie erlebt...wir sollten uns in Referat-Gruppen einteilen und ich bin die Einzige, die keiner dabei wollte. Nun werde ich als einzige keines halten, was sich evtl. auf meine Note und das Bestehen des Kurses auswirkt. Ich habe mir immer gesagt „Ich bin hier, um zu studieren und nicht, um Freunde zu finden“ und dennoch macht mich die Situation fertig. An den Leuten kann ich wohl nichts ändern, mir kann da wohl auch keiner helfen. Das ist keine Schule und Professoren sind keine Pädagogen. Ich möchte, dass mich diese Dinge kalt lassen. Doch ich bin nicht stark genug, ich bin psychisch wahnsinnig labil. Ich schwänze sehr viel, worunter meine Noten leiden. Ich vermisse meine Familie und meinen Freund wie die Hölle, ich wünsche mir so sehr, bei ihnen zu sein. Ich weine sehr viel und bleibe die Nächte wach. Gegen morgen schlafe ich ein und verschlafe meist den ganzen Tag, wenn ich mich nicht zur Uni quäle. Ich gehe jeden Tag mit Bauchschmerzen in die Uni aus Angst vor den Leuten und möglichen Gruppenarbeiten. Ich bin zuhause die meiste Zeit im Internet, weil ich nur so Nähe zu meiner Familie, meinem Freund und meinen Freunden halten kann. Meine Essstörungen sind wieder da und ich wiege nur noch 46Kilo. Ich habe seit langem wieder konkrete Suizidpläne und mir in einem Anfall von tiefster Depression sogar die nötigen Mittel dazu besorgt. (Ich habe sie versteckt und werde sie nicht anrühren, keine Sorge). Ich weine sehr viel und jede Kleinigkeit wirft mich aus der Bahn. Ich fühle mich dem Druck im Studium teilweise nicht gewachsen und kann mich nicht konzentrieren. Aus Unwohlsein schaffe ich es oft nicht mal sinnvolle Sätze zu formulieren, wenn ein Prof mich etwas fragt. Es ist so erniedrigend. Ich resigniere. Ich gehe wieder zu einem Therapeuten, aber ich komm einfach nicht voran und es hilft mir nicht.
Ich bin mir sicher, dass alles an mir liegt, an meiner emotionalen Schwäche und Nichtbelastbarkeit. Eigentlich fühle ich mich wohl hier in meiner Wohnung und habe auch ein paar wenige Freunde hier, die mir auch zuhören. Mein Freund hört mir auch zu, aber er kann es nicht ganz nachvollziehen. Mit meinen Eltern kann ich unmöglich darüber reden. Es würde sie zu sehr verletzen und ich will sie nicht mehr enttäuschen. Viele würden mir sicher anraten, das Studium abzubrechen, aber das kann ich unmöglich. Ich habe schon zu viele Sachen hingeschmissen im Leben und meine Eltern und ich haben doch so viel Kraft, Geld und Zeit für dieses Studium investiert. Ich bin 24 und habe noch nichts erreicht im Leben. Ich kann nicht noch mehr Jahre verschwenden, mir muss doch einmal etwas gelingen. Ich bin mir auch sicher, dass ich es bereuen würde, wenn ich jetzt alles hinwerfe -vor allem wegen ein paar blöden Leuten…aber so kann es doch nicht weiter gehen? Wie kann ich denn Kraft schöpfen, diese schlechte Zeit zu überstehen? Vor mir liegen noch 3 lange Jahre. Die Uni wechseln könnte ich erst nächstes Jahr.
Wie kann ich mehr Selbstbewusstsein aufbauen, sodass mich der Stress und die Situation nicht mehr so aus der Bahn werfen?
Hilfe

Christine Anwort von Christine

Liebe Anna,

ich habe deinen Hilferuf gelesen und er hat mich sehr berührt.
Du schreibst am Ende deines Briefes das du noch nichts erreicht hättest mit deinen 24 Jahren, das sehe ich wirklich ganz anders. Du hast so vieles schon geschafft worauf du wirklich mehr als Stolz sein kannst.
Du machst genau das richtige, du holst dir Hilfe in dem du in Therapie gehst.
Du schreibst, du wurdest bereits mit 4 Jahren schon zum Missbrauchsopfer, und du hast völlig Recht damit wenn du sagst, das du denkst, das viele deiner Probleme heute den Grundstein dafür dort haben. Dennoch hast du immer wieder gekämpft, hast dir immer wieder Hilfe geholt, hast sogar gegen deine Krankheit gekämpft, bist immer wieder aufgestanden und hast nicht aufgegeben.
Du fragst wie du dein Selbstbewusstsein aufbauen kannst. Im Grunde schon wenn du deinen Brief liest. Als ich ihn gelesen habe war ich überwältig davon wie sehr du kämpfst und was du schon alles geschafft hast.
Du schreibst, das du zur Zeit kaum schlafen kannst, das du Angst vor den Leuten aus der Uni hast und auch das deine Essstörung wieder da ist. Hast du das so genau auch schon mal in der Therapie gesagt?
Wegen deiner Essstörung möchte ich dir gerne raten dass du dir bei einer speziellen Beratungsstelle für Essstörungen Rat und Hilfe suchst, wie z.B. bei http://www.anad.de . Die Leute dort sind eben genau darauf spezialisiert, was einfach nicht jeder Therapeut ist.
Deine Depressionen und Suizidgedanken aber solltest du in der Therapie zum dringlichen Thema machen.
Du schreibst dass du in der Therapie nicht voran kommst, welche Therapieform ist es denn? Vielleicht ist es in deinem Fall nicht die richtige Therapieform.
Wegen deiner Probleme an der Uni schreibst du, du könntest erst nächstes Jahr die Uni wechseln, dennoch denke ich wäre es nicht schlecht, genau das zu versuchen, und wenn es erst nächstes Jahr ist. Du möchtest dein Studium nicht hinschmeißen, was ich auch sehr gut finde, aber ich denke wenn du dich an der Uni wohl fühlst und mit den Leuten auskommst würde es vieles erleichtern.
Ich wünsche dir von ganzem Herzen viel Kraft. Du hast schon so vieles geschafft, du kannst wirklich sehr stolz auf dich sein.
Alles liebe
Christine