Problem von Rena - 21 Jahre

Stress - drei Leben an verschiedenen Orten

Hallo,

vorab schonmal danke, dass ihr euch mit diesem Problem beschäftigt.

Ich habe so viel Stress und nie Zeit für irgendwas. Ich führe drei verschiedene Leben die ich alle voneinander trennen muss und ich kann keines mehr einschränken. Einerseits möchte ich Zeit mit meinem Freund verbringen, andererseits darf ich und möchte ich meine Familie nicht komplett ignorieren und das dritte ist meine Ausbildung, für die ich eigentlich vieel mehr tun müsste.
Unter der Woche wohne ich bei meinem Ausbildungsort, fahre zwischendurch nochmal zu meinem Freund und am Wochenende fahr ich abwechselnd zu meiner Familie und zu meinem Freund.
Ich habe immer die Uhr im Kopf, wann muss ich los, wann fährt der Bus, usw.
Immer wenn ich irgendwo bin, denke ich, ich müsste für eines der anderen Leben noch was tun, ich kann nie abschalten.
Freunde habe ich nicht mehr, die habe ich alle verloren, durch zu wenig Zeit, zu viel Stress oder generell, weil ich keine Lust mehr habe, andere Menschen kennenzulernen.
Ich habe schon überlegt, mir irgendwo Hilfe zu suchen, aber habe dafür keine Zeit.
Wenn ich dann doch mal ein paar Minuten Zeit habe schaue ich fern, wohl um nicht nachzudenken.
Ich kann nicht mehr gut schlafen und bin nur noch müde, jeden Tag wenn ich aufstehen muss wünschte ich, ich könnte direkt wieder schlafen gehen.
Ich nehme zudem durch den Stress beunruhigend ab.
Ich habe für eine Weile versucht, meine Familie ein wenig zurückzustellen, bekam dann aber nur Vorwürfe, ich würde meine Familie einfach so im Stich lassen, nach 21 Jahren. Und eigentlich wollte ich das auch nicht.
Was kann ich bloß tun, ich kann an den drei verschiedenen Leben nix ändern und ich will auch keines rauswerfen. Und eigentlich müsste ich mich um meine Ausbildung noch viel mehr kümmern.
Aber so langsam kann ich einfach nicht mehr...

Florian Anwort von Florian

Hallo Rena,


es ist nicht ganz einfach als junger Erwachsener die richtige Work-Life-Balance, also den passenden Ausgleich zwischen den verschiedenen Lebensbereichen und der Arbeit (bzw. Ausbildung), zu erhalten. Lass mich Dir versichern, dass Du nicht die erste und einzige bist die ihre Freunde aus der Schulzeit mit Beginn der Ausbildung immer weniger gesehen hat und letztlich so auch den Kontakt irgendwann gekappt hat. Dies ist fast schon der Normalzustand, da die unterschiedlichen Arbeitszeiten das regelmäßige Treffen erschweren. Trotzdem ist eine Ausbildung und später die Arbeit letztlich sehr wichtig, um in der heutigen Welt finanziell unabhängig von anderen leben zu können.

Nun sind aber nicht nur Deine alten Schulfreundschaften gefährdet, sondern auch noch die Beziehung zu Deinem Freund und zu Deiner Familie. Du hast selbst schon festgestellt: Ausbildung, Freund und Familie... das ist alles viel zu viel um es gerecht aufteilen zu können. Noch dazu kommt, dass der Ausbilder kaum Rücksicht auf Verspätungen nimmt, die Familie sich über die Distanzierung beschwert und auch der Freund noch gerne etwas Zeit mit Dir verbringen möchte. Es sind also nicht nur Deine Bedürfnisse und Wünsche die hier betroffen sind, sondern auch die Bedürfnisse und Wünsche von Ausbilder, Familie und Freund. Da einen Ausgleich zu finden ist wahrlich nicht einfach, trotzdem aber möglich.


Zunächst muss einmal ganz klar festgelegt werden, dass Dein Leben auch wirklich nur Dein Leben ist. Du entscheidest was Du tust und Du entscheidest wie Du Deine Zeit einteilst. Jeder andere kann zwar von Dir bestimmte Tätigkeiten und dadurch Zeit verlangen, aber ob Du den Verlangen der anderen nachgibst ist Deine Entscheidung. Du hast immer das letzte Wort in dem was Du tust und niemand sonst.
Du entscheidest jeden Tag ob Du Deiner Ausbildung nachgehst oder nicht. Du entscheidest ob Du mehr Zeit für Deine Ausbildung investierst oder nicht. Du entscheidest ob Du am Wochenende Deinen Freund oder Deine Familie besuchst. Du entscheidest!

Jede Konsequenz die sich daraus ergibt, ist letztlich dann eine Konsequenz mit der Du leben musst. Wenn Du Dich entscheidest weniger Zeit für Deine Ausbildung zu investieren, dann musst Du damit leben dort schlechte Leistungen zu bringen. Wenn Du Dich entscheidest Deinen Freund zu besuchen, statt Deiner Familie, dann musst Du damit leben wie Deine Familie darauf reagiert. Du musst aber auch damit Leben wie Dein Freund reagiert, wenn es umgekehrt stattfindet. Ebenso musst Du damit leben gestresst zu sein, wenn Du Dich dafür entscheidest allen Forderungen nachzukommen.
Jede einzelne Entscheidung fordert seinen Tribut ein, gibt aber auch etwas zurück. Wenn Du Dich dafür entscheidest mehr für Deine Ausbildung zu tun, bekommst Du am Ende ein besseres Zeugnis. Wenn Du Dich dafür entscheidest Deinen Freund zu besuchen, wird es Dir Dein Freund zum einen Danken und zum anderen kannst Du mit ihm eine schöne Zeit verbringen. Gleiches gilt für die Familie. Und wenn Du Dich dafür entscheidest, nicht mehr allen Forderungen nachzukommen, so wirst Du weniger gestresst sein.

Es gibt also immer positive und negative Konsequenzen die aufgrund Deiner Entscheidung nachwirken. Es gibt keine Entscheidung die eines von beiden komplett ausschließen würde. Daher gibt es auch keine richtigen oder falschen Entscheidungen die Du treffen kannst. Egal wie Du Dich entscheidest, gibt es immer jemanden der meckern wird und immer jemanden der sich freuen wird und wenn es letztlich Du selbst bist.
Daher musst Du Dir gar nicht so viele Gedanken darüber machen. Setzte Deine Prioritäten nach spontanen Einfällen und entscheide danach. Wenn Du Lust darauf hast lieber zu Deinem Freund zu fahren, als zu Deiner Familie, dann fahr dorthin. Ganz gleich ob eigentlich Deine Familie dran gewesen wäre. Wenn Du aber lieber zu Deiner Familie fahren willst, mach es so. Vielleicht kombinierst Du ja auch beides. Oder Du nimmst Dir spontan Urlaub und machst in dieser Zeit ausschließlich das was Du für Dich schon immer tun wollstest und zwar ohne Freund und ohne Familie. Vielleicht rufst Du auch mal wieder alte Schulfreunde an, nur um zu fragen wie es ihnen geht. Oder ihr trefft euch. Es ist alles Deine Entscheidung! Was immer Du auch tun willst, tue es! Es ist weder richtig noch falsch!
Alles andere ist verschwendete Zeit und vor allem verschwendete Energie, unnötiger Stress und schlechte Laune die weder produktiv noch notwendig ist. Sprich: Alles andere tut Dir nicht gut und verschafft Dir nur unnötige neue Sorgen und vielleicht auch Ängste.


Mit diesem Wissen kannst Du nun frei entscheiden, wie Du Dein Leben konstruieren kannst und somit Deine Work-Life-Balance so gestalten kannst wie es für Dich, vielleicht nicht am besten wäre, aber wenigstens am schönsten. Und genau das macht doch das Leben aus.


Ich wünsche Dir alles Gute und würde mich freuen wieder von Dir zu lesen.


Gruß

Florian