Anwort von Johannes

Hallo liebe Leoni,

danke für dein Vertrauen.
Zuerst einmal möchte ich dir ein großes Lob aussprechen, dass du mit deinen 12 Jahren schon so verantwortungsbewusst bist und deiner Freundin gerne helfen möchtest.

Ich kann den Schmerz deiner Freundin, dass sich ihre Eltern getrennt haben wirklich sehr gut verstehen. Vor einiger Zeit haben sich meine Eltern nämlich auch getrennt und ich weiß, was man da durchmacht. Man kann und will es in der ersten Zeit nicht wahrhaben, auch wenn es zur bitteren Realität geworden ist. Jedes Kind/jeder Jugendlicher sollte dabei aber nicht vergessen, dass sich die Eltern als Paar zwar getrennt haben (und da gibt es meistens auch gute Gründe für), sie aber eine Sache ihr Leben lang verbindet, auch wenn sie sich noch so sehr hassen: Sie sind beide ihre Eltern und sie werden auch immer ihre Eltern bleiben.
Auf der anderen Seite sollte sie sich folgendes überlegen: Wie eben schon kurz angedeutet trennen sich Paare nicht grundlos. Auslöser dafür sind z.B., dass sie sich ständig streiten, sich nicht mehr lieb haben oder dass sie sich aus welchen Gründen auch immer auseinander gelebt haben. Frage sie mal, ob es das wäre was sie möchte, wenn ihre Eltern nur zusammengeblieben wären, um deine Freundin nicht zu verletzen. Zudem sollte sie sich darüber im Klaren sein, dass sie ihre Eltern nicht verloren hat. Sie hat das Recht, beide so häufig zu sehen, wie sie möchte und keiner von beiden kann ihr das verbieten.

Dass sich deine Freundin ritzt, zeigt im Prinzip nichts anderes, als dass sie einen großen seelischen Schmerz hat und diesen versucht mit dem Ritzen ein wenig zu stillen. Tatsache ist allerdings, dass das Ritzen keine Probleme löst, sondern eher noch mehr Probleme bereitet. Im ersten Moment fühlt sie sich bestimmt ein Stück weit befreit, befreit von all ihren Sorgen und Problemen. Die negativen Folgen davon sind allerdings tiefe Narben, die unter Umständen nur noch sehr schwer verheilen. Daher sollte sie sich mal überlegen, ob ihr Körper wirklich die Strafe verdient hat, so sehr zerstört zu werden. Außerdem kannst du dir mal unsere Soforthilfe zum Thema durchlesen:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/30/Ich-ritze-mich-was-kann-ich-tun.html
Dort findest du viele weitere hilfreiche Tipps und vielleicht gelingt es dir ja, dass sie deine Freundin erfolgreich anwendet.

Du schreibst, dass sich deine Freundin ritzt, seitdem ihre Eltern geschieden sind. Das könnte auf jeden Fall damit zusammenhängen, denn ein solches Erlebnis kann einen schon ziemlich durcheinander und schließlich an den Rand der Verzweiflung bringen. Als erstes würde ich versuchen, deiner Freundin das Gefühl zu geben, dass sie dir wichtig ist und dass sie mit ihren Problemen jederzeit zu dir kommen kann, wenn sie möchte. Oft ist einem schon geholfen, wenn man sich mal den ganzen Kummer von der Seele reden kann. Du kannst für sie da sein. Sage ihr, dass du Angst hast, dass sie sich mehr antut. Ihr hilft es bestimmt auch, wenn sie sich bei dir ausheult und nicht mit ihrem Schmerz alleine bleibt. Das bringt nämlich in der Regel nicht viel.

Falls ihr dabei alleine nicht geholfen ist (was nicht ausgeschlossen ist, weil Menschen, die sich selbst verletzen meistens professionelle Hilfe brauchen), ist es wirklich das beste für sie, wenn sie eine Therapie macht, auch wenn sie es jetzt noch nicht zu sehen scheint. Dort wird sie lernen, dass man auch anders mit negativen Gefühlen umgehen kann. Grundsätzlich ist es so, dass Psychologen unter Schweigepflicht stehen und keinesfalls weitererzählen dürfen, was ihnen anvertraut wird. Das kannst du deiner Freundin auch ruhig sagen, damit sie keine Angst haben muss, dass ihre Probleme dann irgendwie an die Öffentlichkeit geraten. Wenn sie sich dennoch unsicher sein sollte, kann sie auch dirket am Anfang des Gespräches danach fragen. Je mehr sich deine Freundin in der Therapie öffnet, desto besser wird man ihr auch helfen können.

Ich hoffe, dass ich dir mit meiner Antwort ein wenig weiterhelfen konnte und dass deine Freundin bald zu einer Einsicht kommt, dass sie Hilfe braucht. Ich wünsche dir die nötige Kraft, deine Freundin zu unterstützen. Ich kann nur wiederholen, wie klasse ich es finde, dass du ihr helfen möchtest. Das ehrt dich wirklich sehr. Nimm aber bitte auch auf dich und deine Grenzen Rücksicht und schau, dass du selber nicht an dem Problem deiner Freundin zugrunde gehst. Vergiss bitte nicht, dass man andere Menschen nicht ändern kann, sondern nur sich selbst. Denke immer daran, dass es nicht dein Problem ist. Lass es nicht zu deinem Problem werden! Falls du die Situation selber gar nicht mehr ertragen kannst, weil du merkst, dass du deiner Freundin nicht helfen kannst oder sie sich nicht helfen lassen will, gehe ein Stück auf Distanz. Lasse sie los, aber nicht fallen.


Alles Liebe,

Johannes