Problem von anonym - 15 Jahre

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Hallo Bernd,
mein großer Bruder sollte mit 5 Jahren in die Schule kommen. Da er zur Schule sollte, wollte ich (mit 4 Jahren) auch und durfte dann auch. Da wir beide bereits lesen, schreiben und auch ein bisschen rechnen konnten (ich weiß nicht wieso wir das schon so früh gelernt haben (daran kann ich mich nicht mehr erinnern), aber ich weiß noch, dass wir nicht immer alles freiwillig gelernt haben und das uns einiges auch beigebogen wurde) durften wir gleich in die zweite Klasse. Mit 7 kam ich dann erst auf ein altsprachiges Gymnasium. Was ich in meinem ersten Beitrag übrigens nicht erwähnt hatte, dass ich zeitweise geklaut habe (schon leicht kleptomanisch). Zu der Zeit hat es angefangen. Ich habe kein Geld geklaut, aber ab und an Pfandflaschen oder Süßigkeiten. Nach der 6. wechselten wir die Schule, weil viele Eltern enorme Probleme mit uns hatten (besonders mit meinem Bruder, der war zu der Zeit sehr frech und hat viel Mist gebaut. Ich war da noch ruhiger als er. Das mit dem Klauen ist da noch nicht aufgeflogen und auch meine Eltern wussten nichts davon.)
Wir kamen dann auf ein Gymnasium mit Superschnellläuferzug (der Klassenverband überspringt gemeinsam die 8. Klasse. Auf dem neuen Gymnasium habe ich es nicht geschafft Anschluss zu finden. Ich hatte zwischendurch mal eine Freundin, aber ich wollte sie gern fast für mich allein haben und als eine neue Schülerin in die Klasse gekommen ist, haben wir uns immer mehr von einander entfernt (ich habe mich mit der Neuen nach einer Weile auch nicht mehr so gut verstanden). In den Anfangszeiten auf dem neuen Gymnasium (ich war da 9) habe ich immer mit den 5.-6.-Klässlern fangen und verstecken und so gespielt, weil ich mit Gerede über Jungs und so nicht viel anfangen konnte. Am Anfang habe ich noch versucht irgendwie Anschluss zu finden, aber ich stand irgendwie immer außen an dem Kreis und war nie Teil des Kreises. In der 9. hatte ich zwei gute Freundinnen in der 6. Die beiden waren auch nicht die Beliebtesten in ihrer Klasse, da hatten wir viel zum reden. Die eine hat die Schule gewechselt und von der anderen habe ich mich auch mehr und mehr distanziert. Einmal veranlasste meine Klassenlehrerin ein Gespräch der Klasse über mich. Sie fragte mich, ob ich dabei sein wolle oder nicht. Ich sagte Ja, weil ich wusste, wenn ich nicht dabei bin, wird es eine reine Lästerstunde (meine Klassenlehrerin mochte mich auch nicht sonderlich...)
In der Zeit verbrachte ich die Pausen oft im Schulklo, weil mich da niemand störte. Nach und nach wusste nämlich die gesamte Schülerschaft (ca. 600 Schüler) wie alt ich bin (oder zumindest wie alt ich in der 7. Klasse war... sie rechneten nie mit ein, dass ich auch älter werde und so war ich für viele in der 10. Klasse immer noch 9) In meiner Klasse wurde ich eigentlich nur ausgeschlossen und gelästert, aber von Schülern aus anderen Klassenstufen wurde ich auch des Öfteren blöd angemacht. In der 10. begann ich wieder mit dem Klauen, diesmal nur Geld von allen möglichen Leuten. Ich liebte den Kick, die Möglichkeit erwischt zu werden und es trotzdem zu schaffen. Meine Eltern fanden das irgendwann raus, weil ich sehr viel Geld hatte, von dem sie sich fragten wo es herkam. Da ich damit nicht aufhören konnte und meine Eltern es ein zweites Mal rausfanden, wollte mein Vater mich in ein Heim stecken. Er meinte sogar, er zeigt mich an, wenn ich nochmal klaue. Dennoch machte ich weiter. Ich habe da auch in Supermärkten geklaut. Irgendwann ist es wirklich aufgeflogen (sprich der Supermarkt hat es bemerkt) Sie haben nicht die Polizei, aber halt meine Eltern verständigt. Zum Glück hat mein Vater seine Drohungen nicht wahr gemacht, aber ich habe dann wirklich aufgehört.
Meine Eltern standen mir bei dem Mobbing eigentlich auch ganz gut zur Seite, aber ich glaube sie haben nicht gemerkt, wie sehr mich das wirklich belastet hat und ich habe es ihnen auch nicht gesagt, weil sie nur selten gefragt haben. Ich habe in der Zeit gelernt, dass zu ignorieren und nur wenig an mich ranzulassen, aber es hat mich dennoch belastet, was ich aber nie so zugegeben hätte, das wäre für mich schwach gewesen. Ich habe eigentlich nie geweint in der Zeit, wollte aber oft von zu Hause abhauen, habe es aber nie gemacht. In der Oberstufe wurde es besser, die Klassen lösten sich auf. Es wurde immer noch viel über mich gelästert, aber die Leute hatten wichtigere Probleme als mich. Zu der Zeit wurden meine schulischen Leistungen in vielen Fächern immer schwächer (aber auf den Zeugnissen dennoch zwischen 1 und 3). Ich fand auch eine Freundin, mit der ich immer noch Kontakt habe (sie ist 5 Jahre älter als ich). Außerdem ruderte ich von der 7. bis zur 12. Klasse in der Ruder-AG unserer Schule. Dort habe ich mich sehr wohl gefühlt. Wir hatten tolle Trainer und die Schüler dort mochten mich... Ich war sogar eine Art Anführerin, wenn ich was gesagt habe, haben das auch viele gemacht. Ich war gerade 2 Monate 14 als ich dann mein 2,2-Abitur bekam. Zum Wintersemester begann ich Mathe zu studieren. Seit dem fühle ich mich oft dumm und so, dass ich nichts auf die Reihe kriege. Meine Kommilitonen wissen nichts von meinem Alter und die meisten mögen mich und ich verstehe mich gut mit denen. Dennoch habe ich nicht das Gefühl Freunde gefunden zu haben. Aber gerade bei den Leuten mit denen ich am meisten zutun habe (sie sind in meinen Hausaufgabengruppen) und eben ziemlich gut, habe ich mehr und mehr das Gefühl, dass sie mich für dumm halten und mich abwerten (Intelligenz (bzw. scheinbare) ist denen sehr wichtig, also sowas wie ein Abschnitt über 1,5...) Seit etwa ein bis zwei Monaten bin ich jetzt eben wirklich verzweifelt... Die Pausen zwischen den Vorlesungen verbringe ich oft auf der Toilette, da fragt einen keiner wie weit man mit den Hausaufgaben schon ist :).
Aber ich kann noch nicht mal mit meiner besten Freundin darüber reden und mit meinen Eltern schon gar nicht. Die haben extrem viel zu tun wegen uns 4 Kindern.
Nun habe ich vor einer Woche den Entschluss gefasst, sobald ich 16 bin für eine unbestimmte Zeit wegzugehen. Andererseits glaube ich, dass meine Mutter das schon sehr schmerzen würde. Bei meinem Vater habe ich eher das Gefühl, dass er mich dann endgültig als undankbares Kind abstempelt. Und das obwohl er immer erzählt, was er angeblich für ein cooles Kind/Jugendlicher er war... Das er andauernd Mist gebaut hat, aber andererseits sich mit 9/10 ne Seifenkiste und das wir uns für nichts interessieren. Das stimmt auch irgendwie... Ich habe echt das Gefühl mich für nichts zu interessieren (außer vielleicht Sport). Ich kann sehr gut zeichnen, aber ich mache das in letzter Zeit kaum noch und allerhöchstens wenn ich echt frustriert bin... Und sonst verliere ich an vielem schnell das Interesse. Z.B: Ich habe mir mal eine Website programmiert und wollte einen Blog führen, aber das habe ich nur 3 Tage geschafft, dann war das für mich gegessen und wurde langweilig. Ich wollte mal mit LegoTechnik einen Rubixcube-Löser bauen, aber weil ich an einer Stelle nicht mehr weitergekommen bin, habe ich es nach 4-5 Tagen aufgegeben. Ich baue mit LegoTechnik gerne mal ferngesteuerte Autos (aber auch nur maximal 2x im Jahr) Das rumfahren damit ist langweilig und so nimmt das vielleicht 1-2 Tage in Anspruch und ist dann schon wieder vergessen.
Soooo... ich hoffe du verstehst mich jetzt ein bisschen besser.
Lieben Gruß
......

Bernd Anwort von Bernd

Hallo noch einmal,

obwohl ich immer noch nicht recht verstehe, wie, wo und durch welche Beziehungen es Deinen Eltern gelungen ist, Dich als 4-Jährige einzuschulen.
Dazu schreibst Du, dass Du nicht mehr erinnerst, wieso Dir so früh so viel „beigebogen“ wurde.
Was mir dazu einfällt?
Es gibt für Eltern wohl zwei „Triebfedern“, ihre Kinder schon in diesem zarten Alter nicht mehr als Kinder zu sehen:
entweder ihr zeigt uns, dass wir (und die Welt) euch permanent unterfordern
oder wir wollen etwas in euch sehen und erkennen.

Was wir in unseren Kindern am liebsten sehen?
Uns selber in Reinkultur!
Das was wir sein wollten und dann doch nicht ganz erreichten?
Unser Kind als „Über-ich“!
Mutter macht ihre Tochter zu nem „Klümchen“: Gewicht und Schminke! Bloß keine Persönlichkeit, die sich von anderen „Klümchenanwerterinnen“ zu sehr abhebt?
Mit 6 Jahren ist man als Mädchen zum Turnen eigentlich schon zu alt!?
Und wenn jung genug: wen kümmert es, wenn „Kind“ mit 15 Hohlkreuz und Artrosen hat?
Und doch. Wir gehen mit unseren Kindern um, als würden sie uns gehören: Wollen sie uns so zu Diensten, wie wir es selber nicht einmal unseren eigenen höchsten Zielen jemals sein konnten?
Artige und folgsame Kinder halt.

Wo die Ambitionen der Eltern euch in eine Richtung drängen und (soweit sie auch noch Erfolg mit ihrer „Züchtung“ haben) jeder sagt, dass es euch Kindern ja dann doch wohl zum Guten gereicht hat?
Dazu habe ich ein Schlüsselerlebnis: war vor Generatoren mit meinem Schwimmverein als Pressewart und Mannschaftsbetreuer auf den Deutschen Jahrgangsmeisterschaften.
Die Wettkämpfer dort sind durchweg in Deinem Alter und jünger. Und es sind für jeden sehr viele Wettkämpfe: Vorrunden, Zwischenrunden, Finalrunden. Und das oft noch in mehreren Distanzen und mehreren Disziplinen.
Ein Junge war nach mehreren Wettkämpfen einfach (wie Schwimmer sagen) abgesoffen. 4. Von 6 und somit nicht qualifiziert.
Eltern, Kameraden und ich saßen beisammen am Beckenrand. Der Knabe kam auf uns zu und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Was sagte sein Vater zur Begrüßung: „Warum zahle ich für Dich eigentlich noch den Vereinsbeitrag“!

Seit dem Moment wusste ich, dass ich für mich aufpassen wollte, niemals solch ein Vater zu werden!
Wie der Zufall es wollte: mein ältester war ein sehr guter Schwimmer. Ich wollte ihm den Weg zum Vereinstraining zeigen (als er etwa 6 war).
Schon das erste Training hat ihn so geschlaucht, dass er meinen Blick suchte, um sich auszuweinen:
Sein Blick sagte mir: hol mich hier raus!
Und ich schaute weg! Ließ ihn auch „absaufen“! Erst auf der Heimfahrt nach dem Training sagte ich ihm, dass nur er entscheidet, ob es das Richtige für ihn ist.

In der Musik war es i’wie anders. Auch da gab es Tränen: ein ganzes Jahr Gitarrenunterricht. Und alles war nur schwer und Belastung.
Und erst, nachdem der richtige Lehrer gefunden war. Und das gespielte sich nicht nur nach Etüde anhörte, war es das Richtige und dann auch „unverzichtbar“:
Sie selbst!
http://www.youtube.com/watch?v=Np-3nZe12vw
Meine Kinder werden niemals „Abziehbilder“ sein! Nicht von mir und von niemandem sonst!
Hm :-(
Wie kriege ich die beiden Seiten auf eine Spur? Von Deiner biologischen Entwicklung steckst Du notgedrungen mitten in der schwersten Phase Deiner Persönlichkeitsfindung. Mein Ältester hatte mal gesagt: "Pubertät? Da gehe ich nicht hin!"
Lassen wir mal Deinen Vater und Deine Eltern außen vor!
Es geht um Dich! Darum, worum Du kämpfen magst! Auch gegen Widerstände!
Es geht um Deine Ziele! Nicht um unsere (Ziele der Väter)!
Wenn Du Dich ich in diesem Alter nicht durchzusetzen beginnst sehe ich zwei Gefahren:
Du wirst „gehorchen“, bis der, der Dir Deine Ziele setzt nicht mehr verfügbar für Dich ist.
Und was ist dann? Wenn Du es nicht gelernt hast, eigene Ideen von Deinem „Lebenswert“ zu entwickeln und auch durchzusetzen?
Du wirst eines anderen Dienstmagd! Oder wirst verkümmern.

Zweite Gefahr: Du wirst alles abstreifen, wenn Deine derzeitige Überlastung Dich an den Rand des Ertragbaren bringen wird.
Du wirst dann vielleicht selbst das abstreifen, wozu Du berufen bist?!
Und dann wird nicht der strengste Vater Dich davon abhalten können!

? eigentlich würde ich gerne Deinem Vater meine Meinung schreiben ?

Und nochmal zu Deinem Gefühl in Deinem Fach: Die Bekannte, von der ich Dir schrieb vermittelte es mir so: sie selbst hatte an einigen Vorträgen von Diplomanden (Physik) teilgenommen und selbst 2 Vorträge a 2 Stunden zu ihrer eigenen Diplomarbeit gehalten.
Die Fragen des betreuenden Professors waren oft keine „Abfrage von Wissen des Probanden“, sondern eigenes Interesse, von dem Studenten zu „lernen?“ Bzw. Wissen auf gleicher Ebene auszutauschen.

Hast Du mittlerweile einen Überblick darüber, wie viele Deiner Konsemester das Studium in den zwei Semestern geschmissen haben?
? Sag Du als Mathematikerin mir, was diese Statistik wirklich aussagt ?
Ich sage Dir: wenn Du Dir in Mathematik nicht mehr "dumm" vorkommst, solltest Du zumindest an Deiner Habilitation arbeiten!
Ansonsten scheinst Du Dir der Komplexität Deines Studienfachs noch nicht wirklich bewusst geworden zu sein!

Nach all dem, was ich vom Leben weiß ist etwa 80 % „Schauspielschule“ und etwas von dem Rest ist wirklich Wissen!

Und „Schauspielschule“ bedeutet „miteinander reden“! Sich auszudrücken! Sich miteinander auseinanderzusetzen!

„Befehl und Gehorsam“ hat schon genügend oft versagt. Das sollte Dein Vater wissen!

Es gibt noch vieles, was ich Dir dazu gerne schreiben wollte.
Aber ich tendiere zu Wiederholungen und lasse es deswegen.

Alles Liebe,

Bernd