Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

vielen Dank für deine lobenden Worte. Es tut mir leid, dass deine letzten Zuschriften nicht beantwortet werden konnten - ich werde mich bemühen, dir eine Hilfe zu bieten.

Im Grunde kommt dir das, wie es jetzt ist, ja zupasse. Mir scheint es so, als ob du den wichtigsten, wenn auch schmerzhaftesten Schritt noch nicht geschafft hast (was nicht schlimm ist, da es viel verlangt ist): Dich auch emotional von ihm freizumachen - will heißen, anzuerkennen, dass du mit ihm nicht glücklich wirst. Ohne dass wir wissen, ob das seine Absicht ist, spielt er noch immer mit dir. Sein Satz, dich in einem halben Jahr noch einmal zu melden, spukt dir im Kopf umher. Das hemmt dich, das quält dich, und bei alldem forderst du noch von dir, ihn zu seiner neuen Liebe beglückwünschen zu können. Du möchtest dich erklären, obwohl du sehr deutlich siehst, dass er keinen Trost und keine Entschuldigung nötig hat. Wer ist es denn, der hier eine verdient?

Du fragst dich, woher du wissen sollst, ob er in einem halben Jahr getrennt von seiner Neuen ist. Lass mich eine weitere Frage stellen: Woher weißt du denn, ob er bis dahin nicht einer Dritten bedeutet hat, sich ins sechs Monaten wieder zu melden? Und erscheint es nicht widersinnig, dass er mit seiner neuen Freundin so glücklich ist, wenn er ernstlich damit rechnet, in einem halben Jahr für dich frei zu sein? Worüber willst du dich für ihn freuen, wenn du insgeheim hoffst, diese Beziehung möge enden? Und erwartest du, wenn er dich wieder zu sich nimmt, dich seiner wert zu fühlen? Oder wird es nicht eher so sein, dass du ständig unter Druck stehen würdest, weil er gerade jemand "für dich" verlassen hat, die du für tausendmal schöner hältst? Es spricht alles dagegen, dass er mit dir etwas Festes aufbauen will. Er hält dich weiterhin warm, und dieses dein Leiden wirst du nicht verkürzen, indem du ihm einen Brief schreibst. Was sind mögliche Reaktionen? Es kann sein, dass er dich zurechtweist. Dann wirst du abermals verzweifelt nach Möglichkeiten suchen, Fehler zu erklären, die du nie begangen hast. Er ist, der nicht konsequent gehandelt hat. Wenn er auf deinen Brief nicht reagiert, wirst du erneut in quälender Ungewissheit versinken. Und es wird eines mehr geben, dass du zu deinen "Fehltritten" rechnest, zu deinen "Aufdringlichkeiten" und "Hässlichkeiten". Dabei ist das doch gar nicht so.

Ich kann dich nur darum bitten, die Chance nicht verstreichen zu lassen, die er dir bietet. Warum genau er sich so verhalten hat, kann ich natürlich nicht eindeutig sagen. Dennoch spricht weiterhin alles dagegen, dass du ihm genügst - außer zur Kurzweil. Was jedoch keineswegs bedeutet, dass du keinem Mann genügen könntest. Sie ist nicht "viel besser" als du, sie könnte ein weiteres Kleinod in seiner Kette sein, wer weiß? Du wertest dich ab, und bist im Grunde der Meinung, der Grund für sein "Nichtbeachten" läge darin, dass du nicht gut genug bist. Und was gut wäre, hast du benannt: Schönheit, Erfolg, Schönheit... pah! Du bist auch schön! Und wer immer eine Bedingung formuliert "Würdest du dies und das ändern, könnten wir vielleicht", der ist gar nicht an dir als Person interessiert. Er ist voreingenommen, du bist in diesem Moment durch sein Raster gefallen. Du kannst so einem Mann nie genügen. Das heißt nicht, dass er deswegen ein Idiot wäre. Aber der Mann, der dich liebt, wird kein Netz ausspannen, in dem er blonde Anästhesistinnen fangen will. Das Netz des Mannes, der dich liebt, ist irgendwo in die Ecke gestellt; und er durchsucht es nicht eifrig, sondern wird zufällig auf den Schmetterling aufmerksam, der reingeflattert ist, und so süß brummt. Das kann auch eine kräftige Natur sein, die einen bodenständigen Beruf hat. Aber was ihn anzieht, sind nicht klischierte Begriffe von "Schönheit", die vergänglich und zufällig sind, sondern das ganz Eigene, Individuelle, auf das er seine Liebe richtet. Lass die Chance, die im Augenblick da ist, nicht verstreichen, und melde dich nicht mehr bei deinem Ex. Nicht jetzt, und auch nicht in einem halben Jahr. Und auch nicht per Brief. Es wird dir nichts Gutes bringen. Selbst wenn wir voraussetzen, dass er einsichtig, reumütig und aufmerksam zu dir zurückkommt - und sag selbst, das ist unwahrscheinlich? -, selbst dann hast du schon zu große Hypotheken für einen Neustart gesammelt. Es könnte nicht klappen, und ich denke, du würdest nicht glücklich.

Seine Kontaktsperre war vernünftig und kommt dir zugute, und ich will mich auf keinen Fall in Schuldzuweisungen an ihn ergehen. Andererseits wissen wir auch, dass er sich sehr vage ausgedrückt, und es sich sehr einfach gemacht hat. Ob er nie an dir interessiert war, wissen wir nicht. Aber wäre sein Interesse von Dauer, wäre er längst zurückgekehrt. Was du bis jetzt, mit all deinen Mühen, nicht geschafft hast, wirst du auch in Zukunft nicht schaffen. Wir Männer sind oft Klötze, aber wir haben auch fühlende Herzen. Hätte ihn der Gedanke, du könntest die Richtige für ihn sein, nach der Trennung ausreichend stark beschäftigt, hättest du wohl schon Erfolg gehabt. Jetzt wirst du es nicht mehr, denn was immer noch zwischen euch würde, könntest du nicht mehr genießen. Wir wollen auch gar nicht fragen, wer daran "schuld" ist, es ist einfach so. Nur musst du jetzt aufpassen, dass du nicht zum Trostpreis für ihn wirst, sei es nun in einem halben Jahr, in drei Monaten oder morgen früh! Auch blonde Anästhesistinnen haben einen Fehler. Sie können einen jederzeit eintauschen gegen Dr. Valium oder einen seiner Kollegen, oder auch... du weißt, was ich meine? Das halbe Jahr ist nur jetzt die Frist, die du hingehalten wirst, aber sie kann plötzlich verkürzt werden, wenn du auf einmal gebraucht wirst. Du willst aber nicht nur trösten, du willst auch getröstet werden, und geliebt, oder? Und käme er nach der Trennung zu dir zurück, ganz gleich, ob dazwischen niemand anders war, oder doch, bestätigt das nur, was du bist: Ein Notnagel. Würde er sie nicht lieben, würde er dich lieben, würde er mit ihr Schluss machen. Unglaubwürdig für dich, da sie tatsächlich "Katalogmaße" hat (ohne dass ich sie jetzt beleidigen will!) Und egal, ob zwischen der Trennung und eurer "Versöhnung" Tage oder Monate liegen würden, ob es dazwischen drei Kurzbeziehungen gegeben hätte, oder nicht: Es bleibt dabei, du kannst ihm nicht mehr vertrauen. Nicht mal dir selbst traust du noch, dass du aus Liebe gehandelt hast. Liebe kann nicht alles entschuldigen, aber vieles erklären. Und ich finde, dass sie das in deinem Fall wirklich kann. Mit Vorhaltungen gegen dich kommst du nicht weiter. Genauso nicht, wenn du seine akzeptierst. Alles das führt nur dazu, dass du dich nicht von ihm lösen kannst.

Ich finde es toll, dass du immerhin das Fehlen des Kontakts als gut ansehen kannst. Doch, wenn du ehrlich bist, wünschst du dir noch immer Nachricht über ihn. Sogar von ihm. Nur kann er dir das, was du hören magst, gerade nicht bieten. Er würde, glaube ich, nicht verstehen, worum es dir geht. Für ihn ist die Sache im Wesentlichen erledigt. Sie wird ihm frühestens wieder einfallen, wenn Not am Mann ist. Dass er dich hasst, glaube ich auf keinen Fall. Worunter sollte er so stark gelitten haben? Wenn das Stalking war, dann hast du von selbst damit aufgehört, und richtest deine Verzweiflung jetzt gegen dich selbst. Ich würde es so sehen, dass du getan hast, was nach einer schmerzhaften Trennung normal ist: Es zuerst nicht anerkannt, ihn gebettelt, und schließlich, eher erschöpft als einsichtig, von ihm abgelassen. Nur innerlich beschäftigt er dich noch - und ich bin nicht sicher, ob es etwas nützen würde, von ihm ein "Schlusswort" zu haben. Wo für dich das Schöne dieser Liebe aufhört, musst du selbst entscheiden. Die weniger guten Abschnitte, wie der letzte, wollen vor allem in Zukunft vermieden werden. Was ihr gemeinsam an schönen Erlebnissen hattet, darf dich weiter freuen. Aber je eifriger du von ihm forderst, dir zu sagen, dass er eure Beziehung in Ehren hält, desto größer wird das Risiko, dass er mit wenigen Worten alles zerstört. Willst du das wirklich eingehen? Ich fände es schön, wenn du das nicht müsstest. Fahre fort in dem Versuch, frei zu werden - es ist kein Ding der Unmöglichkeit. Und je besser du die Vergangenheit stehen lassen kannst, desto besser kann die Zukunft sich dir schenken.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul

Und hier findet sich deine erste Zuschrift:

http://mein-kummerkasten.de/311622/Ich-komme-einfach-nicht-von-ihm-los-weiss-nicht-mehr-was-ich-tun-soll.html