Problem von Anonym - 17 Jahre

Wie vergisst man jemandem am besten, der einem mal alles bedeutet hat?

Lieber Paul,
danke das du dir bisher so viel Zeit für die doch eigentlich sinnlosen Probleme von mir genommen hast. Bin ich doch fast gar nicht gewohnt. Deine Antwort war wieder sehr hilfreich, denn ich finde du hast Recht. Er würde niemals wieder den Fehler machen und sich auf irgendetwas mit mir einlassen, auch nicht in einem halben Jahr. Und außerdem weiß ich sowieso nicht wie ich mir das vorgestellt habe, ich möchte ja wohl kaum jetzt so lange warten und im Nachhinein wird es eh nichts. Das einzige was ich will, ist ihn vergessen, doch ich versteh einfach nicht wie es mir so schwer fallen kann. Ich würde ja so unheimlich gerne jemanden kennenlernen, der mich so nimmt wie ich bin und vor allem jemand der mich lieben kann. Am Anfang, als ich das erfahren habe mit seiner Freundin war es wirklich ganz schlimm. Ich konnte nichts mehr essen und nicht mehr schlafen, habe nur noch geweint.. Dabei versteh ich das gar nicht. Ich dachte ich liebe ihn nicht mehr und doch hat es mich so mitgenommen. Jetzt ist es ja auch schon alles besser, nur wenn ich mal an ihn denken, dann tut es immer noch weh. Ich würde mich so gerne auf die wichtigen Sachen freuen, dass ich vor kurzem einen Studienplatz bekommen habe, nächstes Jahr mein Abi mache, viele Freunde habe mit denen ich immer Spaß habe.. Und doch fehlt mir etwas. In den letzten zwei Monaten hab ich mich mit so unglaublich vielen Jungs getroffen.. Aber ich hatte an jedem was auszusetzen, weil niemand so war wie er. In meinen Augen war er einfach perfekt, dabei war er es doch eigentlich gar nicht. Aber als ich ihn das erste Mal gesehen habe war ich so fasziniert, und ich kann mir nicht vorstellen jemals noch mal jemanden so toll finden zu können. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich mich jemals noch mal so verliebe. Und davor hab ich am meisten Angst. Ich weiß das ich nicht mehr mit ihm zusammen sein könnte und ich bin so froh das er momentan nicht mehr in meinem Leben ist, weil er einfach so viel kaputt gemacht hat.. Ich hatte kein Selbstbewusstsein mehr und habe keinen Sinn mehr im Leben gesehen, weil er mich so runtergezogen hat und Sachen über mich verbreitet hat die nicht gestimmt haben. Aber ich konnte/kann auch irgendwie nicht ohne ihn. Wenn ich bei ihm war konnte ich alles einfach um mich rum vergessen und glücklich sein, und nach solchen Momenten sehne ich mich. Früher habe ich so oft für jemanden geschwärmt, bzw war verknallt.. Jetzt treffe ich mich zwar mit niemandem mehr, weil ich auch nicht krampfhaft nach der Liebe suchen will, aber ich vermisse dieses Gefühl einfach, richtig glücklich sein zu können. Ich glaube ich liebe ihn schon länger nicht mehr. Aber wie du schon gesagt hast, ich hänge emotional noch an ihm und weiß nicht wie man jemanden am besten wieder loslassen kann. Wenn ich an ihn denke, dann nur an die positiven Sachen, dass heißt ich rede ihn mir quasi perfekt.. Und genau das will ich nicht. Ich hab ihn vor zwei oder drei Wochen das letzte Mal im Fitnessstudio gesehen, wo ich mittlerweile nicht mehr bin, was bedeutet das wir uns jetzt wirklich wahrscheinlich nie wieder sehen, weil das der einzige Ort war wo ich ihn einmal in zwei Monaten oder sowas gesehen habe. Und ich bin diesmal nicht überall rot geworden und habe überall gezittert.. Diesmal hatte ich zwar immer noch ziemlich starkes Herzklopfen, aber ich habe mich wirklich gut beherrscht. Ich habe ihn kein einziges Mal angeguckt und er mich auch nicht, und doch hat man irgendwie gemerkt das er sich andauernd in mein Blickfeld rücken wollte. Wahrscheinlich weil es ihm Spaß macht, weil er weiß wie perfekt aussehend ich ihn finde und er weiß das ich weiß das er glücklich vergeben ist und ich das alles nie wieder bekommen werde. Ich habe jedes Mal Angst wenn das Wochenende naht, weil er und seine Freundin sich nur dann sehen, da sie eine Fernbeziehung führen. Und genau dann weiß ich das sie gerade zusammen sind und das tut mir irgendwie weh. Aber ich möchte es einfach nicht mehr, ich will das ich nie wieder an ihn denken muss und das er mir egal wird, doch ich habe einfach keine Ahnung wie ich mich endlich komplett emotional von ihm lösen kann...

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

gleich zu Beginn hast du eine Einschätzung der Lage gestellt, die wiederum alle Schuld auf dich abwälzt:

"Er würde niemals wieder den Fehler machen und sich auf irgendetwas mit mir einlassen..."

Huhu, darum ging es doch, das ganz genau das nicht der Fall ist. Ich will nicht behaupten, dass dein Verhalten absolut und tausendprozentig hasenrein war, und seines von der übelsten Sorte. Aber es scheint, du hast mich so verstanden, dass er nichts mehr von dir will, weil du ihn so enttäuscht hast. So zumindest kann man obenstehenden Satz deuten. Darum ging es mir jedoch nicht. Du magst Recht haben, dass wir der Realität auch nicht gerecht werden, wenn wir ihm eine völlig negative Rolle zuweisen - auch das war allerdings nicht mein Anliegen. Ich fürchte mehr für dich, dass er sich auf etwas einlassen könnte. Ich glaube im Gegenteil nicht, dass du ihn enttäuscht hast. Jedenfalls wüsste ich nicht, wann.

Tatsächlich ist es sehr gut, dass du erkannt hast, dass er nicht dein Maßstab sein kann. Wenn du alle Jungs an ihm misst, also eigentlich ein Double suchst und keine Neubesetzung, wirst du immer etwas auszusetzen haben. Dazu kommt, dass wirklich keine Liebe, die du erleben wirst, der zu ihm gleichen wird. Jede Liebesgeschichte ist doch individuell? Wenn du versuchst, das, was mit deinem Exfreund war, noch einmal nachzubilden, wirst du deinem neuen Partner - wer immer er sein wird - nicht gerecht. Es ist sehr vernünftig, nicht krampfhaft nach der Liebe zu suchen. Wenn sie aber da ist, solltest du bereit sein, einen wirklichen Neuanfang zu wagen. Und nicht probieren, das Vergangene zu reproduzieren. Man hat natürlich immer gewisse Vorstellungen von seinem Wunschpartner, und möchte ihn oder sie in gewisse Träume und Gedanken einbeziehen. Allerdings muss man bis zu einem bestimmten Grad flexibel bleiben. Denn man findet nie den Menschen, den man sich vorgestellt hat, und mag es auf den ersten Blick auch so scheinen. Wenn man versucht, den neuen Freund oder Freundin in ein altes Schema zu pressen, also dem frisch geschlüpften Schmetterling ein Kokon anpassen, das nicht seines ist - dann wird es schief gehen. Mein Wunsch für dich ist nicht, ihn zu vergessen. Du kannst ihn nicht vergessen, sondern die Erinnerung wird immer wiederkehren. Toll ist, dass beispielsweise dort im Fitnessstudio kein "Todesstreifen" entsteht, der plötzliche Verzweiflung hervorruft, und wie von Schuldgefühlen vergiftet scheint. Dein Ziel könnte es sein, irgendwann wieder, milde lächelnd und in Erinnerung schwelgend, dort zu trainieren. Aber sollte er dann auftauchen, muss es dir nicht mehr als ein kurzes Mustern wert sein. Er ist das Gesicht einer Zeit, die schön war, aber vorbei ist. Wenn er dir auch perfekt vorkam, wissen wir, dass er es nicht ist. Niemand ist perfekt. Du sagst ja bereits selbst, dass er viel kaputt gemacht hat. Und wieviel von dem, was du aus eurer gemeinsamen Zeit noch erinnerst, mag inzwischen noch zutreffen? Dieses Bild zu pflegen, kann etwas sehr Schönes sein. Das zu schaffen, wünsche ich dir. Totales Vergessen wird nicht gelingen, so sehr du es versuchst. Und wenn du das Bild von ihm, das du hast, das aber aus der Vergangenheit herrührt, in die Zukunft hinüberretten willst, wirst du irgendwann die Risse nicht mehr kitten können. Dann bleibt nichts übrig als Ernüchterung und das Gefühl, umsonst gekämpft zu haben. Und das verdienst du wirklich nicht. Was vergangen ist, war so, und es prägt dich; allein schon deshalb darf es stehen bleiben. Wie könnte man weiterleben, wollte man vergessen, wie und wofür man so weit gekommen ist? Aber das Kommende soll es weder wiederholen, noch ein Gegenentwurf sein, sondern eine Anwendung aller Erfahrungen. Das Schlechte vermeiden, das Gute noch einmal machen.

Jedes Mal, wenn du sie dir zusammen vorstellst, fühlst du dich schlecht. Das ist begreiflich, aber du erzeugst damit einen Widerspruch: Wenn er einen solchen Fehler gemacht hätte, mit dir zusammen zu sein, müsstest du dann nicht eher Freude empfinden, weil er jetzt soviel besser bedient ist? Ich glaube, da liegt eine Wurzel des Problems: Du erwartest von dir selbst, dich für ihn zu freuen. In diesem Moment ist er dir perfekt. Doch die Trauer, die noch in dir ist, fordert weiter ihr Recht. Und irgendwie möchte sich auch eine Wut hineinmischen, nicht auf dich, sondern auf sie, mit der er jetzt zusammen ist. Dieses Ankämpfen gegen deine Gefühle erschöpft dich, und lässt nur die nackte Angst zurück. Kannst du dir erlauben, wütend zu sein? Gut wäre es. Denn damit wäre ein weiterer Schritt zur Bewältigung getan. Wenn du es aber nicht kannst, heißt das einfach, das der vorherige noch nicht abgeschlossen ist. Du willst stark sein und kannst es nicht, und wer wollte es dir verdenken? Was dir gut täte: Einmal mehr in Tränen ausstoßen zu können "Nach allem, was ich für ihn getan habe!" Das aber erscheint dir falsch, und stattdessen zwingst du dir ein "Ach, was er alles wegen mir durchstehen musste!" auf. Gestehe dir zu, nicht wissen zu müssen, "was sich gehört", sondern deinem Gefühl zu folgen. Ihn als Menschen zu sehen, der sich zu dir falsch verhalten hat. Ich kenne ihn nicht und möchte mich nicht zu sehr auf ein Urteil über ihn festlegen. Aber deines schwankt zwischen schwarz und weiß, und das wird dich hemmen, zu dieser Erfahrung zu stehen. Davor jedoch, lass beide Seiten ausreichend zu Wort kommen! Ich habe nach wie vor nicht das Gefühl, dass du dir ihm gegenüber irgendetwas vorzuwerfen hast. Und selbst wenn du "zu Recht" ausgetauscht worden wärst - nun, er hat sich ja getröstet? Jetzt wirst du mich darauf hinweisen, dass du bereits getrauert hast. Ja, aber war das eine Versenkung in Selbstkritik, oder ein Aufschrei gegen seine Unverschämtheit? Trauere, wenn du es musst - und fühle dich dabei im Recht. Dann wirst du irgendwann zornig sein, und das ist das einzig Richtige. Dann geht die Heilung voran. Daneben, erhalte dir alles, was dich stärkt, deinen Freundeskreis, deine Studienpläne; aber erwarte nicht von dir, all dem Vorrang zu geben, wenn dein Herz etwas anderes sagt. Versuche, deine Zeit zu füllen; triff dich mit Jungs, wenn du das möchtest; aber erwarte keine radikalen Bruch, versuch nicht, alles wieder genauso und besser zu machen. Erlaube dir, langsam hinüber zu wachsen in einen neuen Tag.

Welches Recht auch immer du ihm gibst, mit ihr statt mit dir zusammen zu sein, lass es dabei bewenden. Dich noch mehr zu quälen, obwohl er offenkundig nicht leidet, ist nicht gerecht. Traue dich, zu sagen, dass du die Hauptperson bist. Ihm ist schon geholfen, dir muss es noch. Und zwar wegen der Dinge, die er dir zugefügt hat, nicht umgekehrt. Es gibt nichts, was verständlicher wäre, als dein Schmerz, wenn du an die zwei denkst. Doch zieh es nicht in Zweifel, dass dieser Schmerz gerechtfertigt ist. Verlange nicht nach einem radikalen Schlussstrich, den wirst du nicht ziehen können. Der beste Weg, das Ende zu akzeptieren und mit dem, wie es war, zu leben, ist dich nicht mehr zum Sündenbock zu stempeln. Das tust du selbst, und das trifft nicht zu. Ich wünsche dir, dass in dir das Gefühl wach wird, ihm nichts genommen zu haben. Er hat sich genommen: Dich und von dir, dann sie; es geht ihm nicht schlecht. Lass deinen Schmerz zu, nur so wird er weniger werden. Nur so wirst du dahin kommen, zu sagen: "Ich habe ihn geliebt, aber jetzt ist es vorbei. Und das ist gut." Du bist nicht schwach, weil du trauerst - du kannst nur daran stärker werden. Sonst wird dir die Freude am Leben weit über die Trennung hinaus genommen. Was ich einfach schlimm fände. Du musst nichts klarstellen, du musst keine Heldenkraft beweisen. Gehe deinem Schmerz nach, sonst wird er nicht weichen, sondern wachsen. Aber ich bin sicher, dass du an ihm wachsen kannst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul