Problem von M. - 24 Jahre

Die Trauer bremst mich aus

Liebes Mein Kummerkasten-Team,

ich habe ein größeres Problem und suchte bereits Rat bei Familie, Freunden und der Uni-Beratung. Jetzt benötige ich wohl einen Rat von einer Person, die weder mich kennt noch im Allgemeinen irgendwie involviert ist.

Ich habe nach dem Abitur eine Ausbildung angefangen, die mich zunächst sehr glücklich gemacht hat und ich hätte auch eine gute Zukunft in meinem Berufsleben gehabt, da ich ich eine Arbeitsstelle schon sicher hatte. Aber im letzten Ausbildungsjahr direkt vor den Prüfungen begann alles ein wenig auseinanderzubrechen. Mich ereilten eine Menge Schicksalsschläge in kurzer Zeit und ich versuchte das alles irgendwie noch zu meistern. Als ich mein letztes Praktikum hatte, kam auch noch eine ärztliche Diagnose, die alles durcheinander warf und mich zum Überlegen brachte; was will ich vom Leben und mache ich wirklich das, was ich will? Die -letzten Endes Fehl- Diagnose rief mir einen Kindheitswunsch ins Leben: ich wollte schon immer im pädagogischen Bereich arbeiten und betreute auch in der Ausbildungsstätte ab und zu Jahrgänge unter mir, gab Nachhilfe etc. So bewarb ich mich an einer Uni und studiere seit 2012 für das Grundschul-Lehramt und auch Kunst. Im gleichen Jahr begann ich eine Psychotherapie zur Trauerbewältigung und habe auch große Fortschritte gemacht.
In den ersten beiden Semestern war ich sehr zufrieden mit dem Studium, auch wenn da auch noch drei Todesfälle hinzukamen. Irgendwie habe ich es dennoch geschafft alles gut durchzuziehen und mit Engagement überall dabei zu sein. Selbst einem Fachschaftsrat trat ich bei und hatte Spaß an der dortigen Arbeit.

Aber ab dem 3. Fachsemester nimmt meine Begeisterung und Motivation für das Studienfach Grundschul-Lehramt immer mehr ab. Von den Lehrenden bin ich enttäuscht, sowie auch von den Studieninhalten. Nach einem Praktikum bin ich mir sicher, dass das Lehrer-Sein an sich nicht zu mir passt. Ich gehe nicht mehr zu den Veranstaltungen und belege nur noch Seminare und Projekte im Kunst-Bereich, da ich mich dort sehr wohl fühle. Darüberhinaus habe ich Hilfsstellen in diesem Fachbereich inne und helfe dort wo ich kann. Aber am Wochenende vor dem Vorlesungsbeginn des 5. Semesters (am 13. Oktober 2014) starb mein Partner nach kurzer Krebserkrankung und seitdem klappt es nirgendwo mehr so richtig.
Die Therapie hilft für eine kurze Zeit, aber der Alltag will mir nach gelingen und selbst kleine Aufgaben überfordern mich total. Im Grunde müsste ich im neuen Semester meine Bachelor-Arbeit schreiben und das Studium beenden, da ich auf BaföG angewiesen bin. Aber auch nach einem halben Jahr geht es mir nicht besser. Jetzt ist auch mein Opa gestorben, der mich sehr stark beeinflusst hat und um mich herum scheint auch nur Negatives zu passieren. Beginne ich so halbwegs wieder mit dem Alltag klarzukommen, bricht etwas Neues über mich herein. Ich weiß oft nicht wo mir mein Kopf steht und bin längst nicht mehr konzentriert, wie gewohnt und habe seit langem Schlafstörungen, die nicht verschwinden wollen. Mein Körper setzt auch schon Grenzen; ich war an Weihnachten im Krankenhaus und habe - auch schon vor dem Aufenthalt dort - immer wieder starke Migräne usw.

Am liebsten würde ich jetzt für ein halbes Jahr komplett Pause machen. Einfach Zeit haben, um alles zu verdauen und Dinge tun, die ich brauche. Einfach nur für mich. Ich habe oft das Gefühl nicht mehr atmen zu können und wandere Nachts durch die Straßen. Manchmal bin ich kurz davor mir Zigaretten am Automaten zu kaufen, obwohl ich überzeugte Nicht-Raucherin bin; nur um zu spüren, dass ich doch atme. Es tut alles so weh und ich weine sehr viel. Vor meinen Lieben kann ich das nur nicht wirklich und ich bin ihnen gegenüber etwas distanziert und kalt geworden, wie ich befürchte. Genießen kann ich nur in kurzen Intervallen und danach fühle ich mich noch schlechter als zuvor.

Ich habe auch schon mit der Studierendenbetreuung und einer Professorin gesprochen, aber keiner konnte mir so recht weiterhelfen. Schließlich ist alles meine Entscheidung. Ein Studienfachwechsel ist nach dem zweiten Semester nicht möglich. Also müsste ich abbrechen oder das Studium beenden und neu anfangen. Aber ich habe das Gefühl durchzudrehen, wenn ich noch länger dem Zwang unterliege, die Grundschul-Veranstaltungen zu besuchen. Es sträubt sich in mir alles dagegen. Und ich bin so wütend über viele Dinge dort, dass ich Angst davor habe, dass ich z.B. aus einer Veranstaltung stürme oder eine/n Lehrende/n einfach anschreie. Das möchte ich nicht und v.a. bin ich nicht so.
Tatsächlich halte ich diesen Zustand des in-der-Luft-hängens nicht mehr länger aus...

Ich bin sehr dankbar über Ratschläge, eigene Erfahrungsberichte und Ähnliches. So ratlos habe ich mich noch nie erlebt und möchte endlich wieder in Bewegung kommen. Vielleicht könnt ihr mir helfen.

Vielen Dank, dass ihr so vielen Personen mit den unterschiedlichsten Fragestellungen und Schwierigkeiten eure Hilfe anbietet. Die Welt braucht mehr Hände, die sich gegenseitig stützen. Großartig!

Beste Grüße und Wünsche,
M.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte,

eine meiner ersten Empfindungen beim Lesen deines Problems war Bestürzung! So viele Todesfälle in verhältnismäßig kurzer Zeit - das ist so extrem (ungewöhnlich), dass es kaum gedanklich zu ertragen ist. Wenn ich richtig gelesen habe, musstest du mindestens 5 Todesfälle in deinem Freundes - und Verwandtenkreis miterleben, allein der Tod eines Partners und deines Opas waren und sind sicherlich schwer zu auszuhalten! Ich habe gehörigen Respekt davor, dass du dein Leben trotzdem noch gut organisieren und produktive Tätigkeiten ausführen konntest! Es wirft viele Menschen ja schon bei "nur" einem Verlust eines geliebten Angehörigen oder Freundes aus der Bahn - wie muss es sich dann für dich anfühlen?! Deine anschauliche Beschreibung mit dem Bedürfnis, wieder atmen zu wollen, das ruhelose Umherlaufen bei Nacht... das gibt mir wenigstens eine ungefähre Vorstellung.
Du hast vermutlich das harte Los, dass die wenigsten Personen dein Schicksal teilen, einfach auf Grund dieser Ungewöhnlichkeit...
Der Tod an sich gehört aber zu uns, er ist nicht (nur) der gefürchtete und lästige Begleiter, wie er so häufig dargestellt wird. Und doch ist es für uns Lebende eine grausige Vorstellung, dass er um uns herum tobt und wütet... es scheint weder gerecht noch sinnvoll. - Eine mir sehr nahestehende Person musste berufsbedingt immer wieder Todesfälle verkraften, während ihre Arbeitskollegen kaum mit Toten zutun hatten. Du kannst dir sicherlich ausmalen, wie belastend das für diese "gestrafte" Person ist; zumal sie sich anhören musste, dass es angeblich Zeitgenossen gäbe, denen es auferlegt sei, immer wieder mit Sterbenden und Toten konfrontiert zu sein.... Ich weiß nicht, ob du es als lohnenswert empfindest, darüber nachzudenken. Immerhin kann es auch als etwas Positives (um)gedeutet werden. Es kann gut sein, dass es aus spiritueller Perspektive betrachtet interessant und aufschlussreich sein könnte, doch da ich mich in diesem Bereich nicht auskenne, belasse ich es bei diesem Hinweis.
Ich habe in meinem Leben bisher von drei Menschen Abschied nehmen müssen, was mich in allen Fällen auf sehr unterschiedliche Art geprägt hat. Die Trauer um sie hatte immer diesen einen typischen Kern, der dir bestimmt sehr vertraut ist: Die furchtbare Gewissheit, dass man sie in diesem Leben nie wieder sehen wird. Ich kann diesen Schmerz, der damit verbunden ist, mit nichts anderem vergleichen, er hat eine eigene grausame Qualität. Und doch trägt er etwas Heilsames in sich, etwas grundsätzlich Gutes. Es ist der Aspekt des ewigen Kreislaufs aus Geburt, Leben, Sterben, welcher durch seine Naturgegebenheit wie eine drückende, aber gleichzeitig beruhigende Hand auf dem Trauernden liegt.
Mir hat es geholfen, einen eigenen Glauben zu entwickeln. Ich glaube fest daran, meine Lieben eines Tages wiedersehen zu dürfen - und dass sie stets im Hintergrund bei mir sind, während ich noch lebe. Das gibt mir die Kraft und Zuversicht, mich nicht selbst verzweifeln zu lassen an der Vorstellung des tiefen Verlustes, der durch das Ableben dieser Menschen enstanden ist. - Du hast vielleicht auch ein paar beruhigende Gedankengerüste, wärmende Vorstellungen, lindernde Handlungen, welche dir in den vergangenen Jahren die Energie spenden konnten, dein Leben trotz der Rückschläge zu meistern. Anders kann ich mir es nicht erklären, dass du nicht schon deutlich früher Anzeichen eines innerlichen und äußerlichen Zusammenbruchs entwickelt hast...
Dass dich nun diese Kraft allmählich verlässt, ist wirklich nicht verwunderlich. Wie schon oben geschrieben, ziehe ich vor dir meinen Hut!

Der von dir gewählte Problemtitel ist sehr aufschlussreich, finde ich. Du wirkst auf mich wie eine sehr dynamische und gleichzeitig fest im Leben stehende Persönlichkeit - bildlich gesprochen wie eine über viele Jahrzehnte gewachsene Eiche, die schon viele Stürme über sich ergehen lassen musste. Und nun waren es doch zu viele Unwetter, sie (du) (b)ist zum Teil entwurzelt.

Ich sehe bei dir durch deine Schilderungen viele wichtige Ressourcen! Das macht mich aufrichtig optimistisch, dass du deine Krise meistern können wirst - denn du hast nicht nur enorme kognitive Hilfen (du scheinst reflektiert, vielseitig, zielstrebig und ausdauernd zu sein, wirkst offen und kommunikativ...), sondern auch äußere wie deine Freunde und Verwandte, dein Abitur und deine Interessen. Das ist Gold wert!
Dass du deinem näheren Umfeld momentan nicht mit der Wärme begegnen kannst, wie du es eigentlich wünschst, kann ich mir denken. Da liebe Menschen um einen herum essentiell sind, würde ich dich gerne ermutigen, wo es nur geht zu kommunizieren, wie du fühlst, welcher Schmerz dich plagt und wie sie dir in einzelnen Situationen helfen könnten. Ich bin mir sicher, dass sich dabei auf beiden Seiten Erleichterung einstellen würde. Es wäre gut für sie zu wissen, dass du dich wahrscheinlich nicht von Grund auf verändert hast und sie noch wertschätzt, dass du sie nicht verlieren willst, aber unbedingt emotionale und praktische Unterstützung benötigst. Auch wenn es mitunter frustrierend für dich ist, weil sie dir nicht den erhofften Input geben, dich streckenweise nicht aushalten können oder umgekehrt: Versuche, dir all diese Beziehungen zu erhalten, um dann gemeinsam mit ihnen den glücklicheren Zeiten (und an die glaube ich definitiv bei dir!) entgegen zu gehen.

Ich sehe, dass dein Studium in der Form keinen Sinn mehr für dich erfüllt. Dein Widerwille springt ja förmlich aus deinen Zeilen! Der Abbruch scheint mir die einzige logische Konsequenz zu sein. Das würde Platz schaffen für einen grundlegenden Neubeginn, fruchtbare Erde sozusagen für dich in der Eichen - Metapher :)
Neben der Möglichkeit, ein ganz anderes Studium zu beginnen, denke ich da noch an diese Ausbildung, welche du eingangs erwähnt hast. Ich weiß nicht, ob etwas dagegen sprechen würde, wenn du wieder in diese Richtung gehen würdest.
Und deine Passion für Pädagogisches könntest du - wenn du keinen entsprechenden Studiengang bzw. Ausbildung im Pädagogikbereich ergreifen möchtest - auch in deiner Freizeit ausleben. So gibt es viele Kinder - und Jugendorganisationen, die sich über ehrenamtliche Helfer freuen. Als Gruppenleiterin oder (Mit-)Initiatorin von Freizeitaktivitäten könntest du deine sozialen Fähigkeiten effektiv einsetzen. Aber natürlich gibt es noch einige andere Optionen.

Bevor du allerdings die fruchtbare Erde um dich herum verteilst, muss der alte Grund abgetragen werden.
Du schreibst selbst, dass du RAUS musst - und das ist absolut nachvollziehbar!
Nimm dir die Auszeit, nach der du dich so sehnst!
Auch hier gibt es viele Möglichkeiten - wie wäre es mit einer langen Reise, dem Jakobsweg, einem Work and Travel - Jahr...? Ich bin fest davon überzeugt, dass du etwas Passendes für dich findest, wenn du den Spuren folgst, die du dir selbst immer wieder streust.

Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und Gesunde!

Nuala