Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

dass du dich elend fühlst, kann ich verstehen. Aber ich versichere dir: Irgendwann wird es ihnen langweilig. Spätestens dann, wenn sie ein neues "Opfer" gefunden haben. Wie wahrscheinlich kommt es dir vor, dass sie es nicht bei der "Pferde"-Nummer belassen? Das ist der Vorteil. Du weißt, was dich täglich erwartet. Ich kann dir nicht versprechen, dass es bald besser wird. Normalerweise wäre mein Rat gewesen, mit einem Lehrer zu reden. Falls du noch nicht direkt mit einem gesprochen hast: Weißt du, in welcher Klasse die Betreffenden sind? Du könntest deinen Klassenlehrer / -lehrerin bitten, mit diesem mal das Thema anzuschneiden. Oder nach einem Gespräch mit ihm fragen - oder zu dritt. Ich weiß, das wäre dir unangenehm. Gleichzeitig ist es die zuverlässigste Art, dem Problem zu begegnen.

Du trägst bereits eine Zahnspange. Auf die Dauer wird sich die Stellung deiner Zähne also verbessern. Die Zeit arbeitet für dich - trotzdem möchte ich hier betonen, dass diese Besonderheit dich nicht hässlich macht. Denn mir scheint es besonders schlimm, dass diese Dummheiten auch an deinem Selbstwertgefühl kratzen. Denke immer daran: Wer solchen Mist von sich gibt, wie die, ist ein Egoist. Er spricht in seinem Innern ein Stoßgebet: "Gott sei Dank bin ich beliebt, oder wenigstens unauffällig." Aber das macht sie nicht nur blind für die Probleme Anderer, es ist auch großes Pech. Was "hübsch" und was "hässlich" ist, definiert unsere Gesellschaft ungefähr so: Es gibt ein Bild, das ist perfekt; je näher man ihm kommt, desto schöner ist man. Und je weiter weg, desto unschöner. Der weite, weite Raum dazwischen nennt sich Durchschnitt, und alle versuchen sie verzweifelt, "schön" zu werden. Viele kommen gar nicht auf die Idee, dass Schönheit totale Ansichtssache ist.

Ob ein Mädchen auffällige Zähne hat, kräftiger gebaut ist, oder eine ungewöhnliche Haarfarbe besitzt: All das sind Zielscheiben für den Spott der Leute, die doch keinen Einfluss darauf hatten, wie die Natur sie gemacht hat. Sie hatten das Glück, zum Durchschnitt zu gehören, oder sogar einem Ideal zu entsprechen, das in unserer Zeit gefragt ist. Dafür haben sie aber auch viele Bewunderer, die sich davon bloß einen Vorteil versprechen - und sie allein lassen, kommt es darauf an. Haben sie viele Verehrer, die nur daran interessiert sind, einmal bei ihnen gelandet zu sein; haben sie viele Freunde, die gedankenlos nachplappern, was sie sagen. Auf diese Weise wird ihnen gar nicht klar, wie sie Andere verletzen. Aber irgendwann in ihrem Leben kommt der Punkt, wo sie enttäuscht werden. Wo jemand keinen Wert darauf legt, dass du alles nachbrüllst. Oder es ihm egal ist, wie du aussiehst, man mag dich bis dahin noch so toll gefunden haben. Für jeden Menschen kommt die Zeit, wo er mit der Wirklichkeit konfrontiert wird. Denn noch gehört ihnen der Luxus, sich einzubilden, dass blond, schlank und schnurgerade (oder was halt angesagt ist), entscheidend für das Vorankommen in der Welt wären. Doch es gibt noch viele andere Eigenschaften, die im Stande sind, diese Dinge unwesentlich zu machen.

Ein Bewerbungsfoto wird nach Kriterien angesehen, die man nie voraussehen kann. Ein Betrieb sucht Leute, die verantwortlich und herzlich aussehen, die das Gesamtbild bunter zeichnen; was es dafür braucht, weißt du nie genau, wenn du den Umschlag einwirfst. Doch du kannst sicher sein: Die x-te Ausgabe des immer gleichen Typs, der als Klassenschönheit getaugt hat, oder als Cliquenboss, den braucht es nicht. Und in der Liebe ist es genauso. Ein Mädchen mag kleine Makel haben - sie zeigen doch nur, dass hier etwas Besonders zu entdecken ist. Wenn ein Junge sich für dich interessiert - und bestimmt wird es bald einen geben! - dann hat er erkannt, was aus den kleinen Unebenheiten an dir spricht (wie den Zähnen): Ein Charakter, den man kennen lernen möchte. Was dein Gesicht zeigt, ist Offenheit, Außergewöhnlichkeit, Geheimnis; tausend Ideen leuchten im Kopf auf, tausend Vergleiche, tausend Fragen. Wenn man dagegen jemanden vor sich hat, der oder die "schön" ist - das heißt makellos, eben, top gestylt und eisig umpanzert: Dann glaubt man zu wissen, was man vor sich hat. Den nächsten Brief, bitte. Und so solltest du dir immer bewusst sein: Viel Aufmerksamkeit, viel Bewunderung heißen nicht, dass es damit weit her ist. Dir werden die Rosinen zufallen, ihnen der Teig - der bald austrocknet und auseinander fällt. Ich wünsche dir, dass du immer daran denken kannst. Denn jeder dieser blöden Witze zeugt genau davon: Blödheit, Blindheit. Und dafür bist du zu gut. Sprich darüber, ganz konkret, wenn du es noch nicht getan hast. Sie werden sich irgendwann an dir abgearbeitet haben - aber diese Zeit solltest du ihnen nicht geben. Niemand, der es ernst meint, wird lange Zeit mit ihnen verschwenden. Warum dann du?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul