Problem von Anonym - 28 Jahre 07.06.15

Feedback zu: Enorme Selbstzweifel

Hallo liebe Unbekannte,

ich hab dein Problem gelesen und der Antwort von Paul nicht viel hinzuzufügen. Vielleicht kann ich trotzdem noch ein paar Anstöße geben.

Paul sagte, jeder habe seine Bürde und du meintest ja auch, du projizierst alle Probleme auf deine Figur. Ich kann Paul nur bestätigen und kann dir versichern, dass man nicht zwangsläufig ein glücklicher Mensch ist, nur weil man Normalgewicht hat. Daher schilder ich dir mal die Gegenseite aus Sicht eines "schlanken blonden Mädchens" mit Strandnixenfigur. Zunächst der Hinweis: Ich bin schlank, blond und Sozialphobiker mit Tendenz zur Persönlichkeitsstörung Selbstunsicherheit, und war meine Jugend hindurch depressiv...mittlerweile geht es mir recht gut, aber das hat ca. ein Jahrzehnt gedauert. Von daher weiss ich, dass eine psychische Krankheit Unmengen an Kapazität frisst...Leute, die das nicht kennen können es evtl. nicht nachvollziehen, aber du kannst stolz drauf sein, mit der verbleibenden Kapazität soviel zu schaffen. Ich hab mich meine komplette Jugend hindurch zu dick gefühlt...ich war nicht medizinisch zu dick, aber recht unproportional, habe mich total unwohl gefühlt und habe genauso drauf reagiert wie du: keine engen Sachen angezogen. Ja, und ich glaube, dass das so mit das Hauptproblem ist...wenn du dich selber unwohl fühlst, dann sieht man dir das an. Das Auftreten spricht Bände und hat vielleicht größeren Einfluss als deine Figur an sich. Ich habe heute keine Probleme mehr mit meinem Körper, aber dafür andere...zum Beispiel hab ich eine panische Angst davor, nicht ernst genommen zu werden. Mein Freund sagte dazu mal: " Vielleicht musst die Dinge dann einfach mal überzeugter rüberbringen; wie willst du andere überzeugen, wenn man dir an jedem Wort anmerkt, dass du selber nicht dran glaubst." Ich denke, er hat Recht und man kann das gut auf dich übertragen. Du hältst dich selber für nicht begehrenswert, also läufst du so rum, als müsstest du dich für deine Figur oder deinen Körper oder deine Existenz entschuldigen...naja, und das merken andere Leute ( Männer) eben und dadurch machst du sie selber auf deine (von dir als solche empfundenen) Makel aufmerksam. Gibt es nicht irgendwas an dir, was du magst und was du stolz und aufrecht durch die Straßen tragen kannst? Vielleicht hast du wunderschöne Haare....ich mag schlank und blond sein, aber ich hab schrecklich dünne Haare. Sobald ich sie zu lang wachsen lasse, werden sie ausgefranst und sehen aus wie nasse Spaghetti...gottseidank habe sie eine Farbe, die mir gefällt, sonst würd ich ewig mit ihnen hadern. So hab ich sie akzeptiert als das, was sie nunmal sind und angefangen, mir trotzdem schöne Frisuren zu machen (was ich meine ganze Jugend hindurch nicht getan habe, weil ich dachte, man kann eh aus diesen Haaren nichts machen) (es rettet vieles, wenn man manche Dinge einfach akzeptiert, statt sich permanen deswegen fertig zu machen). Vielleicht hast du eine schöne Augenfarbe...

Es gibt diese Spielchen, für eine besser Grundstimmung...sowas wie: morgens drei Dinge aufschreiben, auf die man sich freut, abends drei Dinge aufschreiben, die an diesem Tag gut waren. Das verschiebt einfach die Wahrnehmung ein wenig, reduziert das Leben nicht mehr so auf das eine große Problem. Vielleicht hilft es, wenn du sowas probierst? Einfach damit du unabhängig von deiner Figur etwas Spaß am Leben kriegst.

Ich habe irgendwann recht radikal abgenommen, allerdings nicht wahnsinnig viel, nur soviel, um mich in mir selber wohlzufühlen. Und das ist deutlich leichter, als langfristig dranzubleiben...so viel zu den Mädchen, die abnehmen, indem sie das Nutellabrot weglassen. Das ist wie beim Sport auch...die Fortschritte am Anfang sind groß, aber dann wird immer mehr Aufwand für einen immer kleineren Effekt notwendig. Irgendwo ist da halt eine Grenze des mit vertretbaren Methoden erreichbaren. Das Gewicht zu halten, ist schwierig genug, ich spreche da aus Erfahrung...ich esse unfassbar gerne, und es ist ein ewiger Kampf, diese Strandnixefigur zu behalten, nichts gottgegebenes, bei mir zumindest nicht. Abnehmen ist da einfach noch um ein Vielfaches schwieriger. Vielleicht bin ich da sensibilisiert, weil ich mich ewig so unwohl in mir gefühlt habe, aber vielleicht tröstet es dich, zu wissen, dass man als blondes schlankes Mädchen ähnliche Gedanken hat. Ich glaub, es gibt kaum eine Frau, die sich nicht um ihre Figur sorgt, egal, wie sie auch sein mag. Meine Schwester, die deutlich größer und trotzdem leichter ist als ich, muss sich ständig dafür rechtfertigen, so dünn zu sein. Sie ist nicht mager, sondern völlig gesund, sie isst gerne und viel....und trotzdem muss sie sich für das rechtfertigen, was sie ist, statt einfach azeptiert zu werden. Das ist die andere Seite der Medaille....

Ich kann nur nochmal betonen, was Paul gesagt hat: Geh in die Offensive....nutze vielleicht das Ausland und die räumliche Trennung zu deinem "normalen" Leben um Dinge auszuprobieren. Zur Not, fahr in eine Stadt in der dich iemand kennt und wo es egal sein kann, was die Leute denken. Dann kauf dir eine kurze Hose oder sonst was richtig cooles zu Anziehen, mach dir eine tolle Frisur, schminke dich, und laufe aufrecht durch die Stadt....mit dem Blick nach oben gerichtet und durchgedrückten Schultern. Nimm dir wenn du magst eine Freundin mit, mit der du einfach Spaß haben kannst und dann habt einfach Spaß...probiert alle Parfüms in der Parfümerie, oder was auch immer. Und dann habe Spaß und lauf durch die Gegend, und stelle stolz deine Kurven zur Schau. Die Reaktion der Anderen kann dir zum einen egal sein, zum anderen wird es einen ganz anderen Eindruck machen, wenn du stolz auf deinen Körper bist.