Problem von Anonym - 13 Jahre

Meine Zukunft ?!

Seit ich 5 Jahre alt bin spiele ich meine "Instrumente". Von da an habe ich jeden Tag geübt, nicht mal wahnsinnig viel aber einfach so eine halbe Stunde jeden Tag, auf die meine Mutter bestanden hat.
Mit 7 Jahren gewann ich dann meine ersten Preise in Wettbewerben. Irgendwann gehörte ich dann auch zu den Besten, bekam Anfragen mit einem Orchester zu spielen und das schon mit sehr jungen Jahren.
Jedoch habe ich mich nie richtig als Musikerin gefühlt und habe sogar fürs Gymnasium das Schwerpunkt Fach Mathematik gegen den Willen meiner Mutter gewählt. (Sie wollte, dass ich Musik nehme).
Eigentlich habe ich glücklicherweise einen ganz normalen Alltag wie alle anderen Kinder in meinem Alter, jedoch hab ich oft richtig starkes Lampenfieber und Panikattaken vor jedem Konzert oder Vorspiel mit meinen Instrumenten. Ausserdem habe ich manchmal einfach gar keine Lust zu üben weshalb meine Mutter dann wieder in ..Depressionen fällt, was ich ihr widerum auf keinen Fall zumuten möchte. Meine Mutter arbeitet den ganzen Tag zuhause und hat so genügend Zeit, mich jeden Tag zum Üben zu verdonnern. Jetzt habe ich keine Ahnung wie es mit meiner Zukunft weitergehen soll, ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass ich nichts mit Musik machen will. Allerdings wären meine Lehrer entsetzt, meine Mutter stark zu düsteren Gedanken geneigt und die viele Zeit die ich in Vergangenheit in die Musik investiert habe alles verloren... Das klingt jetzt vielleicht alles nicht so schlimm aber deswegen habe ich seit einer halben Ewigkeit immer wieder schlaflose Nächte. Bitte helft mir.
Mit bestem Dank ..........

Bernd Anwort von Bernd

Hallo, liebe junge Dame.

Als ich gerade 18 Jahre alt war, bekam ich das erste mal hautnah mit, wie schwer Eltern es talentierten Kindern machen können, sie selbst zu sein.
Das werde ich niemals vergessen: Als Schwimmer war ich selbst schon zu alt, um mit meinen Zeiten etwas zu reißen. Aber in unserem Verein gab es einige Talente, die es bis zu den deutschen Jahrgangsmeisterschaften schafften. Und 1972 reiste ich als Betreuer und Pressewart mit der Mannschaft nach Schwäbisch Hall.
Alles lief soweit gut. Jeder der Aktiven hatte (wie bei Schwimmern üblich) gleich mehrere Wettkämpfe. Mehrere Distanzen und mehrere Stilarten jeweils mit mehr oder weniger Ausscheidungsrunden.

Einer von den Jungs ist irgendwann in einer Zwischenrunde jämmerlich "abgesoffen" (Schwimmerslang für: gerade noch ins Ziel gekommen) der Kleine war so schon am Boden zerstört und kam mit Tränen in den Augen auf uns zu.
Sein Vater war auch bei uns und was ich dann zu hören bekam, wird mich nie wieder loslassen.
Der Vater begrüßte seinen Sohn mit den Worten: für Dich lohnt es ja nicht, den Vereinsbeitrag zu zahlen.
Ich weiß nicht, wie viele deutsche Jahrgangsmeister unser Verein damals verloren hat: ich bin mit allen erst einmal ein Eis essen gegangen. Und habe mir genau da vorgenommen, niemals meinen Ehrgeiz auf meine Kinder zu übertragen.
Etwa 25 Jahre später hatte ich einen Sohn, der recht gut schwimmen konnte. Aber er spielte Fußball. Wie eine Primaballerina: bevor er den Ball traf, tänzelte er um ihn herum und bevor er schoss, hatte ihn schon der Gegenspieler. In dem Alter eine Individualsportart, wo er endlich mal auch Erfolgserlebnisse bekommen konnte!
Das war es, was ich für meinen Sohn wollte.
November- Dezember: kurz vor den Vereinsmeisterschaften brachte ich ihn zum schwimmen in den örtlichen Verein.
Okay. Schwimmtraining ist wirklich hart. Aber 10 mal trainieren und dann Jahrgangsmeister im Verein werden (gut genug war der Junge, weil noch jung genug): mit dem Erfolgserlebnis wird auch der Spass an der Anstrengung kommen?

Ich saß vor Kopf am Beckenrand . Im Training sollten die Kinder natürlich nicht nur Brust schwimmen. Auch Rücken und Kraul (was mein Junge damals nicht konnte).
Der Bub war total platt. Im weniger tiefen Wasser stand er auf und ging auf mich zu. Sah mich an .....
und ich wusste, wenn ich seinen Blick erwiderte, wird er gleich zu weinen anfangen....

Ich drehte mich um und ließ meinen Sohn weiterpaddeln :-(

Niemals in meinem Leben habe ich mich so sehr geschämt! Über mich selbst! Über meine Reaktion:
Ich war genau solch ein Arschlochvater geworden, wie ich es nie werden wollte!
Mein Sohn sollte die Medaillen, Titel, Ehrenzeichen bekommen, die ich verpasst hatte, weil ich zu spät mit dem Sport angefangen hatte?

Auf der Heimfahrt habe ich meinem Sohn erklärt, was für ein Arschloch ich bin. Wir wurden uns einig, dass er noch einmal zum Training geht und dann (ohne "wenn und aber") allein entscheidet, ob Schwimmen sein Sport ist.


Das war nun wirklich eine lange Geschichte vorweg?
Und ich habe Dir immer noch nicht geschrieben, was ich Dir damit sagen will.


Wenn ich das frühe Erlebnis nicht gehabt hätte. Mit dem Arschlochvater.
Hätte mein Sohn es wahrscheinlich schwerer gehabt, sich gegen mich und meinen Ehrgeiz durchzusetzen.
So wie du mit Deiner Mutter?!

Aber Du wirst Dich durchsetzen müssen! Egal, wie tief die Depression sein wird, in die Deine Mutter fallen mag!

Du bist nicht das Abziehbild Deiner Mutter! Du bist nicht dazu da, ihre Träume und Wünsche zu leben und zu erfüllen!

Du bist DU! Wunderbar und einzigartig, solange Du Du selbst bist!

Anders als im Sport (wo man recht früh schon einfach zu alt für Höchstleistungen ist), wird Dir die Rückkehr zur Musik niemals verschlossen!

Mein Jüngster spielt Villa Lobos, der Ältere (der Schwimmer) komponiert, textet, spielt und singt eigene Sachen. Und beide finden sich zusammen, um ab und zu etwas Besonderes für Mama und Papa zu produzieren :-)

Wenn Eltern da nicht das Herz aufgeht, wenn die Kinder ihren eigenen Weg finden... dann weiß ich auch nicht weiter.

Ich bin stolz auf meine Kinder, weil sie ihre eigenen Wege gehen! Nicht meinen! Darauf, dass sie nicht mein Spiegelbild sind (so wie ich mich gerne sehen würde) sondern meine Vorbilder.
Es war schwer für mich, es selber zu verstehen.
Wo die Grenze ist. Zwischen
"die Kinder fördern" und
"von den Kindern fordern, was nicht wirklich sie sind"!

Irgendwann wird Deine Mutter es auch so sehen können.
Und wenn nicht, ist es nicht Deine Schuld!

Liebe junge Dame.
Ich erzähle es Dir, weil Du uns angeschrieben hast. Aber eigentlich will ich mit dem, was ich geschrieben habe auch Deine Mutter erreichen.
Es ist Dein Recht und Deine Pflicht, DU selbst zu sein! Deinen eigenen Weg zu finden und zu gehen!
Wir Eltern haben die Pflicht, euch das Fliegen zu lehren!
Aber wenn ihr einmal fliegen könnt, haben wir kein Recht, euch unsere Richtung aufzuzwängen: wir können, dürfen und müssen einfach nur "loslassen"!
Und dürfen uns dann an eurem Flug erfreuen!

Alles Liebe

Bernd