Problem von Anonym - 20 Jahre

feedback zu: "Neben meiner Beziehung gibt es einen anderen"

Hallo PaulG!
Ich bin etwas enttäuscht darüber, wie du den Seitensprung einfach mal eben so mit den Worten "kommt in den besten Beziehungen vor" legitimierst.
Und wie du überhaupt nicht darauf eingehst, was sie ihrem herzlichen Freund angetan hat und das ihr schlechtes Gewissen nicht von irgendwo herkommt.
Wenn man eine Beziehung eingeht, ist man für den anderen mitverantwortlich, weil dieser Gefühle, Hoffnungen und Träume mit einem teilt oder für einen hegt. Wenn ihr Partner so herzensgut ist, wie sie ihn beschreibt, hat er soetwas nicht verdient!
In der heutigen Zeit werden ständig Menschen ausgewechselt, nur weil man keine Willenskraft hat.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich danke dir für deine Offenheit.

"Kommt in den besten Beziehungen vor" - ich gebe dir Recht. Da habe ich mir irgendwie widersprochen. Ein Seitensprung ist durchaus nichts Alltägliches, sondern einfach oft auch ein Zeichen von Schwäche. Was ich mich hier gefragt habe: Macht es Sinn, wenn ich der jungen Frau jetzt ebenso heftig ins Gewissen rede, wie sie es selbst schon tut? Sie weiß, dass es nicht okay ist, was da vor sich geht. Aber ist das nur deshalb so, weil sie ihren Freund betrogen hat? Oder ist es, weil der andere Mann für sie eigentlich attraktiver wirkt? Ginge es nur um das Fremdgehen, für das sie sich grämt, würde ich sagen: Gestehe es deinem Freund und erwarte seine Reaktion! Ganz so einfach ist es hier nicht. Da ist noch mehr im Spiel, nämlich dass sie an ihrer Urlaubsbekanntschaft extrem hängt.

Ich weiß nicht, wie es kommt, dass jemand die Herzlichkeit und Aufmerksamkeit seines Partners nicht mit Treue vergüten kann. Zumal, wenn man ihn ja eigentlich liebt. Aber es passiert offensichtlich. Man kann es nicht mehr rückgängig machen. Wenn sie - aus welchem Grund auch immer - den Anderen nicht aus dem Kopf bekommt, gleich, wie unrealistisch und unwahrscheinlich eine Beziehung zu ihm ist, dann muss sie dem nachgehen. Sie wird dann mit ihrem Freund nicht mehr glücklich. Vielleicht wird sie sich von ihm trennen; vielleicht wird es helfen. Vielleicht wird sie aber irgendwann empfinden, wie du über sie empfindest: Dass sie etwas sehr Schönes, Sicheres, Vertrautes weggeworfen hat. Wenn ihr das dann weh tut, wird sie am ehesten merken, was du ihr zu merken wünschst. Leider - so habe ich sie verstanden - kann sie gegen ihr Gefühl nicht an. Du wirst möglicherweise erwidern: "Nein, sie will es bloß nicht, sie macht es sich viel zu einfach!" - nun gut, das können wir nicht wissen. Ich bin selbst noch nie in so einer Situation gewesen! Aber ich kann mir schwerlich vorstellen, dass jemand so leicht schwach wird, wenn er mit seinem Partner tatsächlich glücklich ist. Und das ist eben der Punkt. Nenn es unvernünftig, schwach, inkonsequent, naiv, was da vor sich geht - aber sie fühlt es so. Und ich weiß nicht, ob ich einmal selbst so fühlen werde, noch, was die Gründe dafür sein sollten. Hätte ich eine Freundin, die mir bietet, was sie über ihren Freund schreibt - oder hättest du einen Freund, der das mitbringt - dann, so sagen wir uns jetzt: Wir würden natürlich nie fremd gehen! Doch wissen wir das? Da ist ein Widerspruch, du hast Recht, und es kann nicht so einfach hingenommen werden. Wenn es das Ziel ist, dass sie merkt, dass in der Beziehung, die sie zu führen erzählt hat, ein Seitensprung eigentlich keinen Platz und Gedanken haben sollte - dann sollte sie es mal durchspielen. Das Problem ist ja nicht bloß der Seitensprung, sondern es ist für sie halt nicht nur "ein Fehler"! Sie spricht über ihn, als liebte sie ihn! Ich weiß nicht, warum. Aber es geht nicht weg. Und ihr Freund hat es nicht verdient, dass sie es ihm verschweigt und darüber hinweggeht.

Ein Seitensprung ist schon nichts Kleines. Trotzdem zeigt ihr Beispiel ja, dass offensichtlich gegen alle Vernunft und Herzlichkeit einer passieren kann? Sie muss die Konsequenzen tragen. Dann kannst du hoffen, dass sich künftig solche Situationen nicht wiederholen, weil sie aus Schwäche geboren sind. Aber ich finde es nicht gut, diese Schwäche vorzuwerfen. Denn so wenig ich sie verstehen kann, so wenig weiß ich ja auch, ob es mir einmal ähnlich gehen könnte? Sollte ich jetzt keine Willenskraft besitzen, werde ich sie mir dadurch hoffentlich erwerben. Dass mir gesagt würde: "Wie kommst du dazu, dich so hinzugeben?!" würde meine Situation aber nicht besser machen. Oder wie siehst du das?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul