Problem von Anonym - 17 Jahre

Ich versteh mich selbst nicht mehr...

Erstmal etwas zu meiner Person: Ich bin hypersensibel was ich aber mehr oder weniger kontrollieren kann, offen, für mein Alter sehr reif (wobei ich auch anders kann wenn ich nur will) aber dennoch etwas schüchtern, abenteuerlustig und ich mag es nicht, wenn man mir vorzuschreiben zu versucht was ich tun und lassen soll und wenn man mich einschränkt bzw. ich "nicht machen darf was ich will".

Ich bin schon seit fast einem halben jahr mit meinem Freund zusammen (er studiert bereits), aber im Moment weiß ich einfach nicht mehr weiter.
Wir sind in gewisser Weise verschieden, ähneln uns aber auch wiederrum in manchen Dingen (eine unserer großen Leidenschaften ist zum Beispiel Kampfsport, was uns sehr verbindet). Zumal er auch nicht wirklich mein Typ ist... Aber dennoch hat er dieses gewisse etwas, was dafür sorgte, dass wir zusammen kamen.
Er praktiziert eine andere Religion als ich, womit ich mit der Zeit auch klargekommen bin, mittlerweile macht es mir eigentlich gar nichts mehr aus. Bitte hackt nicht auf mir rum, aber ja, mit meinen 16 Jahren habe ich schon mit ihm in gewisser Weise geplant, wann ungefähr wir uns verloben wollen, Heirat, Kinder usw.
Er war(?)/ist perfekt für mich.

Seit einer Woche kreisen meine Gedanken allerdings umher weil ich nicht weiß ob ich Schluss machen soll oder nicht.

Der Grund der diese eigentlich absurden Gedanken angestupst zu haben scheint, ist meine beste Freundin, die letztes Wochenende da war und von einem Jungen geschwärmt hat in den sie sich immer und immer mehr zu verlieben scheint, was mich auch sehr freut.
Da fing es an und das erste Mal kamen dann diese Worte "liebst du ihn noch?"
Ich fragte mich alles möglich ab: Bist du neidisch auf deine beste Freundin? Setzt du dich zu sehr unter Druck (ich erinnere mich, als meine Beste mich damals gefragt hat, ob ich mich nicht auf zu etwas Großem einlasse)? Denkst du, du verpasst etwas im Leben? Kommst du mit seiner Religion nicht klar? Eigentlich wollten wir ein Team sein, aber fühlst du dich gerade trotzdem unterlegen, zumal er dich verändert hat (er wollte, dass ich etwas bestimmtes, was ich mein Leben lang schon machen wollte weil ich damit aufgewachsen bin, nicht mache und hat dies als einen Grund gesehen Schluss zu machen)? Fehlt dir gerade der Spaß, weil ihr gerade nur zuhause hocken könnt? Liegt es gerade am Wetter, dass du dir so viele Gedanken machst? Weil ich meine, genau all diese Fragen habe ich mir in gewisser Art und Weise bereits damals gefragt und ich bin prima damit klargekommen.
Meine Beste mag ihn mittlerweile auch nicht mehr, weil er etwas gebracht hat, was sie ziemlich aufgeregt hat, was ich aber auch irgendwie verstehe...
Dies ist die negative Seite meines Problems.
Aber dann denke ich z. B. an unseren Kampfsport, oder an all das was wir noch vorhatten und sage mir "Nein Mädel, gib dir und ihm eine Chance, warte einfach ab und kämpfe!", und denke nur an die positiven Aspekte und habe wieder Mut getankt.
Das war das positive.
Und dann?
Was passiert dann?
Plötzlich kriege ich wieder Gedankenausbrüche; wie eine Kugel schießen die Gedanken durch meinen Kopf und bilden sowohl aus + & - einen riesigen Klumpen und ich fange für max. 3 Min. an zu weinen. Dann kommen plötzlich wieder die "guten Gedanken".
Dazu kommt, dass ich meistens dann versuche mich zu beruhigen, meist mit den Worten "Ganz ruhig, du bist noch jung und musst alles entspannter sehen, warte ab, in ein paar Jahren wirst du eh alles verstehen, weil du dann mehr von der Welt gesehen hast" etc.
Besonders halte ich an dem Gedanken fest, dass wir zusammen unser Hobby einfach für immer weiter machen wollen; denn so wie es dort ist, macht es mir Spaß (wir wollten erst noch warten bis wir es dort offiziell machen), und ich fange an zu lächeln und eine Art wohliges Gefühl breitet sich in meiner Bauchgegend aus. Diese Erkenntnis hat mich dann auch zu der Frage gebracht, ob es mir nicht einfachnur an Spaß in unserer Beziehung fehlt.
Jetzt zum Beispiel, nach dem ich mir alles von der Seele geschrieben habe, geht es mir besser und ich habe wieder viel mehr Mut.
Vorerst möchte ich nur ungern über dieses Problem mit ihm reden.
Ich hoffe man kann mir und meinem Gefülschaos helfen.
Bestimmt wundert man sich, warum ich nicht meine beste Freundin frage, aber da habe ich um ehrlich zu sein einfach zu viel Angst vor der Wahrheit, was ja eigentlich ziemlich unlogisch ist.. Aber Fakt ist, ich wollte euch zuerst einmal um Rat bitten.

Liebe Grüße~

PS.: Ich hoffe, dass wenn man mir antwortet ich aber dennoch zurüsckschreiben kann!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

in der Tat wirkt es wie ein Gefühlsdschungel, was du beschreibst. Ich werde mal versuchen, mich durchzuschlagen ;)

Es kann schon sein, dass deine Freundin den Anstoß gegeben hat, dass du jetzt über deine Beziehung nachdenkst. Sie ist frisch verliebt - es ist alles noch neu, noch unverbraucht, offen und aufregend. Dieses Gefühl hattest du wahrscheinlich mit deinem Freund auch mal, aber inzwischen ist es vielleicht schon abgeflaut. Das ist ja auch nichts Schlechtes, im Gegenteil, es gehört im Grunde dazu. Die Intensität der Gefühle nimmt über die Dauer der Zeit einfach ab. Das muss nicht heißen, dass die Liebe schwindet - sie ist aber nicht mehr so spektakulär, so hitzig und aufwühlend, sondern eher fest, warm und gesetzt. Über kurz oder lang wird jede Beziehung das so erleben. Auch bei dir ist es so.

Du verstehst dich gut mit deinem Freund, und vor allem habt ihr ein großes gemeinsames Hobby. Zwar mag es Unterschiede geben, aber die sind zu vernachlässigen. Meiner Meinung nach wird oft ein bisschen zuviel Wert auf das "Wir haben ja so wenig Gemeinsamkeiten" gelegt. Gemeinsame Leidenschaften sind gut, um mit jemandem in Kontakt zu kommen, auch um für Gesprächsstoff zu sorgen. Aber so mit der Zeit - kennt man sich doch? Kann man sich doch auch über seine unterschiedlichen Hobbys unterhalten? Gerade das dürfte doch spannend sein! Und dass in einer Beziehung jeder Abstriche machen muss, ist letztlich auch normal. Ein Partner bedeutet Verantwortung, und diese nimmst du ja vorbildlich wahr, indem du dir diese Gedanken machst und dir bewusst bist, wie es dir gerade geht. Nur scheint mir eine Trennung doch ziemlich hart dafür, dass du im Augenblick zweifelst, ob ihr wirklich so gut harmoniert. Im Zweifelsfall kannst du deinen Freund ja um eine kleine Auszeit bitten - umgekehrt würdest du ihm das doch auch gewähren, oder?

Da du selbst geschrieben hast, dass dein Freund für dich perfekt ist, dir andererseits aber diese Gedanken machst - liegt darin vielleicht ein leichter Widerspruch? Ich glaube, nicht zwingend. Denn das "zueinander passen" findet ja auf mehreren Gebieten und Ebenen statt. Man kann im Gespräch gut harmonieren, weil man schnell den richtigen Draht findet, die Redeweise des Anderen als angenehm empfindet, sich von ihm verstanden fühlt; gleichzeitig kann es sein, dass man ganz unterschiedliche Themen hat, und zu bestimmten Dingen ganz andere Meinungen. Gerade dann kann es reizvoll sein, den Dreh rauszubekommen, eine gesunde Diskussion zu entwickeln - die dann ganz besonders fruchtbar sein kann. Im übrigen Leben ist es ähnlich: Auch wenn dein Freund vollkommen andere Hobbys hätte, könntest du dich darauf einlassen - ihn auf Veranstaltungen besuchen, dir von ihm darüber erzählen lassen. Und umgekehrt. Es könnten große Aufhänger für zärtliche Späße und angeregte Gespräche entstehen. Die Synthese zweier Welten kann, wenn beide tolerant sind, auch eine schöne dritte formen.

Natürlich gibt es Paare, die praktisch in allem übereinstimmen. Aber ist das wirklich so gut? Nehmen wir an, es kommt zum Streit. Soll ich mich selben Verein abreagieren, in den auch mein Partner geht? Dieselben Kneipen aufsuchen? Dieselbe Musik hören, die mich immer an ihn oder sie erinnert? Und bei einer Trennung wäre das noch weit schlimmer. Nein, es ist schon gesund, wenn man seine eigene Welt hat und einen gewissen Abstand wahrt. Im Moment erlebst du das bei deiner Freundin etwas anders: Für sie erscheint alles harmonisch, alles passend, sie kann sich gar nicht vorstellen, wo es in Zukunft Reibungen geben könnte. Deshalb ist nicht gesagt, dass es keine geben würde. Nein, es müsste sogar zwangsläufig welche geben. Dein Freund hat dein Leben verändert, bedeutet eine Verantwortung und damit auch eine Art von Einschränkung - die jedoch viel Anderes Schönes mit sich bringt. Für deine Freundin ist gerade noch nicht so wahrnehmbar, wie schwierig eine Beziehung manchmal sein kann. Vermutlich hatte sie zwar schon Beziehungen, aber vor einer neuen, wenn man frisch verliebt ist, ist alles noch neu, noch rein und aufregend - ist man zutiefst optimistisch. Und das soll auch so sein. Nur aktuell scheint es, als kämst du in Gefahr, das, was sie über ihren Schwarm empfindet, zum Maßstab für deinen Freund zu machen. Das ist verständlich, da du ihn inzwischen eben besser kennst als am Anfang, ihr Einiges zusammen durchgemacht habt. Doch du solltest dich nicht darüber täuschen, dass eine Schwärmerei nie die Wirklichkeit vorstellt. Nicht in einem negativen Sinn, aber in dem Sinn, dass deine Freundin - wenn sie mit ihrem Schwarm zusammen kommt - noch entdecken wird, wie er in allen Lebenslagen so tickt. Das wird spannend, das wird kräftezehrend - aber auf eine andere Art auch schön. So wie es aneinander bindet, gemeinsame Erfahrungen schafft, Raum für Zärtlichkeiten öffnet, aber eben auch Streit umfasst - das macht die Liebe nun mal aus.

Dass du mit deinem Freund schon sehr weitreichende Pläne gefasst hast, ist ja nicht schlecht. Oder sagen wir: Ihr habt darüber gesprochen. Ob es wirklich so kommt, das weiß man ja noch nicht. An deiner Stelle würde ich - ohne deinem Freund etwas unterstellen zu wollen - raten, dass du dich nicht zu sehr auf eine bestimme Planung einschließt. Du hast einerseits sehr weit geplant, andererseits kommt dir, wie du gerade merkst, sehr schnell der Gedanke an Trennung. Das ist irgendwas unstimmig. Denn wenn ihr bereits über Hochzeit und Kinder sprecht - was etwas Tolles ist! - dann solltest du dir trotzdem klar sein, dass du keine Verpflichtung eingegangen bist, sondern deine Träume mit dem Mann / Jungen ausgebreitet, den du liebst. Es ist gut, eine ungefähre Richtschnur zu haben; aber man muss sich an sie ja nicht gebunden fühlen. Lass dir auch von deinem Freund in diese Richtung nichts vorgeben. Es scheint, als hättet ihr einen wirklich guten und respektvollen Umgang miteinander, und auch seine Religion ist dabei ja nicht hinderlich. Trotzdem solltest du, wann und in welchen Fragen auch immer, auch auf deine ganz persönlichen Träume und Wünsche beharren. Es gibt Punkte, an denen es unsinnig ist, gegen den Wunsch des Partners etwas zu unternehmen. Anderswo ist das nicht der Fall. Warum nicht den Traum ausleben, den du schon so lange hattest - was immer es ist, warum immer dein Freund es nicht möchte? Egal, wie es ausgeht: Es kann schon sein, dass da eine Wurzel für deine momentanen Zweifel liegt. Für deine beste Freundin ist ihr Schwarm natürlich der Mann überhaupt, du dagegen siehst deinen Freund mit etwas anderen Augen - und der Rest der Welt ist schon wieder mehr in dein Blickfeld gerückt. Das ist normal, aber wenn du dich schon fragst: "Läuft hier vielleicht manches schief?" (was sein kann, so sehr ihr euch liebt!), dann solltest du im Idealfall auch den Mut haben, dir zu antworten: "Ja - mit manchem bin ich nicht zufrieden. Und ich möchte das und das anders haben, und dass mein Freund sich da nach mir richtet."

Es muss kein Beinbruch sein, was du gerade fühlst. Es kann sich sogar zu einem sehr produktiven Nachdenken auswachsen, wie genau es ab hier weitergehen soll. Erlaube dir diese Gedanken - aber sein nicht gleich mit den Hämmern bei der Hand, sondern bleibe auf dem Boden der Tatsachen. Wenn du deinen Freund liebst, wird es dir vielleicht anfangs gut gehen mit einer Trennung, weil es vermeintlich zu starke Widersprüche gibt; aber bald danach wirst du es womöglich bereuen? Die Liebe ist keine verhandelbare Größe. Wenn du ihn liebst, würde ich es vorziehen, vorerst mit ihm zusammen zu bleiben, und nachzuspüren, wie es weitergeht. Solange deine Liebe anhält, und du noch Hoffnung siehst, ist es vielleicht besser, der Liebe immer wieder eine Chance zu geben. Trennen kannst du dich immer noch, wenn es wirklich nicht mehr geht - und das merkst du dann auch. Aber tust du es zu rasch, denkst du im ungünstigsten Fall immer darüber nach, ob du es zu eilig hattest, ihn zu Unrecht verletzt hast, ob es noch eine Chance gegeben hätte. Das kannst du dir ersparen - und ihm. Doch habe dennoch keine Scheu, deine Beziehung in ihrem Funktionieren zu überdenken. Wenn es ausgeht, kann gerade das Ergebnis, zu dem du kommst, beweisen, dass dein Freund genau der Richtige für dich ist. Denn nicht in jeder Beziehung geht Flexibilität. Wenn ihr es gemeinsam schafft, euch deinen Zweifeln zu widmen, und Konsequenzen zu ziehen, kann euch das nur weiterbringen. Aber du solltest auch dir selbst erlauben zu zweifeln, ohne dass das gleich Trennung bedeuten muss. Zweifel sind etwas Gutes. Aber bewerte sie nicht zu hoch, sondern erstmal als Botschaft deines Unterbewusstseins, dass du nicht tausendprozentig zufrieden bist. Was du aber damit machst - das kannst nur du selbst entscheiden.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul