Anwort von Nuala

Lieber Nick,

es tut mir sehr leid, was dir widerfahren ist bzw. vermutlich immer noch widerfährt. Du hast vollkommen Recht, wenn du dieses abscheuliche Verhalten als Mobbing bezeichnest - nichts Anderes ist es! Ich habe mir die Links angesehen, um mir ein besseres Bild von der Sache machen zu können, habe deine Verweise aber gelöscht. Ich möchte nicht, dass sich noch mehr Menschen unnötig daran ergötzen können bzw. dein Stolz noch mehr mit Füßen getreten wird.

Ich muss gestehen, dass mir diese Form von Übergriffen bisher noch unbekannt war. Durch deine Beschreibung kann ich mir allerdings gut vorstellen, wie schmerzhaft und erniedrigend das sein muss! Alle die, die dich damit traktieren, wissen das offenbar ganz genau.
Was dir passiert, ist ein richtig mieser Sog aus Aggression und Gewalt: Erst fängt es scheinbar harmlos an und steigert sich immer mehr. Es machen immer mehr Leute mit und die Attacken häufen sich, sie werden immer dreister und krasser. Diese Angriffe sind also bereits so sozial akzeptiert bei dir an der Schule, dass sie offen vollzogen werden. Das ist einerseits sehr bedenklich und ein Zeichen dafür, dass nicht nur deine Schule, sondern auch ein größerer Teil deiner Mitschüler ein echtes Problem hat. Dazu komme ich gleich noch. Andererseits ist es insofern gut, weil nur die offene Gewalt wirkungsvoll bekämpft werden kann.

Es gibt in deinem Fall sozusagen zwei Ebenen, die ineinandergreifen: Die erste Ebene ist die tatsächliche Brutalität, die zweite ist das Zur-Schau-Stellen im Internet. Damit wirst du bzw. generell Opfer solcher Übergriffe - noch nachwirkend der Lächerlichkeit preisgegeben. Das ist fast noch grausamer, weil die Bilder im Netz kursieren und beliebig oft angesehen werden können. Und du bist dazu verdammt, dem zuzusehen - jedenfalls würde das die Täter sehr erfreuen.

Was mich insgesamt sehr betroffen macht, ist der generelle Trend, der sich seit Jahren abzeichnet. Unsere Welt wird immer digitaler, die Menschen kommunizieren permanent via Telefon und Internet. Vieles wird anonymer, Nachrichten verlieren ihren Tiefgang, Unterhaltungen finden nicht mehr von Angesicht zu Angesicht statt - zumindest nicht mehr so häufig wie früher. Es wird gechattet, gesimst, geskypt... soziale Netzwerke scheinen überlebenswichtig zu sein, so suggeriert man uns das. Doch was passiert dabei mit uns, mit den Mitmenschen? - Hirnforscher und Psychologen sehen schon länger die Gefahr, dass durch die intensive Nutzung der Medien die Empathiefähigkeit, d.h. das Vermögen der Einfühlung in Andere, abnimmt. Soziale Kontakte verflachen immer mehr, das Smartphone ist ständiger Begleiter und wird ganz selbstverständlich überall gezückt. Ich sehe Kinder auf einem Spielplatz an einer Schule, die grüppchenweise zusammensitzen, die Köpfe über ein Smartphone gebeugt. Sie lassen sich mit Musik, Spielen und Videos berieseln, anstatt zu spielen, zu klettern, zu toben oder sich "einfach so" zu unterhalten. Damit entfernen sie sich immer mehr von dem, was eigentlich Menschsein ausmacht, genauso wie bei den Älteren: Wir Menschen SIND soziale Wesen, wir brauchen Gemeinschaft, soziale Wärme und Kommunikation. Doch das machen wir immer mehr zunichte, wenn wir zu technikhörig sind. Echte Freunde findet man nicht bei Facebook, echte Freunde trifft man offline. Es scheint immer mehr Kinder und Jugendliche zu geben, die vereinsamen und psychisch erkranken, weil sie zuhause vor dem Rechner hocken, daddeln, chatten, ziellos im WWW herumsurfen... doch Erwachsenwerden findet in der Welt statt! -
Und dann gibt es noch das Phänomen, dass sich Leute im Internet viel ungezügelter verhalten, als sie es im realen Leben tun würden. Die soziale Kontrolle fehlt, die Hemmungen fallen, mehr zu lügen, zu beschönigen, andere niederzumachen. Da ist schnell eine Hetze gegen Einzelne entstanden...

Warum schreibe ich das? - Weil ich glaube, dass diese Phänomene ein Teil des Problems sind. Gemeinsam mit dem immensen Druck, der auf jungen Menschen liegt ist es eine schreckliche Mischung. Das macht wütend. Der Dampf muss irgendwo abgelassen werden, genauso der Frust, der so diffus ist. Was manche dann noch an Gewalt zuhause abbekommen, tut das Übrige. Gewalt erzeugt Gegengewalt.

Ich verstehe deine Scham. Es ist schlicht entwürdigend, was diese Personen dir antun. Jeder, der so etwas macht, sollte sich in Grund und Boden schämen!
Trotz deiner nachvollziehbaren Hemmung, dich Lehrern und Eltern anzuvertrauen, rate ich dir ganz entschieden dazu. Du musst ins Licht treten. Denn solange das Bullying/Mobbing hinter vorgehaltener Hand passiert, kann es sich weiter fortpflanzen.
Wenn du aber all deinen Mut aufbringst und zu jenen Menschen gehst, von denen du weißt, dass du ihnen bedingungslos vertrauen kannst und sie dir helfen werden, kann sich deine Lage zum Guten ändern. Denn: Du hast Beweise: Sie haben ja genügend Beweismaterial zur Verfügung gestellt! Nun liegt es an dir, Namen, Orte und Zeiten öffentlich zu machen. Es ist zwar krass, eine ganze Liste, eine Armada von Täterinnen und Tätern aufdecken zu müssen, doch letztlich ist es der erste Schritt in Richtung Befreiung. Zumal sicherlich auch andere Schüler betroffen sind - wenn nicht mit Hose hoch ziehen, dann mit anderen Schikanen. Die Gewalt scheint System zu haben. Dieses System muss durchbrochen werden!

Ich empfehle dir
1. weihe deine Lieben ein, lasse dich stärken, sprich über deinen Kummer.
2. weihe deine Lehrer ein + Schulleitung ein. Sie müssen wissen, was an ihrer Schule vorgeht und entsprechende Konsequenzen ziehen. Von Anti-Mobbing-Programmen, Workshops bis zu Schulverweisen ist da viel denk - und machbar.). Überlegt zusammen, was ein sinnvolles Vorgehen wäre.
3. Streiche konsequent alle diejenigen aus deinem Freundeskreis, welche in irgendeiner Form am Mobbing beteiligt waren - und sei es, dass sie über die Bilder gelacht haben. Wahre Freunde tun so etwas nicht.
4. Wenn du noch einen draufsetzen willst in Sachen Wehren, gehst du selbst ins Netz mit einem Videobeitrag, Blog etc. frei nach dem Motto "Mobben ist scheiße - ich rede drüber." - Gesicht zeigen würde anderen Betroffenen Mut machen und das Thema noch mehr in aller Munde bringen. Es würde auch zeigen, dass es keine harmlosen Scherze sind, sondern Gewalt, die bestraft und geächtet werden muss. Sie hat keinen Platz in einer humanen Gesellschaft!

Ich wünsche dir alles Gute und die Kraft, dich aus dem Schatten zu lösen!
Nuala