Problem von Maik - 23 Jahre

Ich fühle mich wie zwischen zwei Welten

Hallo liebes KuKa - Team! :)

Ich bin ehrlich: Auf der einen Seite kann ich mich nicht verstehen, hier zu schreiben. Ich tue mich sehr schwer damit über diese "Grenze" zu gehen, da man dadurch sich ja irgendwie einen Fehler eingesteht. Auf der anderen Seite freue ich mich, dass ich es los werden kann, vielleicht sogar mit einer hilfreichen Antwort. Unterm Strich bedenkt aber, dass es mir wirklich schwer fällt..

... aber nun gut. Ich versuche es dennoch einmal.

Ich bin ja mittlerweile 23 Jahre alt. Ich erwähne es nochmal, weil ich mich in Wahrheit viel älter fühle. Ich bin eigentlich ganz "normal" aufgewachsen. Ohne Vater zwar, aber das war nicht weiter das Problem. Meine Mutter hat das gut geregelt. Leider zieht sich durch meine Kindheit eine unschöne Sache: Meine Oma und Mutter hatten sich ständig in den Haaren. Das rührt noch aus deren "Erziehungszeit", aber hält bis heute an. Meine Oma war sehr herrisch und meine Mutter sehr stur. Wir sind durch diesen Umstand sehr oft umgezogen und meine Mutter gibt meiner Oma die Schuld, dass ihre letzte Ehe zerbrochen ist. Naja ich könnte das weiter ausführen, aber tatsächlich ist das nicht das eigentliche Problem. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass mein Großvater neulich verstorben ist. Ich war zwar traurig, aber nicht sehr, was ich sehr schade finde..

.. naja so verwundert es nicht, dass meine Mutter irgendwann ausgewandert ist nach Dänemark. Das war 2008. Sie hat dort Arbeit gefunden, war auf einer Sprachschule und fühlte sich sehr wohl. Ich bin am 1. Januar 2009 nachgekommen. Ich habe damals aufgrund sehr schlechter schulischer Leistungen und sozialer Unfähigkeit die Schule verlassen und in Dänemark dann nachgeholt. Hatte ich in Deutschland noch einen 4,1 Schnitt, hatte ich in Dänemark im Abitur einen 2,1 Schnitt. Ich war bei uns hier nie wirklich DER tollste Typ. Irgendwie sehr oft der Außenseiter und "komische" Irre. Das war früher als Kind etwas belastend. Ich glaube auch, dass ich dadurch sehr viel verpasst habe an Sozialem. Ich habe halt eher was mit meiner Mutter gemacht, als mit den Leuten.

Naja ich war damals 16, als ich ausgewandert bin. Das war im Grunde alles sehr interessant. Anfänglich sehr schwer, aber interessant. Es hat 1/2 Jahr gedauert, bis man so die ersten Freunde hatte usw. Die Zeit davor haben meine Mutter und ich extremst zusammen gehalten. Ich glaube sie fand das sehr gut, weil sie wusste, dass ich mit dem kommenden Alter mehr alleine sein wollte. Jetzt hier in DE leben wir eher beieinander. Ich rede nicht sehr gerne mit ihr, weil ich sehr stark den Respekt verloren habe. Sie trinkt mir zu viel -.-

Mit der Zeit, so um 2011 rum, habe ich dann eine eigene kleine Wohnung gehabt. Meine Mutter war dann alleine. Naja und ich bin halt in DK herangewachsen , mit allem Drum und Dran. Erste richtige Freundin , Kuss, Sex, Alkohol usw. Ich bin zwar von Haus aus eher der schüchternere Typ, hab da aber doch viel mitgemacht. Schule lief gut, Hobbies liefen, wir hatten eine Band (sogar mal in Flensburg und Hamburg gespielt) usw. Klar, jetzt könnte man vermuten, dass ich lieber hätte bleiben sollen. Aber Dänemark ist sehr klein und stoisch. Man verpasst sehr viel auf "breiter" Ebene. Hier in DE ist halt mehr möglich, auch an Entwicklung und Entdeckungen.

Als ich dann fertig war mit meinem Abitur, meine Mutter war dann schon wieder 1 Jahr in DE, bin ich am 1. Juli 2013 wieder zurück nach Deutschland gekommen. Versteht das nicht falsch. Eigentlich bin ich gar nicht zerrissen, ich mag es zu wandern. Aber ich vermisse es schon ein wenig, denn ich erlebe hier ein gewaltiges Problem!

Ich komme mit den Menschen nicht zurecht. Ich wohne momentan bei Bremerhaven. Anfänglich hatte ich noch genug "Eier" in der Hose, dass es mir egal war. Aber es nagt sehr an mir. Ich schaffe es auf Teufel komm raus nicht in diese Gesellschaft zu kommen. Viele verstehen mich falsch, ich habe eine andere Art von Humor, Auftreten usw. Ich wirke den Leuten gegenüber offensichtlich sehr arrogant, herablassend und dergleichen. Ich mache das aber nicht extra! -.- ich habe versucht das alles abzustellen, ein anderer zu werden, sodass ich mal mehr Kontakte habe. Das gelingt so marginal und ich fühle, dass es nicht richtig ist. Aber ich weis auch nicht mehr, wer ich wirklch bin. Ich stehe wirklich zwischen zwei Welten und kann nichts mehr abrufen.

Ich habe hier eine Arbeit, und seit 2015 (September) studiere ich. Das Studium ist mehr so eine "Ich mach mal lieber etwas" - Lösung. Wieso? Weil ich nicht weis, was ich machen will. Das, was ich vorhatte (Geschichte auf Lehramt) hat sich dann irgendwie zerschlagen, aufgrund von Finanzen und vielleicht ein wenig Feigheit. Zudem habe ich noch 4000 Euro Schulden, die noch bezahlt werden wollen.

Ich weis gar nicht, ob ich mich klar ausdrücke. Ich habe das Gefühl, dass meine "Probleme" total unwichtig sind. Ich bin halt sehr unglücklich, weil ich glaube nicht hier her zu passen. Ich bin mittlerweile auch sehr zurückhaltend und sehr viel schüchterner geworden. Ich werde immer unentschlossener, was sich auch auf andere Bereiche ausübt. Ich habe, und das ärgert mich maßlos, das Trinken angefangen, weil ich eh nirgends willkommen bin. Ich bin leider sehr anfällig dafür und halte auch sehr viel aus. Mich suche auch öfter dunkle Gedanken heim. Ich habe davor Angst, weil ich es ja aktiv denke. Ok, früher hätte ich auch mal schlechte Phasen, aber irgendwie nie solche Gedanken. Das Abenteuer "Ausland" war dann doch zu spannend. Ja und ich lasse halt auch das Studium viel zu sehr schleifen, weil ich mich gar nicht mehr motiviert bekommen für irgendwas. Nur zur Arbeit schaffe ich mich aufgerafft zu bekommen.

Zudem kommt: ich habe natürlich keine Freundin. Seit über 3 Jahren bald. Ich muss auch sagen, dass die letzte Beziehung nicht sonderlich positiv war. Fernbeziehung, aufreibend. Irgendwie haben wir uns mehr geschadet als alles andere. Seitdem habe ich Angst vor Beziehungen und bin sehr unsicher. Ich rede mir zwar gerne ein, dass ich gute Beziehungen hatte , das stimmt aber nicht wenn ich ehrlich bin. Ich habe wenige Freundinnin gehabt. Und auch nie wirklich DIE geile erwachsene Beziehung mit emotionalem Credo. Mir macht das sehr zu schaffen, da ich an der Einsamkeit echt zu Grunde gehe. Ich glaube, dass ich eigentlich ein netter Mann bin, aber es klappt nie. Hinzu kommt, dass 2 von 4 Freundinnin mich betrogen haben - ohne Skrupel. Mich beschleicht halt die Angst, dass ich sehr viel verpasst habe und nichts kann in Beziehungen. Ich bin neidisch und stark eifersüchtig auf so viele andere Leute, die mal eben 2 oder 3 Jahre zusammen sind.

Der einzige Lichtpunkt: Ich habe Dezember 2015 ein Mädchen kennen gelernt. Warum ist das relevant? Sie hat mich umgehauen! Wunderschön, stark, selbstbewusst und mit einer sehr verruchten Ader - ich mag sowas. Man hat sich kennen gelernt usw., bis ich gemerkt habe, dass sie neben mir noch weitere männliche Kontakte hatte. Sehr viele. Sie fährt hier hin, da hin, dort hin. Übernachtet mal hier, mal da usw. Ok, viele finden das super. Eventuell bin ich da zu konservativ, aber es ist zum Beispiel kein Problem mit ihr ins Bett zu hüpfen (kommt zumindest so rüber). Ich habe dann relativ schnell einen Rückzieher gemacht, weil mir das so obskur ist. Ich habe mit sowas ein Problem. Mag sein, dass ich mal wieder der totale Blödmann bin, zu konservativ oder romantisch, aber ich kann damit nicht um, wenn sie weis, dass ich sie mag, sich aber überall anders noch vergnügt.

Jetzt erst vor wenigen Tagen, in der Woche als mein Opa gestorben ist, hat sie mir gesteckt, dass sie eventuell mehr in meine Richtung empfindet. Ich kann das aber nur sehr schwer glauben. Als wir geredet haben kamen solche Dinge wie "ich halte mir sehr gerne alles offen" und dergleichen. Ich habe mich total verliebt und bin machtlos .. sone Scheiße gemacht wie Essen gekocht, Briefchen geschrieben usw. Mir ist das peinlich und ich habe Angst, dass sie mir wehtun wird, weil ich glaube, dass sie mit mir spielt.

Das alles kommt zusammen. Könnt ihr das nachvollziehen? Ich ertappe mich die Tage immer öfter trinkend vor dem PC, nach sehr düsteren Dingen suchend. Ich gehe schon seit Wochen sehr oft alleine in der Nacht raus und spaziere durch Wälder und Moore. Ich suche bewusst einsame und dunkle Orte und mich beunruhigt das. Die spitze war gestern Nacht, als ich so dermaßen viel getrunken habe, dass ich mich heute wundern muss, dass ich noch schreiben kann -.-

Ich habe sehr viel Angst und Unsicherheit und momentan 0 Motivation für gar nichts. Mir wird immer mehr egal und ich halte mich an dieser blöden Verliebtheit fest - sehr armseelig.


Naja. Ich danke dir fürs Lesen.. ich wünsche euch einen schönen Tag und vielleicht darf ich ja auf eine Antwort hoffen.

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Maik,

es ist spürbar: Du kannst dich selbst nicht leiden. Du fühlst dich nicht wohl in deiner Haut. Du hast das Gefühl, eigentlich ein Anderer sein zu müssen. Nach deinem Text scheint es mir, dein größtes Problem ist, dass du alles, aber auch alles, was dich ausmacht, nicht nur als ungenügend, sondern als "Programmierungsfehler" empfindest. Dein ganzes Leben kommt dir vor wie ein missglückter Versuch, den du gerne abbrechen würdest, wenn du nur könntest. Da stellt sich doch die Frage: Warum eigentlich?

Mir fällt auf, dass du in deinem Text häufig sehr allgemeine, sehr drastische Aussagen über dich machst: "Ich habe den Respekt verloren", "Ich bin mittlerweile auch sehr zurückhaltend und sehr viel schüchterner" - nur zwei Beispiele. Warum nenne ich sie drastische? Weil es für dich harte Tatsachen sind, Entwicklungen, die wie das Welken der Blätter oder das Trocknen des Brotes unaufhaltsam sind, so frustrierend wie unveränderlich. Das sind sie aber nicht. Das, was du seit einiger Zeit erlebst, stellt eine Veränderung in deiner Befindlichkeit dar. Dir fehlt der Antrieb im Leben, du fühlst Einsamkeit, Unentschlossenheit, Teilnahmslosigkeit. Das sind deswegen aber noch keine grundlegenden Eigenschaften von dir, keine bedauerlichen "Mutationen", die du hinnehmen musst, sondern es sind Zustände, Befindlichkeiten, die dich erfasst haben und die dich im Griff halten. Ist dir bewusst, wie sehr du neben dir stehst? Mach dir keine Gedanken: Du wirkst nicht arrogant und herablassend. Du hast nur - verständlicherweise - Schwierigkeiten, zu verbergen, wie fremd du dir selbst geworden bist. Und wie sehr du das akzeptiert hast.

Mir kommt es vor, als könntest du erstens nicht im Mindesten zu dir und deiner Persönlichkeit stehen, und hättest zweitens die Hoffnung aufgegeben, dass du bei den Menschen auf Verständnis stößt. Weil du ja so ein verfehltes Projekt der Schöpfung bist. Ich werde zynisch, du merkst es. Aber wie möchtest du an deiner Situation etwas verändern, wenn du das, was dich eigentlich stört - fehlendes Verständnis, Distanz der Menschen zu dir, fehlende Motivation - schon als normal und naturgegeben betrachtest? Motivation ist der springende Punkt. Du musst nicht motiviert sein, um etwas darzustellen. Du musst versuchen, dich zu motivieren, damit du dir wieder eine Richtung geben kannst. Mach nicht den Fehler, zu denken, man wäre entweder perfekt (so wie ja alle Anderen sind, bloß nicht du), und es läuft, oder man ist die missglückte Mutation, so wie du, und man kann es gleich sein lassen. Zurzeit findest du in deinem Umfeld das wieder, was du erwartest, was du ausstrahlst: Unsicherheit, Ziellosigkeit, Selbsthass, Gereiztheit. Wenn ich dich jetzt träfe, ohne diesen Text von dir zu kennen, ich wüsste nicht, ob ich dich nicht auch "arrogant" finden würde. Weil ich jemanden vor mir hätte, der sich aufgegeben hat, den Versuch einer Veränderung (scheinbar?) auch aufgegeben hat, und der vor allem aufgegeben hat, um seine Kontakte zu ringen, sich einzufühlen, zu fragen, zu verhandeln, sondern alles hinnimmt und geschehen lässt. Da ich deinen Text gelesen habe, weiß ich, dass du neben dir stehst, dass du nicht der bist, den du zeigst, dass du eine Geschichte hast. Würde ich dich aber ohne das treffen, könnte es sein, dass auch ich dächte, du seist gleichgültig und abgehoben, weil unflexibel. Das ist nicht der Fall, doch diesen Eindruck erweckst du unter Umständen, weil du eigentlich nicht sein möchtest, was du bist. Dein Leben besteht aber nicht nur aus betrüblichen Gesetztheiten, in denen du vor dich hin vegetieren musst, sondern aus einer Reihe von offenen Baustellen, die es anzugehen gilt. Wenn du wieder Freude am Leben haben willst, dann hör auf, zu denken, dein Leben sei der Kerker, und das, was dich daran stört, die Wände - statisch, unveränderlich, nicht wert, sich damit auseinanderzusetzen. Fang lieber an, zu sehen, dass es ein unfertiges Haus ist, in dem es Löcher zu schließen und Böden zu versiegeln gilt, in dem immer wieder mal etwas bröckelt, nässt und quietscht - aber eben nicht ohne Möglichkeit, es zu beenden. Es hört nicht auf, es wird immer etwas geben. Doch das ist normal, nicht Folge einer verfehlten Konditionierung durch deinen Schöpfer... und es ist auch nicht alternativlos.

Das, was dich stört, und was sich ändern (oder wenigstens klären) müsste, damit es dir besser ginge, hast du verblüffend klar ausformuliert: Deine Mutter, deine Arbeit bzw. Studium, deine Liebe, das Trinken, dein Rhythmus. Das sind nur einige von den etlichen ganz konkreten Sachen, die sich in einer Weise entwickeln oder entwickelt haben, die dir unrichtig vorkommt. Und diese ganz konkreten Sachen sind die offenen Fragen, auf die du eine Antwort findest, wenn du einfach handelst, und dich nicht mehr nur handeln lässt. Was du erlebst, ist eben nicht Folge eines Menschen, dir, der unter dem falschen Stern geboren wurde, sondern von Umständen, in die er gekommen ist, die änderbar sind. Warum also nicht diese Umstände benennen, sich fragen, was passieren muss, passieren sollte, damit es sich bessert?

Das Mädchen, die du liebst: Warum ist dir so peinlich, dass du um sie geworben hast? Warum schimpfst du dich dafür, dass du gewisse Prinzipien und Ansprüche hast? Bist du konservativ, wenn der Sex für dich nicht das Normalste der Welt ist? Bist du ein Idiot, ein peinlicher Romantiker, wenn du dich um sie sorgst? Ich kann dir nicht sagen, ob es dir gelingt, aus euch beiden mehr werden zu lassen. Aber bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass es vielleicht gerade deine "konservative" und romantische Ader ist, die dich für sie attraktiver macht? Was spricht denn eigentlich dagegen, ihr deine Gefühle zu gestehen? Warum willst du ihr nicht die Komplimente machen, die du ihr hier gemacht hast? Warum soll sie das nicht hören dürfen? Wenn sie nicht möchte, dann möchte sie nicht. Du würdest es, so wie du jetzt drauf bist, als Niederlage empfinden, weil du dich vermeintlich "zum Affen gemacht" hättest. Aber ist das der Fall? Liebe kann man nicht erzwingen. Deswegen bist du für sie noch lange nicht Mr. Fremdschäm, nur weil du dich verhältst, wie es dir bei einem so tollen Mädchen wie ihr geboten scheint. Sie mag vielleicht nicht das fühlen, was du fühlst (wobei du das nicht weißt!), aber sie kann trotzdem wissen und sehen, dass du etwas zu bieten hast. Und das wird sie auch - oder misstraust du ihr? Hast du Angst vor ihr? Meinst du nicht, dass sie, auch falls sie dich nicht liebt, sich trotzdem sagen könnte "Er ist echt ein toller Kerl..." Du kannst nur gewinnen. Lass den Schmerz, weil du früher hintergangen wurdest, nicht zum Maßstab werden, wenn es um eine ganz andere Person geht. Denn wenn du so anfängst, dann kannst du das eigentlich immer machen und wirst nie auf den grünen Zweig kommen. Man muss mutig sein, sonst klappt es nicht. Und es gibt auch nicht DIE perfekte Beziehung. Vielleicht waren sie schlimm, vielleicht sogar sehr - aber hast du etwas daraus gelernt? Vielleicht, was du in deiner nächsten Beziehung anders gestalten möchtest? Dinge, auf die du viel früher hinweisen möchtest? Sachen, die du unterlassen möchtest? Andere, die du tun willst? Wie die Frau sein sollte, um die es sich handelt? Und war wirklich alles schlecht, bisher - oder gab es wenigstens schöne Momente? Auch wenn du zehn herbste Enttäuschungen erlebt hättest: Gerade dann wäre es ja das Falsche, aufzugeben. Damit würdest du dich ja ungerechtfertigt noch mehr strafen. Und es ist nicht deine Schuld, wenn das Leben dich an jemanden geraten lässt, der ein schwächerer Charakter ist, oder kein einfacher. Es zeigt dir allerdings, dass es auch andere Menschen gibt, die unvollkommen sind. (Es gibt NUR Menschen, die unvollkommen sind!) In vielem sogar unvollkommener, als du dich fühlst, ohne es zu sein. Ist das nicht beruhigend?

Ähnlich ist es mit deinem Studium und allem Anderen. Du weißt, in welcher Art und Weise es sich für dich ungut anfühlt - dann versuche, diese Zustände aufzuweichen. Dass du arbeitest, weil du eben noch Schulden hast, ist ja kein Misserfolg, sondern eine Vernunftlösung. Ob dein Studium dir liegt, ob du dir wirklich vorstellen kannst, in diesem Bereich tätig zu sein, weißt du selbst am besten. Vielleicht ist es etwas, das du eigentlich partout nicht willst - dann wäre es an der Zeit, noch umzusatteln. Oder es ist etwas, das du ganz gut kannst, mit dem du leben kannst. Dann hast du dir möglicherweise einen Jugendtraum genommen, das ist schmerzlich, aber andererseits Sicherheit gewonnen. Und du wirst immer Möglichkeiten finden, dich über deinen Beruf und deine Arbeit hinaus, den Themen zu widmen, die dich interessieren, und dich in diesem Bereich zu engagieren. Man soll das tun, was man möchte, das stimmt. Aber wenn die Umstände einen Kompromiss nötig machen, dann kannst du auch aus der Not eine Tugend machen, und lieber erst einmal Fakten schaffen. Wenn du die Situation auf diesem Sektor als unbefriedigend ansiehst, dann sei dir bewusst, dass du eigentlich alles richtig machst. Immerhin lässt du dich nicht hängen. Es ist richtig, dass man sich fragen sollte, ob man eigentlich auf dem Weg ist, den man wollte. Aber es ist auch genauso richtig, aus der Situation heraus die Dinge zu tun, die sie notwendig macht, und daraus das Beste herauszuholen. So, wie du jetzt eine Arbeit hast. Ein anderes Beispiel: Wenn du in einem Jahr ungeplant Vater würdest - würdest du dich dann immer fragen "Hm, also eigentlich hätte ich das gerne anders..." Oder würdest du nicht die Situation erfassen und einfach handeln, weil die Vernunft es nötig macht, und könntest dabei auch wieder viel gewinnen? Auch, wenn du früher für ein Kind sorgen müsstest, als du es gedacht hattest? Ich glaube, dass du gar nicht so unbeweglich bist, wie du dich gibst. Du weißt nämlich im Grunde sehr genau, was du dir wünschst. Es ist nie verkehrt, auch an sich und seinem Verhalten zu arbeiten. Doch du solltest auch anerkennen, dass es gewisse Eigenschaften und Züge an dir gibt, die manchen nicht passen mögen, die deshalb aber nicht per se schlecht sind. Und dich vollständig ummodeln zu wollen, klappt erstens nicht, und zweitens macht es dich unglücklich. Hier ist der Punkt, an dem auch ich sagen würde: Es bist nicht immer du. Es sind auch oft die Anderen. Und vielleicht hat dich das Leben noch nicht mit den richtigen Leuten zusammen gebracht. Nur, was nicht ist, das kann werden.

Was deine Mutter oder den Tod deines Opas betrifft: Ich glaube, du kannst im Augenblick schwerlich von dir verlangen, emotional voll zu erfassen, was passiert ist. Und es ist verzeihlich, wenn deine Mutter gerade nicht den ersten Platz auf deiner Agenda hat. Andererseits - wie soll es in Zukunft sein? Du bist nicht gerecht zu dir, wenn du dir mangelnde Trauer oder Mitgefühl vorwirfst, obwohl du so überladen mit Gefühlen und Fragen bist. Aber auf Dauer aus deinem Leben verbannen möchtest du sie ja dann doch nicht, oder? Also deine Mutter. Und so kann es auch zu deinen Aufgaben gehören, den Kontakt auf eine Weise zu gestalten, die dir entgegen kommt. Dafür musst du doch nicht alles akzeptieren und gut finden, was deine Mutter tut. Du kannst es ihr sogar sagen, wenn nicht. Doch es zu ignorieren, es nicht zu sehen, ist ja auch keine wirkliche Lösung. Der Umzug und die Wechsel in deiner Lebenswirklichkeit, die auch durch Entscheidungen deiner Mutter zustande kamen, haben dich manchmal verwirrt. So wie du Dänemark nicht hasst, so siehst du auch, dass dieser Lebensabschnitt für dich viel bewirkt und deiner Mutter viel bedeutet hat. Und das wiederum verbindet euch. Ich verstehe deine Gründe, wieder in Deutschland zu sein. Du musst dir nicht vorwerfen, dass das, was für deine Mutter passend sein mag, dir nicht liegt. Könnte das nicht ein Grund für deine Verwirrung sein - dass du mehr als Andere, durch den Umzug hinein gestoßen wurdest, in einem Alter, wenn man sich "abnabelt"? Die Erfahrung war für dich in Ordnung, vielleicht hat es dich aber irritiert, dass du in dieser Zeit enger mit deiner Mutter warst. Warum auch nicht, immerhin in einem anderen Land? Es muss für die Zukunft keine Maßstäbe setzen. Du schaffst dir jetzt Stabilität , und zwar deine eigene.

Ich möchte dir raten: Erkenne an, dass deine Lage veränderbar ist! Aber du musst nicht einschlafen und in einem anderen Leben aufwachen, du musst auch nicht alles verändern, was dich ausmacht. Du musst nur ein wenig offener damit umgehen, was heißt ein wenig. Dass es leicht ist, sage ich nicht. Aber dass du es mit Willenskraft kannst, das schon. Und was bleibt dir auch übrig? Worauf also wartest du?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul