Problem von Daniel - 22 Jahre

Was ist richtig?

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich stehe momentan vor einer sehr schwierigen Entscheidung, die mein Leben beeinflussen wird.

Ich arbeite nach meiner mit "sehr gut" abgeschlossenen Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann noch immer in dem Beruf.
Letztes Jahr vor meinem Abschluss habe ich zufällig in der Berufsschule von der Berufsoberschule (BOS) erfahren, wo nach der Ausbildung das Abitur gemacht werden kann. Es wären drei Jahre, die ich bis dahin bräuchte. Seitdem muss ich fast jeden Tag daran denken diese Chance zu ergreifen und später mal zu studieren.

Aber wäre das richtig? Ich müsste meinen jetzigen Arbeitsplatz aufgeben und ins Ungewisse gehen. Allein in diesen drei Jahren würde ich ca. 45.000€ Nettogehalt und viele gute Kollegen verlieren.
Auf der anderen Seite will ich nicht ewig nur als Einzelhandelskaufmann arbeiten. Es macht mich teilweise unglücklich in diesen Beruf zu arbeiten. Richtig Spaß macht er mir nicht.
Ich könnte ich mich intern zwar weiterbilden, aber es würde nichts an der Situation ändern.

Ich denke, dass ich die BOS schaffen würde, wenn ich lerne und richtig dahinter stehe.
Ich will auch andere Leute auf der Schule kennen lernen, die genau das selbe vorhaben und einen Freundeskreis aufbauen, da ich momentan nicht wirklich "richtige" Freunde habe.
Mein Tag läuft momentan so ab, dass ich aufstehe, dann zur Arbeit gehe, danach wieder nach Hause gehe und noch Zeit am PC verbringe und dann wieder schlafe.
Wenn ich nichts ändere, sehe ich mich in 10 Jahren genau so. Das will ich definitiv nicht.

Vor fünf Jahren habe ich die Schule vernachlässigt, weil ich jahrelang mit Mobbing zu tun hatte. Mir war die Schule und das Lernen damals total egal, ich wollte einfach immer nur nach Hause gehen und nichts mit diesen Leuten zu tun haben. Es war eine schreckliche Zeit, wo Angst mein Leben beherrschte. Deswegen hatte ich nur den Quali.
Mein Selbstbewusstsein war eigentlich nicht mehr vorhanden und bis heute habe ich es nicht wirklich ganz zurück. Deswegen denke ich dass ich auf der BOS neu anfangen kann.

Auf der Berufsschule waren wirklich nette Leute und das Lernen und die Schule haben mir wieder richtig viel Spaß gemacht. Ich war mit viel Motivation dabei.
Diese Zeit ist aber leider auch vorbei.

Ich habe schon eine Pro- und Contra- Liste gemacht, die aber auch nicht wirklich zu etwas geführt hat.

Könnt ihr mir einen Rat geben, der mir helfen kann?

Viele Grüße
Daniel

Bernd Anwort von Bernd

Hallo Daniel,

dass Du an Deiner Situation etwas ändern willst, finde ich super! Wenn Du schreibst:
"Mein Tag läuft momentan so ab, dass ich aufstehe, dann zur Arbeit gehe, danach wieder nach Hause gehe und noch Zeit am PC verbringe und dann wieder schlafe. Wenn ich nichts ändere, sehe ich mich in 10 Jahren genau so. Das will ich definitiv nicht.", ....

ist da sicherlich auch Handlungsbedarf gegeben. Ich würde es aber nicht unbedingt "eingleisig" angehen.
Weiterbildung ist eine ganz wichtige Komponente, worauf ich gleich noch ausführlich eingehen will.
Bloß: wenn das dann langfristig darauf hinausläuft, dass Du nach der Weiterbildung auf eine andere Arbeit gehst, wieder nach Hause kommst, ein paar Stunden vor dem PC verbringst und dann schlafen gehst, ist nicht wirklich etwas gewonnen.
Das richtige Leben findet weder im Geschäft, noch am heimischen PC statt: so oder so solltest Du Dir vielleicht das eine oder andere Hobby suchen, dass Dich auch anderes erleben lässt. Etwas, was Dich hinter dem heimischen Herd hervorlockt und Dich aktiv werden lässt.
Ob Sport- oder Musikverein. Kletterarena, Inliner oder Fahrrad fahren, schwimmen, rudern, Kanufahren, wandern oder Fitnesstudio:
selbst wenn Du es allein beginnst. Überall wirst Du über kurz oder lang Leute kennenlernen, die dasselbe Hobby haben.
Und egal, was Du machst: es wird die Eintönigkeit aus Deinem Leben nehmen!

Doch nun zu dem, was Du besonders angesprochen hast: Deine Weiterbildung!

Du bist zur Zeit voll motiviert! Das ist der beste Start und da solltest Du sicherlich nicht zögern! Allerdings solltest Du Dich vielleicht vorher umfassend informieren, was es an Weiterbildungsmöglichkeiten in Deinem Bundesland gibt. Da das Schulwesen Ländersache ist, gibt es da innerhalb der Republik teilweise unterschiedliche Ausrichtungen und Möglichkeiten. Die BOS zielt nicht auf jeden Fall auf das Abitur ab.
Soweit ich es weiß, geht die Ausbildung nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung (also bei Dir) auch nicht über 3, sondern nur über 2 Jahre. Wobei der "Hammer" wohl die 2. Fremdsprache ist, die in der Regel ja bis zur mittleren Reife nicht unbedingt Teil des Lehrplanes war.
In 2 Jahren das zu lernen, was "normale" Päneler in 4 Jahren lernen ist nicht gerade prickelnd. Aber durchaus machbar!

Und diese 2. Fremdsprache macht dann auch den Unterschied, ob der Abschluss als Abitur (also als allgemeine Hochschulreife), oder als Fachabitur anerkannt wird. Wenn Du nach Deiner Schule nicht unbedingt Jura, Medizin, Psychologie oder ähnliches studieren willst, kannst Du vielleicht auch mit einer Fachhochschulreife glücklich werden?

Dafür gibt es dann vielleicht auch in Deinem Bundesland noch ganz andere Möglichkeiten. In Baden-Württemberg kann man mit abgeschlossener Berufsausbildung z.B. an einem Berufskolleg in einem Jahr Vollzeit oder 2 Jahren als Abendschule die Fachhochschulreife bekommen.
Vielleicht ist das ja eine Alternative für Dich? Wenn Dein Betrieb Dich auch in Teilzeit beschäftigen würde und Du nebenher das Fachabitur machst, ist es kein abrupter Berufsausstieg und kein "Alles oder Nichts"?
Ein Beispiel aus meinem Betrieb: mein erstes Azubiest hat nach der Ausbildung (Bürokauffrau) in 2-jährigem Berufskolleg in Teilzeit die Fachhochschulreife erlangt und studiert nun Wirtschaftsingenieurwesen.
Womit ich ausdrücken will, dass auch das Fachabitur nicht unbedingt eine fachliche Einbahnstraße für den weiteren Berufsweg bleiben muss!

Es gibt so viele Wege, die nach Rom führen. Wichtig ist also, dass Du zuerst einmal überlegst, wohin Dich Deine Weiterbildung führen soll. Ein Ziel, auf das Du zuarbeiten kannst wird Dir sicherlich während der Ausbildung helfen, die Motivation auch in schweren Zeiten nicht zu verlieren.
Und wenn du das Ziel kennst, kannst Du Dich gezielt nach dem richtigen Weg erkundigen, der Dich dahin führt!
Den Nachweis über die "ausreichenden Kenntnisse" in der 2. Fremdsprache kann (soweit ich weiß) auch auf anderem Wege oder nachher noch erbracht werden. Erkundige Dich vielleicht auch gezielt danach, wie Du aus einem Fachabitur nachher noch eine allgemeine Hochschulreife erlangen kannst.

Du hast unbedingt Recht damit, dass Du noch vieles aus Deinem Leben machen solltest!

Und es gibt sehr gute Gründe, damit nicht zu warten:
1. weil das Lernen mit der Zeit immer schwerer fällt, je länger man aus der "Lernroutine" raus ist. Und
2. weil wir uns schnell und gerne an einen Lebensstil gewöhnen. Und je mehr wir einen gewissen Status gewöhnt sind, um so schwerer fällt es, mit weniger auszukommen! (Wenn Du nun gerade mit 15 T€ Netto weniger im Jahr rechnest, wird es nach einigen Berufsjahren entsprechend mehr sein!)
Wobei Du Dich parallel zu Deiner weiteren schulischen Ausbildung auch gleich noch nach den Möglichkeiten zu einem (elternunabhängigen) Bafög erkundigen solltest!

Lass mich zum Schluss nochmals zu Deinen Freizeitaktivitäten und Sozialkontakten zurückkehren: in manchen Fachgebieten werden Mitschüler oder Mitstudierende eher als Konkurrenten wahrgenommen, denn als Freunde oder Kumpel. Deshalb würde ich Dir da raten, zumindest nicht mit zu großen Erwartungen auf tiefgründige Kontakte an die Sache heranzugehen. Freunde finden sich eher in der Freizeit. Und wie schon oben geschrieben: wenn Du Dein Freizeitverhalten nicht änderst, wird niemand die Chance haben, Dich wirklich kennen zu lernen! Dazu musst Du weg vom PC und raus aus dem Haus!

Alles Liebe

Bernd