Problem von Anonym - 16 Jahre

ich kann den Anblick meiner glücklichen Mutter mit ihrem Freund nicht ertragen

Hallo,
ich bin 16, meine Eltern haben sich getrennt, als ich 9 war. Eigentlich sollte ich ja mit der Trennung abgeschlossen haben, aber in letzter Zeit glaube ich immer öfter, dass das überhaupt nicht der Fall ist. Meine Mutter hat seit knapp einem Jahr einen Freund, mit dem sie sehr glücklich ist. Keine Frage, ich freue mich für sie, mag ihn auch. Trotzdem bekomme ich jedes Mal ein unglaublich beklemmendes Gefühl, sobald ich die beiden glücklich zusammen sehe. Ich weiß garnicht wieso, aber es ist so als wäre ich völlig fehl am Platz. In Momenten in denen sie rum"turteln", oder sich küssen oder sowas, würde ich am liebsten sofort woanders hin verschwinden. Das habe ich bisher noch nie empfunden, obwohl das nicht ihr erster Freund seit der Trennung ist.
Außerdem spricht sie häufig sehr schlecht von meinem Vater, in meiner Gegenwart und auch aktiv mit mir. Er sei "der größte Fehler ihres Lebens" gewesen und wenn sie etwas rückgängig machen könne, dann wäre es die Ehe mit ihm. Obwohl ich starke Probleme in der Beziehung mit meinem Vater habe, fühlt es sich so falsch an, mir sowas anzuhören. Wobei sie wahrscheinlich der Meinung ist, dass sie mir so etwas ohne Probleme anvertrauen könne, da ich mich ja schließlich auch häufiger mal über ihn auslasse.
Ich glaube, obwohl die Trennung jetzt schon fast 7 Jahre her ist, habe ich immernoch nicht damit abgeschlossen. Total seltsam, weil ich das bis vor einer Weile noch nicht so bewusst gemerkt habe. Ich fühle mich schlecht.
Liebe Grüße

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ob es so etwas gibt wie "den Zeitpunkt, an dem alles abgeschlossen ist"? Beziehungsweise: Sein sollte, vielleicht sogar: Sein muss? Ich glaube nicht. Und es wäre sicher gut, wenn du dir in dieser Sache keinen Druck machst: Dein Vater bleibt dein Vater, und auch wenn du mit ihm nicht gerade gut zurecht kommst (vorsichtig ausgedrückt), wird er wahrscheinlich immer eine gewisse Rolle spielen. Wie kann man das nennen - eine Bindung, die nicht zu lösen ist? Weil er eben dein Erzeuger ist, und du einige Jahre mit ihm gelebt hast? Das ist dir überlassen. Wichtig finde ich aber, dass du dir nicht vorschreibst, was du in der jetzigen Situation empfinden darfst und was nicht. Dein Unwohlsein, wenn du deine Mutter mit ihrem neuen Partner siehst, ist durchaus verständlich. Und, davon mal abgesehen: Hätte deine Mutter ein so starkes Bedürfnis, über deinen Vater zu sprechen (und wenn es auch noch so negativ ist), wenn sie vollkommen mit dieser Zeit abgeschlossen hätte?

Mal angenommen, deine Eltern würden noch zusammenleben, und hätten auch ein gutes und liebevolles Verhältnis zueinander: Wie würde das konkret aussehen? Nicht unbedingt, aber sehr wahrscheinlich nicht so, wie das Verhältnis zu ihrem neuen Freund sich im Moment gestaltet. Auch wenn die Liebe an sich nicht verschwindet, kehren in jeder Beziehung irgendwann Ruhe und Festigkeit ein. Man ist nicht mehr "wie von den Socken", nicht mehr so überschäumend vor Freude, man ist ruhiger und gesetzter. Man freut sich immer noch, wenn man morgens neben dem geliebten Menschen aufwacht. Doch man hat nicht mehr unbedingt das Bedürfnis, ihm ständig um den Hals zu fallen und (gefühlt) jeden zweiten Tag einen Blumenstrauß mitzubringen. Ich übertreibe jetzt wohl ein bisschen - aber verstehst du, worauf ich hinaus will? Du freust dich für deine Mutter, und das ehrt dich. Andererseits erlebst du sie und ihren Freund in einer Phase ihrer Beziehung, die - wäre der Mann dein Vater und schon vielfach länger mit deiner Mutter zusammen - vermutlich schon vorbei wäre. Vielleicht sagst du dagegen: "Joa, die sind aber auch schon seit einem Jahr ein Paar!" Tja, und immer noch heftig verliebt! Wie schön! Es ist toll, dass du deiner Mutter das gönnen kannst. Doch du erlebst eben das, worüber lange verheiratete Eltern bei ihrem jugendlichen Kindern wissend lächeln, jetzt bei deiner eigenen Mutter mit. Und ich kann mir vorstellen, dass das zumindest teilweise für deine Verwirrung sorgt. Da sind irgendwo die Rollen vertauscht. Und in deinem Alter, in dem einem (was ganz normal ist) die Eltern auch mal peinlich sind, bleibt das wohl nicht ohne Wirkung. Du handelst sehr reif, wenn du sagst, dass es dich freut und du dich auch mit ihrem Freund verstehst. Aber du darfst dir auch die Irritation erlauben, die du jetzt empfindest.

Dass deine Mutter die Ehe mit deinem Vater als Fehler ansieht, ist ihr Recht und sie ist sicher nicht ohne Grund dieser Meinung. Nichtsdestotrotz bist aus dieser Verbindung du hervorgegangen. Insofern war es doch schon mal kein Fehler, oder :) ? Auch wenn dein Vater für dich kein besonderer Sympathieträger ist, mag es sein, dass ihre häufigen Bemerkungen in dieser Richtung dich etwas überfordern. Schließlich steht dein Vater auch für einen großen Teil deines bisherigen Lebens - auch, wenn seitdem schon einige Jahre vergangen sind. Vielleicht kannst du deine Mutter bitten, das Thema vor dir nicht zu oft anzuschneiden. Wahrscheinlich gibt es nicht viel, was du bei dieser Gelegenheit noch über deinen Vater erfahren sollst? Und falls doch: Es kann sein, dass es zuviel des Guten auf einmal ist. Dafür musst du dich nicht schämen.

Es kann sein, dass dein Vater immer mal wieder "um die Ecke schaut" und in deinen Gedanken mehr Raum einnimmt, als er tatsächlich hat (oder als er verdient, ich weiß es nicht). Das kann unangenehm sein, wie du jetzt erfährst, aber es ist nichts, was du dir verbieten musst. Es ist nur menschlich, diese Phasen zu erleben. Wenn du einen Jungen sehr geliebt hast und lange mit ihm zusammen warst, dich dann aber von ihm getrennt hast: Dann kann es passieren, dass dich auch lange danach - auch wenn die Trennung absolut richtig war, und du ihn eigentlich nicht mehr liebst - ein gewisser Schmerz, ein Unwohlsein, eine Scham erfasst. Gestehe dir diese Gefühle zu. Du kannst nicht Jahre deines Lebens, jetzt schon gelebte oder noch zukünftige, aus deiner Biographie verbannen mit dem Vermerk "War auf der falschen Spur". Was immer in der Vergangenheit war - oder was in der Zukunft sein wird, die dann zur Vergangenheit wird - prägt dich und gestaltet dein Wesen.

Deine Mutter hat mit deinem Vater insofern abgeschlossen, als dass sie weiß, dass er nicht der richtige Mann für sie war und sie die Trennung von ihm mehr denn je als richtig empfindet. Trotzdem spielt er innerlich für sie noch eine größere Rolle, als sie zugeben will: Würde sie sonst so viel von ihm sprechen? Und für alles, was sie sagt, denkt sie ein Vielfaches mehr darüber nach. Wie sollte sie auch nicht? Dein Vater ist die Überschrift über einem langen und bewegten Kapitel ihres Lebens, das bis jetzt nachwirkt - nicht zuletzt, weil du ihre Tochter bist, die sie liebt. Würde sie es wirklich so tausendprozentig ablehnen, dann müsste das ja bedeuten, dass sie sich selbst vorwirft, in dieser Zeit total falsch entschieden und gehandelt zu haben. Zwar sagt sie das auch. Es scheint der Fall zu sein. Doch glaubst du das wirklich? Wer überzeugt sich schon selbst davon, über Jahre gegen jede Vernunft und zum eigenen Schaden gelebt zu haben? Das lässt niemand gerne auf sich sitzen. Sie hat zwar eingesehen, dass vieles, was während der Zeit mit deinem Vater war, wohl nicht hätte sein müssen, und bereut es. Und sie bemüht sich, jeden - vor allem dich - wissen zu lassen, dass diese Erkenntnis bei ihr das ist. Warum - du weißt es doch mittlerweile zur Genüge? Ganz einfach: Eine leise Scham, eine Unsicherheit ist auch noch bei ihr vorhanden. Und weil sie dich liebt und ihr vielleicht Manches leid tut, was du "ihretwegen" von deinem Vater ertragen musstest, möchte sie vor allem dir vermitteln, dass sie gelernt hat. Sie meint es also nicht böse, aber vielleicht schießt sie mit ihren Aussagen über ihn etwas übers Ziel hinaus. Du kannst es als Beweis nehmen, dass du ihr sehr wichtig bist - dass aber auch für sie das Vergangene nicht vergangen ist. Das ist es nie.

Erinnere dich auch in Zukunft daran: Es gibt kein "Ich muss jetzt stark sein!", kein "Die alten Geschichten, das ist vorbei!" Manchmal ist es gut, wenn man die Vergangenheit ruhen lassen kann. Doch man sollte sich auch zugestehen, dass die Vergangenheit ein Teil von einem ist und sich auswirkt. Erlaube auch du es dir, und sprich darüber. Im Übrigen hoffe ich, dass du dein gutes Verhältnis zu deiner Mutter und ihrem Partner wahren kannst, und dass es für dich selbst in die Richtung geht, die du dir wünschst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul