Problem von Lisa - 16 Jahre

Was stimmt nicht mit mir?

Hallo liebes Kummerkasten-Team,
erst einmal ein großes Danke an dem der sich mein Problem durchliest! Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie ich mein Problem einordnen soll, bzw. überhaupt anfangen soll.Deshalb wusste ich auch nicht, welchen Titel ich benutzen soll. Ich war immer ein Mensch, der sich gerne um Andere kümmert. Ich helfe gerne Anderen und höre ihnen zu. Außerdem bin ich in der Öffentlichkeit immer gut drauf, auch wenn es nicht immer so ist. Wenn ich alleine bin aber, ist es irgendwie richtig schlimm. Auch wenn ich zuvor eigentlich nicht schlecht drauf war, ab dem ich alleine bin fühle ich mich so gottverlassen und leer und muss sehr viel weinen. Ich fühle mich immer als drittes Rad am Wagen. Als ob ich nur dabei wäre, weil die Anderen eben auch nicht unhöflich sein wollen. Meine ältere Schwester ist oft sehr gemein und sagt Dinge, die mich sehr verletzen. Eine Stunde später ist sie wieder ganz normal. Ich würde ausnahmslos alles für sie tun. Ob sie im Gegenzug genau so wäre, weiß ich nicht. Wenn ich höre, dass sie weint und frage was los ist, z.B. wenn sie Stress mit ihrem Freund hat, schreit sie mich nur an und sagt, ich soll weggehen. Das verletzt mich oft sehr, auch wenn das vielleicht komisch klingt. Außerdem denkt sie, ich werde von unseren Eltern bevorzugt. Dabei stimmt das nicht, auch wenn ich es mir manchmal schon einbilde und immer wenn wir über mich reden, das Thema sofort auf sie lenke. Ich verteidige sie vor meinen Eltern immer, auch wenn sie das gar nicht mitbekommt. Doch wenn sie das tut, beleidigt sie mich dafür und wird sauer. Noch dazu kommt, dass mein Vater eine, sagen wir, sehr schwierige Persönlichkeit hat. Er wird sehr schnell sauer, schreit oft herum und wenn er mal mit uns redet, dann meist nur weil er uns anschreit. Er redet so selten normal mit uns, dass immer wenn er es tut, auch wenn er nur z.B. fragt wann er mich holen soll, ich absolut verwundert bin und mich über diese eigentlich unwichtigen Worte total freue. Meine Mutter schreit er auch oft an. Ich hasse es, wenn sie streiten, auch wenn ich es gewohnt sein sollte, da sie schon immer so laut streiten, auch als wir noch klein waren. Meine Mutter sagt dazu nur, so ist er eben, so war er schon immer und er wird sich auch nicht mehr ändern. Und das stimmt auch. Und ich kann nicht mit ihnen darüber reden oder sonst was, weil sie sind wirklich nicht der Typ Eltern, mit denen man über Probleme, geschweige denn Gefühle reden kann. Ich habe diese Eigenschaft glaube ich vererbt bekommen, denn ich bin genau so schlecht darin, zumindest über meine Probleme kann ich nicht reden. Irgendwie habe ich auch wieder angefangen, mich zu ritzen. Ich weiß, wie scheiße und dumm es ist, doch ich kann einfach nicht anders. Ich ritze mich jetzt seit 3 Jahren, mit Unterbrechungen, letztes Mal musste ich sogar genäht werden, da ich eine Vene getroffen habe. Zum Glück sah es aber aus wie ein Unfall, deswegen weiß das keiner. Außerdem verhalte ich mich auch sonst irgendwie selbstzerstörerisch. Ich ritze mich, rauche, trinke am Wochenende oft zu viel, esse zu wenig, beiße meine Fingernägel (git dass ist eigentlich nur eine blöde Angewohnheit, aber egal). Ich weiß, dass ich mal lernen sollte, über meine Gefühle oder Probleme zu reden, doch ich kann einfach nicht. Ich hasse mich einfach, mein Aussehen, meinen Charakter, meine Dummheit, einfach alles. Naja, der Text war jetzt lange genug. Ich hoffe, du denkst dir jetzt nicht, oh mein Gott, die badet jetzt in Selbstmitleid, denn so bin ich eigentlich nicht, tut mir Leid. Doch ich würde mir einfach mal so sehr jemanden wünschen, der sich um mich kümmert und anerkennt was ich tue, ich hoffe, dass hört sich jetzt nicht eingebildet an.. Ich weiß, andere Menschen haben viel viel größere Probleme und nicht solche kleinen Möchtegern-Probleme wie ich, doch es war schön, sich das alles mal von der Seele zu schreiben.

Vielen, vielen Dank und einen tollen Tag noch!
Lisa

Anna Anwort von Anna

Liebe Lisa,

vielen, vielen Dank für Dein Vertrauen. Dein Text hat mich sehr bewegt und ich will Dir schon mal ganz am Anfang sagen, dass die Probleme, die Du da hast, keine kleinen Möchtegern-Probleme sind, sondern tatsächliche Schwierigkeiten, die man auf jeden Fall ernst nehmen sollte! Ich finde es richtig gut, dass Du doch schon mal einen ersten Schritt gemacht und Deine Situation + Deine Gefühle so gut beschrieben hast! Ich denke, Du bist sehr empathisch und mitfühlend und auch sehr reflektiert in Bezug auf Deine eigenen Probleme, auch, wenn es Dir schwerfällt mit anderen Menschen darüber zu sprechen.

Wenn ich Deinen Text so lese, kommt mir immer mehr der Gedanke in den Kopf, dass Du irgendwie nicht die Hauptrolle in Deinem Leben spielst, eher die Nebenrolle, der verboten wird, endlich ihren richtigen Platz als Hauptrolle einzunehmen. Du nimmst Dich für Deine Schwester zurück, zu leidest unter den Raum einnehmenden Gefühlsausbrüchen Deines Vaters und hast zudem noch Sorge um Deine Mutter, wenn Du den Streit zwischen Deinen Eltern miterleben musst. Du merkst, dass es Dir schlecht geht, vielleicht von Zeit zu Zeit sogar immer schlechter, aber trotzdem kannst Du bei anderen nicht über Deine Probleme sprechen, weil Du Deine Probleme im Vergleich zu anderen als nicht "problematisch" und ernst nimmst. Dein Verstand sagt Dir "Stell Dich nicht so an!", Deine Gefühle sagen "So geht es echt nicht weiter!" - und genau diesen Zwiespalt gilt es jetzt zu überwinden, um wieder mehr Du zu werden und in die Hauptrolle in Deinem Leben einzusteigen.
Die Beziehung zwischen Dir und Deiner Schwester ist glaube ich sehr ausschlaggebend für Deine negativen Gefühle. Du hast vielleicht schon von klein an gelernt, Dich zurück zu nehmen, damit Deine Schwester einen guten Platz in eurer Familie erhalten kann. Das ist auf der einen Seite natürlich sehr edel, auf der anderen Seite aber nicht gesund für Dich selbst. Dazu kommt, dass man sich als Kind und vielleicht auch jetzt noch nicht bewusst dafür entscheidet, sich so zurückzunehmen, sondern den inneren Zwang dazu verspürt, das so zu machen, als wäre das das einzig Richtige. Vielleicht hast Du bei Dir auch bemerkt, dass Du Deiner Schwester nie so richtig böse sein kannst und Dich nur immer freust, wenn sie wieder nett ist. Das sollte so nicht sein - sie sollte spüren, dass auch Du verletzlich bist und dass sie nicht mit Dir umgehen kann, wie sie will. Du solltest versuchen, ihr beim nächsten Mal klipp und klar zu sagen, dass Du sie ja sehr gerne hast, aber nicht willst, dass sie Dich so behandelt. Und dass wenn sie damit nicht aufhört, Du nichts mehr mit ihr machen willst bzw. nicht mehr mit ihr reden wirst. Oder Du schreibst ihr einen Brief, in dem Du ihr sowas sagst. Ich weiß natürlich nicht, was Deine Schwester für ein Mensch ist und wie sie das aufnehmen wird, aber ich denke, Du solltest es versuchen.

Die Rolle, die Du in Deiner Familie einnimmst, ist die Rolle der immer Verständnisvollen, die sich für die Gefühle der anderen verbiegt und sich selbst in einem nicht gesunden Maß zurücknimmt, um den Familienfrieden aufrecht zu erhalten. Diese Rolle hälst Du dann auch in anderen Bereichen, zum Beispiel im Freundeskreis oder in einer Beziehung, aufrecht. Du hast gelernt, dass diese Rolle Deine Rolle ist: und da musst Du ansetzen, denn das soll sich ändern. Ich kann Dir hier eine Reihe von Übungsheften empfehlen, die Dir helfen könnten, Dich und Deine Situation, Deine Ängste etc. besser zu verstehen und wo auch Übungen dabei sind, um damit Schluss zu machen:

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Das letzte habe ich selbst noch nicht durchgesehen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es sehr gut zu Deinem Problem passen würde. Wenn Du beim Bearbeiten der Hefte merkst, dass es Dir immer schlechter geht und Du Dich vielleicht sogar nicht traust, weiterzumachen, würde ich Dir empfehlen, Dich nach einem Psychotherapeuten umzusehen. Das klingt immer sehr drastisch, aber ist überhaupt nichts Schlimmes oder was, wofür man sich schämen müsste. Dort kann Dich dann jemand, der professionell ausgebildet ist, auf Deinem Weg unterstützen. Besserung kannst Du erst erreichen, wenn Du Deine Probleme ernst genug nimmst und nicht wartest, bis Du irgendwann den totalen Zusammenbruch erleidest oder Stück für Stück in eine lähmende Depression rutschst.

Ich wünsche Dir alles, alles Gute auf Deinem Weg, hoffe sehr, dass ich Dir ein bisschen weiterhelfen konnte und würde mich sehr freuen, nochmal von Dir zu lesen! :)

Liebe Grüße,

Anna