Problem von Anonym - 15 Jahre

Ich möchte mir wegen meinem Bruder das Leben nehmen.

Hallo erstmal
Ich brauche echt Jemanden der mir zuhört und mir vllt ein guten Ratschlag gibt..
Mein Größtes Problem zurzeit ist mein jüngerer Bruder, er ist 11. Ich bin 15.
Wir teilen und leidergottes noch ein Zimmer, und seit nun zwei Wochen steh ich mehrmals in der Nacht auf weil er schnarcht.
Die Folge ist das es mir tagsüber jetzt auch schlecht geht.
Ich hab ständig Kopfschmerzen und mir ist so schwindlig das ich garnicht mehr aufstehen kann, Hunger hab ich deshalb auch keinen mehr. Außerdem musste ich gerade ein Wutanfall unterdrücken und muss jetzt weinen. Es passiert so oft. Nie kann ich normal schlafen und nichts kann ich gegen seine nervigen Geräusche tun. Wisst ihr wie schlimm es ist alles kaputt machen zu wollen, sein Bruder tot sehen zu wollen?
Ich benutz Ohrstöpsel, aber erst nachdem ich in der Nacht wach geworden bin weil ich die total unangenehm finde. Könnte es sein das mir vllt auch deswegen schwindelig wird?
Immer wenn ich mit meinen Eltern darüber reden will sagen die ich würde bald ein zimmer bekommen die müssten meinen Brüdern nurnoch ein Hochbett bestellen.
Aber ich hab keine Nerven mehr, wirklich null.
Seitdem er geboren ist muss ich ihn ertragen.
Das ist aber noch nicht alles.
Er ist kein normales Kind. Er ist ein Teufel. Immee zählt er meine schlechten Taten auf, erfindet irgendwas und machz das Verhältnis zwischen meinen Eltern kaputt.
Zum Beispiel erst gestern waren meine Eltern für mehrere Stunden weg.
Ich hab geputzt, gespült, für ihn gekocht und mich um ihn gekümmert. Wir haben zusammen gelacht, sogar gespielt hab ich mit dem.
Aber dann war ich kurz bevor meine Eltern kamen außer Kräften, und hab mich hingelegt.
Mein Bruder hat dene irgendetwas aufgetischt was nicht stimmte, ich hab ihn ausversehen dumm genannt aber mich direkt entschuldigt, aber er hat natürlich nur gesagt ich hätte ihn aufs schlimmste beleidigt. Meine eltern hassen mich. Grade kam mein Vater in mein Zimmer und drohte mir mich zu schlagen. Er wolle mein Gesicht zum bluten bringen, das hat er gesagt. Er ist mir auch ziemlich nahe gekommen, konnte sich im letzten moment aber beherrschen.
Allgemein sind meine Eltern total unzufrieden mit mir. Immer meckern die, sagen ich bekäme nichts auf die Reihe.
Ich hab echt gute Noten, hab ein Ausbildungsplatz im Finanzamt, die haben mir ein scheißdreck geholfen, haben mir nichtmal geglaubt. Ich bin auch garnicht zickig oder respektlos.
Ich versteh sie echt nicht.
Sie hassen mich und ich hasse sie.
Und das alles wegen meinem verlogenen Bruder.
Ich kann mir schöneres Vorstellen als mitten in der Nacht zu weinen.
Ich will mir so gerne das leben nehmen. Was hab ich wofür ich dankbar sein kann
Ich hab weder gesundheit, noch ein zimmer, noch appetit, noch eine familie die hinter mir steht geschweigeden mich mag.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

es sieht wirklich so aus, als ob deiner Familie nicht besonders viel an dir gelegen ist. Auf der anderen Seite: Du hast aus eigener Kraft schon so viel geschafft. Willst du das jetzt alles aufgeben?

Dein Bruder weiß natürlich auch, wie er deine Eltern zu nehmen hat, damit er seinen Willen bekommt. Auf mich wirkt es so, als ob sie selbst mit ihrem Leben nicht im Reinen sind und überfordert. Du bist dann diejenige, die es ausbaden muss. Die Situation mit deinem Vater, die du beschrieben hast, macht mir vor allem Sorgen. Wenn du Gewalt erfährst, solltest du dich jemandem anvertrauen, der dir effektiv helfen kann - einem Lehrer, einer Bekannten, oder Schulpsychologen. Ich kann verstehen, dass du mit den Nerven am Ende bist. Doch ist es da eine Lösung, sich das Leben zu nehmen? Natürlich erscheint es dir verlockend, weil dann die Probleme, die du jetzt hast, vorbei wären, sagst du dir. Nur: Können die nicht auch überstanden werden, ohne dass du dafür sterben musst? Du wirst die Schule abschließen, deine Ausbildung machen. Noch zwei, drei Jahre, und du kannst vielleicht schon bald auf eigenen Füßen stehen und ausziehen. Es kommt der Punkt in deinem Leben, an dem dich das alles nicht mehr betrifft, an dem du für dich sorgst. Und so wie du deine Familie beschrieben hast, bist du wohl diejenige, die damit am wenigsten Probleme haben dürfte.

In deinem Frust kommt dir der Tod als Ausweg vor. In Wirklichkeit wäre damit niemandem geholfen: Wünschst du dir, dass deine Familie um dich trauert? Was nützt dir die Zuneigung, die sie jetzt vermissen lassen, wenn du nicht mehr da bist? Und was ist mit dir selbst: Was jetzt ist, das wäre vorbei. Wo du dann wärst, weiß kein Mensch. Vor allem aber hättest du dir alles genommen, was dir noch bevor steht: Dein eigenes Leben, dein eigenes Glück. Hast du denn gar keine Hoffnung, dass du es besser machen kannst? Meinst du nicht, dass es anders wird, wenn du nicht mehr auf deine Familie angewiesen bist? Und es dauert nicht mehr so lange. Du kannst darauf hinarbeiten, dir Ziele setzen. Wenn du aber an Selbstmord denkst, machst du dir selbst etwas vor - nämlich, dass es immer und ewig so weitergehen würde. Das wird es aber nicht, weil du erwachsen wirst und dich lösen wirst. Die Unzulänglichkeiten deiner Familie wirst du nicht ändern können, aber du kannst von ihrem schlechten Beispiel lernen und es anders machen. Dein Bruder schwärzt dich an, dein Vater droht dir, deine Mutter steht dabei: So sind sie. Aber so bist du nicht. Und so musst du nicht werden. Wirst du nicht werden. Im Gegenteil, ich denke, durch diese Erfahrung wächst in dir eine besondere Einfühlsamkeit und Rücksicht, weil du es anders erfahren hast. Du kannst anderen Menschen das erweisen, was du nicht erfährst, und kannst dein Leben zu einem Gewinn für Andere entwickeln. Wenn du jedoch den Freitod wählst, dann gibt es gar nichts mehr, nichts Gutes, nichts Schlechtes. Dann hat die dunkle Seite gewonnen. Und du wirst niemals erfahren, was stattdessen noch hätte werden können.

Der Punkt ist: Es fängt doch jetzt erst an! Für dich. Schau dir doch deine Eltern und deinen Bruder an: Sie sind gereizt und überfordert und abweisend, er hat es von ihnen vielleicht nie besser gelernt. Aber damit müssen sie zurecht kommen, nicht du. Du wirst es noch eine gewisse Zeit ertragen müssen, aber dann kannst du aufbrechen. Und du kannst aus den Fehler der Anderen lernen. Was deinen Bruder betrifft: Jetzt ist er noch klein. Kleine Geschwister, die man eklig finden kann, gibt es viele. Aber jeder muss im Leben lernen, dass man so nicht durchkommt. Eine gewisse Zeit können Eltern oder Lehrer oder Freunde einen noch beschützen, die Augen zudrücken - aber auch dein Bruder wird die Erfahrung machen müssen, dass jemand ihm nicht seinen Willen gibt. Dass man Probleme bekommt, wenn man sich so "hintenrum" verhält. Und vielleicht wird er es dann begreifen. Du hast getan, was du konntest. Jetzt müssen Andere ran, oder genauer gesagt, das Leben selbst. Und bis dahin muss dich das alles vielleicht schon nicht mehr interessieren.

Wenn du an Selbstmord denkst, drückt sich darin deine ganze Verzweiflung aus; und deine berechtigte Wut, wenn du vor Ärger (oder Hass) auf deinen Bruder und deine Eltern glühst. Ich mache dir deshalb keinen Vorwurf. Lass sie raus. Aber versuche, es produktiv zu machen. Wirf deinen Ärger auf deine Vokabeln, in den Sport, oder male dir meinetwegen aus, was du allen antun willst, die dich ungerecht behandeln. Wichtig ist, dass du in Erinnerung behältst: Du bist viel zu edel und zu gut, um dich zu dem zu machen, was Andere sind. Du wirst es nicht mit gleicher Münze heimzahlen. Du wirst überlegen sein. Sonst hat ja jeder, der dich schlecht behandelt, genau seinen Willen gekriegt: Dich aus der Fassung zu bringen, dich zu brechen, dich dazu zu bringen, dich selbst zu erniedrigen. Und wenn es blöd läuft, kriegst du die Schuld, und was der Andere gemacht hat, danach fragt man nicht mehr. Du siehst, so kommst du nicht weiter. Hass ist ein menschliches Gefühl, Wut und Ärger; manchmal ziehen sie sich durch die Tage, manchmal flackern sie kurz und heiß auf. Du darfst sie zulassen. Doch versuche auch, sie nicht zu deinem Lebensgefühl zu machen. Sonst wirst du nämlich so, wie du nie sein wolltest. Und Gewalt nützt dir schon mal gar nichts - nicht wenn sie sich gegen Andere, und schon zweimal nicht, wenn sie sich gegen dich selbst richtet.

Vielleicht hilft es dir, für ein paar Nächte ein einfaches Schlafmittel zu nehmen, oder einen Schlaftee zu trinken, Baldrian zum Beispiel. Wenn du damit bisher nicht viel Erfahrung hast, wird es wahrscheinlich schnell anschlagen. So holst du immerhin mal das Schlafdefizit auf, das du entwickelt hast. Denn es fördert sicher auch nur deine ungute Befindlichkeit. Die Ohrstöpsel sind womöglich Gewohnheitssache - wenn sie dir helfen, ist es doch schon mal gut. Falls du dich partotut nicht mit ihnen anfreunden kannst, könntest du es stattdessen mit etwas Watte oder Wachs probieren. Oder du probierst, dich vor dem Abend so auszupowern, dass du richtig müde wirst. Ich kann mir vorstellen, dass wenn ihr euch das Zimmer teilen müsst, du wahrscheinlich nicht viel Rückzugsraum hast; ein Grund mehr, wenn es jetzt Frühling wird, rauszugehen und sich zu betätigen. Solange du deine Strategien hast, mit denen du deinem Frust und Ärger begegnen kannst, fällt es einem oft leichter, mit den Ursachen umzugehen. Wenn du dich aber einigelst, und allein bleibst mit deinen Gefühlen, wird es nicht besser.

Ich hoffe, dass du für dich etwas finden kannst, was dir hilft, dem zu begegnen, in was du deine Energie legen kannst. Aber ich denke, es kommt nicht nur darauf an: Wenn du wirklich die Gefahr siehst, dass dein Vater dich anfasst (und auch noch so heftig, wie er es gesagt hat!), würde ich auf jeden Fall damit nicht zurückhalten, sondern es jemandem sagen. Denn es spricht in meinen Augen nur dafür, dass deine Eltern selbst irgendwie hilflos sind. Und wo das passiert, kann es leicht gefährlich werden. Ich bitte dich, diese Dinge nicht in dir zu vergraben, sondern dich zu öffnen. Es ist gut, dass du uns geschrieben hast - doch jemand, der dich kennt, mit dir spricht und in deiner Nähe ist, kann besser für deine Sicherheit sorgen. Du kannst aber auch jederzeit wieder dem Kummerkasten schreiben, wenn du das Bedürfnis danach hast. Ich wünsche dir viel Hoffnung und Kraft - und dass du dich auf die Zukunft freuen kannst, und ihr entgegen arbeiten kannst. Denn es kann nur besser werden. Und du hast die Fähigkeit, es zu gestalten. Wenn du darauf vertraust, wird es so werden. Wichtig ist, sich nicht entmutigen zu lassen. Du hast schon so viel bewältigt - soll das alles umsonst gewesen sein? Du hast schon so viel Tapferkeit und Stärke gezeigt - meinst du nicht, dass dieser Mensch, du, noch einen Platz in der Welt haben sollte? Ich denke, auf jeden Fall. Und ich fände es toll, wenn du es ebenso empfinden könntest.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul