Problem von Anonym - 23 Jahre

Grundlos unglücklich

Liebes Kummerkasten-Team,
Ich bin einfach nie wirklich glücklich, obwohl mein Leben einen ganz normalen und eigentlich guten Lauf nimmt. Ich bin kein Scheidungskind, hatte eine erste große Liebe, Abitur und befinde mich jetzt im Masterstudium. In drei Wochen heirate ich einen tollen Mann mit Perspektiven. Dennoch fühle ich mich Tag für Tag müde, energielos und vor allem lustlos. Mit 13 Jahren habe ich mich, aus welchen Gründen auch immer, angefangen zu ritzen. Ich glaube, weil ich von meiner ersten großen Liebe, mit der ich zwei Jahre später zusammen gekommen bin und das für 5 Jahre blieb, zurückgewiesen worden bin. Das mit dem Ritzen habe ich irgendwann lassen können, ganz ohne Therapie. Aber schon immer sah ich das Leben sehr negativ und bin oft einfach traurig. Als die Beziehung mit meinem Exreund in die Brüche ging (das war ein langes Hin und Her), bin ich glaube ich in eine Depression geraten. Zumindest habe ich sehr viel geweint, mir starke Vorwürfe gemacht und mir verschiedene Selbstmordmethoden ausgemalt. In dieser Zeit habe ich mich das letzte Mal selbst verletzt, das war vor etwa drei Jahren. Ich war erst todtraurig, dann völlig Gefühlstod und leer. Ich habe manchmal auch in der Öffentlichkeit weinen müssen.
Als ich meinen Verlobten kennen lernte, war das keine romantische Liebeserfahrung. Wir ware einfach zwei Menschen, die Spaß miteinander hatten und ich fühlte mich auch das erste Mal wieder frei nach meiner so langen Beziehung, in der ich vielleicht auch etwas unterdrückt worden bin. Es war eine sehr intensive Beziehung, wodurch ich keinen Kontakt mehr zu anderen Menschen pflegte und dadurch kaum noch Freunde habe. Bis jetzt nicht, denn es fällt mir sehr schwer, neue Freundschaften zu schließen.
Mein Problem ist, das ich eigentlich permanent Angst habe zu versagen, gleichzeitig habe ich keine Motivation mich zu bilden und mache mir aber Vorwürfe, das ich nicht ehrgeizig bin. Ich bin zwar nicht mehr so viel traurig, aber ich habe auch keine richtigen Emotionen mehr. Hat man die einfach nicht mehr, wenn man erwachsen wird? Oder stimmt etwas nicht mit mir? Ich kann mich gar nicht richtig freuen oder das Leben genießen. Ich habe eigentlich immer nur ein schlechtes Gewissen, das ich nicht bin, wie man es von mir erwartet wird. Aber ich habe auch keine Kraft, das zu ändern. Es ist, als hätte ich resigniert, aber ich mache aus Vernunft trotzdem weiter, so weit es geht.
Ich habe auch keine Interessen oder Hobbies mehr. Wenn ich aufstehe morgens, ist oft das erste, das ich denke: "Ich habe üerhaupt keine Lust auf diesen Tag". Es ist nicht so, das ich mich umbringen will. Nur das Leben macht mir einfach keinen Spaß. Ich langweile mich und meine früheren Hobbies langweilen mich auch. Nichts scheint meine Lebensfreude wecken zu wollen, aber ich bin auch zu träge, um etwas auszuprobieren.
Jetzt habe ich Angst, dass es ein Fehler sein könnte zu heiraten, wo ich doch selbst kaum mit mir klar komme. Aber ich will diese Beziehung auch nicht aufgeben und ich kann mir auch vorstellen mit diesem Menschen den Rest meines Lebens zu verbringen.
Was ist denn nur los mit mir? Ist das eine Phase, oder bin ich einfach nur ein selbstbemitleidender Jammerlappen? Oder denke ich zu viel nach? Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich das Negative suche, um mir zu bestätigen, das alles schlecht ist.
Ich hoffe, ihr könnt mir helfen.
Liebe Grüße

Anna Anwort von Anna

Liebe Hilfesuchende,

vielen Dank für Dein Vertrauen und Deine offenen Worte. Ich finde es sehr beeindruckend, wie selbstreflektiert und frei Du über Deine Gefühle, Deine Ängste und Deine Sorgen sprechen kannst.
Zunächst einmal: nein, Du bist kein selbstbemitleidender Jammerlappen. Wenn Du Dich nicht gut fühlst, solltest Du das ernst nehmen, vor allem, wenn Du nicht weißt, woher Deine Gefühle kommen. Nur, weil Du den Grund dafür nicht kennst und im Großen und Ganzen Dein Leben geplant und gewünscht verläuft, heißt das noch lange nicht, dass Du glücklich sein musst oder keine einfach keine schlechten Gefühle haben darfst.

Man sagt, Anfang 20, nachdem man ausgezogen ist und einigermaßen beginnt alleine auf den Beinen zu stehen, kommt man quasi in eine zweite Pubertät. Hier spielen nicht die Hormone verrückt, aber hier gilt es genauso wie in der Jugend, sich selbst zu finden. In der Jugend nimmt man für die Persönlichkeitsentwicklung zunächst einmal einfach nur eine Anti-Haltung ein - gegen die Eltern, gegen Regeln, gegen die Schule usw. Die Suche nach sich selbst beginnt, in dem man erst einfach nur anders sein will, sich von den Eltern abkapseln muss, um sich selbst erkennen zu können. Nach einigen Jahren war man dann lange genug anders und die Wogen glätten sich wieder. Die Persönlichkeit ist aber noch nicht gefunden, denn jetzt, wo man das Elternhaus verlassen hat, muss man auf einmal "jemand" werden, es reicht nicht, einfach nur die Gegenhaltung einzunehmen. Viele junge Menschen bringt dieser Vorgang in depressive Verstimmungen.
Wenn ich Deine Zeilen lese, denke ich an eine junge Frau, die nicht weiß, wer sie ist. Du hast noch immer die hohen Ideale und Ansprüche an Dich selbst im Kopf und verzweifelst, weil Du merkst, dass Du sie nicht erfüllen kannst. Ändern musst Du allerdings nicht Dich selbst, sondern die Ansprüche und versuchen, herauszufinden, woher diese hohen Ideale kommen. Schreibe einmal auf, was Du eigentlich alles von Dir erwartest. Diese Erwartungen vor sich auf dem Papier zu haben, hilft Dir bewusst zu machen, was davon möglich ist und was einfach zu hohe Ansprüche sind, aber auch, Dir die Fülle an Erwartungen bewusst zu machen.
Kein Wunder, dass Du zu nichts Motivation hast, wenn Du weißt, dass Du diese Erwartungen eh nicht erfüllen kannst. Die Frage, die sich stellt, ist warum Du diese Erwartungen überhaupt hast.
Ich halte Dich für sehr selbstreflektiert und bin mir sicher, dass es Dir gelingen wird, auch diese Ansprüche zu hinterfragen.

Eine Depression ist immer ein Zeichen für seelisches Ungleichgewicht. Ob das daher kommt, dass es für Dich viel Unbewusstes zu verarbeiten gibt und Du Dich selbst finden musst oder aber ob körperlich etwas nicht in Ordnung ist, kann ich Dir auch nicht mit Sicherheit sagen. Wichtig wäre hier, dass Du Dich auf jeden Fall mal von einem Arzt durchchecken und auch ein großes Blutbild erstellen lässt. Schildere ihm Deine Symptome, damit wenigstens ausgeschlossen werden kann, dass Deine Depression körperlicher Natur ist, wie zum Beispiel eine Schilddrüsenerkrankung.
Es kann sein, dass eine Depression so stark und langanhaltend ist, dass Du es nicht von alleine schaffst, da einigermaßen rauszukommen. Ich würde Dir also raten, einen Therapeuten aufzusuchen und mit ihm darüber zu sprechen. In den ersten Sitzungen wird dann entschieden, ob eine Therapie notwendig ist oder nicht. Eine Psychotherapie ist absolut nichts Schlimmes und kann Dir helfen, Dich selbst etwas besser zu verstehen und Dich selbst zu finden. Hier findest Du noch einige Infos dazu: http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html
Und hier findest Du noch einige Infos zum Thema Depression: http://www.deutsche-depressionshilfe.de/stiftung/depression-erkennen.php

Bis zu Deiner Hochzeit wirst Du Dich sicherlich noch nicht gefunden haben und ob es das Richtige ist, Deinen Freund zu heiraten, kann ich Dir auch nicht sagen. Aber ich denke, dass wenn Du Dich ja bereits dafür entschieden hast, Du dieser Entscheidung auch ruhig vertrauen kannst. Sich gemeinsam gegenseitig zu entdecken und zu finden, ist eine der schönsten und aufregensten Prozesse einer Beziehung und es freut mich für Dich, dass Du Deinen Freund gefunden hast, mit dem Du diesen Weg gehen möchtest. :-)

Ich wünsche Dir alles, alles Gute und würde mich sehr freuen, nochmal von Dir zu lesen.

Liebe Grüße,

Anna