Problem von Anonym - 20 Jahre

Fühle nichts mehr außer Leere und Selbsthass

Ich bin Marco, bin 20 Jahre alt und schwul (was mich immernoch sehr belastet). Ich fühle mich als wäre innerlich gestorben. Ich weiß nicht was mit mir los. Es beginnt schon morgens mit dem aufwachen, wenn diesen Menschen im Spiegel sehen muss. Ich hasse diesen Menschen darin. Ich krieg einfach nichts mehr auf die Reihe und schotte mich immer mehr von allen ab.Meist bleibe ich lange wach, hör Musik und grübel vor mich her, oder geh einfach mitten in der Nacht joggen. Eine Beziehung hatte ich auch schon seit 3 Jahren nicht mehr, nur solche einmaligen Verhältnisse mit Leuten die mich wirklich geliebt haben oder einfach nur Spaß gesucht haben. Keine Ahnung... Emotionale Zuneigung hab ich kaum gespürt. Ich wollte halt was spüren aber es hat nie funktioniert. In der Öffentlichkeit mag es zwar von außen nicht so wirken, aber ich bin Wrack. Natürliches habe ich Glücksgefühle, wenn ich mit Freunden draußen bin, aber sonst ist da nur diese beißende Leere. Ich versuche mich manchmal selbst zum weinen zu bringen, z.B. mit trauriger Musik, um wenigstens wieder sowas wie richtige Trauer zu spüren. Jetzt wo ich das geschriebene so lese...Es ist als wär ich an einer Maschine angeschlossen die Gefühle halbherzig simuliert. Ich mache mit irgentwelchen Typen rum, um in mir ein Gefühl von Liebe zu wecken und versuche mit trauriger Musik ein Gefühl von Trauer zu wecken, aber innerlich bin ich am verrecken und würde ohne diese "Maschine" nicht überleben. Ich hatte schon meine Kurzschlussmomente.Ich hab mir schon öfter ein Messer an die Brust gedrückt, oder hab das Waschbecken volllaufen lassen und mein Gesicht reingedrückt. Was besonders schlimm ist, sind die Blicke anderer Leute. Ich bilde mir immer das schlimmste drauf ein. Wenn denn mal jemand, z.B. beim feiern, zu mir hinkommt mir ein Kompliment macht, oder mich nach meiner Nummer fragt, bin ich geschockt. Ich denke dann "Der verarscht mich nur. Der hat sicher ne Wette verloren. Wer will schon Kontakt zu mir haben?"
Es hoffe ich konnte hier ansatzweise meine Situation beschreiben. Tut mir Leid wenns alles Querbeet zusammen geworfen ist und ich weiß es gibt noch viel mehr.Nur ist es schwer alles zu beschreiben was gerade in mir vorgeht. Ich danke im vorraus für eine Antwort.

Anna Anwort von Anna

Lieber Marco,

vielen Dank für Dein Vertrauen uns gegenüber. Die emotionale Darstellung Deiner Situation hat mich sehr berührt und ich finde es sehr beeindruckend, wie gut Du Deine Gefühle in Worte fassen kannst.

Fühlt man sich innerlich und emotional abgeschottet, leer oder wie eine Maschine, die nur noch das Nötigste tut, hat man den Kontakt zu sich selbst verloren. Die menschliche Psyche teilt sich in ein Bewusstsein, das vielleicht 5% ausmacht, und in ein Unbewusstes, das die restlichen 95% ausmacht. Das Bewusstsein weiß, wer man ist, was man so am Tag zu tun hat, was man gestern vorhatte und was man sich für die Zukunft vorstellt. Es ist also grob das, was man glaubt über sich zu wissen - das Ich. Das Unbewusste besteht aus all den Dingen, die im Bewusstsein keinen Platz finden, wie zum Beispiel uralte Erinnerungen, vergangene Gefühle, die man seit Lebensbeginn an gesammelt hat. Nicht nur schöne, sondern auch sehr schlechte Erinnerungen und Erfahrungen werden ins Unbewusste verdrängt, denn man sie jeden Tag aufs Neue präsent hätte, könnte man seinen Alltag gar nicht mehr meistern. Für eine gesunde Psyche ist es wichtig, dass ein stetiger Kontakt zwischen Bewusstsein und Unbewusstem besteht. Das Bewusstsein sollte quasi darüber informiert sein, welche furchtbaren Verletzungen in einem stecken, damit diese auch bewusst verarbeitet werden können und sich nicht im Unbewussten verselbstständigen. Dieser Kontakt entsteht zum Beispiel durch Träume. Das Unbewusste sendet im Schlaf Bilder und drückt somit aus, was in ihm vorgeht. Weitere Möglichkeiten, um Kontakt zum Unbewussten zu finden, wäre zum Beispiel die Meditation.
Seelische Verletzungen aller Art äußern sich nicht nur durch Träume, sondern im wachen Zustand vor allem durch Gefühle. Man hat Angst, man ist wütend, man ist traurig - und man weiß meist gar nicht, warum. Solange man diese Gefühle noch spürt und ausleben und verarbeiten kann, ist meist noch alles im grünen Bereich, der Kontakt zum Unbewussten noch da. Sind die seelischen Verletzungen allerdings viel zu groß oder man hat die Äußerungen des Unbewussten viel zu lange ignoriert und verdrängt, kann es passieren, dass man in eine emotionale Abgeschottung gerät, dass man den Drath zu seinem Unbewussten und damit zu seinen Gefühlen vollkommen verliert. Im Prinzip ein Schutzmechanismus, die Leere und das Vakuum unter denen der Betroffene dann allerdings leidet, fühlen sich sehr qualvoll an.

Wie Du Dir jetzt vielleicht denken kannst, ist es sehr wichtig, überhaupt erstmal wieder den Kontakt zu Deinem Unbewussten herzustellen, um somit Schritt für Schritt aus dieser Depression zu gelangen. Dazu gehört viel Zeit für Dich alleine und ein bewusstes Achten auf alles, was von Innen kommt. Du darfst Deine aufkommenden Gefühle und Gedanken nicht verdrängen, im Gegenteil, Du musst sie Dir bewusster machen. Führe Tagebuch über Dein Innenleben, egal, wie traurig und verletzt es ist und egal, was Du da alles aufs Papier bringst. Es geht darum, das, was Du noch fühlst, zu akzeptieren und einfach so hinzunehmen. Dabei ist es auch hilfreich, Deine Träume aufzuschreiben. Du musst sie nicht verstehen, nicht interpretieren, so einfach nur annehmen und zur Kenntnis nehmen. Meditationen können Dir auch sehr helfen, allerdings könnte ich mir vorstellen, dass das für den Anfang vielleicht zu hart ist und Du damit warten solltest, bis es Dir wieder ein wenig besser geht.
Ich kann mir allerdings sehr gut vorstellen, dass Du nachdem wie Du Deine Situation geschildert hast, unter einer bereits stärkeren Depression leidest und würde Dir daher auf jeden Fall raten, Dich nach einem Therapeuten umzusehen. Psychologisch professionell unterstützt zu werden in so einer schwierigen Lage, ist unheimlich wichtig. Du solltest diese Depression sehr ernst nehmen und wirklich versuchen, daran zu arbeiten und wenn es erstmal ein Gespräch mit einem Therapeuten ist. Informiere Dich noch heute, zu wem Du in Deinem Umfeld gehen könntest, denn es kann sein, dass man lange auf einen Termin warten muss.
Hier mehr dazu: http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html


Da ich Dich nicht kenne und von Dir nur das weiß, was Du beschrieben hast, weiß ich nicht, was die Gründe dafür waren, dass Du so einen Selbsthass entwickelt hast und in diese emotinale Isolation gekommen bist. Ich weiß aber, dass die Nichtakzeptanz der eigenen Sexualität sehr häufig in starke Depressionen führt. Und das ist nicht Deine Schuld, sondern der eingeschränkte und intolerante Umgang des Umfelds und der Gesellschaft mit Sexualität. Wer heterosexuell ist, muss sich meist keine Gedanken machen, denn ihm wird von Anfang gesagt, dass er okay und normal ist. Homosexualität, Bisexualität und andere Sexualitäten werden meist nicht akzeptiert. Dabei müssen nicht unbedingt Schwulenwitze erzählt werden, es reicht schon ein ignoranter Umgang damit, dass jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis schwul sein könnte. Der Selbsthass, den Du über die Zeit Dir gegenüber entwickelt hast, hat nichts mit Dir und Deiner Persönlichkeit zu tun - er ist ein Produkt Deiner Erfahrung, dass Dir von Anfang an vermittelt wurde, dass etwas nicht mit Dir stimmt und somit eine logische Konsequenz.
Mit Dir stimmt aber alles. Du bist so, wie Du bist, vollkommen in Ordnung und ich weiß, dass wenn ich das jetzt so schreibe, Du das vielleicht nicht glauben kannst oder dass Du es vielleicht vom Verstand her weißt, aber Deine Gefühle es nicht so sehen. Aber es ist im Folgenden sehr wichtig, dass Du lernst, dass nicht Du das Problem bist, sondern der falsche Umgang in Deinem Umfeld mit Sexualitäten.
Vielleicht bringen Dich da noch diese Internetseiten etwas weiter:
http://de.wikihow.com/Akzeptiere-dass-du-schwul-bist
http://www.planet-wissen.de/gesellschaft/sexualitaet/homosexualitaet/pwieouting100.html

Und vielleicht gefallen Dir auch diese Übunsghefte:
http://www.amazon.de/gp/product/395550137X/ref=s9_simh_gw_p14_d1_i7?pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=desktop-2&pf_rd_r=047Q2X78HVKD1K4C7ADZ&pf_rd_t=36701&pf_rd_p=862816767&pf_rd_i=desktop
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Soviel erstmal von meiner Seite aus. Ich hoffe sehr, ich konnte Dir ein wenig Wissen über die Psyche mit auf den Weg geben und auch erste Lösungsansätze bieten. Dass der Weg, der vor Dir liegt, nicht einfach wird, davon gehe ich aus. Aber in jedem Fall lohnt es sich sehr, ihn zu gehen, um wieder ein glücklichen Leben führen zu können. Glücklich bedeutet mit sich selbst im Reinen zu sein und ich bin mir sicher, dass Du das werden kannst.
Ich wünsche Dir alles, alles Gute und würde mich sehr freuen, nochmal von Dir zu lesen.

Liebe Grüße,

Anna