Problem von Simon(e) - 20 Jahre

ich habe angst dass es so weiter geht

Liebes Kummerkasten team,
ich habe grosse Probleme mit mir selbst.
Eigentlich habe ich die schon sehr lan ge, aber in den letzten Wochen und Monaten habe ich richtig Angst bekommen, dass ich mir was an tun könnte, wenn grade wieder irgendwas doofes passiert ist.
Ich bin weder Frau, noch Mann. Es passt nichts so richtig. Es beginnt schon mit meinem Körper. Ich binde mir seit sie angefangen haben zu wachsen die Brüste ab und ich möchte sie auch abnehmen lassen. Aber es ist fast unmöglich eine OP zu bekommen, wenn ich nicht vorgebe ein trans*mann zu sein und das bin ich ja nicht. Ich nehme zwar Testo, aber nur eine geringe Dosis (mein Arzt meinte, dass das den Effekt haben kann, den ich will und auf jeden Fall verhindert, dass meine Brüste irgendwie wachsen.). Ich will einfach nur einen flachen Oberkörper.
Andauern wird mir ein Geschlecht zugeschrieben... Ich freue mich im Stadion nur, wenn ich zum Abtasten zu den Männern geschickt werde, weil ich nicht als Frau wahrgenommen werden möchte. aber als Mann? das fült sich auch nicht richtig an. Jedes Mal wenn jemand, egal welches, ein Pronomen für mich verwendet, fühle ich mich wieder falsch und frage mich, warum bei mir irgendwas falsch ist, warum andere solche Probleme nicht haben.
Ich habe in den letzten Wochen einen richtigen Selbsthass entwickelt.
Immer wieder denke ich: Ich passe einfach nicht in diese Welt.

In meiner Kindheit und Jugend habe ich -teilweise mit Hilfe von Gewalt- hart gelernt, dass Disziplin und Gehorsam das wichtigste sind.
Das ist gut. Denn so habe ich gelernt immer und überall, die Kontrolle zu bewahren und meine Gefühle nicht so wichtig zu nehmen. Es war immer wichtiger die Kontrolle zu bewahren.
Und davon habe ich bisher immer profitiert.
Aber in den letzten Wochen habe ich das Gefühl die Kontrolle vollkommen zu verlieren.
Ich verletze mich oft selbst (beiße mir in den arm, bis es blutet, reibe mit der schere über meinen arm, bis es richtig schön brennt, kneife mir so feste in den Oberarm dass ich blaue Flecken bekomme, stelle den Binder extra eng, gehe raus in die Kälte im T-shirt) damit der Schmerz die Gedanken betäubt, weil ich Angst habe mir sonst was schlimmeres an zu tun. Das passiert einfach so... wenn ich nicht mehr weiter weiß und wieder überfordert bin, mit mir und dieser Welt.
Es macht mir große Angst, dass ich das mache.
Es gibt nur einen menschen auf dieser Welt, bei dem ich ich sein kann... aber er hat Krebs und wird in ein paar Wochen sterben (seine ärzte geben ihm acht wochen, seit einem halben Jahr immer wieder). Sonst versteht mich niemand wirklich. Es gibt nirgendwo sonst einen Menschen der solche probleme hat wie ich…
ich habe angst und ich brauche Hilfe und hoffe hier sie zu bekommen.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe(r) Simon(e),

vielleicht ist es ja auch so, dass die Welt nicht zu dir passt? Dass sie die Kategorie noch nicht bereit hält, in der du dich aufgehoben fühlst?

Wenn du eine Kategorie bestimmen könntest: Wie würde diese beschaffen sein? Der Körper, in dem du aufgewachsen bist, stößt dich ab - auf der anderen Seite empfindest du das Männliche auch nicht ganz passend. Aber muss man denn eigentlich zu einem gehören? Kannst du nicht ein Kaleidoskop der Wesenszüge sein? Vielleicht passt dir dieses Teil des Weiblichen, jenes Teil des Männlichen mehr, und du kannst Spaß daran haben, mal das eine, mal das andere mehr abzubilden. Ich frage mich gerade, ob es denn wirklich so wichtig ist, zu einem zu gehören - oder ob diese Gesellschaft nicht einfach zu altbacken für dich ist. Aber deswegen musst du es doch nicht ausbaden.

Wenn du das Gefühl hast, dass eine Geschlechtsangleichung nicht das Richtige für dich ist - dann bleibst du quasi für immer gefangen in einem Körper, der nicht der deine ist; mit der schrecklichen Gewissheit, dass es die Form, die sich für dich wirklich empfiehlt, nicht gibt. Und so absolut, wie dieser Satz, den ich eben formuliert habe, ist, so absolut ohne Selbstliebe erscheinst du mir in der Tat. Aber das kann doch nicht sein, darf doch nicht sein! Ist es dein Wunsch, weiter zu leben, glücklich zu werden? Oder hast du dich wirklich schon aufgegeben? Erscheint dir nur der Selbstmord als Ausweg? Es muss schlimm sein, was du durchlebst, und ich muss gestehen, dass ich wahrscheinlich nicht einmal annähernd in der Lage bin, diesen Schmerz zu verstehen, den du leidest. Nicht, weil ich es nicht wollte. Aber ich habe das Glück, den Körper des Mannes, der ich bin, immer ganz gern gehabt zu haben. Obwohl - ist das wirklich Glück? Oder bleibt mir dadurch auch immer etwas verschlossen, was jenseits von allem liegt? Ich glaube wirklich, Simon(e), dass es eine Zukunft für dich geben muss. Es kann und darf nicht sein, dass jemand wie du sich aus der Welt aussortiert, bloß weil sie (die Welt) zu beschränkt ist, einen Namen für ihn / sie zu haben. Welcher das sein könnte, weiß ich nicht. Aber vielleicht bist du selbst noch mehr in der Konvention gefangen, als du merkst: Ist es tatsächlich so wichtig, sich einem Geschlecht zuzuordnen? Oder kann es nicht auch erfüllend sein, zwischen den Welten zu wandeln? Ich kann mir denken, dass das für dich sehr überheblich klingt. Ich möchte nicht so wirken. Aber ich kann mir leider auch nichts Anderes vorstellen, außer dass du versuchst, einen Weg zu finden, wie du dich zwischen den Identitäten einrichten, und deine eigene schaffen kannst. Du wirst nicht verhindern können, dass man dir mal dieses, mal jenes Geschlecht zuschreibt. Aber wer sagt denn, dass du nicht aus der Not eine Tugend machen kannst? Könntest du nicht provozieren, könntest so auftreten, dass vor dem Pronomen, welchem auch immer, erst mal ein unsicheres "...Uuuh... äh..." steht - und hinterher ein so großes Fragezeichen, dass man es purzeln hört? (Vergiss nicht: Es ist alles Wurst, warum man anders ist. Der Charakter zählt. :) )

Für die meisten von uns gibt das Geschlecht viel mehr vor, als wir uns bewusst machen: Von der Farbe der Baby-Bettwäsche bis zum Hochzeitskleid sind unsere Leben geprägt von Zuschreibungen, die sagen, so ist der Mann, so ist die Frau, so gehört sich das, so war es schon immer, das macht man halt. Wirklich? Ist der Mensch so gefesselt an diese Rede von "dem, was man eben macht" - dieses ständige "weil halt"? Oder ist der Mensch auf der Welt, um seine eigene Bestimmung zu suchen und sich so einzurichten, wie es für ihn als Person passt? An das Geschlecht sind meistens auch Erwartungen hinsichtlich Familie, Kinder, Lebensplanung geknüpft; die biologischen Geschlechter existieren letztlich nur wegen des Prinzips Vermehrung. Schon wenn ihr Kind noch ganz klein ist, malen Eltern sich ihre künftigen Enkelkinder aus, die Gesichter ihrer Schwiegertöchter oder -söhne. Was aber, wenn es gar kein unglücklicher Zufall ist, wenn ihr Sohn keine Familie gründet - sondern ein komischer Zufall, dass er / sie als Junge auf die Welt kam? Oder, wie bei dir, der umgekehrte Fall. Da muss man anerkennen, dass es mit Biologie nicht getan ist - es gibt mehr. Und dieses "mehr" ist es doch gerade, was diese Welt auch so besonders und lebenswert macht. Du bist nicht "unpassend"; du bist der Beweis dafür, dass das, was uns so oft unveränderlich, starr und hoffnungslos scheint, nicht alles sein muss; dass es auch anders geht. Wo wäre die Welt ohne Menschen wie dich? In einer Situation möchtest du lieber Mann sein, in der nächsten schon nicht mehr ganz. Ist das schlecht - oder bist das DU? Willst du sein wie alle, oder willst du glücklich sein?

Ich möchte dir raten, dich einmal zu informieren, ob es nicht in erreichbarer Nähe eine Selbsthilfegruppe für Menschen gibt, denen es ähnlich geht wie dir. Oder ob du dich zumindest online austauschen kannst. Denn du bist mit deinen Gefühlen nicht allein. Es wird dich jedoch auf Dauer nicht weiter bringen, wenn du dich selbst verletzt, wenn du dich in Gefahr bringst, und dein Leben auf dieser Gefahr aufbaust. Die Welt ist vielleicht noch nicht ganz reif für dich - doch wie soll sie es werden, wenn du dich nicht einsetzt, nicht wagst? Ist dir bewusst, dass die Zahl derjenigen wächst, die glauben, deine Identität und dein Lebensgefühl seien wirklich nichts als ein therapierbares Kuriosum, eine "Unnatürlichkeit"? Was aber würden sie tun, wenn es ihrem eigenen Kind so ginge wie dir? Willst du den Verfechtern der Einheitssuppe, des Grau-in-Grau, des "Er das, sie dies", des "Weil es halt so ist", das Feld überlassen? Du bist nicht allein. Doch wenn du dich aufgibst, wird die Welt von so besonderen Personen wie dir nicht profitieren, sondern vielleicht zurückfallen in kurzsichtiges Gemunkel. Willst du das? Ich glaube nein. Die Welt braucht Menschen wie dich, die zeigen, dass es sie gibt, dich darauf pochen, dass nicht sie unpassend sind, sondern dass die Welt sich ihnen auch anpassen muss. Vielleicht ist das ja deine Aufgabe?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul