Problem von Anonym - 20 Jahre

Habe ich mich selbst aufgegeben ?

Hallo,
ich bin männlich, 20 Jahre alt und weiß momentan irgendwie nicht mehr weiter.
Im vergangenen Jahr habe ich mein Abitur erfolgreich bestanden und habe gerade mein Studium angefangen, welches mir soweit gefällt. Doch irgendetwas stimmt mit mir nicht. Ich hab das Gefühl das mein Leben komplett aus dem Ruder gelaufen ist.
Wie es zu diesem Zustand gekommen ist, will ich nun erklären.
Einige Monate nach meinem Abitur, in welchen ich nur gechillt, mich mit Freunden getroffen und das Leben genossen hab, wollte ich ein Praktikum bei einer Firma in Berlin beginnen, welches drei Monate gedauert hätte. Vor meiner Abreise gab ich eine Abschiedsfeier im Haus meiner Eltern in dem ich immer noch wohne. Zu dieser Feier kamen viele Leute, teilweise auch Leute die ich gar nicht kannte. Langer Rede, kurzer Sinn, am nächsten morgen stellten meine Mutter und ich fest das wir bestohlen wurden : Eine Kamera im Wert von 400 Euro, sowie meine Kopfhörer wurden entwendet, und das einen Tag bevor ich nach Berlin ging. Folglich war ich ziemlich am Boden zerstört und gab mir die Schuld für alles was passiert ist.
Als ich in Berlin angekommen war, hörte der Ärger jedoch nicht auf. Das Praktikum in der Firma stellte sich als absolut langweilig und monoton heraus und meine Chefin war mit meiner Arbeit mehr als unzufrieden, weil ich zahlreiche Computerprogramme nicht bedienen konnte obwohl in der Jobbeschreibung nichts davon stand. Nach 2 Wochen wurde ich gefeuert. Das war der zweite Rückschlag in meinem Leben. Vielleicht war ich im Praktikum auch so schlecht weil ich mich so wertlos gefühlt habe, wegen dem was auf meiner Feier passiert ist.
Nachdem ich gefeuert wurde wollte ich wieder nach Hause fahren, doch meine Mutter ließ das nicht zu. Sie sagte das ich dann wieder in mein altes Schema zurückfallen würde und das ich die nächsten drei Monate in Berlin bleiben soll und mir einen Job suchen soll in der Zeit, was absolut sinnlos gewesen wäre, da ich ja diesen eh nicht lange ausüben hätte können. Ich war komplett am Ende und alles was ich mir anhören musste war, wie enttäuscht alle in meinem Umfeld von mir sind. Oft hab ich gesagt das es mir nicht gut geht, das ich traurig bin wie sich alles entwickelt hat aber alle haben mir immer nur gesagt das ich faul bin und mich einfach nicht so anstellen soll.
Ich war dann fast 3 Monate in Berlin in denen ich NICHTS, absolut NICHTS gemacht habe. Ich wäre gerne nach Hause gefahren und hätte mein Leben wieder in den Griff bekommen, doch meine Mutter wollte es einfach nicht. In dieser Zeit habe ich eine Abscheu gegen meine Mutter entwickelt, da sie einfach nicht verstanden hat, wie beschissen es mir ging und das sie immer wieder gesagt hat, das ich mich einfach nur zusammenreissen muss. Aber so einfach war es schlicht und ergreifend nicht.
Als ich dann endlich daheim war, war ich erstmal glücklich meine Freunde wieder zu sehen, doch ich hatte mir ja vorgenommen, mein Leben in Ordnung zu bringen. Also bewarb ich mich für ein Studium, für das ich dann auch eine Zusage erhielt. Doch in den Monaten vor Beginn des Studiums besserte sich nichts. Meine Mutter hat mich fast jeden Tag aufs Neue verrückt gemacht mit Sätzen wie "Such dir nen Job etc". Ich kam mir fast genauso nutzlos vor wie damals in Berlin und noch bis heute mache ich mir Vorwürfe, was auf meiner Feier damals geschah.
Nun hat mein Studium angefangen und ich bemühe mich. Ich gehe jeden Tag motiviert hin und seit langem fühle ich mich wieder gut, wenn ich etwas tue. Doch meine Probleme enden einfach nicht. Zur Zeit mache ich meinen Führerschein und meine Mutter findet, das ich zu wenig dafür lerne und mir außerdem ja nen Job suchen soll. Und jeden Tag muss ich mir ihr Gemecker anhören und danach fühle ich mich ganz oft und ganz lange wieder so unglaublich wertlos.
Die Wahrheit ist : Ich fühle mich so als ob nichts was ich anpacken würde irgendetwas werden könnte, da ich mich wegen meiner Feier und wegen Berlin so mies fühle. Ich habe keine Motivation, ständig wird mir von meiner Mutter gesagt das ich faul bin und das mein Leben so nicht weiter gehen kann.
Ständig weißt sie mich daraufhin das ich mein Zimmer aufräumen soll, das ich mehr für den Führerschein tun soll und wenn ich mich mit Freunden teffe (zugegeben, das tue ich recht oft) schreibt sie mir ständig was für große Sorgen sie sich macht und das ich aufpassen soll, als ob ich zu dumm dafür wäre.
Die traurige Wahrheit ist : Nach dem Abitur ging es mir richtig gut, doch seit der Feier und seit Berlin fühle ich mich ganz oft wie ein Stück Dreck das zu nichts zu gebrauchen ist und nur allen Leuten zur Last fällt. Ich will ja meinen Führerschein machen und ich will auch irgendwann ausziehen doch es fällt mir ganz schwer mich darauf zu fokusieren. Ich hab andauernd nur Chillen im Kopf. Zudem wünschte ich, ich könnte meiner Mutter endlich sagen, wie verletzt ich von ihr bin, wegen dem was sie in Berlin abgezogen hat. Ich wollte nur nach Hause, doch sie ließ mich einfach nicht.
Ich sehe den Sinn in meinem Leben nicht mehr, als hätte ich mich verloren. Mein Studium gefällt mir, aber ich ertrage es einfach nicht mehr, jeden Tag Faul genannt zu werden und das meine Mutter mir immer wieder das Gefühl gibt, nichts wert zu sein.
Deswegen meine Frage : Wie soll ich mein Leben in den Griff kriegen und endlich wieder glücklich werden ?

Anna Anwort von Anna

Hallo Du,

vielen Dank für Dein Vertrauen uns gegenüber. Ich finde es sehr bemerkenswert wie offen und reflektiert Du über Deine Gefühle sprichst und denke, dass Du der Lösung, wie Du Dein Leben wieder "in den Griff bekommen" könntest, schon viel näher bist als Du denkst, nur noch nicht den Mut dazu aufbringen konntest, den nächsten Schritt zu gehen.
Um etwas an seiner momentanen Situation zu ändern, muss man sich als erstes richtig über sie im Klaren sein und da, denke ich, bist Du schon sehr weit:

Du kannst Deine Gefühle sehr gut beschreiben.
Du weißt, seit wann Du Dich schlecht fühlst und kannst bestimmte Ereignisse damit verknüpfen.
Du weißt, wer in Deinem Umfeld Deine negativen Gefühle steigert.
Du kannst detailliert beschreiben, was Dich an dem Verhalten Deiner Mutter stört.
Du weißt, in welchen Situationen Du Dich gut fühlst.
Du hast Pläne, auch, wenn Du sie noch nicht umsetzen kannst.

Besonders auffällig finde ich das Verhalten Deiner Mutter. Was treibt sie dazu, so hinter Dir her zu sein? Warum fehlt ihr so sehr das Vertrauen in Dich und Deine Fährigkeiten? Und warum klammert sie so an Dir? Und mit Klammern meine ich nicht unbedingt ein sorgenvolles "Pass auf", sondern ihr Bedürfnis ständig über Dich und Dein Verhalten sprechen zu müssen, anstatt sich auf sich selbst und wirklich hilfsbedürftige Personen zu konzentrieren.
Dass Du Dich nach langen Diskussionen, Befehlsketten und Vorwürfen, niedrig und als Versager fühlst, kann ich verstehen. Wahrscheinlich geht das jedem so, der sich so etwas ständig anhören muss: auf der Arbeit, vom Partner oder eben von den Eltern. Schon als Kinder brauchen wir positive Anerkennung, um Selbstvertrauen in uns und unsere Fähigkeiten entwickeln zu können. Ein Kind zum Beispiel kann halt einfach noch kein tolles Gemälde malen, braucht aber den positiven Zuspruch der Eltern um Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und die Motivation aufzubringen, weiterzumalen und dadurch auch besser zu werden. Ähnlich ist es jetzt bei Dir. Du bist 20, gerade mit der Schule fertig und stehst vor der großen Aufgabe, Dein eigenes Leben aufzubauen mit der Suche eines geeigneten Studiums, einem möglicherweise bevorstehenden Auszuges, dem Finden der eigenen Person und der Stellung in der Gesellschaft. All das erfordert viel Kraft und Geduld, vor allem aber auch Mut, denn es ja nicht leicht, von zuhause raus und die große Welt zu kommen. Warum also nimmt Dir Deine Mutter genau das, was es bräuchte um mit Zuversicht und Motivation da raus zu gehen? Will sie nicht, dass Du gehst? Auch, wenn es ihr nicht bewusst zu sein scheint, aber ich glaube, ihr Verhalten ist ihre Art und Weise Dich noch etwas an sie zu binden, Dich nicht loslassen zu müssen.

Das Verhältnis zur eigenen Mutter ist sehr sehr wichtig für unsere Entwicklung und sehr wichtig für den Umgang mit anderen und vor allem uns selbst. Ein positiver Zuspruch von anderen kann in uns Wunder bewirken. Nicht an uns zu glauben und das auch deutlich zu machen, bewirkt auch genau das - wir fühlen uns wie Versager und füllen damit genau die Rolle aus, die uns zugeschrieben wird. Und genau von dieser Rolle müssen wir uns lösen um endlich unser Leben so führen zu können, wie wir es auch wollen und nicht, wie es von uns erwartet wird. Und ich denke, dass Du dazu das Potential hast und bist Dir ja auch schon im Klaren darüber, dass es Dir besser geht, wenn Du Abstand zu Deiner Mutter hast und Dich dem Studium widmest. Und das ist auch der richtige Weg. Versuche Dich erstmal von Deiner Mutter zu distanzieren und sammle so viel positive Rückmeldungen wie möglich. Die müssen Dir gegenüber nicht direkt ausgesprochen werden, aber es reicht vielleicht schon, wenn Du den Unterricht im Seminar voranbringst, wenn Du Stoff aus dem Studium verstanden hast und anderen erklären kannst, wenn Du Dich für irgendwas engagierst. Lass Deine Mutter erstmal nicht an Deinen Erfahrungen in Deinem Studium teilhaben - das gehört nur Dir ganz alleine. Da hat Deine Mutter nichts zu suchen. Je größer die Welt wird, die Du Dir für Dich selbst aufbaust und von der Du Deiner Mutter nichts erzählst, desto sicherer wirst Du auch im Umgang mit Dir selbst und irgendwann, wenn Du Dich bereit fühlst, kannst Du vielleicht auch wieder das Vertrauen fassen und Deine Mutter an Deinem Leben teilhaben lassen.
Ich denke aber auch, dass es sinnvoll und wichtig ist, dass Du ihr sagst, wie es Dir damit geht, wenn sie immer so auf Dir rumhackt und was das bei Dir bewirkt. Vielleicht ist es sogar besser, es in einem Brief zu schreiben statt in einem Gespräch zu sagen, denn dann muss sie Dich auch "ausreden" lassen und Du hast die Zeit, Deine Gedanken und Worte zu sortieren.

Im Folgenden würde ich Dir gerne noch ein oder zwei Übungshefte empfehlen:
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Ich hoffe, ich konnte Dir ein wenig helfen und wünsche Dir alles Gute!

Viele Grüße,

Anna