Problem von Merve - 16 Jahre

Ich kann nicht mehr

Hallo,

ich habe ein Problem, dass eigentlich schon mein ganzes Leben da ist, aber auch wenn ich immer gedacht habe, dass es mit dem alter besser wird und ich lerne, endlich damit umzugehen habe ich in letzter Zeit immer mehr das Gefühl, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will.

Am besten fange ich ganz von vorne an. Meine Mutter wurde kurz vor meiner Geburt von meinem Vater vor die Tür gesetzt und hatte auf der Autofahrt zu ihrer Mutter einen Unfall. Dieser Unfall hat praktisch alles zerstört, sie ist seitdem schwerbehindert, auch wenn sie noch laufen kann leidet sie extrem unter den Folgeerscheinungen und statt das es ihr besser geht, wurde es über die Jahre immer schlimmer, eben weil immer mehr Folgeerscheinungen dazu kamen. Noch dazu kann sie nicht mehr arbeiten, da sie erst 25 war, als sie den Unfall hatte, bekommt sie nur sehr wenig Rente.

Als ich kleiner war, hab ich das kaum wahrgenommen, doch natürlich habe ich mit der Zeit gemerkt, dass es meiner Mutter nicht wirklich gut geht. Sie ist wegen der Schmerzen oft schlecht drauf, in letzter Zeit wird es immer schlimmer. Ich traue mich kaum mehr, sie anzusprechen, weil ich nicht weiß, ob sie normal oder schlecht drauf ist, es gibt Tage, da verzeiht sie mir alles und andere Tage, da fährt sie mich wegen der kleinsten Kleinigkeiten an. Dann will ich nur noch weg und schäme mich gleichzeitig für diesen Wunsch, sie ist schließlich meine Mutter und sie kann nichts dafür, dass es ihr mies geht... Trotzdem freue ich mich jedes Mal, wenn ich zur Tür hinaus gehe und habe ein schlechtes Gefühl, wenn ich zurück komme.

Dann ist da noch das finanzielle. Bis vor zwei oder drei Jahren hat es mich nicht sonderlich gestört, dass ich nie etwas neues bekommen habe, aber inzwischen hat sich das auch schon in der Schule ausgewirkt, dass ich dort die einzige bin, die nur in Second-Handsachen rumläuft. Ich weiß eigentlich, dass man auf so etwas keinen Wert legen sollte. Es gibt immer Menschen, denen es mieser geht. Aber trotzdem habe ich jedes Mal das Gefühl, gleich heulen zu müssen, wenn andere aus meinen Kursen erzählen, wo sie im Urlaub waren oder was sie geshoppt haben das teuerste, was ich in den Ferien unternommen habe war ein Eis für zwei Euro. Ich habe so wie so schon Probleme, Freunde zu finden und auf andere zuzugehen, dieses finanzielle macht mich noch unsicherer, weil ich das Gefühl habe, alle um mich herum haben etwas, was ich nicht habe.

Mein Vater ist das nächste. Ich hatte früher Kontakt zu ihm und habe nach einem Selbstmordversuch meiner Mutter auch drei Monate bei ihm gewohnt. Danach bin ich wieder zu meiner Mutter gezogen, einerseits, weil mein Vater mir immer deutlich gezeigt hat, dass meine kleine Halbschwester für ihn Vorrang hat und andererseits auch, weil ich weiß, dass meine Mutter noch mal versucht hätte, sich umzubringen, wenn ich bei meinem Vater geblieben wäre. Meine Mutter hasst ihn über alles. Sie verbietet mir den Kontakt zu ihm nicht, seine Nummer ist im Telefon eingespeichert und ich könnte jederzeit mit dem Zug hinfahren, aber immer, wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir wie Verrat an meiner Mutter vor. Sie hat ihn so oft vor mir schlecht gemacht, dass ich nach den drei Monaten bei ihm angefangen habe, ihr zu erzählen, wie schrecklich es bei ihm gewesen sei. Ich habe so lange behauptet, ihn selbst auch zu hassen, dass ich eine Zeit lang wirklich daran geglaubt habe. Aber zur Zeit merke ich immer mehr, dass ich ihn vermisse, obwohl er meine Halbschwester immer bevorzugt hat und ich für ihn eher eine Last war. Doch es ist jetzt sechs Jahre her, dass ich ihn gesprochen habe, selbst wenn ich mich trauen würde, anzurufen, wüsste ich nicht, was ich sagen sollte. Zwischendurch gab es mehrere Gerichtsverhandlungen wegen Unterhalt, bei denen meine Mutter ihm höchstwahrscheinlich klargemacht hat, dass ich ihn auch hasse.

Auch habe ich in letzter Zeit immer mehr Angst um meine Zukunft. Ich möchte Informatik studieren und würde das theoretisch wahrscheinlich auch schaffen, da ich derzeit einen ziemlich guten Schnitt in der Schule habe und auf ein Hochbegabtengymnasium gehe, aber ich weiß, dass meine Mutter mich finanziell garantiert nicht unterstützen kann. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass mir alles zu viel ist, wie soll ich da ein Studium plus Nebenjob schaffen? Und ich habe Angst vor dem Tag, an dem ich von Zu Hause weggehe. Ich habe Angst, dass so ein Anruf kommt wie vor sechs Jahren, wo ich bei meinem Vater war und mir gesagt wurde, meine Mutter sei in der Psychiatrie wegen Selbstmordversuch. Oder dass sie es beim nächsten Versuch schafft. Aber meine Mutter erwartet von mir, dass ich studiere, sie selbst hatte einen sehr guten Abischnitt und hat studiert, wäre der Unfall nicht gewesen, würde sie jetzt wohl ein Krankenhaus leiten und müsste sich um Geld keine Gedanken machen.

Ich kann mit meiner Mutter einfach nicht darüber reden, weil ich sie nicht noch mehr belasten möchte. Sie hat mir mal an einem ihrer schlechteren Tage offen ins Gesicht gesagt, dass ich der einzige Grund bin, dass sie das alles noch nicht beendet hat. Außerdem fühle ich mich immer schlechter, weil ich mit daran schuld bin, dass es ihr so schlecht geht, einerseits weil sie wegen meinem Vater und auch mir viel mehr Stress hat, außerdem wäre der Unfall damals nie so schlimm gewesen, wäre sie nicht mit mir hochschwanger gewesen. Wäre ich nicht, wäre sie vielleicht wieder komplett gesund geworden. Gerade in letzter Zeit mache ich mir auch immer mehr Sorgen um ihre Psyche. Sie geht nicht mehr zu ihrem Psychiater, weil sie Angst hat, wieder eingewiesen zu werden und weigert sich, länger ins Krankenhaus zu gehen, obwohl es bisher immer geklappt hat, wenn ich mal eine Woche alleine zu Hause war.

Und ich kann auch mit niemand anderem reden, weil ich kaum Kontakte habe. In der Grundschule hatte ich große Probleme mit Mobbing, so dass ich kaum auf andere zugehen kann, ich kann keine Gespräche anfangen, selbst wenn ich mich dazu zwingen will schaffe ich es einfach nicht, andere Menschen anzusprechen, auch wenn es nur um einfache Dinge geht, außer ich kenne sie gut. Ich verstehe mich selbst in dieser Hinsicht nicht, da ich seit der fünften Klasse nur noch selten Probleme mit Mobbing hatte und meine Klasse sich immer bemüht, mich zu integrieren, egal wie still und abweisend ich manchmal unfreiwillig bin. Jetzt habe ich mich verliebt und weiß nicht, was ich tun soll, wer will schon ein Mädchen, dass nur in uralten Sachen rumläuft, verheult in die Schule kommt, aussieht wie eine Magersüchtige und es nicht schafft, ein einfaches Gespräch anzufangen? Er weiß wahrscheinlich nicht mal meinen Namen, obwohl wie jede Woche in einer Tischtennis-AG miteinander spielen. Ich habe schon so oft versucht, ihn anzusprechen und stand am Ende trotzdem nur da und habe den Ballwechsel verhauen, weil ich mich über mich selbst geärgert habe, dass ich wieder nur geschwiegen habe.

Ich kann einfach nicht mehr. Ich freue mich morgens, wenn ich das Haus verlasse und diese Freunde hört wieder auf, sobald ich die Schule betrete. Ich habe Angst um alles, um meine Mutter, um meine Zukunft, dass mein Vater wirklich denkt, ich hasse ihn. Ich habe das Gefühl, ich lebe völlig isoliert von anderen Menschen, ich habe keinerlei Kontakt zu anderen Verwandten als meiner Mutter und kaum jemanden in der Schule, mit dem ich rede. Ich habe einfach das Gefühl, mein ganzes Leben sei dazu gemacht, mich zu testen, als würde irgendjemand jeden Tag etwas neues dazuzaubern um mich runterzuziehen, um zu gucken, wie lange ich noch aushalte. Ich muss mich inzwischen zwingen, etwas zu essen, weil ich nie Hunger habe und jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich nur die Person, die das Leben meiner Mutter zerstört hat.

Vielen Dank an denjenigen, der sich durch diesen Text durchquält, es tut mir leid, dass er so lang geworden ist. Aber es tut gut, sich alles von der Seele zu schreiben. Irgendwie habt ihr mir schon damit ein wenig geholfen, dass ich einfach mal alles aufschreiben konnte.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Merve,

man kann deine Geschichte von zwei Seiten sehen.

Von einer Seite - von da aus, von wo du sie betrachtest - stellt sie sich so dar: Du bist ein sechzehnjähriges Mädchen, die von Anfang an das überflüssigste Kind der Welt war. Das Elend fing schon vor ihrer Geburt an, weil ihre Mutter einen Unfall hatte, dessen Folgen sie durch die Schwangerschaft noch dramatischer empfinden musste, als sie es ohnehin schon waren. Als sie zur Welt kam, musste ihre Mutter endlose Gefechte wegen Unterhalt und Umgang führen, rieb sich daran noch mehr auf, und ist inzwischen nur mehr ein freudloses Geschöpf ohne Hoffnung. Und was macht ihre Tochter? Sie hat zwar gute Noten, aber sie freut sich klammheimlich, wenn sie aus dem Haus geht, sie sehnt sich nach ihrem Vater, obwohl ihre Mutter so viel für sie getan hat, und sie kriegt nicht mal ihr Liebesleben und ein paar vernünftige Kontakte auf die Reihe.

Tja, Merve - was für ein unnützes, undankbares, ekelhaftes, verdorbenes Mädchen du doch bist! DAS ist es, was man nach DEINEM Text offenbar denken soll. Jedenfalls ist er so geschrieben, dass ich annehmen muss, dass du dieses Bild von dir selbst hast.

MEIN Bild von dir ist ganz anders. Merve: Ihr Vater, der ihre hochschwangere Mutter vor die Tür gesetzt hat, und nicht einmal nach ihrem Unfall und deiner Geburt in der Lage war, zu ihr zu stehen, und sich nicht angemessen um dich kümmern wollte. Deine Mutter, in persönlichen und beruflichen Dingen zurückgeworfen, um ihre Träume gebracht, deren Leid du schon als Kind (und Kinder sind IMMER unschuldig!) mitansehen, und an dem du doch nichts ändern konntest. Deine Mutter, die in ihrer schlimmen Lage gar nicht anders kann, als dich an ihrem Schmerz mittragen zu lassen, und um die du dich dennoch sorgst, für die du Verständnis hast, derentwegen du dir Vorwürfe machst. Du selbst, die so viele persönliche Bewährungsproben bestehen musste, mit so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte - und die trotzdem große Pläne für ihr Leben hat, erfolgreich in der Schule ist.

Das sind unsere beiden Meinungen. Ich sehe dich als jemanden, die allen Grund hätte, mal etwas stolz auf sich zu sein - du siehst in dir jemanden, die es besser nie gegeben hätte. Aber nichts, worunter du je zu leiden hattest, liegt in deiner Verantwortung, Merve. Du hast dir nicht ausgesucht, in welche Familie du geboren wurdest, du hast dir deine Mitschüler nicht ausgesucht - und du hast dir auch nicht ausgesucht, dass du als Mensch auf die Welt gekommen bist, und nicht als Engel. Es ist kein Widerspruch, dass du einerseits ehrliches Mitleid und Sorge um deine Mutter fühlst, und andererseits erleichtert bist, wenn du aus der gedrückten Atmosphäre eurer Wohnung nach draußen kommst. Es ist etwas Menschliches. Und menschlich ist es auch, hin- und her gerissen zu sein zwischen Hoffnungslosigkeit und Überlebenswille, zwischen Schuldgefühl und Wut, zwischen Sehnsucht und Hass auf etwas. Ich weiß nicht, wie es mir gehen würde, hätte ich meine zwei Geschwister nicht, und hätte nie erlebt, wie einer von den zweien mir mal vorgezogen wird, oder nach einem Streit Recht bekommt - und hätte stattdessen schon als Kind die Krankheit meiner Mutter zu schultern gehabt, für die sie nichts kann, die wir ihr auch nicht vorwerfen möchte, und die doch mehr ist, als man als Kind erfassen und stemmen kann. Würde ich nicht vielleicht auch Gefallen daran haben, wenn ich zu meinem Halbgeschwister käme, und zu meinem Vater, der ihn oder sie zwar bevorzugt, aber in dessen Haus immerhin ein gut Teil mehr Normalität herrscht, als bei mir daheim? Und würde ich nicht, obwohl ich ihn manchmal heftig ablehnen würde, manchmal, wenn es meiner Mutter sehr schlecht geht, Sehnsucht nach dieser harten, aber immerhin eindeutigen Wirklichkeit haben? Ich denke schon, Merve. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, was du fühlst, und du musst dich deswegen nicht schuldig fühlen. Wenn dein Vater dir etwas verbietet, weißt du, gut, ich bleibe heute Abend im Zimmer, und das Thema ist erledigt. Wenn deine Mutter weint und du stehst dabei, weißt du - ich könnte jetzt gehen, wohin ich will, machen was mir nur einfällt, es hat keinen bestimmten Grund, es hört nie auf, sie kann es selbst kaum erklären? Ich bewundere dich dafür, dass du diese schwierige Situation so gut gemeistert hast. Vielleicht erwiderst du mir jetzt: Mir blieb ja auch nichts Anderes übrig. Ja, ich weiß - aber aus dir hätte nicht so ein nachdenklicher, selbstkritischer, reflektierter Mensch werden müssen. Oder wärst du lieber, wie dein Vater ist? Würdest du lieber jemand sein, die um die Häuser zieht, sich in Schwierigkeiten bringt, um zu vergessen? Das sind Möglichkeiten. Nur sind sie nicht real geworden. Deine Mutter kann sehr stolz auf dich sein - und ich denke, sie ist es auch, auch wenn sie es selbst nicht ausdrücken kann. Warum sonst solltest du ihre einzige Motivation bedeuten? Doch sicherlich auch, weil sie noch erleben möchte, wie aus dir, die du so viel Gutes in dir trägst, noch etwas wird? Diese Hoffnung hätte ich persönlich auch, Merve.

Für die Finanzierung deines Studiums gibt es vielfältige Möglichkeiten: Hast du dich schon einmal informiert, ob du BaföG bekommen kannst? Oder einen Studienkredit aufzunehmen? Hab keine Angst: Das System rechnet auch durchaus damit, dass nicht jeder sein Studium von Haus aus bezahlen kann. Vorerst setzt du aber besser Prioritäten: Ich denke, es ist zuviel verlangt, wenn du schon den zweiten Schritt vor dem ersten geplant haben möchtest. Willst du nicht erst einmal Abitur machen, mit den Ergebnissen, die du dir wünschst oder die es braucht? Vielleicht hast du bis dahin schon andere Pläne für die Zeit direkt nach dem Abi, möchtest ein Praktikum machen oder ein duales Studium. Du wirst es schaffen, was du dir vorgenommen hast, da bin ich ganz sicher - aber es bringt dich auch nicht weiter, wenn du dich schon weit vor der Zeit vollkommen verrückt machst. Es ist ja auch ganz nachvollziehbar, wenn man Angst empfindet, vor dem Auszug von zuhause - und wenn es soweit ist, wird dir das womöglich mehr zu schaffen machen als das rein Praktische, das ich dir absolut zutraue. Auch deshalb ist es wichtig, dass du wieder etwas an Stabilität zugewinnst. Durch die Situation deiner Mutter, der du dich nicht entziehen kannst, wird das erschwert. Du solltest dir stets vor Augen halten, dass du nicht alles von dir verlangen darfst, was Andere in deinem Alter und Lebensabschnitt leisten können - denn für sie gibt es diese zusätzliche Belastung nicht. Es ist sehr ehrenvoll, wie du dich um deine Mutter sorgst, doch du solltest auch nicht vergessen, dass dadurch bei dir Kräfte gebunden werden; du kannst nicht erwarten, dass du immer und in allem funktionierst. Wenn du die Möglichkeit siehst, mit deiner Mutter über deine Bedenken zu sprechen, möchte ich dir raten, das zu tun. Allerdings ist auch wichtig: So wenig wie sonst irgendjemanden, so kannst du auch deine Mutter zu nichts zwingen. Es ist unter Umständen gefährlich, wenn du, weil du glaubst, ihr gegenüber eine Schuld abgleichen zu müssen, dir aufbürdest, ihre Probleme aus der Welt zu schaffen. Dieser Wunsch ist zwar edel, aber eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Daneben solltest du nie vergessen, dass sie ihre eigenen Entscheidungen trifft. Wenn du dich in dem verzweifelten Versuch, ihr zu helfen, selbst am Leben hinderst, ist am Ende niemandem geholfen. Versuche, ihr zu helfen, wenn du einen Weg siehst - aber schütze dabei auch immer dich selbst, und wisse, wann deine Mittel ausgeschöpft sind.

Zu deinem Schwarm möchte ich dir dieses sagen: Weißt du wirklich, wie es in ihm aussieht? Weißt du wirklich, ob nicht auch er sich jedes Mal, wenn ihr euch gegenüber steht, denkt: "Mein Gott, sie ist ja so süß... aber sie wirkt so distanziert und verschlossen, sie verbirgt etwas... wie kann ich ihr näher kommen?" Lachst du jetzt, Merve? Dann lache. Du kannst aber nicht beweisen, dass ich nicht Recht habe. Wir sprechen nicht von "heiß", wir sprechen von "schön". Und schön kann ein Junge viele Mädchen finden, auch solche wie dich, die ihrer eigenen Aussage nach unscheinbar oder gar hässlich sind. Schönheit ist keine Kategorie, die durch Cover-Models festgelegt wird; diese sind zunächst mal... nun ja, rein, makellos, ästhetisch. Mit einem anderen Wort, sie sind Puppen. Und eine Puppe ist etwas Anderes als ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit verwuschelten Haaren und Pickeln und einem Herzen, mit Ärger und Tränen, und einem besonderen Lachen und weichen Händen. Und einen solchen Menschen möchte man doch im Arm halten, keine Larve? Siehst du. Und ebenso geht es auch Jungs. Ich kann dir nicht sagen, wie es in ihm aussieht - es kann für dich positiv sein, oder auch sehr unschön. Aber lass dich nicht entmutigen: Eine Frau mit Charakter kann ihren Prinzen finden, und ich glaube wirklich, dass du so jemand bist. Erinnere dich an meine Worte, wenn du ihm das nächste Mal gegenüber stehst - vielleicht wirst du ihn ja maßlos überraschen. Wer weiß? Niemand, wenn du es nicht in Betracht ziehst. Ich verstehe, dass es schwer ist. Doch auch wenn du dich noch nicht überwinden kannst, möchte ich dir diese Worte mitgeben für die Zukunft: Schönheit, das ist der Mensch. Und kein Titelfoto. Ich würde sagen, das volle Leben, das bist auch du, oder? Auch wenn du es nicht leicht hattest und hast. Deshalb besteht Hoffnung. Auch und gerade in der Liebe.

Warum dein Vater sich so verhält, wie er es tut, das muss er mit sich selbst ausmachen. Es ist eigentlich unterste Schublade. Was deine Mutter betrifft, machst du dir zu Recht Gedanken, weil sie die Hilfe zurückweist, die ihr doch nur gut tun soll - doch zwingen kannst du sie auch nicht. Und auch, wenn du dir schwer tust, das einzusehen, weil du sie tagtäglich leiden siehst: Du hast ihr Leben nicht zerstört. Es ist begreiflich, dass sie sich fühlt, als ob es nicht mehr weiter geht. Wer wollte es ihr verdenken? Doch du bist weder die Ursache dafür, noch hast du an irgendetwas Schuld. Denn du stehst für sie ein, du kümmerst dich, du kämpfst - und dennoch stößt du an deine Grenzen. Das ist nur zu menschlich. Es liegt in deinem Ermessen, wieweit du so leben kannst, wie du glaubst, dass es ihrem Wunsch entspricht; aber irgendwann, und das soll keine Kritik an deiner Mutter sein, kommt der Punkt, an dem du dich und sie unterscheiden musst. Sonst reibst du dich selbst auf. Was deine Mutter sich für dich wünschen kann, ist doch nur, dass du ein glückliches Leben führst? Vielleicht soll auch dein Vater seinen Platz darin haben. Das musst und darfst du ganz allein entscheiden. Auch wenn er sich nicht aufrichtig verhalten hat, Blutsbande sind eben mehr, und das Gefühl, dass da jemand da ist, der dein Papa ist. Wenn er sich als unangenehm erweist, dann wirst du es merken. Aber das ist immer noch besser, als sich insgeheim den Kontakt zu wünschen, aber nie zu knüpfen, weil du es deiner Mutter nicht antun willst - und sich immer zu fragen, ob es nicht ganz schön hätte sein können. So einfach ist die Welt eben nicht, dass man sagen könnte: "Hier ist das Gute, da das Böse. Hier ist der Heilige, dort das Ekel." Zärtlichkeit und Grausamkeit mischen sich in den Menschen, und nicht jeder, der Unrecht erfährt, muss deshalb immer gerecht denken und handeln. Was zwischen deinen Eltern war, das muss deine Meinung nicht abbilden; du musst deine eigenen Erfahrungen sammeln. Und vielleicht kann das für deine Mutter auch ein Zeichen sein, dass es weitergehen muss, weil du erwachsen wirst, weil die Welt nicht still steht, auch wenn man selbst gelähmt ist, in doppelter Hinsicht? Wenn du den Weg ins Leben gehen möchtest, musst du Risiken auf dich nehmen - auch das Risiko, Fehler zu machen. Auch das, geliebte Menschen zu enttäuschen. Wenn du deinen Sehnsüchten und Gefühlen folgen möchtest. Sie sind nämlich genauso rein und berechtigt wie die jedes Anderen auch - und du bist zu wertvoll, um sie für immer und ewig hintenan zu stellen. Das mag für eine Weile gut gehen, aber wenn du deine Kräfte überspannst, wirst du dabei verbittert und kraftlos werden. Lass also das Menschliche in dir zu: Dass du Schwächen hast. Dass es den moralischen Weg überhaupt nicht gibt, sondern dass du Entscheidungen treffen musst, die sich aus dir selbst ergeben. Nur wer wagt, gewinnt. Und du bist es wert, zu gewinnen, glaub mir.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul