Problem von Ms. Unbekannt - 20 Jahre

Wichtigster Begleiter verschwunden

Hallo,

ganz kurz einmal zu meiner Person. Ich bin 20 Jahre alt, habe mein Abitur gemacht und lebe zur Zeit in Japan, um ein freiwilliges soziales Jahr in einer Tageseinrichtung für Menschen mit Behinderung abzuleisten. Die Arbeit erfüllt mich vollkommen und es ist für mich eine der besten Entscheidungen, die ich bisher getroffen habe. Mit genug Freunden und Ansprechpartnern bin ich eigentlich auch gesegnet, wäre da nur dieses nicht ganz so kleine Problem, dass mich seit Februar diesen Jahres verfolgt.

Für andere mag das vielleicht kein großes Problem sein. Möglicherweise ist es schwer nachvollziehbar, dennoch werde ich mich in den folgenden Zeilen ein wenig erklären.

Mein Teddybär ist verschwunden, ob er geklaut wurde, weiß ich nicht.

Er ist für mich das wichtigste Objekt, dass ich besitze. Ich habe ihn, seit ich etwa 4 Jahre alt war - kann mich noch genau daran erinnern, wie ich ihn damals bei Galeria Kaufhof ausgesucht habe. Er war der Einzige, dessen Schleife nicht richtig hing und ich habe mich damals vollkommen in ihm verliebt. Meine Mutter wollte ihn mir nicht sofort geben, aber ich habe sie so lange genervt, bis ich ihm am nächsten Morgen schließlich bekommen habe. Von da an habe ich ihn überallhin mitgenommen. Er war mein Beschützer, wenn ich schlief und ich habe ihm alles erzählt - was man vor Freunden oder Verwandten geheim hält, weil es einem peinlich oder in irgendeiner anderen Weise unangenehm ist. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich geweint habe, als er mir einmal im Park auf den Boden gefallen ist und gewaschen werden musste - dadurch wurde der vertraute "Ich"-Geruch durch den Geruch eines blumigen Waschmittels ersetzt. Wochenlang habe ich schlecht geschlafen, ehe er wieder meinen vertrauten Geruch angenommen hat.

Das Kuscheltier, Bäri, hat alles miterlebt. Sieben kranke Wochen Scharlach in der dritten Klasse, Streitereien mit Freunden, Ablehnung von Klassenkameraden in der zehnten Klasse, meine Magersucht mit 15 Jahren, Familientragödien (auf die ich nicht weiter eingehen möchte) meine erste einseitige Liebe, Klausurenstress, Abiturstress, erste vergeigte Fahrprüfung, Bewerbungen für FSJ's , der Flug nach Osaka und das erste halbe Jahr eines Jahres, dass mich in jedem Fall prägen wird. Nicht zu vergessen sind all die glücklichen Erinnerungen, die ich mit ihm geteilt habe. Im Moment fallen mir leider nur die Dinge ein, in denen ich ihn am meisten gebraucht habe.

Ich kann gar nicht erklären, wie viele Tränen dieser Teddy gesehen hat, wie oft ich an ihm gerochen habe, um mich zu beruhigen und wie oft er meine Träume beschützt hat. Ich kann nicht in Worte fassen, wie wichtig er mir ist.

Es ist jetzt drei Monate her, seit ich ihn in Hiroshima verloren habe und seit dem Zeitpunkt schlafe ich nicht richtig - es sei denn, ich habe getrunken und da ich einigermaßen verantwortungsvoll mit dem Thema Alkohol umgehe, kommt das nicht so häufig vor. Ich muss mich manchmal in den Schlaf weinen. An anderen Tagen habe ich einfach das Gefühl, als hätte ich ein Loch in meiner (merkwürdigerweise) rechten Brustkrebs. Ich habe das Gefühl, als hätte ich eine wichtige Konstante verloren. Manchmal zieht mir der vertraute Geruch in die Nase und mir wird ganz flau bei dem Gedanken, dass ich ihn nie wieder richtig riechen kann.

Ich bin 20 Jahre alt, auf der Schwelle zum Universitätsleben, nicht wenig Freunde, mangelndes Selbstbewusstsein und Einsamkeit (weil ich noch nicht mein wichtigstes Puzzlestück gefunden habe), ... und vermisse meinen Teddy so sehr, dass es mir wirklich, wirklich wehtut.

Dieser Text kann in meinen Augen nicht ausdrücken, wie sehr ich dieses für andere Menschen grausam riechende, zerquetschte, in die Jahre gekommene Kuscheltier vermisse.

Ich habe mit Freunden über das Thema gesprochen. Natürlich haben sie Mitleid mit mir. Sie verstehen mich auch, weil auch viele von ihnen einen ähnlichen Gegenstand mit demselben Wert besitzen. Dennoch können sie mir nicht helfen. Ich weiß, dass ich nur mir selbst helfen kann, allerdings weiß ich nicht wie.

Das ist der Grund, weshalb ich mich an jemanden wende, die/der mich nicht kennt und dieses Problem vielleicht aus einer ganz anderen Sichtweise beurteilen kann.

Es wäre schön, wenn ich den einen oder anderen Ratschlag bekommen könnte, wie ich mit meinem Problem umgehen kann.

Alles Liebe aus dem Land der aufgehenden Sonne,

Ms. Unbekannt

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Ms. Unbekannt,

als ich dein Problem las, musste ich erstmal die paar Stufen zu meinem Bett hochsteigen. Unter einem der kleineren Kissen habe ich mein Kuschelkissen hervorgezogen und dran gerochen. (Es liegt da, damit es nicht zufällig jemand sieht, der das komisch finden könnte.)

Das Ding ist uralt - also, so alt wie ich. 21. Es gibt Fotos, auf denen es neben mir im Krankenhausbettchen liegt. Damals war es noch makellos, inzwischen hat es schon den dritten Bezug und ist - ehrlich gestanden - auch nicht mehr wirklich an einem Stück. Aber trotzdem ist es wichtig, auch wenn ich nicht mehr so danach verlange, wie als Kind. Als ich klein war, mochte ich gern, dass der Stoff sich kalt anfühlt. Was Kühles im warmen Bett, das hatte irgendwie etwas...meine Mutter hatte es einmal sogar in den Kühlschrank gelegt, damit sie mich zum Schlafen kriegt.

Ich kenne niemanden persönlich, der zu einem Stück Stoff eine so lange und enge Beziehung eingegangen ist. Kuscheltiere hatte jeder, den ich kennen gelernt habe, aber sie haben manchmal gewechselt oder wurden abgelegt. Es ist sehr berührend, deine Geschichte zu lesen - und ich glaube, auch ich wäre fertig, wenn mein Kuschelkissen verloren ginge. Nachdem ich das von dir weiß, werde ich ihm wohl mal wieder ein neues Kleid geben - damit die Reste sich nicht verabschieden... das ginge mir nahe.

Stell dir vor, dein Teddy wäre ein echtes Tier gewesen: Ein Hund oder eine Katze. Dann hätte dieses Tier jetzt ein hohes Alter erreicht, und wäre gestorben. Auch dann trauert man - aber man weiß irgendwie, dass es so sein muss. Und dass das Tier alles hatte, was es im Leben freuen konnte. Und was noch hinzu kommt: Es werden neue junge Katzen und Hunde geboren. Sie können einem nicht exakt dasselbe geben, aber den Platz würdig einnehmen. Wenn man ein neues Tier will. Dein Teddybär dagegen war einzigartig. Man kann ihn nicht nochmal kaufen. Er ist geadelt durch das, was ihr zusammen erlebt habt - und so wie dein Leben sich nicht wiederholt, kann auch diese besondere Beziehung so nicht nochmal entstehen. Er ist fort. Und das auch noch jetzt, wo du in einem weit entfernten Land bist. Natürlich fühlst du dich dort wohl - aber dennoch war dein Teddy in Japan ja auch ein Stück Heimat. Ich denke, ich kann mir vorstellen, wie verzweifelt du bist. Leider kann ich diesen Schmerz auch nicht von dir nehmen. Ich frage mal was ganz Anderes: Würde es dir nicht komisch vorkommen, wenn du morgen aufwachen würdest, und nicht mehr traurig wärst? Ist es nicht auch angemessen, wenn du deinem geliebten Teddybären diese Zeit widmest, so wie du es auch tun würdest, wenn ein Familienmitglied stirbt? Denn das war er ja im Grunde. Die Trauer hat ein Gutes: Sie vergewissert dich, dass er dir wichtig war. Was sie nicht leichter erträglich macht, das ist allerdings auch wahr.

J. R. R. Tolkien (ja, der mit "Herr der Ringe") hat unter Anderem auch eine Geschichte namens "Roverandom" geschrieben. Sie handelt von den Abenteuern eines Spielzeughundes - weil sein kleiner Sohn genauso einen verloren hatte, und er ihn trösten wollte. Vielleicht willst du sie mal lesen? Wenn du noch ein Kind wärst, dann würde ich dir vielleicht so eine Geschichte erzählen. (Denn dein Teddybär ist doch lebendig, oder? Er ist doch mehr als Stoff?) Also, wer kann schon wissen, wo er jetzt hingegangen ist? Du stehst am Anfang eines ganz neuen Lebensabschnitts - oder besser, bist längst mittendrin. So Vieles hast du erlebt und erlitten - Schmerz und Krankheit, Magersucht, Trauerfälle; überall hat dein Teddy dir zur Seite gestanden. Und jetzt schau dich an: Du hast große Pläne, wirst bald dein Studium beginnen, du meisterst die Zeit in Japan super - mit einem Wort, du kannst wirklich stolz auf dich sein. Du bist erwachsen geworden. Wie würdest du dich fühlen, wenn du ihn bei einem zukünftigen Umzug vergessen würdest, und dann nicht mehr wiederfinden könntest? Wenn, sagen wir, dein zukünftiger Freund ihn in fünf Jahren aus Versehen zum Sperrmüll geben würde? Angenehmer als jetzt wären auch diese Situationen auch nicht. Vielleicht sogar noch ernüchternder. Denn unter den jetzigen Umständen ist dein Teddy in Japan geblieben. Wenn du zurückkehrst, dann bist du ein anderer Mensch - das wird dir, wenn du wieder in Deutschland bist, jeder sagen. Egal, wann: Es wäre dir immer schwer gefallen, den Bären gehen zu lassen. Ihn zu verabschieden. Natürlich hättest du das nicht gewollt - doch es hätte durch einen blöden Zufall stets passieren können. Nun ist es passiert. Und weil das so ist: Ist der Moment in deiner Geschichte nicht ein würdiger? Er hat das gewusst. Er wusste, dass du trauern würdest. Aber er wusste auch, dass du es ohne ihn schaffen könntest, hat es dir zugetraut.

Wenn du heimkommst: Vielleicht kaufst du dann einen anderen Bären. Aber du bewahrst ihn auf, für dein erstes Kind, wenn du Kinder möchtest. Oder um ihn jemandem zu schenken, den du sehr gern hast. Vielleicht das Kind einer guten Freundin? Das eine, ganz besondere Wesen kann dir nicht wiedergegeben werden. Aber du kannst Zeichen setzen, dass er nicht vergessen ist, und Zeichen auch dafür, dass es weitergeht. Denn wir waren mal Kinder, aber wir werden erwachsen... und Kinder erleben ihre eigenen Geschichten. Es gibt ja nun den berühmten Satz von Erich Kästner: "Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch!" Und das stimmt auch. Aber trotzdem gibt es den Übergang, und der ist voller schmerzhafter Einschnitte. Was du erlebst ist einer davon. Es ist nur natürlich und verständlich, dass du um deinen Teddy trauerst. So wie beim Verlust eines geliebten Menschen, des Partners oder eines Verwandten, oder eines Freundes, so kann dieser Schmerz auch immer wieder kommen. Das ist, oberflächlich betrachtet, erst einmal schlimm. Doch es wird dir immer aufs Neue zeigen, dass du ein Stück weit ein Kind geblieben bist - und damit das Wichtigste verwirklicht hast, was von einem erwachsenen Menschen erwartet werden kann. Schäme dich nicht dafür - sei stolz, dass du diese besondere Bindung immer in deinem Herzen tragen wirst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul