Problem von Anonym - 17 Jahre

Papa weint wegen Krankheit

Hallo, mein Papa weint oft (natürlich heimlich), aber ich bekomme es trotzdem mit. Er hat einen Herzklappenfehler und so weit ich weiß ist dieser unheilbar bzw. wird dieser nicht behandelt. Mein Papa weiß, dass er daran sterben wird und hat uns das gesagt. Wann genau das sein wird, weiß ich nicht. Er behauptet zwar immer mit tränen in den Augen, dass er mir noch bei der Fahrprüfung helfen wird (in knapp 2 jahren), aber so sicher ist er sich da glaub selber nicht.
Meine Frage: Wie kann ich damit umgehen? er ist oftmals sehr schlecht gelaunt und einfach traurig und ich weiß überhaupt nicht, wie ich darauf reagieren soll. ich will ihn auf keinen fall so früh verlieren, aber noch mehr beschäftigt mich, wie ich es anstellen kann, dass es ihm nicht mehr so schlecht geht. er tut mir so leid und ich finde so unfair dass er diesen dummen Herzklappenfehler hat. Ich bin deswegen selber meist schlecht drauf, weil er mich (ungewollt) damit herunterzieht und wenn er mir dann lebenweisheiten sagt, wie "du sollst im hier und jetzt leben" oder "lebe doch mal dein leben, statt dir um alles sorgen zu machen" dann macht mich das so fertig dass ich auf der stelle weinen könnte. was ich oftmals auch mache, was er aber nicht mitbekommt.
Ich hoffe, ihr versteht so halbwegs meine situation. ich wäre euch mehr als dankbar, wenn ihr mir weiterhelfen könnt!
Liebe Grüße

Johannes Anwort von Johannes

Liebe Anonyme,

ich weiß nicht, ob du von mir Beileidsbekundungen hören möchtest - wahrscheinlich, dass du sie in letzter Zeit sehr oft zu hören bekommst. Jedes Mal muss es dich, so gut es gemeint ist, erneut an die grausame Tatsache erinnern, dass dein Vater nicht mehr lange zu leben hat. Ich habe einige Zeit verstreichen lassen, um über dein Problem nachzudenken, und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich dich sehr bewundere. Es ist nicht nur bewundernswert, mit welcher Fassung du es noch immer trägst, sondern auch, dass du dich in dieser Situation nicht verschließt und darüber nachdenkst, wie du deinem Vater sein schweres Los erleichtern kannst. Ich habe mir das Eine oder Andere überlegt, wie es vielleicht etwas einfacher für dich und für ihn, ja, für euch als Familie werden könnte, den allmählichen Abschied zu schultern. Selbstverständlich kann ich, da ich nicht in einer annähernd so schwierigen Situation bin, deine Gefühle nicht wirklich nachempfinden; aber ich glaube, da aus deinen Zeilen ein großer Schmerz und auch eine große Opferbereitschaft spricht, ist es in Ordnung, wenn ich dir all das mitteile.

Ich möchte zunächst auf das eingehen, was du über die Bemerkungen deines Vaters - zum Beispiel seine Aufforderung, du solltest lieber in der Gegenwart leben - gesagt hast. Du schriebst, dass es dich, so gut es von ihm gemeint ist, eher runterzieht. Hast du mit deinem Vater darüber gesprochen? Denn wenn nicht, gehe ich davon aus, dass es von seiner Seite nur gut gemeint ist. Er weiß ja, dass ihr alle bemüht seid, euren Schmerz einerseits in den Griff zu bekommen, andererseits ihn nicht so damit zu behelligen. Was meinst du nun, was für deinen Vater einfacher ist? Zu merken, wie du dem, was er sich wünscht, immer weniger nachkommen kannst (was er ohnehin weiß)? Oder zu spüren, wie wichtig er für dich ist, dass er in dir jemanden zurücklassen muss, die sehr an ihm hängt? Ich würde schätzen, es gibt sich nicht viel. Denn wenn es dem Ende noch näher entgegen geht, werden auch für deinen Vater Tage kommen, an denen er wirklich die Fassung verliert, an den ihn nicht nur Trauer, sondern auch Angst vor dem bevorstehenden Tod beuteln. Vielleicht ist es einfacher für ihn, in solchen Momenten zu merken, dass sein Schmerz geteilt wird. Denn - so denke ich mir - ihm müssen alle möglichen Gedanken durch den Kopf gehen: Was wird nach seinem Tod werden? Wird es euch gut gehen? Auch an alles, was er noch gerne erlebt hätte, wird er wohl denken: Vielleicht hat er im Geiste schon deine Kinder, seine Enkel, vor sich gesehen, und wie er mit ihnen spielt? Er muss sich nicht nur von dem verabschieden, was ist, sondern auch von dem, was noch hätte werden können. Stirbt man im hohen Alter, lebenssatt, mag es sein, dass man dem Tod eher erleichtert entgegen sieht, weil er weiteres Leiden erspart; möglicherweise auch erleichtert, weil er ein Wiedersehen mit lange vermissten Freunden, Verwandten, Eltern und Geschwistern verspricht. Deinen Vater reißt das Schicksal weit vor der Zeit aus dem Leben, und fassungslos fragt man sich, wie das sein darf. Man weiß es nicht - doch es ehrt dich sehr, dass du trotzdem versuchen möchtest, diese Zeit für ihn leichter zu machen.

Mein Rat ist der: Verdränge das, was vor sich geht, nicht. Genauso, wie es keinen wirklichen Gewinn darstellt, wenn du jede Träne krampfhaft vor ihm verstecken willst, genauso wird sich das Kommende nicht aus deinen Gedanken verbannen lassen. Und ich denke, auch ihm ist das klar. Versuche, mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen: Je eher ihr euch dem Thema wirklich nähert, desto weniger wird es euch, wenn es ganz nah ist, grausam überrumpeln können. Jetzt ist der Zeitpunkt, von deinem Vater zu erfahren, was er dir gerne fürs Leben mitgeben wollte - was in seinem Leben alles passiert ist, was du schon lange hast wissen mögen. Und es ist auch die Zeit, ihm zu vermitteln, was er für dich bedeutet. Vielleicht kannst du das, was dein Vater für dich ist, in Form von Gedichten, Texten oder Bildern darbringen - als kleines Bändchen vielleicht, das alles versammelt, was er vor seinem Gehen noch wissen soll, und was auch dir hilft, die gemeinsame Zeit noch einmal bewusst zu machen. Und sicher gibt es viele Kleinigkeiten, die die Zeit für ihn noch schön machen können: Was er gern isst, zum Beispiel. Oder ein Ausflug. Vielleicht reicht seine Kraft auch noch hin für eine letzte Reise, es muss nicht weit sein. Es soll auch nicht darum gehen, ihn und euch von allem abzulenken. Im Gegenteil: Wir alle können ja jederzeit, schon morgen, aus dem Leben gerissen werden. Darum ist es so wichtig, und so oft wird das vergessen, jede Stunde wie etwas sehr Kostbares zu behandeln. Die meisten Menschen durcheilen die Tage und leben in dem stummen Bewusstsein, dass noch ein weiterer folgen wird, und noch einer, und noch einer. Was, aber wenn es ganz rasch vorbei sein kann? Dein Vater ist real damit konfrontiert. Das ist entsetzlich, bedrückend, grausam, doch es kann der verbleibenden Zeit eine besondere Qualität geben, wenn man sie zu nutzen weiß.

Hat dein Vater je geäußert, was passieren soll, wenn es soweit ist? Sicher mutet es erst einmal schrecklich an, sich das ganz konkret vorzustellen: Wie wird es sein, wie soll es werden, wenn wir den letzten Weg mit ihm gehen? Wo wird er beerdigt werden, wenn er das möchte? Ich weiß nicht, ob ihr gemeinsam die Kraft aufbringt, das zu thematisieren. Wenn ihr es aber schafft, es ruhig und planvoll zu tun, dann kann das möglicherweise einen kleinen Teil des Schreckens nehmen, den der Tod hat. Es ist eine Sache, zu wissen, dass man von einem sehr geliebten Menschen unwiderruflich wird Abschied nehmen müssen; aber zu wissen, dass er an einem schönen Platz geborgen ist, kann schon sehr tröstlich sein. Weißt du, was du denen, die kommen werden, um Abschied zu nehmen, noch sagen willst? Welche Lieder er vielleicht hören möchte? Gibt es etwas, das du ihm noch gern versprechen möchtest? Etwas, das dir sehr leid tut? Etwas, wofür du danken möchtest? Oder auch - etwas, das er dir noch dringend beantworten soll, dass dich belastet? Auch das mag sein. Zunächst scheint es unrichtig, ihn darum anzugehen, doch ich könnte mir vorstellen, dass darunter Manches ist, das anzusprechen er sich selbst nicht traut. Die Zeit, die jetzt ist, und die als nächstes kommt, wird geprägt sein von Schmerz, von Wut auf das Schicksal - und sicherlich auch von Angst. Aber es ist möglich, sie zu einer sehr intensiven, bewusst erlebten Zeit zu machen, die in der Rückschau auch von Dankbarkeit und Nähe geprägt ist. Ich vertraue auf dich, und dass du die innere Stärke hast, zu tun, was für dich und für deinen Vater, für euch alle, am besten und sinnvollsten ist. Niemand sonst kann es sagen - auch ich biete nur kleine Anregungen, Anregungen eines Menschen, der zumindest in seiner engeren Verwandtschaft einen solchen Fall noch nicht erlebt hat. Du magst es annehmen, oder unbedeutend finden, es ist ganz bei dir; aber du sollst wissen, dass ich in diesem Moment an dich denke, meinen Hut vor dir ziehe und dir von Herzen alles Gute wünsche.

Liebe Grüße,

Paul


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Liebe Unbekannte,

ich freue mich wirklich sehr, dass du dich mit deinem Problem an uns gewandt hast.

Zunächst einmal möchte ich dir mein tiefstes Mitgefühl ausdrücken. Es ist ganz schrecklich zu wissen, dass der eigene Vater krank ist, sogar so krank, dass er in absehbarer Zeit nicht mehr da sein wird. Eine solche schwierige Situation löst nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch bei den Beteiligten viele negative Gefühle aus, wie z.B. Angst, Trauer, Verzweiflung, Wut ...

Ich verstehe deine Situation nicht nur halbwegs. Ich weiß, wie beschissen du dich fühlst, denn eine Familienangehörige von mir leidet momentan unter einem bösartigen Krebs, an dem sie definitiv sterben wird. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Anders als bei dir steht sie mir sicherlich nicht so nah wie mein Vater. Dennoch ist eine solche Situation einfach nur scheiße, wenn ich das mal so deutlich schreiben darf.

Leider kann ich an dem Gesundheitszustand deines Vaters nichts ändern, obwohl ich es wirklich gerne tun würde. Jedoch möchte ich gerne versuchen, dir ein paar Tipps zu geben, wie du mit dem Problem besser umgehen kannst.

Verbringe so viel Zeit wie möglich mit deinem Vater. Wenn er körperlich dazu in der Lage ist, unternehmt etwas gemeinsam. Rede mit ihm. Sei für ihn da. Manchmal hilft es auch, wenn man gemeinsam weint. Sicherlich ist es nicht unbedingt sinnvoll, dies heimlich zu tun, wobei ich mir vorstellen könnte, dass man ab und zu auch für sich trauern möchte.

Aber bitte kümmere dich darum, dass auch für dich jemand da ist, der dich auffangen kann und bei dem du dich ausheulen kannst. Fällt dir da jemand ein, der nicht unbedingt zur Familie gehört, also z.B. eine gute Freundin, ein Pastor oder der Vertrauenslehrer an deiner Schule?

Auch, wenn es sehr schwierig ist, solltet ihr euch in der Familie gegenseitig so viel Kraft wie möglich geben. Damit meine ich, dass Gespräche nicht nur zwischen dir und deinem Vater stattfinden, sondern nach Möglichkeit sowohl alleine als auch mit deiner Mutter gemeinsam. Ich möchte euch dringend ans Herz legen, sämtliche Familienangehörige mit ins Boot zu holen, die euch nah stehen.

Wenn du mal mit einer neutralen Person reden möchtest, kann ich dir die TelefonSeelsorge empfehlen, die rund um die Uhr von ausgebildeten Seelsorgern besetzt ist. Selbstverständlich stehen alle Mitarbeiter der TelefonSeelsorge unter Schweigepflicht und der Anruf ist kostenlos.
http://www.telefonseelsorge.de/

Darüber hinaus kannst du eventuell gemeinsam mit deinen Eltern überlegen, ob es sinnvoll wäre, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil ich irgendwo denke, dass sich der/die Betroffene sowie die engsten Familienangehörigen in einer solchen Situation, für die es definitiv kein happy-end gibt, sich selbst beraten lassen sollten und sich mit der Frage beschäftigen, wie man damit umgehen sollte, ohne dabei selbst vor die Hunde zu gehen.
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html

Zuletzt möchte ich dich noch auf unsere Soforthilfe "Wie gehe ich mit dem Tod um?" aufmerksam machen.
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/13/Wie-gehe-ich-mit-dem-Tod-um.html

Liebe Unbekannte: In deinem letzten Satz hast du geschrieben, dass du uns mehr als dankbar wärst, wenn wir dir weiterhelfen können. Leider ist es mir nicht möglich, eine Lösung für das Problem zu finden, mit der alle Beteiligten zufrieden sind. Aber ich hoffe, dass ich dir wenigstens ein bisschen Kraft geben konnte.

Wenn ich dir noch etwas Gutes tun kann, kannst du dich selbstverständlich jederzeit gerne bei mir melden, denn ich bin gerne für dich da.


Herzliche Grüße,

Johannes