Problem von Johannes - 21 Jahre

Schlechter Mensch

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

Ich möchte euch um Hilfe bitten zu einem Problem, welches mich schon länger beschäftigt aber ich nicht weis, was ich dagegen tun soll und wie ich damit umgehen soll. :(
Mein Problem wurde mir gestern bewusst durch meine Freunde. Wir saßen in einer Bar zusammen, mit meiner Cousine. Bei meiner Cousine war ein Freund von ihr, den sie schon länger kennt. Er wollte mehr als Freundschaft, aber sie hat ihn bei Annäherungsversuchen immer abgewiesen. Er hat sie nicht belästigt, genervt oder angemacht - er war wie ich mehr der zurückhaltende Typ, der lieb und nett ist. Jedenfalls fiel das meinen Freunden auf, auch als sie mal kurz "spazieren" gehen wollten und fragten mich, ob ich nicht hinterher gehen will. Ich fragte mich wiso? Weil ich keine bedenken hatte das er sich gegen ihren willen an sie ranmacht oder so und ich wollte auch kein Stalker sein oder mich da einmischen, was mich nichts angeht. Aber meine Freunde erklärten mir, das es mich sehrwohl etwas angeht, weil sie meine Cousine ist und ich dem Typen mal die Meinung sagen soll. Er hat mir dann erstmal erklärt, warum Familie so wichtig ist und das man zusammen hält und so. Und ein anderer Freund meinte auch, dass wenn seine Cousine mit einem Typ weggehen würde, dass er ihm auch erstmal die Meinung sagen würde. Also sie wollten ihm so sagen: "Das ist meine Cousine mit der du da weggehst und mach nichts dummes oder pass gut auf sie auf sonst hast du ein Problem mit mir." Wir waren zu dem Zeitpunkt noch 5 Leute in der Bar (mit mir) und alle meine Freunde waren der selben Meinung :( Ich habe mich dann mit einem Freund bisschen darüber unterhalten und ich bin halt einfach nicht der Typ der so etwas macht oder kann - ich bin nicht männlich genug :( Ich persönlich bin durch mein früheres Mobbing und die Dinge, die mich kaputt gemacht haben ein ziemlich lieber, netter, zurückhaltender Mensch geworden, der sehr leicht verletzlich ist und nur ein sehr geringes Selbstvertrauen bzw Selbstwertgefühl hat. Mein Freund hat mich versucht dazu ermutigen, wenn er wieder kommt ihm die Meinung zu sagen aber ich konnte das nicht und alle 4 meiner Freunde waren darüber etwas... sauer/enttäuscht? Ich weis nicht... sie haben mir gegenüber dann auch ihren Unmut zu verstehen gegeben und ich war selber unzufrieden und traurig über mich selbst. Ich bin, wie gesagt ein sehr lieber, netter, zurückhaltender Junge, der sehr leicht verletzlich ist und kein Selbstwertgefühl hat. Sobald mich jemand beleidigen würde, trifft mich soetwas und macht mir schon zu schaffen. Mir fehlt diese "ist mir egal" Einstellung. Ich schweige lieber und fresse alles in mich rein und denke mir meinen Teil statt jemanden direkt gegenüber zu treten und ihm meine Meinung zu sagen und das haben meine Freunde an mir kritisiert. Auch ich selber, tief im inneren bin unzufrieden mit mir selbst. Es gibt viele Leute, die ich bewunder und am liebsten so sein würde wie sie z.B. Big Jim (Under the Dome), CM Punk (Heel 2012 - 2013)(WWE), Paul Heyman (WWE), Brock Lesnar (WWE), Reymond Reddington (The Blacklist), Anikin Skywalker (Star Wars),,... Charaktereigenschaften die die haben sind zum Beispiel: kein Mitgefühl, Sich selbst am wichtigsten sein, sich keine Gedanken machen was andere von ihnen denken, Ihr Ding durchziehen, Mutig,... Das sind alles eigenschaften, die ich nicht habe oder eher das Gegenteil und mir ist auch klar, das ich mich selber nicht um 180° verändern kann aber ich möchte mich wirklich gerne verändern, gerade wegen dem Beispiel aus der Bar oben und möchte euch fragen was ihr davon haltet und wie ich mich verändern kann. Soll ich zum Psychater?

Anna Anwort von Anna

Lieber Johannes,

vielen Dank für Dein wiederholtes Vertrauen uns gegenüber und ich hoffe, dass ich Dir ein wenig weiterhelfen kann mit meiner Antwort.

Ich kenne Deine Cousine natürlich nicht, aber wenn ich mir überlege, ich wäre sie, dann wäre ich doch sehr froh, dass Du mir weder hinterher gekommen bist, noch diesen Freund irgendwie zurechtgewiesen hast! Du schreibst, er ist ein Freund von ihr - dann bedeutet das, dass auch wenn sie nichts von ihm will, sie ihn doch mag und es sicher nicht schön gefunden hätte, wenn er vor allen Leuten so bloßgestellt geworden wäre. Vor allem, weil er doch eher der zurückhaltende und schüchterne Typ ist, der sich keiner Frau aufdrängt. Er hat ja ein Recht auf seine Gefühle und solange er Deine Cousine nicht belästigt, sehe ich da keinen Grund, ihn irgendwie anzumachen. Ehrlich gesagt finde ich die Einstellung, die Deine Freunde da vertreten, sowieso sehr konservativ, veraltet und übertrieben. Deine Cousine ist eine freie Frau, die mit weggehen kann, mit wem sie das möchte und solange sie in keiner Form belästigt wird, gibt es keinen Grund ihren Begleiter darauf hinzuweisen, dass sie "deine" Cousine ist und er gefälligst die Finger von ihr lassen soll (was er ja sowieso tut). Deine Cousine gehört ja niemandem, Dir genauso wenig wie Deinen Freunden, und sie ist als erwachsener Mensch durchaus dazu in der Lage selbst mit verschmäten Verehrern klarzukommen.
Also - es war nicht feige oder schlecht von Dir, diesen Freund nicht doof anzumachen, sondern es war tugendhaft und vernünftig. Du hast als erwachsener Mann die Situation für Dich richtig eingeschätzt und befunden, dass Deine Cousine nicht in Schwierigkeiten ist und diese Meinung auh trotz der Reaktion Deiner Freunde vertreten. DAS ist mutig - etwas nicht zu machen, auch wenn alle auf einen einreden. Und Deine Cousine ist Dir sicher dankbar, dass Du weder sie noch ihren Begleiter bloßgestellt hast. Ich wäre es auf jeden Fall. :-)
Das Verhalten Deiner Freunde klingt für eine Außenstehende wie mich eher danach, dass sie irgendwie eifersüchtig auf den Typ waren und Deine Cousine, die ja das einzige Mädchen in der Gruppe war, nicht teilen wollen. Auf jemandem rumzuhacken, der schüchtern und zurückhaltend, wenn nicht gar unsicher wirkt, ist natürlich sehr einfach. Deine Freunde sind die, die feige sind, wenn sie Dich vorschicken und ihm nicht selbst die Meinung sagen können.

So viel zu der eigentlichen Situation, aber es ist ja nicht nur diese Situation, weshalb Du Dich schlecht fühlst. Mir scheint, es fällt Dir sehr sehr schwer, Dich selbst zu akzeptieren. Als wärst Du ständig hin und hergerissen zwischen Männlichkeitsidealen, Ängsten und Deiner Moral. Du bist kein schlechter Mensch. Nach allem, was Du so schreibst, finde ich im Gegenteil, dass Du ein sehr guter Mensch bist. Überlege doch mal, was einen Mann eigentlich auszeichnet. Stärke hast Du bewiesen - Du hast Deine Cousine nicht bloßgestellt. Du hast Mut bewiesen, denn Du hast entgegen der Meinung Deiner Freunde und nach DEINEM Gefühl gehandelt. Du hast aber auch Einfühlungsvermögen, Diskretion, Solidarität und Charakter bewiesen. Ich finde, das sind Dinge, die einen Menschen ausmachen. Ich weiß nicht, ob es wirklich Frauen gibt, die auf trottelige Machoidioten stehen, die wie Primaten jeden Schwächeren direkt runtermachen oder wie Tiere ein Revier abstecken müssen, wonach jede Frau ihnen gehört. Sowas ist einfach nur peinlich. Und ich finde es schön, dass Du nicht peinlich bist.
Du hast wie jeder Andere auch Deine Schwächen und Macken und wahrscheinlich ist es Deine größte Macke, dass Du Dich nicht annehmen kannst, wie Du bist. Aber ich denke, dass es weit schlimmere Dinge gibt, die einen Menschen makelhaft erscheinen lassen. Ich kenne auch Deine Freunde nicht näher, aber ich frage mich, ob SIE Dich so annehmen wie Du bist. Fühlst Du Dich bei ihnen wohl? Fühlst Du Dich mit Dir selbst besser, wenn Du bei ihnen warst/ bist oder fühlst Du Dich danach noch elender?
Was auf jeden Fall ein toller Kick fürs Selbstbewusstsein ist, egal, ob Mann oder Frau, ist Sport. In Deinem Fall vielleicht sogar am besten Kraftsport. Dabei geht es nicht darum, eine bestimmte Figur zu bekommen, sondern lediglich darum, zu spüren, wie man sich verbessert und immer schwerere Gewichte heben kann. Dass man merkt, dass man stärker wird und sich irgendwie sogar im Vergleich zu anderen stärker fühlen kann. Was meinst Du?
Ob Du zu einem Psychologen musst, kann ich nicht beurteilen. Aber Du kannst Dir sicher sein, dass es in einer Therapie auch darum gehen wird, Dich selbst so anzunehmen, wie Du bist und nicht Dich zu verändern. Du kannst Dich mal um einen Termin kümmern - die ersten 5 Termine hat man immer fei - und dann ihn entscheiden lassen, ob es notwendig ist oder nicht. Vielleicht hilft es Dir ja wirklich und Du findest durch eine Therapie mehr zu Dir. Einen Versuch wäre es wert. Aber hinschicken, so nach dem Motto - ja, unbedingt! - will ich Dich nicht.

Ich wünsche Dir alles Gute und wenn Du noch weitere Fragen hast, schreib einfach wieder. :-)

Viele Grüße,

Anna