Problem von Anni - 19 Jahre

2. Schreiben zu : Abschied - Opa wird bald sterben/ An JuliaZ

Liebe JuliaZ,

ich danke dir für deine Antwort. Mein Opa ist am 10.09.16 verstorben. Eigentlich hat sich kein besonders tiefgründiges Gespräch ergeben, aber ich war oft dort, obwohl ich mich frage, ob ich nicht noch häufiger hätte gehen sollen.
Am 09.09. habe ich ihn das letzte Mal gesehen, ich bin keine 24h vor seinem Tod gegangen. Es hatte viel mit Zufall zu tun, dass ich nochmal da war. Ich hatte an diesem Freitag zufällig ausnahmsweise eine halbe Stunde eher Schluss und als ich nach Hause gelaufen bin, habe ich meine Tante getroffen, die ich eine halbe Stunde später wohl nicht mehr gesehen hätte. Sie hielt mit dem Auto an und hat mir unter Tränen erzählt, wie es meinem Opa geht. Gerade hatte sie frisch gekaufte Lätzchen im Auto. Ich antwortete ihr, dass ich wie gewöhnlich am Wochenende vorbeikäme und ging nach Hause. Dort ließ mir das Gespräch mit meiner Tante keine Ruhe. Und beschloss ich zu meinen Großeltern zu gehen. Ansonsten bin ich nie freitags, sondern immer samstags oder sonntags gegangen... Bei meinen Großeltern war ich bei der letzten Mahlzeit meines Opas dabei: Es gab eine Suppe, die meine Oma ihm verabreicht hat. Er wollte sie eigentlich gar nicht essen, aber meine Oma hat sie ihm Löffel für Löffel gefüttert. Ich saß auf seinem Krankenbett und habe an seiner Schulter das Lätzchen festgehalten, denn es klebte nicht wirklich gut. Dann hat sich mein Opa wieder hingelegt und ich habe seine Hand gehalten. Meine Eltern waren auch mit, meine Vater hatte Tränen in den Augen. Er sagt, an dem Tag hat mein Opa uns nicht mehr erkannt. Aber ich weiß zumindest, dass er gespürt hat, dass jemand da war, denn als ich seine Hand losgelassen habe, um wieder nach Hause zu gehen, da hat mein Opa die Augen geöffnet und er sein Gesichtsausdruck hat sich auch verändert, als ich ihn auf die Wange geküsst habe und als ich anfangs seine Hand genommen hab. Zumindest die Berührungen hat er noch wahrgenommen. Gesprochen hat er nicht mehr viel. Das hat ihn zu sehr angestrengt. Er hat nur noch gesagt, dass er bloß noch atmen will und er hat meiner Oma gesagt, dass er keinen weiteren Löffel Suppe wollte.
Am nächsten Tag rief meine Tante frühs unter Tränen an und verlangte, dass mein Vater sofort rüberkommen sollte. Allein. Mein Vater ging rüber und nach einer Weile klingelte das Telefon. Ich ging ran. Mein Vater sagte: "Es ist vorbei." Später erfuhren wir, dass seine Schwester ihn angerufen hatte, als Opa bereits tot war. Meine Oma und meine Tante waren im Haus. Sie haben im Nebenraum gefrühstückt.
Das Wochenende haben wir so gut wie komplett bei meiner Oma verbracht. Mein Opa wurde nochmal angezogen und eingecremt. Er blieb in seinem Krankenbett bis Sonntag Abend liegen und seine Kinder und Enkel schauten teilweise nochmal für den Abschied vorbei. Mir fiel es schwer zu gehen, solange er noch da war, und so habe ich von Samstag zu Sonntag bei meiner Oma übernachtet. Auch wenn das Wochenende sehr traurig war, war es doch sehr schön. Wir haben viel geweint, aber auch gelacht.
Es war ganz anders, als ich gedacht habe. Vor zwei Jahren, als eine Klassenkammeradin von mir verstorben ist, konnte ich kaum aufhören zu weinen und nach dem "warum" zu fragen. Ich habe erfahren, welche Pläne sie noch hatte und musste daran denken, wie schlimm es für ihre Familie und Freunde erst sein musste. Auch wenn ihr Tod nicht unerwartet kam.
Ich hatte etwas Ähnliches vom Tod meines Opas erwartet. Habe gedacht, dass es noch schlimmer werden würde. Tatsächlich ist es aber friedlicher. Auch wenn ich finde, dass man heutzutage älter als 77 werden kann, weiß ich, dass er ein relativ langes, erfülltes Leben hatte. Und anders als meine Klassenkammeradin, hat er nicht nur Spuren im Sinne von Erinnnerungen hinterlassen. Er hat Menschen hinterlassen, die ohne ihn nicht auf der Welt wären. Da sind einmal seine 4 Kinder, dann seine 8 Enkel (ich bin das 8. Enkelkind) und dann noch seine 7 Urenkel. Friedlich ist es auch, weil wir alle sehen konnten, wie er gelitten hat und wir ihm zwar einerseits noch ein langes Leben gewünscht hätten, aber ihm auch den Tod "gönnen".
Ich bin überzeugt, dass der Tod meines Opas mich auf ganz andere Weise als der meiner Klassenkammeradin prägen wird. Ich weiß, dass ich ihn viel mehr vermissen werde. Und ich weiß, dass dieser Tod in gewisser schlimmer für mich sein wird. Aber es wird immer irgendwo ein friedliches Gefühl bleiben, statt dieser Wut, diesem Unglauben, dieser Unruhe, die ich schon kenne.
Genau zwei Wochen vor seinem Tod war mein Geburtstag, den ich bei meinen Großeltern gefeiert habe. Ich wusste, dass es der letzte mit meinem Opa sein würde, und ich bin dankbar dafür, dass er nicht vor meinem Geburtstag gestorben ist.
Am Reformationstag hat er Geburtstag, und wir werden diesen Tag mit der Familie feiern. Ich bin gespannt, wie das wohl werden wird. Ich hoffe nicht allzu schwierig. Vollständig habe ich den Tod meines Opas immer noch nicht realisiert.
Angst habe ich vor Weihnachten. Am ersten Weihnachtsfeiertag besuchen wir immer meine anderen Großeltern, aber Heiligabend haben meine Eltern und ich immer mit den Eltern meines Vaters verbracht. Manchmal waren mein Onkel und meine Tante noch dabei, manchmal auch noch ein Cousin, manchmal auch das ein oder andere Urenkel meiner Großeltern, oft waren es nur meine Eltern meine Großeltern und ich. Aber seit ich denken kann, waren meine Großeltern immer dabei. Mein Opa hat mir am letzten Heiligabend schon gesagt, was er sich dieses Jahr von mir wünscht.

Nochmals vielen Dank, insgesamt geht es mir recht durchwachsen. Manchmal muss ich weinen, meistens verläuft alles völlig normal, ich denke jeden Tag an meinen Opa, aber habe noch nicht realisiert, dass er tot ist.

Lg, Anni

JuliaZ Anwort von JuliaZ

P.S

1. Zuschrift: http://mein-kummerkasten.de/324762/Abschied-Opa-wird-bald-sterben.html


Hallo meine Liebe :)

Ich habe mich sehr gefreut, als dein Schreiben bei mir einging, wieder von dir zu hören. Vielen lieben Dank, das Du dir die Mühe und Zeit genommen hast, noch einmal zu schreiben um zu erläutern, was aus deinem damaligen Schreiben wurde. Vielen Dank also dafür schon einmal vorweg.

Zusätzlich mein Beileid und Beste Wünsche für dich und deiner Familie. Ihr habt nun mit einem Schicksal zu kämpfen, womit wir alle früher oder später konfrontiert werden. Daran gibt es nicht viel gutes, aber es ist Gut, das Er nicht mehr hat weiter leiden müssen. Und wir können Hoffen oder Glauben, das Es Ihm jetzt besser geht. Wo auch immer, er nun sein wird. Im Herzen seiner Mitmenschen bleibt er ja aufjedenfall noch sehr lange Zeit hängen. In deinem Herzen, wird er sicherlich dein ganzes Leben bleiben und wenn Ich lese, wieviele Menschen Er hinterlassen hat, dann bin ich mir fast sicher, das Er seinen Platz auf der Erde wundervoll genutzt hat und ein sicherlich schönes Leben - trotz Sicher Hürden und Tiefen verbracht hat.

Du hast alles getan und ihn so oft besucht, wie es möglich war - nehme dir da keine Schuld an. Er ist doch im Frieden von dieser Welt gegangen. Du selbst hast da keine Schuld, wie oft, oder wie wenig du Dort warst. Du hast ihn dir immer wieder in Erinnerung gerufen und bist immer wieder dort zu Ihm und deiner Großmutter gegangen. Das ist toll, das Das funktionierte. Sei dankbar für diese Erfahrung mit welcher Du nun in dein weiteres Leben geschickt wirst. Du hast einen dir Lieben Menschen verloren. Das ist grausam und zieht einen runter. Aber was hast Du nun daraus mitgenommen? Was hast du gelernt?

Lass uns kurz ein kleines Gedankenexperiment wagen. Versetze dich gedanklich kurz in deine Kindheit und Jugend zurück. Was hast du wohl alles von deinem Opa gelernt? Was hat Er dir auf dem Weg mitgegeben. Großeltern sind immer etwas anderes, als Die Eltern. Dort gibt es andere Grenzen und einen anderen Umgang miteinander. Wir alle sollten uns ab und zu besinnen: Auch wir sind irgendwann alt. Wollen doch dann von unseren Kindern und Enkeln gut behandelt werden. Vielleicht erlangen auch Wir irgendwann Urenkel. Wer kann das schon sagen? Du kannst Nun in die Welt blicken und weißt, das Du einen Menschen an deiner Seite hattest, dessen Verlust dir wahrlich und verständlich schwer fällt. Das kann dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Klar, auch Tränen, aber ist das nicht das Leben? Wir Lachen und wir Weinen? Wir Stehen auf und Fallen wieder? und das Alles immer wieder? Es ist noch viel in deinem Leben da. Du hast immer etwas um dich, woran du dich festhalten kannst. Menschen oder Taten. Vielleicht auch Du selbst, kannst deine Stütze sein? Oder?

Deine Trauer wird sich verändern. Die Zeit heilt wirklich nicht alle Wunden, aber so einige. Du weißt, was Dir sein Leben gebracht hat. Und nun kann dir auch sein Sterben etwas bringen. Dein Opa spürte, das er Nicht alleine war? Ist das nicht schön?

Wenn Ich sterbe, dann möchte Ich im Kreise meiner liebsten Menschen sein.Ich möchte spüren, das Ich bis zur letzten Sekunde meines Lebens ein Leben gehabt hatte. Auch wenn es am Ende nicht mehr voller Leben war, war trotzdem noch etwas bei deinem Opa da - so beschreibst Du mir. Er hat all diese Menschen ins Leben geschickt und nun Leben diese Weiter, mit Ihm im Herzen. Also kann man echt sagen, er ist Tot? Er ist woanders. Wo er weiterhin in eurem Herzen steht. Tot ist nichts tröstliches, aber der Gedanke an das Weiterleben durchaus, verstehst Du?

Nun geht das Leben natürlich weiter. Das ganze ist nun über 6 Wochen her. Nun ist der Alltag wahrscheinlich wieder eingekehrt. Auch wenn Es trotzdem schmerzt. Einige Sachen müssen nun trotzdem weiter gehen und müssen weiter einen in die Normalität zurückschicken. Es wird weiter wehtun, wenn Du an ihn denkst. Vielleicht noch lange - das weiß Ich nicht. Wir alle werden älter und dann sind meist unsere Großeltern diejenigen, die aus unserer Familie als Erstes gehen. Manchmal kommt die Natur und das Leben dazwischen - aber grundsätzlich sollte dies so sein.

Wenn ich mich an meine Großmutter und Ihren Tod zurückerinnere:

Klar, Ich kann auch heute noch mit Traurigem und fröhlichem Auge auf Sie zurückschauen. Aber eines fiel mir auf. Je länger die Zeitspanne wurde, die Ich von Ihrem Todestag mich entfernte, je mehr verschwamm Sie aus meinem Gedächtnis. Die Stimme blieb, Das Aussehen bleib leicht verschwommen auch. Ich weiß meist nur noch die Gefühlslage, die ich in einigen Entscheidenden Momenten meines Lebens verspürte, wenn Sie bei mir war. Ich kann aber nicht mehr sagen, wie Ihre Nase zu Ihren Augen und Ihrem Körper Proportioniert waren. Die Proportionen verschwinden als Erstes aus den Gedanken. Habe dazu mal einige Studien gelesen. Aber der Mensch an Sich bleibt. Auch dein Opa bleibt.

Vielleicht stehst Du in 10 Jahren da und erzählst deinem Kind, was dein Opa für ein Mensch gewesen ist. Und lernst Du nun aus diesem Verlust für die Nächsten Verluste? Jeder Verlust ist anders. Aber unser Leben konfrontiert und meist mehr als 1 mal mit dieser Erfahrung. Es kann dich jetzt eigentlich nur Stärker machen.

Du weißt nun schon, was dein Opa sich diesen Heiligabend von dir gewünscht hätte? Wer sagt eigentlich, das wir Menschen die nicht mehr unter uns sind, nicht beschenken können? Kann ein Geschenk für Ihn dieses Jahr vielleicht sein, das Du dir einfach mal 10 Minuten Zeit nimmst und Ihm an Heiligabend einen Brief schreibst? Kaufe dir eine kleine Kiste, einen Karton, etwas derartiges. Und dann Schreibst Du ihm all das, was Du ihm dieses Jahr zum Heiligabend sagen möchtest. Vielleicht auch so an seinem Geburtstag? In Briefen kann man oft noch mehr loswerden, als man sagen konnte. Vielleicht ist das eine Idee für dich? Tue das für Dich! Egal was, Tue was für Dich!


Du hast dich gut verabschiedet. Ich wünsche Dir Alles Liebe und Gute. Du kannst gerne Immer schreiben, wenn Dich etwas beschäftigt, Du Fragen hast, Etwas Loswerden möchtest, oder Du ein Problem hast. Wenn Du in den Titel: An JuliaZ schreibst, landet das dann schnellstmöglich bei mir, falls es an mich gerichtet ist.

Bleibe so Stark !

Julia