Problem von Anonym - 16 Jahre

Meine Vergangenheit macht mir zu schaffen

Hallo...

Ich habe ein sehr großes Problem.

Ich erzähle jz einfach mal meine ganze Geschichte, denn dann ist es meiner Meinung nach am besten verständlich...


Also alles fing damit an, dass meine leiblichen Eltern sich getrennt haben, als ich 2 Jahre alt war. Daran habe ich natürlich keine Erinnerungen, aber es ist trotzdem wichtig.
Meine leibliche Mutter ist psychisch krank(Borderline) muss ich dazu sagen.
Naja auf jeden Fall hatte sie so ca. ein viertel bis halbes Jahr später einen neuen Freund... Dieser Typ war sehr schlecht zu ihr und auch zu mir.
Eines Tages, da war ich so knapp 3, war ich dann mit ihm alleine, da meine leibliche Mutter zum Psychologen oder so musste. Er sollte auf mich aufpassen und meine leibliche Mutter hat ihm vertraut, aber das war ein großer Fehler, da er mich in ihrer Abwesenheit vergewaltigte. Ich habe daran zwar keine bewussten Erinnerungen, doch es war ein sehr einschneidendes Erlebnis und daher träume ich oft davon oder bekomme sogenannte Erinnerungsblitze.
Mittlerweile weiß ich auch, dass auch meine Mutter davon wusste, oder es irgendwie mitbekommen hat.
Am 03.12.2003 kam ich dann in eine Pflegefamilie. Es war echt schön dort und nach 2 Jahren nahmen meine Pflegeeltern auch noch zusätzlich zu mir und ihrer leiblichen Tochter einen Pflegebruder für uns auf. Die ersten Jahre lief es echt gut.
Aber als ich so ca. 9 einhalb war passierte es...


Ich wachte nachts auf und mein Pflege Bruder lag nackt neben mir in meinem Bett... Ich fragte ihn, was er in meinem Bett machte, aber er antwortete darauf nicht und zischte mir nur noch ins ohr : "schnauze, sonst schlag ich dich tot!" daher traute ich mich nicht irgendwas zu machen...
Bevor er das zu mir gesagt hatte, hab ich noch versucht mich zu wehren, aber danach befand ich mich in einem Trance ähnlichen zustand und konnte nichts mehr machen... Ich spürte nur, wie er seine Hände über all hin gleiten ließ und er zog mir mein Nacht Hemd aus. Er streichelte mich am ganzen Körper und ich konnte nix machen. Ich lag da und ließ es über mich ergehen. Ich dachte, wenn er seinen willen bekommt lässt er mich für immer in Ruhe... Aber da hab ich falsch gedacht. Als er dann irgendwann keinen Bock mehr hatte mich zu streicheln steckte er mir seinen ekelhaften Schw*** rein. Ich hatte solche Angst und es tat so weh!!!
Das tat er dann jede woche so mindestens 5 mal ...
Das ganze ging bis zum sommer 2014...

Dann bin ich an ein Internat gegangen...

Ein Jahr später kam ich ins heim .
Dort wurde ich von den jungen dort sehr oft geschlagen und regelrecht verprügelt...
Das hat meiner psyche echt nicht gut getan und ich bin dadurch depressiv und suizidgefärdet.
Jz bin ich vor nem halben jahr nach X gezogen...
Mir ging es zwischenzeitlich ziemlich gut, und ich war auch in einer Psychiatrie, aber das hat nix gebracht...

Jz weiß ich einfach nicht mehr was ich machen soll, denn meine psychische Lage ist wieder in den Keller gesunken... Ich hoffe sie können mir irgendwie helfen...


Ich bedanke mich jz schon mal im voraus für ihre Hilfe... ;)

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du,

es ist erschreckend zu lesen, was du in deinen jungen Jahren an Grausamkeiten erdulden musstest! Du hast Gewalt in verschiedene Facetten erlebt und das hat tiefe Spuren bei dir hinterlassen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass du zwischenzeitlich auch schöne Lebensphasen hattest, in denen du dich vielleicht ein wenig von den Schrecken der vergangenen Jahre erholen konntest. Ich komme darauf dann noch einmal zurück. Ich schreibe dir erst einmal ein paar allgemeinere Gedanken und versuche dann, dir konkrete Tipps zu geben, welche dir hoffentlich hilfreich sein können.

Ob es nun eine Mischung aus Pech, Versagen deiner Erziehungsberechtigten und so häufig anzutreffender Kombination aus deprimierenden sozialen Verhältnissen, Frust und Aggression gewesen ist, was bei dir zu all diesen verstörenden Vorfällen geführt hat, kann ich nicht sagen. Vielleicht war es alles ein bisschen. Du schreibst zum Beispiel, dass es deiner Mutter auch schlecht ging, das bedeutet für die betroffenen Kinder leider in vielen Fällen nichts Gutes.

Ich habe vor einer Weile von einem mittlerweile erwachsenen Pflegekind erfahren, dass es teilweise sehr schwierig sein kann, mit anderen Pflegekindern zusammenzuleben, da jede:r seine Bürde von zuhause mitbekommen hat. Körperliche und sexualisierte Gewalt sind leider häufig der Anlass, wenn Kinder aus ihren Ursprungsfamilien genommen werden. Die Folge kann sein, dass es unter den Kindern dann zu Übergriffen kommen kann, vor allem dann, wenn sie selbst Opfer massiver Gewalt geworden sind. Es ist das alte Lied von der Gewalt, die Gegengewalt erzeugt. Dein Pflegebruder könnte so ein Fall sein. Denn warum sonst hätte er dich immer wieder vergewaltigt, wenn er diese Form von Machtmissbrauch nicht von sich selbst kennen würde?! Es ist zumindest recht wahrscheinlich, dass er ebenfalls einmal Opfer war und dann zum Täter geworden ist. Das entschuldigt seine Taten jedoch in keinster Weise! Jeder Mensch kann sich aktiv für oder gegen etwas entscheiden. Nur weil man schlimme Sachen erlebt hat, bedeutet das nicht, dass man sich anschließend genau so verhält.

Es gibt dabei so viele traurige Kinder und Jugendliche, es verdient haben, ein glückliches und unbeschwertes Leben zu führen, so wie du. Niemand hat es verdient, so behandelt zu werden und doch passiert es täglich auf`s Neue. Nicht nur in Pflegefamilien, nicht nur in Familien aus prekären Verhältnissen, sondern auch in sozial funktionierenden, bürgerlichen Familien. Gewalt kann überall auftreten und allzu oft bleibt sie unentdeckt oder wird allgemein akzeptiert.

Es liest sich so tragisch, dass du erst eine schöne Zeit bei deinen Pflegeeltern hattest und dann wieder die Erfahrung machen musstest, dass ein anderer Mensch dir Schaden zufügen möchte. Vielleicht ist das die Pech-Komponente, vielleicht aber auch nicht. Das ist letztlich egal. Vielleicht hat dein Pflegebruder, vor allem wenn er selbst mit Gewalt in Kontakt gekommen war, deine innere Verletztheit gespürt und sich davon angezogen gefühlt wie von einem schwarzen Magnet.

Ich möchte einen Punkt hervorheben: Dein Leben war zwar bisher in weiten Teilen geprägt von negativen Erfahrungen und entsprechenden Gefühlen/Gedanken wie Angst, Schuld, Scham, möglicherweise ein "Ich bin nichts wert!" (denn sonst würde man mich ja nicht so behandeln) etc. Da war und ist bestimmt auch die große Frage nach dem WARUM?! in dir, warum wurde MIR das angetan? Warum so oft? Warum schon wieder?! All diese Fragen sind absolut berechtigt und nachvollziehbar. Vielleicht empfindest du auch ganz anders, das ist genauso denkbar. Dass es in irgend einer Weise drückende, lähmende Gefühle sind, ist aber ziemlich klar.
Doch es ist keineswegs deine Vorbestimmung, für immer auf`s Neue vergewaltigt und verprügelt zu werden! Genauso ist es nicht so, dass du nun dein gesamtes Leben depressiv sein musst - vieles ist veränderbar!

Drei Dinge sind mir besonders aufgefallen, die ich für eine Besserung deines psychischen Zustandes für notwendig halte:

1. Du wurdest über die Jahre zwar immer "weitergeschicktt" (von zuhause zu Pflegeeltern, dann ins Internat, dann ins Heim...) und einen Psychiatrieaufenthalt hattest du auch. Doch richtige therapeutische Hilfe, die nur für dich da ist, hast du anscheinend nicht erhalten. Dabei wäre genau das extrem wichtig in deiner Lage! Daher wäre eine Aufarbeitung deiner Kindheitserlebnisse bei einer/einem Psychotherapeut:in, am besten spezialisiert auf Psychoanalyse ganz zentral. Bei deiner Vorgeschichte wäre eine langjährige therapeutische Begleitung ideal, in der es darum geht, dich zu stärken, das Vergangene besser einordnen zu können, dich selbst in deinem Denken, Handeln und Fühlen verstehen zu lernen und achtsam mit dir und deinen Bedürfnissen zu sein.

2. Du brauchst ruhige und geordnete Verhältnisse: Eine stabile Umgebung, die sich nicht dauernd verändert, verlässliche Bezugspersonen, vertrauenswürdige Ansprechpartner:innen.
Ich weiß nicht, wie du momentan lebst, doch da du noch minderjährig bist, wohnst du bestimmt noch bei anderen Pflegeeltern, in einem Heim oder in einer betreuten Wohngemeinschaft. Spätestens wenn du volljährig bist, hast du vollen Einfluss darauf, wie du leben kannst, sodass es dir besser geht. Ich denke, dir würde eine ruhige Umgebung gut tun, in der du dich beliebig oft und lange zurückziehen kannst. Außerdem brauchst du Menschen, die sich um dich sorgen (im Sinne von dir helfen, dich unterstützen) und bei deinen du genau spürst, dass sie dir nichts Böses wollen. Ja, wenn dein Bauchgefühl gut funktioniert, also von dir oft gehört wird, dann lass` es für dich sprechen, wenn du unschlüssig bist. Ziehe dich im Zweifelsfall lieber zurück, als dass du jemand Anderem zuliebe etwas tust, worauf du keine Lust hast oder was dir unangenehm ist!

3. Versuche, das Schöne in dir zu bewahren, alle feinen Erinnerungen an glückliche Stunden und Erlebnisse. Denn diese gab es ja offenbar - und natürlich sind sie in der Gegenwart genauso vorhanden, auch wenn du dich gerade miserabel fühlst. Sie können dir helfen, die niederschmetternden Gefühle etwas in den Hintergrund zu drängen. Suche nach den Dingen im Alltag, welche dir Freude bereiten. Backe einen Kuchen, wenn du Lust dazu hast. Schenke dir und einem lieben Menschen einen Kinoabend, erfreue dich an einem Blumenstrauß. Du wirst merken, was du brauchst, wenn du aktiv danach suchst und es zulässt.

Desweiteren gibt es viele kleine Dinge, die ich dir ans Herz legen kann, beispielsweise mit ausgewählten Freunden lange Gespräche über deine Stimmung, deine Erinnerungen (sofern du das erzählen möchtest), deine Wünsche und Ziele zu führen. Falls dir das zu unangenehm ist, kannst dich auch in einem Forum registrieren und dort online mit anderen Menschen schreiben.Immer eine schöne Sache ist das Führen eines Tagebuchs, denn Schreiben reguliert nicht nur das innere "Durcheinander", sondern fördert auch die Einsicht in eigenes Tun und erleichtert die Seele immens. Genauso ist es mit Sport oder Meditation. Da ist bestimmt etwas Passendes für dich dabei. - Im Rahmen der sehr zu empfehlenden Psychotherapie werden auch viele Übungen und Tipps genannt, die im Alltag hilfreich sein können.

Hier noch zwei Links zu Foren, in denen sich verschiedenen Menschen mit Gewalterfahrung austauschen können:
http://www.gewaltlos.de/forum/
http://www.hab-keine-angst.de/forum.php

Ich möchte dich darin bestärken, nach dem Guten zu streben, nach dem Besten für dich! Es kann sein, dass du links und rechts helfende Hände brauchen wirst, um z.B. die passende therapeutische Hilfe für dich zu finden. Doch im besten Fall wirst du irgendwann deinen Lebensweg selbstständig und befreiter gehen können. Ich wünsche mir sehr für dich, dass genau das wahr werden wird.

Alles erdenklich Gute!
Nuala