Problem von Anonym - 16 Jahre

Ich weiß nicht wer oder was ich bin..

Hey,
Sechszehn, glücklich vergeben und weiblich.
Und genau da liegt das Problem...seit einigen Monaten vielleicht sogar schon länger plagen mich ganz bestimmte Gedanken und auch Gefühle. Wer oder was bin ich..? Wo gehöre ich hin?
Ich fühl mich unwohl in meiner Haut und auch nicht wie ein vollwertiges Mädchen.
Ich weiß es gibt Trans* die halt komplett Junge oder komplett Mädchen sein wollen. Aber so seh ich mich einfach nicht.. Bei Transsexuellen oder anderen ist es ja auch meistens immer so das sie es schon im Kindergarten oder Grundschule merken oder es Anzeichen gibt.
Aber für mich gab es früher nie wirklich diese Anzeichen. Ich habe ab und zu Kleider getragen, wenn auch nicht immer freiwillig.
Ich kann wegen diesen Gedanken manchmal nächtelang nicht schlafen oder fange an zu weinen weil mir einfach alles zuviel wird.
Ich habe mich natürlich viel im Internet "schlau" gemacht.
Geschlechtslos, Nonbinär, Tomboy...aber ich weiß nicht was..einfach ich bin...
Aber bin ich irgendwie nie zu der Erkenntis gekommen was ich bin. Ich weiß man sollte sich nicht in eine Schublade stecken. Aber.. ich möchte einfach Klarheit über mein Leben haben.
Und noch etwas, ich habe noch nicht wirklich mit jemanden offen dadrüber geredet, nur bei einer guten Internetfreundin mal angedeutet.
Ich hab einfach Angst vor den Reaktionen...Angst Freunde oder vielleicht sogar Familie zu verletzen bzw zu verlieren oder zu enttäuschen.
Aber auch irgendwie Angst vor mir selbst..weil ich nicht weiß wie mein Leben sich weiterverlaufen wird..wenn ich den diese Erkenntnis von meinem Leben habe.


Bitte helft mir oder gebt mir einen guten Rat, ich bin am verzweifeln ...

Alisa Anwort von Alisa

Liebe Ratsuchende,

schön, dass du dich mit deinen Sorgen an uns gewendet hast und dir Rat suchst!

Was du da von dir berichtest, scheint dich sehr zu belasten und das kann ich auch gut verstehen. Wir Menschen machen Phasen durch, da wissen wir nicht, wohin wir gehören und wer wir sind. Und manchmal ist das dann noch stärker ausgeprägt, man fühlt sich anders und nicht zu einer Gruppe zugehörig.
Ich kenne das. Da entdeckt man eine Besonderheit an sich und weiß gar nicht damit umzugehen. Man versucht, einen Begriff dafür zu finden, aber das mag nicht so gut gelingen. Dabei hat man das Gefühl, es wäre so viel leichter zu ertragen, wenn man es nur benennen könnte! Dann wäre alles klarer und man wäre nicht mehr ganz so abnormal, sondern gehört einer Gruppe von Menschen an. Weil man dann weiß, dass man nicht allein auf der Welt ist mit seiner Besonderheit. Dass es da auch noch andere Menschen gibt, die ähnlich ticken und mit denen man sich zusammen tun kann. Ich glaube auch, dass das helfen kann. Weil man so Gleichgesinnte finden kann.

Doch manchmal ist das eben leider nicht so leicht. Die Welt ist doch nochmal viel bunter, als wir denken. Es gibt so viel mehr Facetten, als wir Namen und Begrifflichkeiten haben. Das macht es manchmal sehr schwer im Leben, weil man schnell das Gefühl bekommen kann, in der Luft zu schweben. Aber kann es nicht auch wunderschön sein? Eine Welt mit so vielen Farben und so viel Abwechslung, dass es kein Gleich gibt? Dass alles anders ist, alles individuell?

Ich denke, jeder Mensch macht in seinem Leben mindestens eine Phase durch, in der er nicht sicher ist, wer er ist. In der er in einer völligen Identitätskrise steckt und weder vor noch zurück findet. Gerade in der Pubertät sind Fragen, wer oder was man ist und wohin man gehört, nicht unüblich. Leider leider gehört das dazu. Und dass es so viele Menschen durch machen, macht es auf keinen Fall erträglicher. Es ist und bleibt anstrengend und kräftezehrend!

Nehmen wir mal an, es gäbe die ganzen Begriffe, wie Transgender nicht. Stellen wir uns eine Welt vor, in der Dinge nicht benannt, sondern einfach gelebt werden. Spüre mal in dich hinein: In welcher Hinsicht fühlst du dich anders? Was macht dich aus? Wer bist du und wer möchtest du sein?
Wie fühlt es sich an, weibliche Geschlechtsteile zu haben? Ist das schön? Oder akzeptabel? Oder geht das gar nicht?
Wie verhältst du dich am liebsten? Total feminin? Total maskulin? Oder so ein Zwischending?
Was an dir ist denn feminin? Und was maskulin? Und was davon kannst du nicht so genau zuordnen?
Zu welchem Geschlecht fühlst du dich hingezogen? Vielleicht zu beiden?
Welche sind deine Stärken? Welche deine Schwächen? Was möchtest du gerne besser können?
Hast du Vorlieben? Was liebst du? Was hasst du?

Möglicherweise ist es dir ja schon aufgefallen. Ich habe das, was dich so belastet und wieso du dich an uns gewendet hast, Besonderheit genannt. Vielleicht bist du dadurch anders als die anderen. Aber du bringst sicherlich auch etwas besonderes mit dir. Vielleicht bewundert es ja sogar dein Umfeld? Vielleicht stecken da mehr Stärken in dir, als dir bewusst sind?

Vielleicht magst du ja Tagebuch schreiben oder einfach ganz viele Listen von dir für dich über dich führen. Nehme dir Zeit für dich, lerne dich kennen. Finde heraus, was dich ausmacht. Aber stecke bitte nicht gleich den Kopf in den Sand, wenn es nicht von Anfang an funktioniert. Es kann gut sein, dass du manchmal vor einem leeren Zettel sitzt und er sich einfach nicht füllen mag. Aber das gibt sich auch mit der Zeit, es wird immer leichter.

Neben all dem finde ich es außerdem wichtig, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Super, dass du es bei deiner Internetfreundin schon versucht hast! Vielleicht gibt es ja auch einen Menschen in deinem direkten Umfeld, dem du davon erzählen möchtest. Du kannst das ja auch ganz vorsichtig beginnen und dann schauen, wie dein Gegenüber reagiert. Vielleicht magst du erzählen, dass du gerade viel über dich nachdenkst und dich fragst, was Weiblichkeit ausmacht. Oder etwas in der Art. So ein Gespräch kann man ja vorbereiten.
Du schreibst, du bist glücklich vergeben. Bist du mit einem Jungen zusammen? Fühlst du dich denn wohl bei ihm? Kannst du mit ihm gut reden? Vielleicht kannst du auch ihm von deinen Sorgen berichten? Vielleicht kann er dir sagen, was er in dir sieht, was dich seiner Meinung nach ausmacht?

Zudem gibt es natürlich auch noch professionelle Ansprechpartner, an die du dich sehr gerne wenden kannst!
Es gibt zum Beispiel psychologische Beratungsstellen, welche ich dir sehr gerne ans Herz legen möchte. Da kann man anonym hingehen, die Eltern erfahren von nichts und man wird auf einem hohen Niveau beraten. Da sitzen Psychologen und Sozialarbeiter, die besonders darauf geschult sind, dir zu helfen, dir zuzuhören und gemeinsam mit dir einen Weg zu finden, der dir helfen kann, wieder zurecht zu kommen.
Eine solche Beratungsstelle in deiner Nähe kannst du über den folgenden Link finden. Gebe dazu rechts unten in die entsprechende Leiste deine Postleitzahl ein und dann werden dir alle Beratungsstellen in einem bestimmten Umkreis angezeigt:
https://jugend.bke-beratung.de/views/home/index.html

Du schreibst, du weinst viel, kommst nicht mit allem zurecht. Da bekomme ich sofort das Gefühl, dass bei dir mehr los ist, als die Frage nach deiner Geschlechts-Identität. Gibt es bei dir Probleme in der Familie? In der Schule? Im Freundeskreis? All das kannst du in einer Beratungsstelle ansprechen und bearbeiten.

Liebe Ratsuchende, es ist jetzt wichtig, dass du nach dir schaust. Dass es dir wieder gut geht. Und dafür musst du dir womöglich Hilfe suchen, sei es bei Angehörigen, Freunden oder professionellen Ansprechpartnern.
Gerne darfst du dich auch nochmal hier an mich wenden, wenn du das Gefühl hast, ich kann dir helfen. Möglicherweise entspricht meine Antwort so gar nicht dem, was du dir erwünscht hattest. Wenn das der Fall ist, tut mir das Leid. Ich hoffe, du konntest etwas daraus ziehen. Wenigstens einen kleinen Anstoß in die richtige Richtung.

Weißt du, es gibt so viele Farben in der Welt, man kann tatsächlich nicht alles beschreiben. Ich zum Beispiel bin nicht wirklich feminin in vielerlei Hinsicht. Ich kann shoppen nicht leiden, habe nie gerne mit Puppen gespielt und Schminken, Schmuck und Kleidchen sind auch nicht so ganz mein Fall. Aber ich mag es gerne, Frau zu sein! Mein Freund hingegen ist manchmal ganz schön feminin, er durfte sich schon oft anhören, dass er doch bitte männlicher sein soll. Aber ich liebe ihn dafür. Und er sich selbst auch! Ich habe einen Freundeskreis voller verschiedener Menschen. Die einen sind ganz feminin, die anderen total maskulin. Aber es gibt auch alles mögliche dazwischen und fast alle blühen total darin auf. Und die anderen sind noch dabei, sich selbst zu finden. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht wichtig ist, wer/ was/ wie man ist, sondern, dass man in seiner Rolle aufblühen kann, sich selbst liebt und voll und ganz hinter sich steht. Und der Weg dahin ist ein Prozess, der braucht Zeit.

Ich weiß, dass du dich schon viel im Internet umgesehen hast du dem Thema und das finde ich gut! Ich habe hier noch eine Seite für dich, vielleicht kennst du sie ja noch nicht? Das ist eine Selbsthilfegruppe zu dem Thema Gender und Identität. Und ich denke, dass du dich auch an diese Menschen wenden kannst, wenn du nicht in deren Nähe wohnst. Vielleicht kannst du ihnen ja eine Mail schreiben? Einen Versuch ist es sicherlich wert.
http://gender-bs.de

Liebe Ratsuchende, du BIST etwas Besonderes! Du bringst so viele Stärken und liebenswerte Seiten mit dir, da bin ich mir sicher! Gib dir Zeit und schenke dir Geduld auf dem Weg zu dir selbst, er wird sich lohnen. Und wenn du Hilfe dabei brauchst, scheue dich nicht davor, sie dir zu suchen und anzunehmen.

Ich wünsche dir alles erdenkliche Gute auf deinem Weg! Bleib du selbst, denn so bist du wunderbar!

Alles Liebe,
Alisa