Problem von Helena - 19 Jahre

Angst vor dem Leben

Der Titel ist sicher nicht die konkreteste Zusammenfassung meines Problems, aber er ist wohl der größte gemeinsame Nenner.

Ich habe Angst vor dem Leben. Ich habe Angst, alles falsch zu machen und mein Leben durch Unsicherheiten und Zweifel zu vergeuden.
Letztes Jahr habe ich Abitur gemacht und daraufhin angefangen zu studieren. Ich fühle mich jedoch mit dieser Entscheidung nicht wohl. Zum einen liegt das daran, dass ich Zweifel habe, ob dieser Studiengang zu mir und meinen Fähigkeiten passt, zum anderen fühle ich mich oft sehr einsam und habe teilweise lähmende Selbstzweifel.
Zwar habe ich dort eine Gruppe von ganz netten Mädchen in meinem Studiengang gefunden, jedoch merke ich jedes Mal, dass ich nicht so richtig zu ihnen passe. Unsere Gespräche gehen selten über Uni-Themen hinaus (ansonsten ist es schwer ein Gesprächsthema zu finden) und da sie wie so viele andere täglich zur Uni pendeln, habe ich privat noch nie etwas mit ihnen gemacht und wenn ich erhlich bin auch nicht das Bedürfnis dazu.
Ich könnte den Studiengang wechseln. Jedoch habe ich Angst, dass sich die Situation dadurch nicht ändern würde und ich weiterhin Zweifel an meiner Entscheidung hätte (davor hat mich auch meine Mutter gewarnt).

Ich fühle mich so orientierungslos und alleine. Ich weiß nicht, was ich will. Ich mag mich selber nicht.
Sollte man in meinem Alter nicht voller Abenteuerlust sein und den Drang haben, sein eigenes Leben zu führen?

Weiterhin hänge ich sehr an meiner Familie (auch wenn es mit meinem Vater etwas schwierig ist, aber das ist eine andere Sache) - v.a. an meiner Mutter. Ich bewundere sie für ihre Stärke, ihre Unabhängigkeit, ihre ganze Lebenseinstellung. Ich wäre wirklich gerne so wie sie, aber ich bin es einfach nicht. Ich bin unsicher in allem, was ich tue, ich denke oft, dass ich zu ruhig bin, zu wenig rede, zu ernst bin, einfach nicht gut bin so wie ich bin. In sozialen Situationen bin ich oft sehr angespannt und weiß nicht, was ich sagen soll oder wie ich zu einem Gespräch beitragen kann und bin dann oft sehr still. Ich merke, dass meiner Mutter das nicht gefällt, sie wirkt dann beinahe sauer auf mich, auf jeden Fall aber enttäuscht. Das tut mir so extrem weh. Ich glaube sie mag mich nicht, oder sie kann nichts mit mir anfangen, weil ich so anders bin als sie und nicht so wie sie es gerne hätte. Mein Bruder ist ihr ähnlicher, er macht sich einfach nicht so viele Sorgen und hat deutlich mehr Selbstbewusstsein, deshalb habe ich auch den Eindruck, dass sie ihn mehr mag.

Wahrscheinlich sollte ich mir darüber gar keine Gedanken machen. Schließlich bin ich jetzt erwachsen und sollte mich langsam von meinen Eltern abnabeln. Aber auch das fällt mir sehr schwer, v.a. da mir meine Mutter und ihre Meinung so wichtig ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir wichtiger ist als ich ihr.
Sollte ich nicht lieber Zeit mit Freunden verbringen als mit meiner Familie oder alleine? Wie kann ich denn so jemals unabhängig und selbstständig werden?
Ich habe noch von der Schule eine handvoll einzelne Freundinnen, die ich gerne mag und mit denen ich ab und zu etwas mache, aber nicht wirklich oft.
Dadurch, dass ich keine wirkliche Clique habe und so selten ausgehe, lerne ich auch kaum Jungs kennen. (Ich hatte bis jetzt noch nie einen Freund)
Ich sehne mich so sehr nach einer tiefen Verbindung mit einem anderen Menschen, merke aber, dass mir meine Selbstzweifel in dieser Hinsicht im Weg stehen. Ob ich denn interessant genug bin, über was ich die ganze Zeit mit jemandem reden könnte, warum sich jemand in mich verlieben sollte...

Ich weiß genau wie ich gerne wäre. Ich wäre gerne extrovertiert, jemand, der genau weiß, was er will und alles daran setzt, sein Ziel zu erreichen. Jemand, der mit jedem Menschen ein gutes Gespräch führen kann, gerne etwas mit anderen unternimmt, emotional stark ist, selbstbewusst, humorvoll, intelligent.. aber das bin ich nicht und ich fürchte, dass ich auch nie genau so sein werde.

Ich weiß einfach nicht wie ich weitermachen soll, wie ich glücklich werden kann. Wenn ich mir versuche mein zukünftiges Leben vorzustellen (so wie es sein wird, wenn ich mich nicht ändere), dann sehe ich nicht, dass es in irgendeiner Weise für mich erfüllend wäre.
Das ist natürlich dumm, weil es schließlich in meiner Hand liegt, das zu ändern! Und ich hasse es an mir, dass ich wie ein unzufriedenes Kind gedanklich immer in Selbstmitleid feststecke und mich beklage.

Ich erwarte nicht, dass mir irgendjemand sagt, wie ich mein Leben leben soll, aber.. ich weiß einfach nicht weiter. Ich fühle mich so.. ankerlos, so verloren in einer Welt, in der jemand, der so überempfindlich ist wie ich, nichts zu suchen hat.

(Und - verdammt- ich sollte echt für meine Prüfungen lernen statt die ganze Zeit in dummen Selbstzweifeln und sinnlosen Grübeleien zu versinken! :D)


Liebe Grüße,
Helena

Bernd Anwort von Bernd

Liebe Helena

heute habe ich mir auch Deine früheren Zuschriften an uns durchgelesen. Und es hat mich einerseits beeindruckt, von wieviel Intelligenz und Individualität selbst Deine erste Zuschrift (da warst Du 13 Jahre alt) gezeugt hat.
Und nun macht es mich traurig, dass wir Dir damals nicht geantwortet hatten.
Dich bis heute nicht von Deinen unbegründeten Selbstzweifeln befreit haben.
Dir keinen "Anker" angeboten haben.

Um in dem Bild zu bleiben: Rein Schifffahrtstechnisch würde ich eher sagen "Anker grast":

Du hast Deinen Anker ausgeworfen. Aber der hat sich noch nicht im Grund festgebissen.

In Deinem Alter macht das aber noch nichts: die Prüfungen sind näher, als die Gefahr, "auf Grund zu laufen", bevor der Anker greift.
Sicherlich gibt es jede Menge "Leute", die es sich leichter machen als Du.
Erst "Selbstzweifel" macht uns aus "Leuten" zu einem Menschen!
Aus einer amorphen Masse zu Individuen.

Du schreibst: "Ich sehne mich so sehr nach einer tiefen Verbindung mit einem anderen Menschen, merke aber, dass mir meine Selbstzweifel in dieser Hinsicht im Weg stehen. Ob ich denn interessant genug bin, über was ich die ganze Zeit mit jemandem reden könnte, warum sich jemand in mich verlieben sollte..."

Ich denke: bei einer wirklich tiefen Verbindung darf (und sollte) man auch miteinander schweigen können!
Verliebt habe ich selber mich mein Leben lang immer nur in die Augen!
Was gesagt wurde hat mich nur und immer gefordert:
Zu einem Kompromiss.
Eine Selbstaufgabe oder Aufgabe einer selbstgefälligen Annehmlichkeit.
Aber: es war eigentlich immer stimmig: jede "Selbstaufgabe" hat sich gelohnt, wenn der "Augenschein" gestimmt hat!
Du schreibst:
"Ich weiß genau wie ich gerne wäre. Ich wäre gerne extrovertiert, jemand, der genau weiß, was er will und alles daran setzt, sein Ziel zu erreichen. Jemand, der mit jedem Menschen ein gutes Gespräch führen kann, gerne etwas mit anderen unternimmt, emotional stark ist, selbstbewusst, humorvoll, intelligent.. aber das bin ich nicht und ich fürchte, dass ich auch nie genau so sein werde."

Du glaubst gar nicht, was alles davon Du ganz gewiss bist: humorvoll und intelligent ganz gewiss. Da mache ich mir keine Mühe, es Dir noch zu beweisen.
Deine emotionale Stärke hast Du uns bereits bewiesen: so stark Du bist: wir hatten bislang jede Chance vergeben, Dir auf Deinem Weg auch nur einen Rat mitzugeben!

Bleibt Dein Selbstbewusstsein?

Weißt Du, damit habe ich selbst für mich ein Problem.
Was bedeutet "Selbstbewusstsein"?

Für mich bedeutet es, dass mich jeder, dem ich einen Rat gebe "alter Esel" oder "arrogantes Arschloch" nennen darf...
ohne mein Selbstbewusstsein anzukratzen....
weil ich weiß, dass mein Rat zwar von ganzem Herzen kommt
Aber niemals "der Weisheit letzter Schluss" sein wird.
Ich weiß nix. Aber ich bemühe mich!

Würde gerne verfolgen dürfen, wie Du zu dem findest, was Dir ganz gewiss zusteht.
Was ich von Dir lesen durfte zeugt von einer ganz außergewöhnlichen Persönlichkeit, die sich vor
nichts und keinem verstecken muss!
So wie ich mir meine Tochter vorstelle!
(Bloß dass ich nicht der Arsch sein will, der solch eine taffe Tochter so lang mit ihren Sorgen allein gelassen hat)

Wenn Du es willst: Schreibe mir, was Dir wichtig ist!

Alles Liebe
Bernd