Problem von Helena - 19 Jahre

Antwort auf Antwort von Bernd

Lieber Bernd,

Vielen Dank für deine Antwort (auf ""Angst vor dem Leben""), ich habe mich unheimlich über deine Worte gefreut! (Hab deine Nachricht zugegebenermaßen ein paar mal gelesen ;-))

Ich weiß nicht ganz, ob das der richtige Weg ist um dir zu antworten, aber ich wusste nicht wie ich dich evtl. persönlich kontaktieren kann...

Ehrlich gesagt hatte ich schon ganz vergessen, dass ich euch früher schon mehrmals geschrieben hatte und als ich darüber nachgedacht habe, hat mich das ziemlich traurig gemacht, weil ich mir vorstellen kann, dass mein/e Problem/e damals ganz ähnlich wenn nicht sogar gleich gelautet haben. (Mich würde es selber interessieren, was genau ich früher geschrieben habe)
Es hat mich erschreckt, dass ich mich wohl nicht sehr.. weiterentwickelt habe - zumindest was die Zweifel angeht, die ich ständig an mir habe.
Dabei ist es nicht einmal so, dass es mir ständig nur schlecht geht.. es liegt wohl mehr an meiner Denkweise bzw. meiner Art die Dinge zu sehen und infrage zu stellen.
Ich frage mich, ob so eine Neigung zum Zweifeln und "Überinterpretieren" angeboren oder erlernt ist, sodass man sie sich evtl. wieder "abtrainieren" könnte.. Andererseits würde es mich brennend interessieren, ob andere Menschen vielleicht ganz ähnlich fühlen bzw. denken oder doch komplett anders, also ob sie vielleicht eine vollkommen andere Art haben die Welt zu sehen (, weil vielleicht jedes Gehirn auf irgendeine Weise anders funktioniert)..
Aber Entschuldigung, ich schweife ab :D

Hast du vielleicht einen Tipp für mich, wie ich zu mehr (Selbst-)Sicherheit finden könnte? Dafür gibt es sicher kein Patentrezept (und ich habe bestimmt jeden der tausend Internet-Artikel darüber schon einmal gelesen), aber vielleicht kannst du aus deiner persönlichen Erfahrung sprechen.
Es gibt so vieles, was ich mir durch meine ganzen Selbstzweifel selber verbaue.. z.B. weiß ich gar nicht, was ich eigentlich will (in der Zukunft), weil die Dinge, von denen ich denke, dass ich sie nicht kann, oder die ich an mir nicht mag, mir wie eine Mauer die Sicht versperren..
Zum Beispiel würde ich sehr gerne Medizin studieren. In meinem nächsten Gedanken wird daraus jedoch ein "ganz gerne". Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass ich einmal eine gute Ärztin sein kann, weil ich fürchte, dass ich dazu etwas zu sensibel bin, den Anforderungen nicht gewachsen bin, mir so viel "Menschenkontakt" auf Dauer vielleicht zu anstrengend wird, obwohl ich Menschen eigentlich sehr gern mag. (Das hört sich jetzt etwas seltsam an :D)
Und ich habe Angst, ein neues Studium anzufangen und dann wieder an meiner Entscheidung zu zweifeln.. Wieder so etwas, das ich nicht an mir mag!

Okay, ich entschuldige mich schonmal dafür, dass es jetzt doch wieder recht lang geworden ist und für das "Rumjammern" (Ich weiß eigentlich selber ganz gut, dass Leute, die ein schlechtes Selbstbild haben und sich selbst oft schlecht machen, ziemlich nervig sein können, weil man am liebsten einfach "Jetzt hab dich doch einfach lieb!" schreien möchte und man dann noch genervter wird wenn sie sich dabei (bildlich gesprochen) die Ohren zu halten und weiter vor sich hinjammern.. Tja aber genau so bin ich nunmal viel zu oft ;-))

Nochmals vielen herzlichen Dank, Bernd!
Ich freue mich auf deine Antwort


Liebe Grüße,
Helena

Bernd Anwort von Bernd

Liebe Helena,

ich empfinde es nicht als "rumjammern", was Du schreibst.
Eher als die Suche eines tiefgründigen Menschen nach sich selbst und seinen Platz in der Welt.
Und das ist in unserer Welt nach meiner Erfahrung immer schwieriger geworden.
Lass mich Dir schildern, wie ich das meine:
in meiner Jugend ging ich in eine kirchliche Jugendgruppe. Dort hatte ich einen "besten Freund", der etwa 2 Jahre älter ist als ich. Damals gab es nur 8 Klassen in der "Volksschule". Das hieß damals: mit 14 Jahren begann mein Freund mit der Lehre. Von dem Geld, dass er da verdiente, konnte er sich schon sein Moped leisten und mit seiner Freundin Ausflüge machen.
Mit 17 war er mit der Lehre fertig und stand mitten im Leben.
Mit 19 hat er, wenn ich mich recht erinnere, geheiratet und hat dann auch bald sein erstes Kind geschenkt bekommen.
Mit 21 Jahren war er dann sogar schon "Volljährig" :-)

Genau da (als mein Freund volljährig wurde) hatte ich dann auch mein Abitur..... Und stellte fest, dass ich eigentlich nix hatte.
Außer ne Menge Möglichkeiten. (Aber z.B. kein Geld für en Moped :-), für ne Freundin )
Zu der Zeit wollte ich unbedingt Lehrer werden. Deutsch, Philosophie und Sport (wie mein Lieblingslehrer! mein großes Vorbild!)
Aber davor kam zu der Zeit mal die Bundeswehr.
Und während der Zeit war viel zu hören und zu lesen über "Pillenknick" und "Lehrerschwemme"!
Also keine Kinder mehr, aber jede Menge Lehrer, die nicht mehr mit Anstellung rechnen können.
Na toll. Was macht man denn nach 5 Jahren Studium, wenn einem erst dann gesagt wird: "Philosophielehrer brauchen wir nicht."
Damals war das Bergbaustudium ein wirklicher "Geheimtipp": zwar Mathe- und Physik-lastig, wie eben Ingenieurstudiengänge sind. Aber wirklich breit gefächert: Geologie, Mineralogie, Maschinentechnik, Elektrotechnik, Tiefbohrtechnik, Tagebau, Steinbruch....
In Berchtesgaden war sogar das Oberbergamt mit den Seilprüfungen der Seilbahnen beauftragt :-).
Und in ganz Deutschland und Österreich gab es vom ersten bis zum letzten Semester nur knapp 200 Bergbaustudenten: eine Elite!

Um eine lange Geschichte kurz zu fassen: der Geheimtipp hatte sich während meines Studiums wohl rumgesprochen: danach gab es allein in Aachen schon über 1000 Bergbaustudenten.
Aber die Lehrer, die in der Zeit studiert hatten waren alle noch Beamte geworden.
Da hatte ich wohl etwas falsch entschieden?

Warum ich Dir das erzähle?

Meine Entscheidung war und ist immer noch richtig! Auch wenn mein Studium so gar nichts mit meinen eigentlichen Neigungen zutun hatte!
Warum?
Mehr als das direkte Ziel habe ich immer auf die möglichen Alternativen geschaut:
Was werde ich als Germanist, Sportlehrer und Philosoph, wenn es mit dem "Lehrer" nicht klappt?
Meine Antwort damals: Journalist, Trainer, Hippie oder Guru.
Und was ist aus dem Bergbauingenieur geworden?
Zuerst Bergmann, dann Bauleiter in Gleisbauunternehmen und dann Inhaber eines Ingenieurbüros.

Kannst Du nachempfinden, wie sehr das Zitat von Sören Kierkegaard für mich gilt?:
"Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts."

Im Nachhinein kann ich Dir zwar erzählen, warum ich trotz aller Kompromisse, die ich dachte, meinem Erfolg schuldig zu sein, im Grunde trotzdem ein glückliches Leben gelebt habe. Obwohl diese Kompromisse (im Nachhinein betrachtet) nicht immer notwendig waren.
Im Nachhinein kann ich Dir erzählen, dass es wirklich oft in meinem Leben "harte" Entscheidungen gab.
Viele davon - kurzfristig betrachtet - falsch.

Aber ich weiß, dass Dich das nicht beruhigen kann! Dir Deine Zweifel nicht nehmen wird?

Weißt Du, was mich (als Gleisbauer) an Gleisplänen so sehr fasziniert?

Schau Du Dir mal den Gleisplan eines mittelgroßen Bahnhofes an.
Mir fällt dabei immer eines auf: ein guter Bahnhof gibt so viele Möglichkeiten, auf unterschiedlichen Wegen trotzdem der "großen Richtung" zu folgen!

Ich weiß gar nicht mehr, wann ich persönlich es aufgegeben habe, unbedingt dem einen ganz geraden Weg folgen zu wollen.

Wenn ich es richtig erinnere warst Du bei der Zuschrift, die ich beantwortet hatte gerade mit Prüfungsvorbereitungen beschäftigt. Was ich nicht weiß: welches Fach Du studierst!
Wenn Medizin eine Alternative für Dich ist, kann ich mir aber vorstellen, in welchen Zensur-Regionen Du Dein Abi gemacht hast.

Nach allem, was ich Dir vorab über mich erzählt habe, verstehst Du vielleicht, warum ich Dir zu Deiner Entscheidung - Medizin oder nicht - am ehesten ans Herz legen möchte: Medizinstudium bedeutet nicht nur "Hausärztin" oder "Chirurgin"!
Also nicht nur das, was Du als das schilderst, was Dich vielleicht in dem Beruf überfordern könnte.
Es gibt nicht nur Arztberufe, die einem immerzu die Grenzen aufzeigen, denen wir alle unterliegen: der Natur!
Die immer auch ultimativ "Sterblichkeit" bedeutet!

Liebe Helena,
nimm meinen Beitrag bitte nicht als "Antwort"!
Sondern eher als "Gesprächsgrundlage"!
Es wäre mir wirklich wichtig, mit Dir im Gespräch - im Gedankenaustausch - zu bleiben.

Alles Liebe
Bernd