Problem von Anna - 22 Jahre

Homosexuelle Zwangsgedanken?

Hallo,

ich habe seit mehreren Tagen ein sehr belastendes Problem!
Ich bin im Internet auf das Thema Bisexualität gestoßen und unter anderem auch auf die Kinsey Skala und seit dem habe ich die Befürchtung bi zu sein.
Eigentlich wäre das ja nicht schlimm, aber ich hatte nie das Gefühl etwas in mir zu unterdrücken und fühlte mich immer zu Männern hingezogen, da ich auch einen Freund habe!
Jetzt erinnere ich mich daran, dass ich gerne Pornos nur mit Frauen gesehen habe und als vorpubertäres Mädchen Bademodemodels erregend fand und ich dann auch "so große Brüste" haben wollte.
Bei Pornos achte ich generell mehr auf die Frauen, weil ich mich besser in sie hineinversetzen kann und ich dann "mitfühle"... Obwohl ich ja sogar Frau-Frau Pornos geguckt habe, fühlte ich mich nie bisexuell und habe mir niemals Gedanken darüber gemacht, da ich bis jetzt immer in Männer verliebt war, wegen ihnen Liebeskummer hatte und sexuelle Fantasien mit ihnen hatte!
Ich war noch nie in eine Frau verliebt oder habe mich sexuell zu ihr hingezogen gefühlt, nur die Pornos erregen mich, aber ich weiß nicht, ob das wirklich an den Frauen liegt, oder eher weil ich mich selber hineinversetze...
Aber seitdem überprüfe ich ständig, ob ich mich zu Frauen hingezogen fühle... mir widerstrebt es total, aber ich muss mich damit auseinandersetzen!
Ich liebe meinen Freund und habe so Angst, dass meine Gefühle vielleicht nicht echt sind/waren! :/
Mir geht es gerade sehr schlecht, meine Laune ist ganz unten und ich kann für nichts und niemanden mehr etwas spüren...

Ich wäre sehr dankbar für Hilfe!

Judith Anwort von Judith

Liebe Anna,

Ja - die Sexualität ist ein weites Feld. Und die Kinsey-Skala besagt ja auch, dass ein grosser Teil der Menschheit eben eine "Tendenz" hat zur Hetero- oder Homosexualität -- und sehr sind viele irgendwo dazwischen.

Manche stellen sich die Frage nie. Andere schon sehr früh. Manche, so wie Du, werden erst damit konfrontiert, wenn sie es gerade nicht erwarten.

Ich lese aus Deiner Email keine Homophobie, sondern ein Bedürfnis zu wissen "wo Du stehst". Es scheint, als würdest Du Dich jetzt erst hinterfragen. Es ist alles nicht mehr so eindeutig, wie es noch vor ein paar Monaten war, als Du die Kinsey-Skala noch nicht kanntest. Und jetzt kam auch die ein oder andere Erinnerung wieder hoch...

Aber Anna, lass mich Dich fragen: Ist es denn wirklich so schlimm, nicht 100% genau zu wissen, wo man steht? Vielleicht ist es ja auch ganz reizvoll, nicht schon mit 22 zu wissen, wie die nächsten 40+ Jahre Sexuaität aussehen werden. Der Geschmack ändert sich, die Umstände ebenfallst. Vielleicht knutscht Du irgendwann mal mit einer Frau herum und merkst, dass Dir das gar nicht gefällt. Vielleicht aber auch eröffnet sich eine neue Facette Deiner Persönlichkeit. Beides ist okay. Und neue Gefühle zu haben bedeutet nicht, dass die alten/ vorherigen "falsch" waren. Du mochtest vielleicht mit 16 zB andere Musik als heute - aber Du würdest Dir doch nicht absprechen, dass Du damals ganz ganz grosser Fan dieser Band warst, auch wenn Du sie heute nicht mehr hörst, oder?

Also, mein Rat ist: Es ist gut, wenn Du neugierig auf Deine Reaktion bist, aber analysiere nicht zu sehr. Es gibt im Englischen den Spruch "Paralysis through analysis" (Lähmung durch Analyse). Also geniesse Deinen Körper, Deine Sexualität, lass Dich auf neue Gedanken ein, aber setz Dich nicht unter Druck. Ein paar Pornos mit 2 Frauen haben noch "niemanden lesbisch gemacht", und eine lesbische Erfahrung auch nicht! Es gibt auch Frauen, die ab und an mal was mit anderen Frauen haben, sich aber dennoch als hetero identifizieren. Es gibt auch Frauen, die sehr selten mit anderen Frauen sexuell aktiv sind, aber die sich bisexuell identifizieren - im Geiste und auch hier, als Teil ihrer Selbstempfindung und Persönlichkeit.

All das ist in unserer heutigen Gesellschaft dank Toleranz und Offenheit möglich. Auch Du hast da Deinen ganz speziellen Platz.

Viel Erfolg und viel Spass bei der Suche!

Herzliche Grüsse,
Judith