Problem von Anonym - 16 Jahre

Probleme mit Selbstüberschätzung

Hi,

Mein Problem ist, dass ich meine eigenen Fehler nicht sehen und vor allem nicht zugeben kann. Ich sehe mich selbst immer als perfekt und besser als alle anderen. Ich traue mir demnach auch viel zu, aber unterschätze eben andere.

Das klingt erstmal vielleicht nicht nach einem Problem, aber das ist es doch. Es nimmt mir nämlich die Möglichkeit aus Fehlern zu lernen und mich im Leben mehr zu verbessern. Ich bin zwar teilweise schon sehr ehrgeizig, nur sehe ich eben meine Macken nicht. Manchmal verurteile ich auch andere für Dinge, die ich selbst falsch gemacht habe.

Auf andere wirkt das je nachdem oft extrem selbstbewusst oder eingebildet. Ich würde das aber nicht wirklich als Selbstbwusstsein bezeichnen, da es mehr Narzissmus ist.

Ich wäre euch dankbar für einen Rat

Lg

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du,

es ist schon ein beachtenswerter erster Schritt, dass du deine Schwierigkeit erkannt hast und an dir arbeiten möchtest. Du erkennst ja selbst, dass du nicht perfekt sein kannst - denn das ist eine wesentliche menschliche Eigenart. Ich glaube, es wäre sehr grauslig, wenn wir roboterhaft immer alles akkurat und richtig machen würden. Dabei stellst sich mir gleich die Frage, was "richtig überhaupt bedeutet...

Ich gehe bei meinen weiteren Überlegungen einfach davon aus, dass bei dir kein "echter" Narzissmus vorliegt. Ich nehme also an, dass du aus bestimmten Gründen - die nur du zumindest ansatzweise im Laufe der Zeit und der Selbsterkenntnis begreifen und verstehen können wirst - eine stark selektive Wahrnehmung und Leistungsbezogenheit an den Tag legst.
Es kann sein, dass du unbewusst ein starkes Bedürfnis danach hast, dich selbst zu schützen, indem du alle Kritik an dir abblockst. Es kann auch sein, dass bei dir einfach der menschliche Hang, Fehlern in erster Linie bei Anderen zu sehen und zu suchen, besonders ausgeprägt ist und durch andere Faktoren begünstigt wird (beispielsweise durch die Selbstschutzgeschichte).
Es klingt bei dir auch ein bisschen nach recht heftigen Abwehrstrategien, die im Unterbewusstsein ablaufen: Es ist häufig schmerzhaft, sich selbst Schwächen und Fehler einzugestehen. Diese bei Außenstehenden anzuprangern, ist dagegen viel leichter.
Schau in deine Familie: Wie wird dort mit Leistung, Talenten, Arbeit und Schöpfertum umgegangen? Wie wird Liebe und Wertschätzung vermittelt? Wie erging es dir als kleines Kind, wenn du Fehler gemacht hast? Hattest du das Gefühl, nur durch gute Leistungen geliebt zu werden? Die Familie sagt viel darüber aus, was einmal aus Menschen wird, warum sie wie handeln und bestimmte Vorlieben und Muster entwickeln.

Es kann außerdem sein, dass du im Vergleich zu anderen Personen eher wenig Empathie und soziale Fertigkeiten hast. Das ist nicht unbedingt nur schlecht, es ist einfach so. Nur kann es schon immer wieder zu Irritationen und erschwerten Bedingungen führen, wenn jemand sich nur schwer in Andere hineinversetzen kann, sie als minderwertiger und sich selbst als überlegen betrachtet.

Ich würde dir raten, konkret an deinem Verhalten zu arbeiten und dich lange zu beobachten. Falls du das Gefühl haben solltest, dass sich nichts Grundlegendes in deiner Wahrnehmung und in deinem Denken und Fühlen verändert hat, könntest du ein Beratungsgespräch bei psychologischen Berater:innen oder sogar eine Psychotherapie in Erwägung ziehen - je nachdem, wie sehr du dich in deiner Lebensqualität eingeschränkt fühlst.

Was du tun kannst:
- Versuche, diese kritische Haltung zu dir selbst beizubehalten und weiter auszubauen.
- Beobachte dich möglichst neutral und beschreibe, was du den Tag über so tust. Am besten machst du dir abends und bestenfalls zwischendurch kleinere Notizen in ein eigens dafür vorgesehenes (Tage)buch. So kommst du dir eher auf die Schliche und kannst deine Gedankengänge besser verstehen. Zum Beispiel, wie es dazu kommt, dass du Person X in einer bestimmten Situation als inkompetent wahrnimmst und dich als fähiger ansiehst.
- Versuche dich so oft wie möglich an Perspektivenwechseln: Versetze dich in andere Menschen, versuche, deren Meinungen nachzufühlen und ihre Ursprünge zu ergründen.
- Bitte deine Umwelt um fortlaufende Rückmeldungen zu deinem Verhalten und bleibe mit deinen Bezugspersonen im Gespräch. Sie sollten wissen, was dich bewegt und dir konstant spiegeln, was für sie gerade Phase ist.
- Denke über deine Familie nach, aber auch über deine eigenen Werte und wie das alles zusammenhängen könnte.
- Taste dich erst später an das heran, was deine "Schattenseiten" sind. Ich glaube, sie werden sich immer mehr zeigen, wenn du wirklich auf dich selbst schaust und ALLES zulässt, was sich in dir regt. Sie sind wie ein scheues Tier, das sich nicht aus seinem Versteck wagt. Wenn sie sich dann irgendwann zeigen, kannst du ihnen an die Hörner gehen.
- Überlege dir, was dir wirklich wichtig ist im Leben, was du erreichen möchtest. Aber sei auch nachsichtig mit dir und bedenke, dass du noch viele Zeiten des Wandels und des Umdenkens vor dir haben wirst.
- Versuche, deine empathischen und sozialen Anteile so oft es geht zu trainieren. Hilf Anderen, versetze dich in ihre Lagen, höre ihnen zu und engagiere dich in Beziehungen.
- Öffne dich jenen Menschen, denen du vertraust und wähle sie, um ihnen von deinen "Schwachstellen" zu erzählen. Daraus lassen sich sogar Rituale machen: Ich erzähle dir was, dann du mir. Zum Beispiel bei einem gemütlichen Cafebesuch oder einem Spaziergang.
- Versuche, dich nicht als optimierungsbedürftiges Wesen zu begreifen! Das ist in meinen Augen einer der wichtigsten Punkte!
Und so weiter... bestimmt fallen dir noch ganz andere Sachen ein. Eine Kombination aus den verschiedenen Herangehensweisen halte ich für ideal.

Ich wünsche dir alles Gute und viele reiche Erkenntnisse.
Nuala