Problem von Anonym - 28 Jahre

Freund findet mich zu ich-bezogen, langweilig und beruflicher Stress

Hallo liebes KKT.
Ich habe folgendes Problem. Derzeit studiere ich im Master an einer Uni und in einer Stadt, wo ich eigentlich nie hin wollte, aber leider musste ich das machen. Ich lebe nun seit 6 1/2 Jahren mit meinem Freund zusammen. Er ist ein ganz toller und lieber Mann, den ich auch nicht missen möchte. Aber nun zum Problem oder den Problemen: ich habe durch das Studium und dem Minijob nebenbei kaum mehr Zeit etwas für mich zu tun oder ähnliches. Familiäre Unterstützung habe ich nicht, da beide Eltern verstorbenen sind. Freunde habe ich eigentlich auch keine nur ein paar Bekannte.
Momentan bin ich einfach nur kaputt und hab auch zu nichts Lust, da ich mit der ganzen Situation Studium,Arbeit, Organisation von diversen Dingen maßlos überfordert bin. Irgendwie kämpfe ich mich dadurch.
Gestern waren wir auf einen 66ten Geburtstag von der Großtante meines Freundes. Ich kannte kaum jemanden. Die Nacht davor hatte ich Nachtschicht und ich war dementsprechend super müde.
Eigentlich war abgemacht, das er fährt aber als er mich fragte, ob er doch was trinken könnte hatte er schon den Whisky im Glas. Toll. Ich konnte mich den ganzen Abend nicht in die Gespräche einfügen, da es immer um Dinge oder Personen ging, wo ich nichts zu sagen konnte.
Auf dem Rückweg kamen wir ins Gespräch darüber und ich fragte ihn warum er mir nie zuhört, wenn ich ihn von meinem Tag (Uni, Arbeit) erzähle, er meinte einfach, dass ihn das einfach nicht interessiert. Vorher am Nachmittag wollte ich eigentlich erzählen, dass ich wohl mein Masterstudium um ein 1/2 Kahr verkürzen würde. Er meint nur: "hör auf mit solch einem Thema, ist zu trocken." Toll.... dachte ich mir, ich erzähle nix mehr. Gedacht getan.... ich war still.
Naja bei dem Gespräch auf dem Rückweg steckte er mir nicht nur, dass er meine Erzählungen nicht nur langweilig findet, sondern das ich auch zu ich-bezogen sein soll. Ich würde ja anderen nie zuhören oder nachfragen etc.... deshalb hätte ich ja keine Freunde. sehe ich zwar nicht so aber ich nehme diese Kritik trotzdem gerne an und will an mir arbeiten.
Ich habe dadurch das ich schon sehr früh beide Eltern verloren habe und ich mich durchkämpfen musste, früh gelernt selbständig zu sein. Ich ha halt nicht die Kindheit und Jugendzeit, ich musste mit 6 Jahren selbstständig sein. Deshalb bin ich sehr streng mit mir,perfektionistisch, engstirnig (vor allem mit Held, da ich nicht viel habe und immer so gerade über die Runden komme) aber viele sehen dadurch in mir nur eine ich-bezogene, geizige, engstirnige spaßbremse. So hat er es mir gesagt, er würde mich aber auch deswegen nicht aufgeben sondern liebt mich wie ich bin.
Mich macht das aber trotzdem extrem traurig und ich bin mit allem überfordert.
Ich traue mich garnicht mit jemandem darüber zu sprechen, da es ja wieder zu ich bezogen rüber kommt.
Was kann ich tun um mich zu bessern und auch besser zu fühlen?
Danke

Judith Anwort von Judith

Liebe Unbekannte,

Lass mich als erstes mit einer Gegenfrage antworten. Hast Du Dir schonmal selbst einen der folgenden Sätze gesagt:

"Das mache ich toll! Studium, Job und Beziehung - das unter einen Hut zu bekommen."
"Ich bin ein verantwortungsvoller Mensch. Auf mich ist Verlass!"
"Ich bin reif, ich bin unabhängig und stark."
"Ich bin liebenswert; so, wie ich bin."

Ich stelle Dir diese Fragen, weil ich die Vermutung habe, dass Du Dir gar nicht bewusst bist, was Du alles trotz der Widrigkeiten erreicht hast. So früh die Eltern zu verlieren ist hart, und Du hast offensichtlich gelernt, damit umzugehen. Es ist lange her, die Trauer ist nicht mehr frisch. Trotzdem hat es Dich und Deinen Charakter geprägt. Du bist vorsichtig in finanziellen Dingen, Du bist eher Einzelgängerin und brauchst Zeit, um Vertrauen aufzubauen. Du bist unabhängig - vielleicht auch, weil Du schon als Kind einen so grossen Verlust erlebt hast, und der es Dir eben bis heute erschwert, Menschen in Dein Leben zu lassen.

Gleichzeitig lese ich aus Deinen Zeilen auch einen hohen Selbstanspruch. Du willst es allein schaffen, Du "kämpfst Dich irgendwie durch". Du willst nicht jammrn. Du willst ausserdem niemanden (vor allem Deinen Freund) verletzten und nimmst in Kauf, dass er sich nicht an Abmachungen hält und sich nicht für Dich interessiert, wenn Du von Deinem Studium erzählst.

Liebe Unbekannte - ich glaube, dass Du zweierlei brauchst.
1. Leichtigkeit, Entspannung, Loslassen. Gesteh Dir selbst zu, dass Du mal alle Fünfe gerade sein lassen darfst. Du hast harte Jahre hinter Dir, und Du verdienst es, dass Du es Dir mal gutgehen lässt. Was sind denn Dinge, die Dir Freude machen? Die nicht mit der Arbeit oder dem Studium zu tun haben? Die nicht irgendwie einer Sache dienen, sondern einfach nur Dein Interesse sind? Musik? Kunst? Sport? Kino? Wellness? Gesteh Dir zu, einfach gut zu Dir zu sein.

Vielleicht ist ein Hobby ausserhalb der 4 Wände und jenseits des Kanons von Arbeit-Uni-Freund auch ganz gut, so dass sich Dein Kreis und Deine Perspektive erweitern. Du bist nicht langweilig! Du bist aber zu hart zu Dir selbst.

2. Selbstwert. Das geht mit Punkt 1 zusammen. Du bist toll, so wie Du bist. Ohne Wenn und Aber. Vielleicht hat Dein Freund ein wenig recht und Du bist sehr mit Dir beschäftigt. Es ist schön, dass Du Feedback annimmst und sefletkierst. Aber sei selbstbewusst und sag ihm, dass Du verletzt bist über seine Kritik. Sag ihm auch, wie es in Dir aussieht und schäme oder entschuldige DIch nicht für Deine Geühle. Er kann wissen, dass Du Dich manchmal allein und überfordert fühlst. Sag ihm vor allem aber mit einem Blick in die Zunkunft, was Du Dir für die Beziehung wünschst. Frag ihn, was er sich wünscht. Ihr seid gleichberechtigt in der Beziehung. Und nur wenn man miteinander redet und die Bedürfnisse des anderen kennt, kann man eine stabile Beziehung weiterführen.

Ich hoffe, ich konnte Dir ein paar Anregunden geben.

Alles Gute und viele Grüsse,
Judith