Problem von Emily - 13 Jahre

Transsexualität

Hallo liebes Kammerkastenteam,

ich heiße Emily, bin 13 Jahre alt und möchte euch folgendes Problem schildern: Ich fühle mich als Mädchen/Frau nicht wohl, sowohl körperlich, als auch seelisch, bin mir aber sehr unsicher.
Das alles hat vor ca. einem halben Jahr begonnen. Ich habe angefangen, mich im Internet über Sexuallitäten und Geschlechtsidentitäten zu informieren, weil diese Themen meiner Meinung nach in der Schule viel zu wenig angesprochen werden. Nun kommt man ja in die Pubertät und entwickelt irgendwann ein gewisses Interesse an
intimen Dingen und möchte auch mehr darüber herausfinden. Meine Freundin hat mir schließlich BL (also Boys Love, Beziehungen zwischen zwei Männern) gezeigt (das muss ungefähr ein Jahr her sein) und mir hat es gefallen. Bis heute hat sich das gehalten und wie bereits gesagt, habe ich irgendwann mal hinterfragt, wie es damit eigentlich außerhalb der fiktionalen Welt aussieht.
Und genau ab diesem Zeitpunkt habe ich mich zunehmend unwohler in meinem Körper gefühlt. Umziehen und Schwimmunterricht lies mir ein sehr merkwürdiges Gefühl und allgemein wollte ich einfach, dass meine weiblichen Stellen verschwinden. Eine Zeitlang war es dann sogar so schlimm, dass ich richtige Anfälle bekommen habe, aber
meine Familie und meine Freunde haben nie etwas davon mitbekommen. Zu dieser Zeit habe ich mir gesagt, dass ich was unternehmen werde, wenn sich meine Zustand nicht bessert. (Un?)glücklicherweise ging mir nach zwei Wochen wieder etwas besser.
In den letzten Monaten hab ich mich einfach damit abgefunden und gedacht, dass es nur an der Pubertät liegt, aber irgendwie hat mir das nicht wirklich weiter geholfen.

In meinen Gedanken bin ich immer eine männliche Person, auch in meinen Träumen ist das häufig so. Wenn ich mir ein Szenario ausmale, bin ich ein Mann, bei Computerspiele erstelle ich mir männliche Charaktere, in Internetforen habe ich als Geschlecht männlich angegeben auf Social Media Plattformen gebe ich einen Jungennamen an. Das mache ich alles, weil ich mich dann wohler fühle.
Ich stelle mir oft zur Überprüfung folgende Frage: Was wurdest du dir wünschen, wenn du jetzt einen Wunsch frei hättest? Und ich komme immer auf die gleiche Antwort: Ich möchte ein Mann sein. Jedoch die Frage "Bist du ein Mann?" beantworte ich mit "Nein/Vielleicht".
Eine weitere Sache wäre, dass immer, wenn zum Beispiel im Unterricht, Gruppen eingeteilt werden und es heißt "Die Jungs machen das und die Mädchen machen dies" oder man die Geschlechter einfach trennt, fühle ich immer so einen Stich in meinem Herzen. Das gibt mir ein ziemlich mieses Gefühl und am liebsten wurde ich sagen: Hey, ihr habt hier einen Jungen vergessen!
Ich habe auch schon mal überlegt, mir die Haare kurz zu schneiden, was ich auch sehr gerne machen würde, aber ich weiß nicht, ob mir das steht.

Als ich kleiner war, habe ich allgemein mehr mit Jungs gespielt und auch nicht wirklich Kleider oder so getragen, aber das muss ja nichts heißen. Meine Interessen gingen von Barbies bis zum Fußball spielen (was ich immer noch mache). Heute ist es mir eigentlich relativ egal, was ich trage. Manchmal ziehe ich sportliche Sachen an, die eher für Jungs gedacht sind und manchmal kurze Hosen, aber ich muss sagen, ich fühle mich in ersterem besser. Das Problem ist eher die Unterwäsche, mit der ich überhaupt nicht klar komme. Ich hasse BH´s genauso wie dünne Höschen und würde am liebsten Boxershorts tragen und meinen Busen abbinden, aber meine Mutter will mich dabei nicht unterstützen. Sie ist keine schlechte Person und lässt mir wirklich sehr viele Freiheiten, aber in Sachen Sexualität und Geschlechtsidentität hat sie einfach keine Ahnung und will sich auch nicht darüber informieren, also stehe ich ziemlich allein da. Auch meine Freunde nehmen mich nicht ernst und interessieren sich nicht dafür, das trifft mich ziemlich.
Ich weiß, dass die Welt große Fortschritte gemacht hat und in Sachen Toleranz weit gekommen ist, aber irgendwie kommt das in meinem Umfeld nicht an.

Im Moment haben wir an unserer Schule das sogenannte "Ich & Wir" Projekt, das uns helfen soll zu uns selbst zu finden. Wir sollten vorher aufschreiben, über was wir sprechen wollen und ich habe mich für Transsexualität entschieden. Unsere Betreuerin hat das berücksichtigt und heute kam eine Frau (nennen wir sie T) vorbei,
die im Körper eines Mannes geboren wurde. Wir haben etwas geredet und sollten schließlich Fragen aufschreiben, die wir von ihr beantwortet bekommen wollen. Alle haben ziemlich allgemeine Sachen gefragt, nur ich wollte wissen, wie man merkt, dass man transsexuell ist, ob es offensichtliche Zeichen gibt und was man tun kann, wenn man sich im eigenen Körper unwohl fühlt. Zwar habe ich alle Antworten bekommen, aber ich hatte einfach den Drang alles raus zu lassen und habe schließlich danach noch mit ihr alleine geredet.
Ich habe einfach alles raus gelassen und T meine ganzen Probleme und Zweifel geschildert. Sie hat das auch in meinem Alter gemerkt und ihrer Meinung nach zu spät (nach ca. einem Jahr) gehandelt. Irgendwann im Gespräch bin ich in Tränen ausgebrochen, weil mich das alles getroffen hat und T so viel Verständnis hatte. Wir haben noch ein wenig über weitere Schritte, dass ich es langsam angehen soll, Risiken usw. gesprochen und es hat mir wirklich sehr geholfen. Sie hat mir auch den Tipp gegeben, dass es am Anfang sehr komisch sein kann, sich mit anderen Pronomina ansprechen zu lassen und, dass ich mir keine Sorgen machen sollte, wenn es nicht so läuft, wie gedacht.

Nun überlege ich, ob ich mir professionelle Beratung holen soll, aber dann müsste ich zu meinen Eltern gehen und die akzeptieren das gar nicht. Ich habe meiner Mutter mal vor einer Woche gesagt, dass ich lieber ein Junge wäre, aber sie hat direkt alles abgestritten und meinte, dass ich so was nur denke, weil die Wissenschaft so weit entwickelt ist und jetzt jeder denkt, dass er irgendwas hat. Außerdem sagte sie, dass ich ihr so was nicht antun soll, was mich sehr hart getroffen hat, da ich ja auch nichts dafür kann.

Jedenfalls frage ich jetzt erst mal hier nach und hoffe wirklich sehr, dass ihr mir irgendwelche Tipps geben könnt.

Liebe Grüße :)

Christina B. Anwort von Christina B.

Liebe Emily!

Ich habe deine Geschichte mehrmals aufmerksam gelesen und wollte dir zuallererst rückmelden, dass ich es richtig toll finde, wie selbstreflektiert, klug und reif du bist! So wie du schreibst, merkt man, dass du dir zu alldem schon viele Gedanken gemacht hast! Du hast diese Veränderungen an dir bemerkt und auch wenn sie dir sehr Angst gemacht haben, bist du trotzdem ehrlich zu dir selbst gewesen und hast es dir eingestanden, dass du lieber ein Junge wärst. Weißt du eigentlich, wie wenige in deiner Situation sich das selbst zugestehen können? Die meisten versuchen es zu verleugnen und irgendwie damit zu leben, aber du stehst auf und sagst, dass du etwas tun willst, damit du dich wohler fühlst. DAS IST GROSSARTIG, der erste Schritt ist getan!!

Ich kann gut verstehen, dass es sehr schwierig für dich gewesen sein muss, als das Unwohlsein im eigenen Körper anfing. Auch dass du keine Höschen oder BHs tragen willst, ist unter deinen Umständen ja eigentlich normal, war aber anfangs bestimmt trotzdem ganz komisch und vielleicht hast du dich deswegen sogar schuldig gefühlt. Das bist du aber nicht! Niemand kann etwas für seine Gefühle und so kannst auch du nichts dafür, dass du dich im weiblichen Körper unwohl fühlst. Ich kann ebenso sehr gut nachempfinden, wie es gewesen sein muss, wenn man die Geschlechter getrennt hat (zb im Sportunterricht wie du schreibst) und es dir einen Stich gegeben hat. Das mit den kurzen Haaren finde ich, wäre doch vielleicht mal ein guter Anfang - um vielleicht auch dein Umfeld und dich selbst mit der Situation ein bisschen vertraut zu machen. Es gibt tolle Kurzhaarschnitte, die auch bei Mädchen gut aussehen - das könntest du ja mal ausprobieren. Vielleicht würde das deinem Unwohlsein schon ein wenig abhelfen. Du erzählst, dass du auch am liebsten sportliche Jungenkleidung trägst - das ist auch schon ein Schritt deinem Ziel näher.

Euer Projekt in der Schule, von dem du erzählt hast, finde ich ganz toll! Damit kann man ja wirklich was bewirken. Es war dein Glück, dass diese Frau (T) vorbei gekommen ist und ich finde es großartig von dir, dass du den Mut aufgebracht hast, ihr diese Fragen zu stellen und dich dann mit ihr über diese doch ganz persönlichen Dinge zu unterhalten. Das hat dich bestimmt viel Mut und Courage gekostet, also kann ich nur meinen Hut vor dir ziehen! Du hast schon sehr viel unternommen, um besser mit deiner Situation umgehen zu können. Und hierher zu schreiben war ebenfalls ein wichtiger Schritt! Was hat T denn gemeint mit "Du sollst es langsam angehen und Risiken bedenken"? Habt ihr über Schönheits OPs gesprochen?

Dass dich deine Mutter da nicht verstehen will und kann und auch die Freunde nicht so für dich da sind, finde ich sehr schade und es tut mir leid für dich. Gibt es vielleicht jemand anderen aus deinem persönlichen Umfeld, an den du dich wenden kannst? Deinen Vater, eine Schwester, einen Bruder? Vielleicht eine dir nahestehende Tante/Onkel? Ganz traurig finde ich, dass deine Mutter dir gesagt hat, dass du ihr so etwas nicht antun sollst. Bitte glaube nicht, dass du IRGENDETWAS für deine Situation kannst, so etwas sucht man sich schließlich nicht aus, das ist einfach so. Du kannst gar nichts dafür und brauchst dich absolut nicht schlecht oder schuldig fühlen. Vielleicht, darauf hoffe ich sehr, braucht deine Mutter auch einfach ein wenig Zeit, um sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Hast du vielleicht eine beste Freundin oder einen besten Freund, mit dem du noch darüber sprechen kannst? Es wäre nämlich sehr gut, wenn du diese Last nicht alleine tragen musst. Falls es wirklich niemanden in deinem Umfeld gibt, könnte ich mir auch vorstellen, dass du evtl. nochmal Kontakt zu T aufnimmst. Vielleicht kannst du die Klassenlehrerin oder so nach dem Kontakt fragen.
Ich bin absolut deiner Meinung, dass es gut wäre, sich professionelle Beratung zu holen und ich hab mir die Freiheit genommen, dir da schon mal einen tollen Link rauszukopieren:
http://www.trans-ident.de/trans-ident-beratungsstelle - Eine Beratungsstelle in Deutschland mit Spezialisierung auf dieses Thema. Ich glaube, dass diese Leute dir gut helfen können. Die Beratung ist außerdem kostenlos!! Daher müsstest du deine Mutter davon auch nicht informieren und kannst dich mal alleine dort schlau machen, ohne dass sie es mitbekommt.

Lieber Emil, ich spreche dich nun bewusst so an - du bist für dein Alter in deiner Situation schon so weit gekommen, dass ich keinen Zweifel habe, dass du auch die nächsten Schritte mit erhobenem Haupte bravourös meistern kannst! Bisher hast du schon so viel positives zu deiner Situation beigetragen und so viel Mut bewiesen. Du bist noch so jung, daher finde ich das sehr beeindruckend. Darum gib jetzt nicht auf! Ich möchte nicht sagen, dass es leicht wird, aber du kannst es schaffen. Heutzutage ist es möglich, sich mithilfe von Schönheits OPs und Testosteron Zufuhr seinen Körper so zu verändern, wie man es sich wünscht. Dein Wunsch und Traum, ein Junge zu werden, ist also nicht unmöglich, er ist verwirklichbar! Vielleicht kennst du den Youtube Kanal "Raffa's Plastic Life" https://www.youtube.com/channel/UCLYdLddpWyURxEnmZsZUAyw - sie ist eine inzwischen recht berühmte transsexuelle Frau. Sie hat auch tolle Videos, unter anderem auch eines, wo sie ihre Geschichte erzählt und Tipps gibt! Schau doch mal rein (:

Meine Tipps für dich sind: Nimm die Hilfe von einer solchen Beratungsstelle an. Lass dein Geheimnis nicht bei dir alleine bleiben, sondern vertrau dich jemandem an, am besten jemandem, der dir nahe steht und von dem du weißt, dass er deine Situation mit Respekt und Vertrauen behandelt. Wenn es wirklich niemanden gibt, der dir dazu einfällt, hast du immer noch die Beratungsstelle! Aber auch wenn du es jemandem aus deinem Umfeld erzählen kannst, würde ich mich an deiner Stelle dennoch professionell beraten lassen. Diese Leute haben Erfahrungen mit diesem Thema und können dich viel besser verstehen und dir helfen, wie du nun weiter tust. Außerdem: Schreibe deine Gedanken und deine Gefühle zu diesem Thema, vielleicht auch bezüglich deiner Mutter, nieder und verbrenne dann wie in einem Ritual die einzelnen Zettel. Das kann helfen, die Gefühle loszulassen, die in dir rumoren.

Ich hoffe sehr, dass ich dir mit meinen Gedanken und Überlegungen ein wenig weiterhelfen konnte.
Ich wünsche dir alles Liebe und ganz viel Glück und Kraft für deine weiteren Schritte.
Bleib so mutig, wie du bist! Wenn du noch etwas brauchst, melde dich einfach indem du deine Nachricht "An Christina B." richtest, dann erreicht sie mich (:
Herzliche Grüße,
Christina B.