Problem von Anonym - 17 Jahre

Angst vor Outing bei der Familie

Hallo,
ich hab ein Problem, was mich ziemlich bedrückt.
Mit 13 merkte ich, dass ich auf Mädchen stehe. Mit 14 war ich mir ziemlich sicher und ich fing mich an zu outen. Bisher hab ich mich nur vor Freunden geoutet, weil ich gegenüber ihnen ein sicheres Gefühl habe. Generell kann ich mit Freunden besser sprechen als mit meiner Familie.
Nun, das ist Problem. Ich bin mittlerweile 17 und meine Familie denkt, ich sei ein heterosexuelles Mädchen mit 0 Liebeserfahrung. Sie machen jedes Mal Andeutungen, dass ich mir doch endlich einen Freund suchen soll. Diese werden von Zeit zu Zeit ziemlich penetrant. Ich habe drei ältere Geschwister, welche alle glücklich vergeben sind. Aber diese sind auch schließlich erwachsen.
Ich traue mich nicht allen zu sagen, dass ich auf Mädchen stehe. Meine Mutter ist tolerant, aber sie würde es jedem erzählen und so tun als wäre es was mega besonderes, was ich überhaupt nicht leiden kann! Außerdem müsste ich mir Fragen anhören, die ich sicherlich als nervig empfinden würde. Ich möchte aber einfach nur, dass sie es weiß und es einfach so hinnimmt ohne großes Schauspiel zu machen. Ich möchte als Homosexuelle nicht anders fühlen wie eine Heterosexuelle. Wie mein Vater darauf reagiert, kann ich nicht einschätzen, aber ich denke, er kann es akzeptieren. Mein einer Bruder ist denke homophob. Er macht viele gemeine Witze und gibt Ausdrücke von sich wie "Schwuchtel". Meine Schwester hätte kein Problem damit, aber sie würde mich auch ausfragen. Sicherlich hab ich Erfahrungen mit Mädchen, aber ich möchte diese für mich behalten. Nur weil jeder anderer aus der Familie offen über ihr Liebes- und Sexleben redet, möchte ich das auch nicht.
Persönlich würde ich mich nicht direkt outen wollen. Am liebsten würde ich warten bis ich eine feste Freundin hab, damit ich nicht viel erklären muss. Vielleicht ist das Outing mit einer vorhanden Freundin einfacher. Dennoch gibt es zurzeit niemanden in meinem Leben mit der eine Beziehung in Frage steht. Ich möchte auch nicht zwanghaft eine Freundin suchen.
Aber ich möchte auch nicht warten bis ich 20 bin und meiner Familie noch weitere Jahre meine Homosexualität vorenthalten.
Es macht mich ziemlich fertig. Meine Familie wird weiterhin denken, ich bin ein Mensch ohne jegliche Erfahrung, dumme Witze reißen.. und ich möchte nicht, dass sie so reagieren, wie ich denke, dass sie reagieren werden.
Was soll ich tun?

Christina B. Anwort von Christina B.

Hallo liebe Anonyme!
Danke dass du dich mit deinen Sorgen und Problemen an uns gewandt hast. Ich kann gut verstehen, dass das eine schwierige und komplizierte Situation für dich sein muss. Du bist eigentlich seit langer Zeit schon homosexuell, und gehst auch gut damit um, aber das Outing vor der Familie ist ein Problem. Ich denke, ich kann dir sagen, dass das Outing niemals leicht ist und am wenigsten einfach ist es wahrscheinlich mit der Familie. Warum? Weil diese in den meisten Fällen kein Blatt vor den Mund nehmen und geradeheraus sagen, was sie denken. Traurig, aber wahr, in Familien geht es oft weniger sensibel zu als im Freundeskreis bei solchen Dingen. Doch trotzdem sollte das kein Grund sein, seine Sexualität zu verbergen. Denn immerhin sind sie deine Familie und sie sollten dich so akzeptieren wie du bist. Ganz gleich ob homo oder hetereosexuell, du bist okay, so wie du bist (: Ich kann gut verstehen, dass dir die blöden Witze, die Fragerei und die Andeutungen auf die Nerven gehen, eigentlich willst du damit nur in Ruhe gelassen werden. Ich finde es auch eigentlich ganz natürlich, seine sexuellen bzw Liebeserfahrungen für sich zu behalten - so wie du geschrieben hast: nur weil deine Schwestern frei und offen darüber sprechen, muss das nicht bedeuten, dass du das tun möchtest. Eigentlich willst du dich nicht outen, erst wenn du eine Freundin hast, weil du denkst, dass das vieles leichter machen würde. Andererseits willst du ihnen nicht länger so etwas verschweigen und dir auch das dumme Gerede nicht ständig anhören. Das ist wirklich eine Zwickmühle, aber für jede Zwickmühle gibt es auch einen Mittelweg (:

Du hast ziemlich detailliert geschrieben, wie du denkst, dass deine unterschiedlichen Familienmitglieder reagieren würden. Aber sicher weißt du es nicht! Du kannst ja immerhin nicht in ihre Köpfe schauen. Ich denke, dass man von Familienmitgliedern durchaus verlangen kann, ihre Reaktionen bedacht auszudrücken und ich denke, dass du sie bitten bzw von ihnen verlangen kannst, dass
- deine Mutter nicht viel Aufhebens darum macht und es einfach hinnimmt, ohne eine große Sache daraus zu machen
- sie nicht viele Fragen stellt oder deine Antwort "Ich möchte nicht darüber sprechen." akzeptiert
- deine Schwestern dich nicht darüber ausfragen, welche Erfahrungen du bereits gemacht hast

Wenn du mit ihnen einzeln darüber sprichst, und im Vorfeld schon absprichst, dass es dir wichtig wäre, dass nicht zu viele Fragen gestellt werden, ist so etwas bestimmt leichter als in einer Art Familienkonferenz. So kannst du dich immer nur mit einem alleine damit auseinandersetzen und wenn es einer weiß, ist die Sache schon mal leichter. Ich würde mit der Person anfangen, mit der du glaubst, dass es am besten laufen würde - z.B.: deiner Mutter. Du könntest sie dann auch darum bitten, es deinen Schwestern zu sagen, wenn du das selbst nicht willst oder deinem Vater. Außerdem glaube ich, dass es gut wäre, im Gespräch mit deinem Bruder deine Mutter dabei zu haben, die dir den Rücken frei hält und dich unterstützt. Ich glaube nicht, dass er dann homophob oder unsensibel reagieren wird, wenn er weiß, dass die Katze bereits aus dem Sack ist und es von der Familie akzeptiert wird und Ende. Du bist ja immerhin seine Schwester und er liebt dich doch trotzdem, gleich welche Sexualität du hast. Im Internet findest du außerdem haufenweise Tipps und Tricks zum Thema Outing, vereinzelt sogar Beratungsstellen, hier eine aus Wien: http://www.hosiwien.at/rat-hilfe/
Aus Deutschland konnte ich gerade keine finden.

Ich glaube, dass es wichtig für dich persönlich wäre, dich schon jetzt zu outen, auch wenn du noch keine Freundin hast. Denn offenbar belasten dich die Fragen und du willst eigentlich abgeklärt haben, was Sache ist. Ich würde dir raten, so vorzugehen, dass du dich selbst dabei wohl fühlst und die Situationen vorher im Kopf durchzuspielen. Vielleicht willst du mit deiner Mutter auch eine Art "Vertrag" schließen, wonach sie dir verspricht, um die Sache nicht viel Wind zu machen, sondern es einfach nur hinzunehmen. Dennoch wirst du wohl mit einigen Fragen rechnen müssen, denn für sie alle kommt es wahrscheinlich aus heiterem Himmel. Aber ich denke, dass ihr euch gut darauf einigen könnt, wenn du ihnen einfach sagst "Ich möchte nicht darüber sprechen." und sie dich dann in Ruhe lassen. Ein bisschen was wirst du wohl erklären müssen, aber schau, dass es so bleibt, dass du dich weiterhin dabei wohl fühlst. Ein weiterer Tipp von mir: Wenn du das Ganze nicht persönlich machen kannst oder willst, weil deine Angst und Hemmung davor zu groß sind, was ich gut verstehen kann, so würde ich dir empfehlen, deiner Familie einen Brief zu schreiben. In diesem kannst du alles erklären und auch deine Bedingungen klären, dass du einfach nur möchtest, dass sie es akzeptieren und dich nicht zu viel ausfragen, dass du dir einfach nur eine Umarmung und ein "Ist okay so." wünschen würdest und sonst nichts. Du kannst ihnen diesen am Küchentisch legen, und dann vielleicht tagsüber oder so nicht zu Hause sein, und dann können sie auch in ihrem Tempo darauf reagieren.

Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen. Wenn du noch etwas brauchst, kannst du mich gerne erneut kontaktieren. Richte dazu deinen Text am Anfang "An Christina B.", dann erreicht mich die Nachricht.
Alles Liebe und viel Glück,
Christina B.