Problem von Anonym - 21 Jahre

An Paul: Er kann sich nicht entscheiden

Hallo Paul,

etwa ein Monat ist schon wieder vergangen, seitdem ich Dir zum letzten Mal geschrieben habe. Hier kommt erneut ein Update.

Wie Du im Betreff sehen kannst, ist das Problem der letzten Wochen nach wie vor, dass er sich nicht entscheiden kann. Ich weiß nicht, ob er es nicht kann, ob er es nicht will, ob er eigentlich genau weiß, dass er seine Freundin nie wird verlassen können… Ich weiß nicht, was genau in ihm vorgeht. Wenn wir uns sehen – was äußerst selten vorkommt – redet er kaum darüber, was er fühlt. Klar, er ist verwirrt. Er weiß nicht weiter. Er will weder ihr, noch mir weh tun. Aber das ist nicht die Lösung, wie Du es auch schon des Öfteren gesagt hast. Wenn ich ihn darauf anspreche, mir zu sagen, was er denkt, weicht er meistens aus oder sagt „Ich weiß es nicht.“ Dass er bestimmte Dinge wirklich nicht weiß, glaube ich ihm. Trotzdem denkt er, wie er selbst sagt, viel über all das nach – sagt mir jedoch nicht, was genau ihn beschäftigt.

Vor etwa drei Wochen hat er mich zum ersten Mal in meiner eigenen Wohnung besucht (berufsbedingt muss ich dort zeitweise wohnen). Im Endeffekt sind wir in meinem Bett gelandet. Es ist nicht das passiert, was Du jetzt vielleicht denkst. Wir haben gekuschelt, uns geküsst, gestreichelt und auch an intimeren Stellen angefasst. Es war schön, so wie es immer mit ihm ist. Ich fühle mich so wohl bei ihm. Und er wollte mehr. Das will er schon seit Längerem, doch ich erlaube es ihm nicht. Da ist definitiv die Grenze dessen, was ich zulasse, erreicht. Besonders stolz bin ich darauf nicht, schließlich lasse ich viel zu viele andere Dinge zu. Aber mit ihm schlafen werde ich absolut nicht, solange er eine Freundin hat, so viel steht fest.
Er bittet regelrecht darum. Sagt, dass er es „nur ein Mal“ tun will. Jetzt, wo ich das aufschreibe und drüber nachdenke, klingt es wirklich so, als wolle er das nur ein einziges Mal tun und mich dann loswerden. Ich weiß nicht, ob ich zu naiv bin, wenn ich denke, dass er es wirklich ernst meint und nicht nur mit mir „spielt“. Ich weiß, Du kennst ihn nicht, aber was für einen Eindruck macht das auf Dich? Letzten Endes werde ich so oder so nicht mit ihm schlafen, aber ich muss einfach deuten, was das, was er sagt und tut, bedeutet.

Eine Woche später besuchte er mich erneut in meiner Wohnung. Tage zuvor hatte er mir geschrieben, dass er so nicht mehr weitermachen kann und dass wir dringend reden müssen. Tagelang ging es mir elend. Ich hatte so Angst davor, was er wohl sagen würde. Diese Situation hatten wir schließlich schon einmal gehabt und da konnte er nicht konsequent bleiben und die Sache mit mir beenden…
Wir sprachen einige Zeit und er sagte mir indirekt, dass es vorbei war, als er mich fragte, ob wir Freunde bleiben könnten. Wir haben beide geweint. Und letztendlich haben wir uns doch wieder geküsst, lagen wieder in meinem Bett und waren in der gleichen Situation wie noch eine Woche zuvor. Beide nehmen wir uns stets etwas vor, was wir nicht einhalten können. Entweder ist er derjenige, der nachgibt oder ich bin es.
Teilweise möchte ich auch gar nicht standhaft bleiben, möchte ihm zeigen, wie viel er mir bedeutet und dass die Sache es wert ist.

An diesem Tag erzählte er mir allerdings noch etwas, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht wusste/was mir nicht bewusst war: Nämlich dass er und seine Freundin eigentlich gar keine schlechte Beziehung führen. Ich hatte immer gedacht, dass es doch irgendeinen Grund dafür geben muss, dass er an mir interessiert ist. Dass ihm in seiner Beziehung irgendetwas fehlt. Angeblich ist dem jedoch nicht so. Glaubst Du ihm das? Oder glaubst Du, gibt es immer einen Grund, weshalb jemand fremdgeht? Wenn ich ehrlich bin, glaube ich schon, dass ihm irgendetwas fehlen muss, selbst wenn es ihm nicht bewusst ist. Und auch wenn er es ganz klar verneint, besteht nicht doch die Chance, dass er das alles nur angefangen hat, weil ich so jung bin? Und dazu: Dass es offiziell „verboten“ ist, seine Freundin zu betrügen? Macht das den Reiz für ihn aus und jetzt, wo er sieht, wohin das führt, bekommt er kalte Füße und will doch zu seiner Freundin und seiner gewohnten Umgebung zurück? Ich würde so gerne wissen, was genau ihn so sehr an uns beiden zweifeln lässt.

Jedenfalls war es dieser eine Satz, der mich vor ein paar Tagen dazu brachte, ihm zu schreiben, dass ich es so nicht mehr will. Gerade weil seine Beziehung mit ihr gar nicht so schlecht sein soll, wie ich gedacht hatte. Er schrieb bloß, dass das jetzt sehr plötzlich käme und – mal wieder – ob wir denn Freunde bleiben würden. Ich antwortete, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Er reagierte nicht gerade so, wie ich es mir erhofft hatte. Irgendwie hatte ich gehofft, dass ihn das nochmal „wach rütteln“ würde. Falsch gedacht. Und ob ich das, was ich ihm geschrieben habe, selbst ernst meine, weiß nicht mal ich.

Zum ersten Mal seit zwei Monaten habe ich etwas Vernünftiges getan, aber gut geht es mir damit nicht. Nein, ich möchte nicht mehr die Affäre sein. Das reicht mir nicht. Ich will ihn nicht teilen. Ich will nicht wissen, wie oft er sie küsst, ob sie oft miteinander schlafen… Ich will ihn für mich und ich will auch das Risiko eingehen, dass uns alle Welt für bekloppt und lächerlich hält. Es ist mir egal. Ich glaube, ich liebe ihn und das habe ich ihm auch gesagt. Er denkt auch, dass es mehr als nur verliebt sein bei ihm ist. Aber ich habe auch das Gefühl, dass ich viel mehr für ihn tun würde, als er für mich. In den letzten Wochen schrieb er mir auch nicht mehr so viel. Es kam kein „Ich vermisse dich“ mehr. Nie schrieb er, dass er mich sehen will und nie machte er eine genaue Ansage, wann wir uns das nächste Mal sehen würden. Ständig warte ich auf ihn – auf eine Nachricht, wann wir uns sehen, auf eine Antwort, die ich nicht bekomme, auf eine ernst gemeinte Entscheidung… Ich werde einfach nicht schlau aus diesem Mann. Und ich weiß wirklich nicht mehr, was ich noch tun soll, was ich tun werde, was richtig ist und was falsch. Es kommt mir so vor, als könnte ich nie wieder einen klaren Gedanken fassen. Ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren, denn immer und immer wieder fallen meine Gedanken auf ihn zurück. Ich kann ihm nicht einmal böse sein. Immer noch kann ich ihn in gewisser Weise verstehen. Ich glaube, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Und es tut mir leid, wenn ich Dich mit dieser Geschichte belästige. Du sitzt wahrscheinlich vor dem Bildschirm und schüttelst nur noch mit dem Kopf, weil ich es nicht schaffe, ihm dieses blöde Ultimatum zu stellen. Ich kann es nicht. Ich kann es beim allerbesten Willen nicht. Er ist mir so wichtig, dass ich nicht aufhören kann, zu kämpfen, auch wenn es so gottverdammt falsch ist, einer Frau den Freund auszuspannen…

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

was ich dir natürlich wünsche, ist, dass sich inzwischen eine Entscheidung gefunden hat. Ich denke, welche es auch wäre, wäre es im Moment besser für dich, wenigstens in irgendeine Richtung Klarheit zu haben. Wir können den Austausch hier sehr gerne weiterführen, du musst keinerlei Scheu haben, denn deine Probleme "belästigen" mich nicht. Ich bin immer froh, wenn ich jemanden über längere Zeit begleiten kann, da ich dann die Zusammenhänge auch besser verstehe. Andererseits steht es dir natürlich immer frei. Diesmal konnte ich leider erst mit einigem Abstand antworten, da ich verreist war und zur Zeit sehr viel für mein Studium zu tun habe.

Ich bin davon überzeugt, dass man nie für zwei Menschen exakt dasselbe fühlt, und trotzdem die Liebe jedesmal gleich stark ist. Jede Beziehung ist ein ganzer Kosmos. Du hast mit H. jetzt schon so viele gemeinsame Erfahrungen gemacht, hast schon so viele Träume und Hoffnungen durchlebt, dass es verständlicherweise schwer ist, dich zu lösen. Aber genau da liegt das Problem: Es ist zwar wirklich toll, dass deine Haltung konsequenter geworden ist, und dass du klare rote Linien (in diesem Fall: Sex gibt es nicht) formuliert hast. Dennoch weißt du nie, ob und wie lange du sie wirst einhalten können. Und je länger du zögerst, ihn vor eine Entscheidung zu stellen, desto schwerer wird es dir fallen, ihn gehen zu lassen. Was am Ende eher ihm nützt. Du bist, weil du jünger bist, weniger verdienst, weniger Erfahrung hast, noch stärker von deiner Familie abhängst, letztlich doch in einer schwächeren Postion als er. Wenn er immer weiter dazu beiträgt, die endgültige Entscheidung zu verschleppen, erhöht er den Leidensdruck auf dich. Das sollte er wissen. Die Belastung, der er dich aussetzt, ist riesig - und auch wenn ich sehr oft gesagt habe, dass du in einer Verantwortung bist: Am Ende sehe ich den größeren Anteil bei ihm, denn er ist in der stärkeren Position. Für ihn kann sein bisheriges Leben weitergehen, wenn er den Kontakt zu dir abbricht. Dein Leben baut sich erst auf. Und das solltest du auch im Hinterkopf behalten.

Sicherlich kann man mehr als einen Menschen lieben. Aber was ist das eigentlich, Liebe? Für mich kann ich es vielleicht so beschreiben: "Liebe" ist, so wie die meisten Dinge, von Bewertungen abhängig. Meine Freundin zum Beispiel wohnt hundert Kilometer von mir entfernt. Ich liebe sie sehr und will gar nicht daran denken, dass es zwischen uns einmal aus sein könnte. Andererseits sehen wir uns leider nicht oft. Und dann bin ich während des Semesters jeden Tag mit vielen anderen netten und auch attraktiven Frauen zusammen. Mit einigen davon bin ich befreundet. Und hin und wieder kommt es vor, dass ich zufällig ein paar Mal hintereinander mit einer Kommilitonin allein in der Mensa sitze und quatsche. Man lernt sich näher kennen, man erzählt sich persönlichere Dinge, und jemand zieht mich vielleicht sogar ins Vertrauen, was Familie, Beziehung, die eigene Gesundheit angeht. Es ist ein schönes Gefühl, jemandes Vertrauen zu haben - das wirst du sicherlich unterschreiben können. Und der langen Rede kurzer Sinn, liebe Anonyme: Sicherlich fühle ich auch ab und an außerhalb meiner Beziehung ein kleines Verliebt-sein. Allerdings: Muss ich dem nachgehen? Muss ich der Person überhaupt davon erzählen? Nein, das muss ich nicht. Und ich tue es auch nicht. Ich habe meine Freundin, die ich nicht verlieren will und mit der ich eine gemeinsame Zukunft plane. Meine Liebe zu ihr wird nicht kleiner, nur weil mein Blick nicht auf sie verengt ist. Und ich vertraue darauf, dass sie genauso denkt wie ich. Dabei wird auch sie gewiss hin und wieder einen anderen jungen Mann treffen, der sie zum Nachdenken bringt. Und weißt du was? Das gestehe ich ihr auch zu, und ich bin sicher, dass es so ist, auch wenn sie es nicht erzählt. So ist der Mensch. Man muss seine Ziele kennen und seine Prioritäten haben. Von einem Mann in H.'s Alter kann viel eher erwartet werden als von dir, dass er seine hat und einhält. Und deswegen ist es jetzt auch nicht mehr möglich, ihn zu schonen.

Eines ist erkennbar: H.'s Gefühle verwirren und belasten ihn selbst. Er hat sogar Tränen vergossen. Ich glaube, was wir daran sehen können, ist: Er weiß, dass er sich entscheiden muss. Und dass er damit die Zelte hinter sich abbricht. Seine Gefühle für dich setzen ihn unter Druck, und er sucht verzweifelt nach einem Ausweg. Was er eigentlich möchte (auch wenn er das nicht zugibt, sich wahrscheinlich nicht einmal selbst eingesteht!) ist, das Beste zweier Welten mitzunehmen. Das hat er bislang getan. Aber das kann so nicht weitergehen.

Warum er so dringend mit dir schlafen will, ist eine gute Frage. Ich könnte mir Folgendes vorstellen: Wenn der Seitensprung dadurch gewissermaßen "komplett" ist, so hofft er, wird ihm die Trennung leichter fallen. Oder zumindest irgendein Entschluss. Du handelst aber ganz richtig, wenn du es auf keinen Fall zulässt. Erstens wird es dazu führen, dass du dich nur noch "weggeworfener" fühlst, wenn er sich gegen dich entscheidet. Zweitens: Was einmal funktioniert hat, kann auch wieder funktionieren. Du hast keine Gewähr dafür, dass H. dann nicht "noch einmal" und "noch einmal, nur noch ein einziges Mal" will. Und deine Hemmschwelle, dem nachzugeben, wird immer weiter absinken. After all, dadurch würdest du dich wegbewegen von dem, was du eigentlich möchtest.

Du bist jetzt, auf gut Deutsch, sein schmutziges Geheimnis. Aber du bist mehr wert. Jetzt ist da deine Angst, ihn zu verlieren. Diese ist verständlich. Du musst nicht befürchten, dass ich über dich die Stirn kraus ziehe, liebe Anonyme. Das tue ich nicht. Du bist nicht die erste Person, der so etwas passiert, und ich glaube, die wenigsten Menschen sind davor gefeit, in eine vergleichbare Situation zu geraten. Nur: Willst du erst warten, bis dein Leid so groß wird, dass du irgendwann einen radikalen, furchtbaren Schnitt machst? Und dich dann ewig fragst, was du nur hättest anders machen sollen? Oder willst du ihm jetzt sagen, dass er dich entweder ganz nehmen soll, oder gar nicht kriegt? Welchen Mehrgewinn hast du, wenn du ein Verhältnis am Leben hältst, dass dich quält, auf die Hoffnung hin, es möge anders werden? Es wäre doch bereits jetzt eine riesige Belastung, auch wenn er sich heute Abend für dich entscheidet. Dein Vertrauen in ihn ist bereits gestört. Je länger ER wartet, desto schlechter stehen die Chancen, dass es für euch einen Neustart gibt. Mit anderen Worten: Ihn zu einer Entscheidung zu zwingen, ist die einzige Chance, überhaupt etwas zu bekommen. Wenn er von sich aus in Bewegung kommt, ist das zwar gut. Dann musst du aber trotzdem zur Bedingung machen, dass er die Trennung auch komplett vollzieht. Sonst wird das Ganze zur schweren Hypothek für eure Beziehung. Und wenn du immer weiter wartest, ohne dass etwas geschieht - dann wirst du dich irgendwann fragen, auf was für einen Mann du hier überhaupt noch wartest.

Ich denke, dass sich aus seinem geänderten Kontaktverhalten vor allem eins ersehen lässt: Seine zunehmende Getriebenheit. Und mittlerweile halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass er sich für seine Partnerin entscheidet, auch wenn ich es natürlich nicht weiß. Ob er dabei ist, sich innerlich von dir "abzunabeln" kann ich genauso wenig sagen. Doch deine Enttäuschung ist berechtigt, denn du merkst, dass er dir ein Stück weit etwas vorgespielt hat. Und hier wieder die Frage: Was sagt dir das über die Beziehung, die ihr führen würdet? Sollte er sich für dich von seiner Partnerin trennen, hieße das noch nicht, dass sie aus der Welt ist. Und auch nicht, dass sie für ihn innerlich gestorben wäre. Das Gegenteil wäre der Fall. Du hingegen, die emotional ungebunden ist, du würdest dir nach einer Trennung wünschen, dass er ganz für dich da ist. Auch hier ein Interessenkonflikt, der schwere Folgen haben kann.

Zusammengefasst: Du kommst nicht darum herum, ihn vor die Wahl zu stellen. Und du darfst auch nicht vergessen: Egal wie er entscheidet, ist die Sache damit nicht ausgestanden. Es ist genauso begreiflich, vor einer gemeinsamen Zukunft auch zurückzuschrecken, so sehr man sie sich wünschst, wie vor dem Gegenteil.

All diese Dinge schreibe ich für dich erstmal nur als Denkanstoß. Ich kann und will mich nicht zum Maßstab deines Handelns machen. Du weißt selbst am besten, ob meine Überlegungen für dich passen, und ob du sie umsetzen möchtest. Immerhin bist du jetzt so weit, ganz genau zu wissen, was DU willst. Das ist ein immenser Fortschritt, denn so kannst du es ihm vermitteln - und das hast du. Jetzt hängt alles von ihm ab - und davon, wie teuer du dich selbst vergibst. Bisher hast du unter Wert verkauft. Willst du das so fortsetzen? Du sagst selbst, nein, das magst du nicht. Aber ganz egal, ob du die entscheidenden Schritte heute oder in einem Jahr ziehst: Sie kommen auf dich zu. Das solltest du nicht vergessen.

Ich würde mich freuen, wieder von dir zu hören!

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul