Problem von Anonym - 42 Jahre

Kann Supervisor nichts recht machen

Hallo!
Ich bin 42, verheiratet, allerdings lebt meine Frau bereits seit 2 Jahren in den USA,wohin auch ich ziehen will,sobald die rechtlichen Gegebenheiten erledigt sind.Ich hoffe,daß das Ganze im ersten Halbjahr 2018 über die Bühne gegangen ist.

In der Zwischenzeit arbeite ich hier in Deutschland über eine Zeitarbeitsfirma in einem Callcenter eines Maschinenherstellers,d.h.ich supporte dessen Maschinen. Das sieht so aus,daß Kunden bei uns anrufen und wir vom 1st Level Support telefonische Hilfe geben,wie bestimmte Probleme vom Anrufer selbst zu lösen sind..Bei schwerwiegenderen Problemen werden die Tickets an den 2nd-Level-Support weitergegeben, ggf. auch ein Techniker rausgeschickt. In der Firma herrscht personalmäßig ein fröhliches Kommen und Gehen, kaum ein Bewerber bleibt länger als unbedingt sein muss,alle ergreifen sie die Flucht,wenn sie merken, was in dieser Firma los ist. Ich bin jetzt 1,5 Jahre in dieser Firma und habe geschätzt 15 Leute anfangen und wieder aufhören sehen. Selbst langjähriges Personal ergreift zur Zeit panikartig die Flucht, der Rest nimmt jede Gelegenheit war,um krank zu feiern (darunter häufig psychische Probleme).

In der Firma herrscht eine katastrophale Kommunikation: Änderungen an der Software der Geräte werden kaum publiziert,so daß ein Fehler,der heute noch auf eine gewohnte Art und Weise gelöst wird,morgen schon ganz anders gelöst werden soll.
Die Folge: Man macht fast unweigerlich Fehler und wird vom Supervisor vollgemeckert,der natürlich diese Änderungen und natürlich auch sämtliche anderen Macken der Geräte kennt, immerhin ist er der Dienstälteste in der ganzen Abteilung. Die Folge ist,daß man als kleiner 1st-Level-Supporter eigentlich KEINEN Fehler zu seiner Zufriedenheit lösen kann. Selbst wenn das Gerät wieder funktioniert, passt ihm das nicht wirklich,wenn er die Tickets prüft. Reicht man seines Erachtens zuviele Tickets an Techniker weitergibt, ist das natürlich auch nicht recht. Ebenso wenn man Tickets an den 2nd-Level-Support weitergibt,ohne seines Erachtens alle notwendigen Infos einzuholen. Umgekehrt gibts aber auch wieder Mecker,wenn man Sachen beim Kunden abfragt, die für den Fehler eigentlich ohne Belang sind.

Momentan ist es soweit,daß ich nicht mal mehr Techniker rausschicken darf,ohne mir vorher bei einem von 3 ausgewählten Kollegen (darunter der erwähnte Supervisor) das Ok zu holen. Unnötig zu erwähnen,daß ihm das auch nicht in den Kram passt,wenn man dann nicht ihn fragt, sondern einen der anderen beiden Kollegen. Heute habe ich sogar einen Anschiss bekommen,weil ich seit Einführung dieser Anweisung tatsächlich kaum noch Technikereinsätze veranlasse,sondern lieber länger mit den Kunden am Telefon eine Lösung zu finden versuche. Zuviele Techniker-Einsätze=>Anschiss. Zu wenig Techniker-Einsätze=>Anschiss. Ich kanns ihm also nicht recht machen.

Natürlich habe ich schon versucht, die Fehler bei mir selbst zu finden. Es ist tatsächlich so,daß ich häufig Fehler mache. Das liegt ganz einfach daran,daß ich mich gerade bei Fehlern,die nicht so oft vorkommen, einfach an den Fehlerbaum halte, der uns zur Lösungsfindung zur Verfügung steht. Unnötig zu erwähnen,daß auch das dem Herrn Supervisor nicht passt. Da fragt man sich doch: Warum bastelt die Firma ständig an den Fehlerbäumen rum,wenn dann doch nicht alles drinsteht,was man angeblich alles fragen soll ?

Was mich am meisten an der ganzen Sache ärgert: er scheint es in erster Linie nur auf mich abgesehen zu haben. Wir müssen jeden Tag für einen bestimmten Kunden so eine Art Datenübertragung in dessen Computersystem machen. In diesem Rahmen kriege ich auch die Tickets der anderen Agenten zu Gesicht und schaue mir auch interessehalber an, was diese Kollegen bei gängigen Fehlern zur Lösungsfindung gemacht haben. Und meist ist das genau die selbe Methode,die ich auch angewendet hätte. Manchmal sind die Tickets auch derartig kurz gehalten,daß man nur als Insider erahnen kann,was da überhaupt von den Kollegen gemacht wurde. Ich würde für solche Tickets sofort einen gewaltigen Anschiss bekommen.

Ich merke in den letzten Monaten,daß ich immer mehr zur tickenden Zeitbombe werde, insbesondere weil ich ständig befürchten muss,mit jedem neuen Ticket wieder wegen Nichtigkeiten zusammengestaucht zu werden. Meine Konzentrationsfähigkeit und vor allem mein Gedächtnis lassen zunehmend nach,was die dienstlichen Angelegenheiten angeht. Was ich nicht unverzüglich aufschreibe (Lösungswege, Tips anderer Kollegen zu gängigen Problemen usw), habe ich in kürzester Weise wieder vergessen. Interessanterweise ist das aber nur in dienstlichen Belangen so, nicht bei anderen Bereichen des täglichen Lebens. Sprich: Irgendwie geht bei mir in dienstlichen Belangen so eine Art geistige Firewall hoch, die mich davor beschützt, ganz durchzudrehen.

Eigentlich hatte ich gehofft,die paar Monate bis zu meinem Umzug in der Firma bleiben zu können,aber jeder Tag länger ist eine Tortur für mich. Daß es insbesondere an diesem einen Kollegen liegt, daß es mir so mies geht, merke ich insbesondere dann, wenn entweder er oder ich mal nicht da sind,denn dann gehts mir sofort besser.
Natürlich bin ich aktiv auf Jobsuche,doch ist das hier nicht so einfach, einen anderen Job zu finden.
Die gemeinsamen Vorgesetzten auf meine Situation anzusprechen ist ziemlich aussichtslos. Der erwähnte Kollege ist seit über 10 Jahren dabei und in der gesamten Abteilung der einzige noch verbliebene Kollege, der in technischer Hinsicht als eierlegende Wollmilchsau zu bezeichnen ist. Er ist für die Firma unabdingbar und das weiß er auch, weswegen er praktisch Narrenfreiheit hat und das gnadenlos ausnutzt.

Wie würdet ihr an meiner Stelle weiter vorgehen ?

Delia Anwort von Delia

Hallo lieber Anonymer,

die Arbeitsbedingungen in vielen Callcentern werden schon seit Jahren kritisiert und eine hohe Fluktuation der Mitarbeiter ist nicht unüblich. Viele Menschen, die mal in einem Callcenter gearbeitet haben, geben an, dass sie es irgendwann nicht mehr ausgehalten haben. Du bist also mit deinen Gedanken und Gefühlen keinesfalls alleine.

In einigen deiner Beschreibungen konnte ich mich sogar selbst wiederfinden, da ich zeitweise ebenfalls einen Job machen musste, in dem zum Teil katastrophale Zustände herrschten. Vor allem die Probleme mit der internen Kommunikation und die damit verbundenen Fehler kommen mir sehr bekannt vor. Selbst wenn man sich sehr bemüht, hat man letztlich einfach nicht die Möglichkeit, Fehler tatsächlich zu vermeiden, da sich die Anweisungen ständig ändern und diese nicht mit den Mitarbeitern kommuniziert werden. Daraus folgen dann ständige Anschuldigungen durch den Vorgesetzten und irgendwann zweifelt man sogar an seiner eigenen Kompetenz. Gleichzeitig ist man wütend und fühlt sich ungerecht behandelt und hat das Gefühl, dass man daran nichts ändern könne. Man geht jeden Morgen mit einem schlechten Gefühl zur Arbeit und auch in der eigenen Freizeit kann man nicht wirklich abschalten, sondern steht unter einer ständigen inneren Anspannung. Kein Wunder also, dass so ein Job einen Menschen ernsthaft krank machen kann und dass du dich so schlecht fühlst.

Die naheliegendste Lösung, nämlich sich einen neuen Job zu suchen, gehst du ja bereits an. Wie du selbst bereits festgestellt hast, ist das aber nicht unbedingt sonderlich einfach. Je nachdem, ob du im Bereich von Callcentern bleiben willst, ist es auch fraglich, ob in einem ähnlichen Job die Arbeitsbedingungen tatsächlich besser sind. Da du aber sowieso planst, in den nächsten Monaten nach Amerika zu deiner Frau zu ziehen, ist zumindest ein Ende deines derzeitigen Jobs in Sicht. Du wirst wahrscheinlich genauso auf das Einkommen angewiesen sein, wie die meisten Arbeitnehmer, von daher ist eine spontane Kündigung wohl nicht im Bereich des Möglichen.

Ich habe mir einige Gedanken zu deiner Situation gemacht und miir persönlich waren folgende Punkte wichtig, vielleicht helfen sie ja auch dir:

1. Der Austausch mit Kollegen. Du schreibst selbst, dass viele deiner Kollegen jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um vor der Arbeit zu flüchten. Es gibt also jede Menge Kollegen, denen es zumindest ähnlich geht wie dir. Isoliere dich nicht und bleib mit deiner Frustration nicht alleine, sondern rede mit Kollegen darüber, von denen du weißt, dass es ihnen ähnlich geht. Natürlich ist dabei immer eine gewisse Vorsicht notwendig und du solltest dich nicht dazu hinreißen lassen zu sehr über deine Arbeit und Vorgesetzten zu lästern, da man nie genau weiß, ob die Kollegen nicht doch mal zum Vorgesetzten laufen und ihm alles berichten. Aber in der Regel solltest du gute Möglichkeiten haben Verbündete zu finden.

2. Das Verhalten der Vorgesetzten nicht persönlich nehmen. Wenn dich jemand ständig kritisiert und deine Arbeit immer wieder bemängelt und dich gleichzeitig nicht dabei unterstützt, deine Arbeit besser zu erledigen, dann hat das mehr mit ihm selbst als mit dir zu tun. Es geht nicht um dich persönlich oder um deine Kompetenz oder deine Arbeitsbereitschaft, sondern es geht um ihn und seine Persönlichkeit. Vielleicht geht er mit deinen Kollegen genauso um, ohne dass du es bemerkst, oder er sucht sich auf Grund der hohen Fluktuation der Mitarbeiter jedes Mal einen Neuen aus, dem er ständig seine Macht demonstrieren oder den er einfach kritisieren möchte. Du kennst seine Motive nicht und letztendlich spielen sie auch keine Rolle. Das Leben ist lang und dieser Job ist nur ein kleiner Abschnitt davon, lass nicht zu, dass du wegen den Worten einer Person an dir oder deinen Fähigkeiten zweifelst.

3. Zu erkennen, dass die Vorgesetzten letztendlich genauso in dem System feststecken wie man selbst. Selbst der Dienstälteste, der seine Narrenfreiheit genießt, steckt letztendlich in diesem destruktiven System fest. Auch wenn es den Anschein macht als hätte er die Kontrolle und würde das Ganze genießen. Was ist schon schön dabei, ständig Mitarbeiter anzumeckern und zu fordern, dass jede Kleinigkeit von einem abgesegnet wird? Vielleicht denkst du jetzt, dass er Spaß daran hat und er sich damit amüsiert. Vielleicht ist das auch wirklich so, aber es ändert nichts daran, dass er sich ständig mit dem Gefühl der Unzufriedenheit herumschlägt und selbst ebenfalls in einem negativen Arbeitsklima arbeitet. Gib ihm nicht mehr Macht über die Situation und über dich als ihm zusteht. Er ist ebenfalls nur ein kleines Rädchen in dem ganzen System, unabhängig von seinen Privilegien.

4. Sich immer wieder daran erinnern, dass es nur ein Job ist. Du tauscht deine Zeit und deine Arbeitskraft gegen Geld, mehr ist es im Grunde nicht. Du brauchst das Geld, um dein Leben zu finanzieren, aber der Job ist kein Teil deiner Persönlichkeit. Suche dir einen Ausgleich in deiner Freizeit, egal was es ist. Treibe Sport, gehe spazieren, fange an zu meditieren, gehe ins Kino, triff dich mit Freunden, probiere neue Kochrezepte aus ect. Suche dir etwas worauf du dich bereits während deines Arbeitstages freuen kannst.

Wenn tatsächlich mal alles nicht funktioniert und du wirklich das Gefühl hast du kannst gerade nicht mehr und es geht einfach nicht mehr, dann kannst du ebenfalls die Möglichkeit nutzen, dich eine zeitlang krankschreiben zu lassen. Natürlich ist das keine wirklich Lösung und ich bin auch nicht dafür, dass man sich als Arbeitnehmer einfach mal eine Auszeit nimmt, wenn einem gerade mal danach ist. Aber es ergibt absolut keinen Sinn, sich für so einen Job psychisch fertig machen zu lassen. Das ist es einfach nicht wert.

Ich wünsche dir alles Gute!