Problem von Anonym - 18 Jahre

Vater wird nochmal Vater von einer anderen Frau

Hallo, gestern würde ich 18 Jahre alt und vor einigen Wochen erhielt ich eine Nachricht, mit der ich immer mehr zu kämpfen habe.

Nun es war so: meine Eltern haben sich vor ca. 15 Jahren scheiden lassen, allerdings weiß ich den genauen Grund selber nicht. Mein Vater beantwortet mir die Frage nicht wirklich und meine Mutter und Bruder sagen es ist, weil mein Vater homosexuell sei. Dies kann ich natürlich kaum glauben, obwohl meine Mutter eindeutige Beweise dafür vorliegen hat. Naja aber das nur zur Vorgeschichte. Als meine Eltern sich scheiden ließen müssten meine Mutter, mein Bruder und ich aus unseren geliebten Haus ausziehen, da sich meine Mutter dies nicht mehr leisten konnte. Wir zogen dann in ein 3-Zimmer Blockhaus einige straßen weiter.
2003 war die Scheidung und 2005 heiratete mein Vater wieder, eine Ukrainerin die er aus dem Internet kannte und kaum deutsch konnte (2001 war er zu Kur in Österreich, schon damals trafen sie sich dort da sie ein Auslandsjahr dort machte). Dies erfuhr meine Mutter erst später.

Ich würde krank, Bauchweh begleiten mich seit meinem dritten Lebensjahr. Ärzte sagen es käme durch die Scheidung, da ich dies nicht verkraftete (was heute immer noch nicht so ist aber nun meinen die Ärzte es käme von etwas anderem). Einige Jahre war ich in Therapie aber es half kaum etwas. Dazu kam noch, dass mein Vater nicht der Vater meiner anderen Geschwister war denn diese stammen aus erster Ehe meiner Mutter.

Das war allerdings nur die Vorgeschichte, denn mein eigentliches Problem trat jetzt erst auf.
Mein Vater wird nochmal Vater, mit der Frau die er 2005 heiratete.
Das Alter meines Vaters: 52
Das Alter seiner Frau: 36
( Zum Vergleich: mein Bruder ist 32 und meine Schwester 34, es könnten auch seine Kinder sein)

Die Kinder (ja, Zwillinge) sind durch künstliche Befruchtung entstanden.
Ich kann damit gar nicht umgehen. Ich verstehe nicht wie mein Vater das nochmal machen kann. Mein Verhältnis zu meinem Vater ist sehr gut aber ich weiß nicht ob ich es, durch diese Geschichte, aufrecht halten möchte.
Diese Kinder werden mit einer Mutter und einem Vater, zusammen in einer glücklichen Familie aufwachsen.
Und ich? Wieso hätte ich sowas nicht?
Ich bin nicht eifersüchtig aber alle, die ich kenne, wachsen in einer richtigen Familie auf und mir fehlt mein Vater immer. Nicht das meine Kindheit schlecht war, nein, meine Mutter hat immer das beste für mich gewollt und mich immer unterstützt, mir fehlte es an nichts. Außer an meinem Vater. Er war nie da wenn ich ihn brauchte. Bei meiner Kommunion wollte ich ihn beim Essen dabei haben aber er wollte nicht, da meine Mutter auch dabei ist. Mit 14 hatte ich meinen Abschlussball und ich habe ihn angebettelt und geweint, ich wollte nur das er dabei ist, sowie bei allen anderen Familien (sie sehen immer so glücklich aus) aber er sagte wieder nein.
Er kommt damit nicht klar wenn ich traurig bin oder ähnliches, er wird dann immer gemein obwohl er sonst nie so ist.
Wenn ich weinte wegen der Trennung meinte er ich solle mich zusammen reißen. Aber wie kann ich das wenn ich keinen Grund für die Trennung weiß und nachfragen kann ich ihn nicht nochmal, das geht mir zu nah und er würde bestimmt lügen.

Er sagt es mir am Telefon mit dem Kind und das es Zwillinge werden habe ich über ein Bild in WhatsApp erfahren. Ich habe am Telefon geweint als er das meinte und fragte wieso?, findest du dich nicht zu alt?, ich dachte du kannst keine Kinder mehr bekommen.
Ihn schien das aber kaum zu interessieren und obwohl ich seine neue Frau mag, weiß ich nicht wie ich mit beiden umgehen soll und Vorallem mit den Kindern.
Ich weine fast täglich und bin verzweifelt, da ich mit niemanden über dieses Problem so wirlich sprechen kann/will.
Ich brauche einen Rat und muss das alles einmal loswerden!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

zunächst einmal: Frohes neues Jahr! Ich hoffe, dein Silvester war stressfrei und angenehm, und dass das neue Jahr dir bringen wird, was du dir von ihm erhoffst.

Ich kann deine Irritation verstehen, und ich denke, auf die eine oder andere Art würde es jedem Menschen zu schaffen machen, diese Dinge beim eigenen Vater zu beobachten. Wenn ich dich richtig verstanden habe, beschäftigen dich mehrere Fragen: Zum Einen, wie dein Vater dazu kommt, ein zweites Mal eine Familie zu gründen. Dann - und das ist nur zu verständlich - warum dein Vater dir Gesten seiner Zuneigung versagt hat, die seine "neuen" Kinder auf jeden Fall erhalten werden. Und schließlich ist dir nie eine klare Antwort geworden, warum es eigentlich zur Trennung deiner Eltern kam, und du leidest bis heute darunter, dass du dich stets nach einem Vater gesehnt hast und er dir nicht bieten wollte, was er eigentlich sollte.

Dass deine Mutter und dein Bruder deinen Vater für homosexuell halten, wundert mich - wie sollte er da auf die Idee kommen, mit einer Frau zusammenzuleben und Kinder mit ihr zu haben, wenn er sich dem schon einmal entzogen hat? Ich muss gestehen, es geht mir ebenso wie du, ich kann das nicht wirklich glauben. Nicht weil ich es bestreiten will, sondern weil es mir einfach unlogisch vorkommt, an den Fakten gemessen. Denkbar wäre natürlich, dass dein Vater - sollte er tatsächlich schwul sein - zu seiner eigenen sexuellen Orientierung ein so verkrampftes Verhältnis hat, dass er es nicht schafft, sie auszuleben, und stattdessen in einen bürgerliche, heterosexuelle "Scheinwelt" mit Frau und Kindern geflüchtet ist. Die Gründe dafür könnten vielfältig sein: Eine strenge Erziehung, die ihm frühzeitig vermittelt hat, gleichgeschlechtliches Begehren sei nicht in Ordnung; der persönliche Wunschtraum, eine Familie zu haben, begleitet von konservativen Überzeugungen, denen er entnimmt, dass ein Kind Mutter und Vater braucht... Ich denke, speziell für deine Mutter muss es angenehm sein, sich diese Begründung zurechtgelegt zu haben. Denn wenn man sie akzeptiert, erklärt sie vieles. Allerdings auch noch nicht alles: Zum Beispiel, warum dein Vater so wenig bereit war, sich um dich zu sorgen, und offenbar auch nicht das Bedürfnis hatte (oder keine Veranlassung gesehen hat), zu Gelegenheiten wie deiner Kommunion und dem Abschlussball zu kommen. Im Rahmen der Theorie "der Mann ist homosexuell" würde eine Begründung vielleicht lauten, dass er entweder eine heile Familie wollte, oder gar keine - bis er sich jetzt entschieden hat, es nochmal zu versuchen, wäre er demnach vor seinen eigenen Idealen davon gelaufen, weil er sie nicht ganz ausfüllen konnte. Hier braucht es aber eine zweite Begründung, denn: Wenn er ohnehin Männer lieben sollte, aber nicht mit einem Mann zusammen sein möchte, warum wollte er dann nicht bei euch bleiben? Da müssten wir schon annehmen, dass es zwischen ihm und deiner Mutter persönliche Konflikte gegeben hat, die sich nicht überbrücken ließen. Was aber wiederum keine Rechtfertigung dafür ist, sich so wenig um dich und deine Geschwister zu kümmern. Oder euch nicht zu ermöglichen, in eurem Haus zu bleiben.

Unterm Strich: Es ist bequem, zu denken, dass das Ganze an seiner sexuellen Orientierung läge. Ich allerdings kann das nicht unterschreiben, auch wenn ich ihn nicht kenne. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass es eine Kombination aus vielen Faktoren war, die die Trennung eurer Eltern verursacht hat. Und gut möglich, dass sie selbst im Nachhinein nicht mehr sagen können, was genau das Problem war. Man muss nicht immer alles, was Menschen so tun, rational verstehen, und oft kann man das auch gar nicht. Sätze wie "Ich habe mich entliebt", oder "Ich weiß nicht mehr, ob das mit uns Sinn macht" drücken oft nur die Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit von Menschen in Bezug auf ihre eigenen Gefühle aus. Und diejenigen, die sich trennen, haben oft sogar weniger eine Vorstellung davon, wie es eigentlich soweit kommen konnte, als die, die verlassen werden. Es macht keinen Sinn, deine Mutter in der Deutung, die sie für sich gefunden hat, zu stören. Ob es eine gibt, mit der du leben kannst, ist allerdings auch - leider - fraglich. Denn selbst wenn du exakt wüsstest, was genau vorgefallen ist: Ich glaube nicht, dass irgendetwas eine Rechtfertigung für die Gleichgültigkeiten deines Vaters sein könnte. Zu so wichtigen Anlässen wie Erstkommunion oder Abschlussball nicht zu kommen, wenn es nicht wirklich wichtige Paralleltermine gibt, halte ich für ziemlich unentschuldbar. Denn diese Tage gehören mit zu den wichtigsten in deinem Leben, an die du immer zurückdenken wirst. Wenn dein Vater nicht Teil davon sein will, dann erklärt er damit seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und Glück seiner Kinder. Insofern ist dein Ärger über sein jetziges Handeln wirklich verständlich.

Die Frage, warum er nun noch einmal Vater geworden ist, ist da schon leichter zu beantworten. Die naheliegendste, wenn auch banale Antwort, ist schlicht: Weil seine Frau das möchte. Wenn sie bisher keine eigenen Kinder hat, mag es sein, dass dieser Wunsch bei ihr recht spät noch einmal wach geworden ist, und sie es eingefordert hat. Aus ihrer Sicht kann ich das sogar wirklich gut verstehen: Ein unerfüllter Kinderwunsch kann sehr quälend sein. Dass dein Vater sich dazu positiv stellt, ist wohl erforderlich, wenn er seine Beziehung erhalten will. Ich gebe dir Recht bei deinem Vorwurf, dass die Zwillinge das Leben führen werden, dass du der Trennung deiner Eltern wegen nicht haben konntest. Jedoch - sie selbst können nichts dafür, und du holst dir die verlorenen Jahre nicht wieder, wenn du den Kontakt abbrichst und sie in deine Ablehnung dadurch mit einschließt. Ich denke, dass es in deinem Sinne wäre, den Kontakt wenigstens für eine gewisse Zeit zu reduzieren, bis du dich in der Lage fühlst, das Ganze gelassener zu besehen.

Niemand erwartet von dir, dass du dich besonders für deinen Vater freust - schließlich nimmt er mit der verspäteten Familiengründung wesentlich mehr auf sich, als er die vergangenen Jahre für dich zu leisten bereit war. Du sagtest, dass du zu deinem Vater ein gutes Verhältnis hast, und das glaube ich dir auch. Andererseits scheint mir, jetzt, wo er noch einmal Vater wird, tauchen in dir sehr viele Vorwürfe auf, die du lange Jahre "heruntergeschluckt" hast, und die meiner Meinung nach durchaus ihre Berechtigung haben. Jedoch kannst nur du allein entscheiden, ob es für dich eine Erleichterung wäre, deinem Vater gegenüber all das zur Sprache zu bringen - und damit im schlimmsten Fall euren Kontakt zu riskieren. Oder ob du lieber stillhalten und abwarten willst, ob deine Anspannung nachlässt. Es kann sein, dass das nicht mehr der Fall sein wird; dann solltest du das aber zu deinem Vater sagen, damit er wenigstens weiß, woran er bei dir ist. Du bist nun erwachsen, und ich denke, es entspricht deiner Selbstachtung, es nicht wie dein Vater zu machen und sich erklärungslos zu entziehen, sondern mit offenen Karten zu spielen.

Du siehst: Auch ich kann dir nicht wirklich beantworten, was die Gründe für all das sind. Mir persönlich scheint es aber plausibel, dass das Handeln deines Vaters sich am ehesten aus der Psyche eines Menschen Anfang 50 erklären lässt (genauer gesagt, eines Mannes Anfang 50) - einer Gedankenwelt also, auf die wir beide keinen echten Zugriff haben. Man könnte natürlich auch salopp von "midlife-crisis" sprechen, was oftmals aber auch eine Ausrede für ziemlich irrationales und unerwachsenes Handeln erwachsener Menschen darstellt. Daher, das nur am Rande. Ich stelle mir das Ganze etwa so vor: Er weiß, dass er in seinem ersten "Versuch", man mag es drehen wie man will, versagt hat; er weiß, dass seine Frau sich dem Punkt nähert, an dem die biologische Uhr ausläuft - von ihm selbst gar nicht zu reden; er weiß, dass er, wenn seine Gesundheit stabil bleibt, noch gut und gerne dreißig Jahre zu leben hat - genug Zeit also, um (so mag er es sich einreden) "noch einmal von vorn zu beginnen". Das ist, man möchte sagen, unvernünftig, in jedem Falle auch selbstgerecht - schließlich wäre es auch eine Alternative, sich mehr dir und deinen Geschwistern zuzuwenden, und an eurer Ausbildung, euren Beziehungen, Familienplänen teilzunehmen. So denkt dein Vater aber wohl nicht, sonst würde er es ja so machen. Er will "das", dieses Ding namens Familie, einmal komplett und richtig durchgezogen haben - dass seine Partnerin sich Kinder wünscht, ist ihm da nur billig. Dass es in seinem Leben weniger um sein Ego und seine Idealvorstellungen gehen sollte, als vielmehr darum, das Vorhandene gut zu verwalten und das Beste daraus zu machen, das macht er sich nicht klar - und auch nicht, dass die Zukunft ebenso ungewiss ist, wie sie es bei seiner Hochzeit mit eurer Mutter war. Wie gesagt: Man muss das alles nicht verstehen, kann es wohl auch nicht. Ich stelle es mir tatsächlich so vor, dass er sich ein Stück weit selbst über seine Fehler beschwindelt, und dadurch in seinem Wunsch, "diesmal auch ganz bestimmt alles richtig zu machen", nur bestärkt wird.

Im günstigsten Fall wird er, wenn die Zwillinge auf der Welt sind, diese Dinge selbst zu sehen beginnen - und vielleicht wird er dann mehr auf dich und euch zugehen, und die Lage wird sich entkrampfen. Da musst du dir natürlich - wie du es ja tust -, die Frage stellen, ob du überhaupt noch ein Verhältnis möchtest. Nur du selbst kannst dich so gut einschätzen, dass du weißt oder herausfinden kannst, was für dich am meisten Sinn macht und am besten erträglich ist. Im schlimmsten Fall wird dein Vater vielleicht so stark mit seinem "Projekt Neuanfang" verwachsen, dass ihr immer mehr an den Rand seines Bewusstseins geratet. Dann wäre dir aber immerhin die Aufgabe genommen, Stellung zu beziehen. Die wahrscheinliche Realität liegt irgendwo dazwischen: Dein Vater wird einsehen, dass man Kinder mit 52 nicht leichter bekommt als mit 22, und er wird - gerade der Zwillinge wegen - die Familie als Ganzes erhalten wollen; ob er dabei versucht, euch allen gerecht zu werden, ist natürlich eine andere Frage.

Ich habe soweit einmal versucht, meine eigenen Gedanken zu deiner Situation zu versammeln. Ich bin mir nicht sicher, ob es dir lieber gewesen wäre, wäre ich gegenüber deinem Vater härter gewesen - oder ob du vielleicht findest, ich war zu hart zu ihm. Mit beidem rechne ich. Wenn du möchtest, kannst du mir gern wieder schreiben, und erzählen, wie sich alles entwickelt, aber natürlich bist du mir in keinster Weise verpflichtet. Zunächst einmal wünsche ich dir einen guten Start in 2018, gute Gespräche, schöne Abende, neue Kontakte, aufregende Perspektiven und ehrgeizige Pläne. Alles das, was man mit 18 haben sollte und auch darf.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul