Problem von Amelie - 13 Jahre

Mobbing?

Hey liebes Team.
Ich bin 13 Jahre alt und gehe aufs Gymnasium. Das Problem ist nur das ich mich immer in fast jeder Situation ausgegrenzt oder benachteiligt fühle, vor allem in der Schule. Das alles hängt mit meiner Größe zusammen (ich bin 1.43m groß). Ich werde in der Klasse meistens mit blöden Sprüchen wie: 'Warum bist du so klein? Ist deine Mutter etwa auch so ein Fruchtzwerg wie du?!' angeblöfft. Ich versuche sowas zu ignorieren, wie aber an dem Beispiel zu sehen ist, klappt das nicht immer. Wegen meiner Größe werde ich ausgelacht wenn ich z.B. das Fenster im Klassenzimmer öffnen soll, weil ich auf einen Stuhl klettern muss. Oder im Sportunterricht wenn Teams von Schülern gewählt werden, sitze ich immer als eine der letzten da weil mich niemand möchte (wegen meiner Größe kommen nämlich die Vorurteile ich könnte nichts). Ich habe meinen Lehrer auf verschiedene Dinge schon angesprochen, er meint aber ich soll es einfach ignorieren (wie auch meine Familie das meint). Es geht aber nicht immer!!!! Oft finde ich Zeichnungen auf denen ein Zwerg gezeichnet ist, mit meinem Namen darüber, den meistens Jungs malen während dem Unterricht. Oder ich bekomme Papierkugeln an den Kopf geworfen.... Zählt das schon als Mobbing? Was kann ich dagegen tun?
Danke falls ihr antwortet
Liebe Grüße
Amelie

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Amelie,

es tut mir sehr leid, diese Dinge von dir zu erfahren und ich fühle mit dir.
Ja, es klingt schon sehr nach Mobbing, was offenbar durch die äußeren Umstände begünstigt wird. Insgesamt kann man sagen, dass es verschiedener Aktionen bedarf, damit Ausgrenzung und Mobbing bekämpft werden können. Diese Maßnahmen greifen idealerweise ineinander und ergänzen sich. Es ist also falsch, nur auf dich zu gucken, genauso wie es zu wenig wäre, nur auf die Täter:innen zu zeigen und das Drumherum außen vor zu lassen. Guck einfach mal, was sich für dich passend anfühlt und du gerne umsetzen möchtest.

Ich greife zunächst verschiedene Punkte heraus, die mir aufgefallen sind:

- Die Strategie mit dem Ignorieren klingt ja erstmal nicht verkehrt, ist aber in deinem Fall ja anscheinend wirkungslos und generell schlicht zu wenig, zu kurz gedacht. Denn was nützt es, wenn du nicht auf die Attacken eingehst, aber von außen immer die Signale kommen, dass das mobbende Verhalten in deiner Klasse in Ordnung ist bzw. nichts dagegen unternommen wird!

- Deine Eltern scheinen bisher zu wenig getan zu haben, um dir wirkungsvoll zu helfen. Das muss sich ändern. Du wirst wegen deiner Körpergröße offen diskriminiert und schikaniert, das darf nicht verharmlost werden! Bitte suche erneut das Gespräch mit ihnen und vermittle ihnen, wie miserabel es dir geht. Und dass Ignorieren in deinem Fall nichts bringt und einfach zu wenig ist. Sie sollen dir direkt beistehen, wenn du in der Schule nach Vertrauenspersonen suchst. Sie sollen bei Gesprächen mit deiner Klassenleitung, Vertrauenslehrer:innen und/oder der Schulleitung dabei sein und dir helfen, heikle Themen anzusprechen und Lösungen zu finden.

- Deine Lehrer:innen müssen sich unbedingt gegen Mobbing positionieren, denn nur dann, wenn sich die Mobbenden sicher fühlen können, machen sie weiter. Sprich: Wenn es das Klassen - bzw. Schulklima zulässt, können sich solche dauerhaften Angriffe etablieren. Wenn deine Klassenlehrerin/dein Klassenlehrer nichts unternimmt, solltest du gemeinsam mit deinen Eltern im Direktorat vorstellig werden. Denn erstens darf Diskriminierung nicht um sich greifen, zweitens können auch andere Schüler:innen betroffen sein. --> Druck machen! Das kann leider auch für dich (zusätzlich) anstrengend sein, weil du gerade anfangs vermutlich immer wieder auf deine Rechte pochen musst, vor allem dann, wenn an deiner Schule noch keine oder unausgereifte Konzepte gegen Mobbing existieren. Aber: Dranbleiben lohnt sich! Du kannst ein Zeichen setzen und damit letztlich allen helfen! Denn Mobbing betrifft alle und alle können potenziell betroffen sein.

- Ich frage mich, warum ausgerechnet du dann das Fenster öffnen solltest. Das wäre eine gute Situation, um deinen Standpunkt klarzumachen. Du fühlst dich mit dieser Aufgabe nicht wohl und kannst es jederzeit ablehnen. Es kommt ja eher einer Demütigung gleich, anstatt eine Aufgabe zu sein, "die eben alle aus deiner Klasse machen können". Du könntest (am besten konkret zu jenen, die das so witzig finden) sagen: "Ich mache das Fenster nicht auf, weil ihr das anscheinend lustig findet, wenn ich einen Stuhl benutzen muss! Wenn ihr das Fenster offen haben wollt, macht es einfach selbst." Damit ist die demütigende Absicht enttarnt und du bist in der souveränen Position, weil du dich einfach verweigerst.
--> Genauso beim Sport: Bitte deine Lehrkraft, Teams anders zusammenzustellen! Das ist kein Hexenwerk. Ganz simpel ist es z.B., dass sich alle im Kreis aufstellen und nach 1,2 abgezählt wird. Teams selbst aussuchen lassen ist nicht nur für dich unangenehm, sondern für viele andere auch blöd (da bloßstellend) und sollte vermieden werden.

- Wo ist dein Rückhalt beim Rest der Klasse und bei Freundinnen, Freunden? Wenn da Leute sind, die mit dir befreundet sind, solltest du sie unbedingt auf diese Problematik hinweisen (eigentlich müsste es ihnen ja auch klar sein...) und sie bitten, dir konkret beizustehen, wenn wieder Übergriffe erfolgen. Sie können z.B. solche "Zwergen" - Bilder hochhalten und sagen, dass sie es nicht dulden, dass in eurer Klasse so mit dir umgegangen wird. Dann die Bilder zerreißen und/oder kommentarlos, mit spitzen Fingern zum Mülleimer tragen. Übrigens ist auch die Variante denkbar, dass du zu den zeichnenden Jungs gehst und sie schlicht fragst, warum sie dich so darstellen und ob sie nichts anderes zutun haben. Das kann dir helfen, dich nicht mehr so machtlos zu fühlen - und deine Wut, die du bestimmt hast, auszudrücken (ja, auch das kannst du sagen). Es ist allerdings nicht sicher, dass sie ihr Verhalten allein dadurch positiv verändern würden. Vielmehr ist da ganz entscheidend, wie alle anderen damit umgehen.

- Es geht auch um deine eigene Haltung: Kotzt es dich an, klein zu sein? Oder kommt das wirklich eher von außen? Du kannst dich zumindest selbst entlasten, wenn du versuchst, einen Schritt in Richtung "Frieden mit dir selbst schließen" gehst. Ich weiß, das ist schwer, aber nicht unmöglich. Es ist die Chance, mehr in dir zu ruhen, um Attacken dann souveräner zu begegnen und vielleicht sogar gut zu kontern.

Das sollten die Erwachsenen und deine Klasse tun:
* Deine Eltern müssen viele Details erfahren und anerkennen, wie schlecht es dir gerade geht. Dann müssen sie dir helfen, dies in deiner Schule zu vermitteln.
* Dann wäre es ideal, wenn sich im Kollegium ausgetauscht werden würde, wie mit dem Mobbing umgegangen werden kann (Ziele setzen, Pläne entwerfen, Vernetzung, im Kontakt bleiben...). Alle, die euch unterrichten, sollen informiert und sensibilisiert werden, d.h. sie müssen erkennen, wenn es heikle Momente gibt, in denen du dringend ihre Unterstützung benötigst. Und sie sollen vor deiner Klasse klare Ansagen machen. "Ich dulde hier keine Ausgrenzung wegen Äußerlichkeiten!", "Wer bemerkt, dass Amelie wieder wegen ihrer Größe gehänselt wird, hilft ihr SOFORT und gibt mir außerdem Bescheid!", "Jedes Mobbing hier wird negative Konsequenzen für die Täter haben!" wären Beispiele, was deine Lehrer:innen sagen könnten. Desweiteren wäre ein Workshop/Besuch eines Theaterstücks/Rollenspiele zum Thema Diskriminierung & Mobbing sinnvoll, um deinen Mitschüler:innen ein Bewusstsein zu geben, was das bedeutet und mit einem macht.
* Schön wäre es, wenn es eine Ursachenforschung in eurer Klasse gäbe, woher diese Aggressionen ihren Ursprung haben. Was macht eure Gemeinschaft aus? Gibt es viel Druck? Haben einige bei euch viel Stress in ihren Familien? Aber das müssen wirklich eure Lehrer:innen in Zusammenarbeit mit dem Kollegium, den Eltern und ggf. Expert:innen klären und überlegt werden, was Abhilfe schaffen würde (z.B. Schulrat, mehr offene Gespräche, Kummerkastensystem etc.)
* Deine Freund:innen müssen Bescheid wissen und IMMER ihre unbedingte Solidarität mit dir zeigen. Sie sollten direkt auf Angriffe reagieren, indem sie etwas sagen, was zeigt, dass sie dich schützen. Danach sollten sie sich von den Tätern/Täterinnen abwenden und auch euren Lehrer:innen Bescheid geben. Genauso solltet ihr ihnen zeigen, wenn es gute Momente gab (Zusammenarbeit, Hilfe, nette Worte,...) und du dich darüber freust.
--> All diese Vorschläge kannst du deinen Eltern geben, damit sie die Punkte mit der Schule besprechen können. Du allein wärst damit überfordert.

Was du tun kannst:
* Fordere Unterstützung ein und suche dir Menschen, mit denen du sprechen kannst, wenn du Frust hast. Einfach mal reden können tut schon unendlich gut. Schreiben hilft ebenfalls (Tagebuch, Briefe etc.)
* Dokumentiere die Situationen, in denen du gemobbt wirst: Datum und Uhrzeit, wer war dabei als Zeuge/Zeugin. Hebe die Zeichnungen auf und notiere dir, wer es gemalt hat. Das kann helfen, deinen Eltern und den Lehrkräften den Ernst der Lage besser zu verdeutlichen und Beweismittel zu haben, falls das Ganze weitere Kreise ziehen müsste. Sag den Mobbenden ruhig direkt ins Gesicht, dass du ihre Zeichnungen aufheben wirst und dir alles aufschreibst (versuche dabei möglichst ruhig zu bleiben).
* Mach dich nicht buchstäblich "innerlich klein". Dass du eine geringe Körpergröße hast, schmälert deine menschlichen Qualitäten nicht - und auch deine äußerlichen nicht! Es hat schließlich auch Vorzüge, klein zu sein. Man kommt besser an verschiedene Ecken, kann geschickter durch Spalten klettern, sich besser entwinden, was gerade im Sport sehr nützlich sein kann! Bestimmt fallen dir noch mehr Vorteile ein, die du dir vor Augen führen kannst :)
* Versuche, dich nicht grundlegend wegen deiner Größe als Opfer zu sehen. Das Eine ist, tatsächlich angegriffen zu werden, wie du es geschildert hast. Das Andere ist, überall mögliche Anfeindungen zu sehen, die vielleicht gar nichts mit deiner Größe zutun haben und harmlos sind. Manchmal rutscht man da hinein, ohne es zu wollen. Das ist manchmal schwierig, doch für dich selbst als Unterscheidung vermutlich ziemlich wichtig.

Du kannst schlicht nichts dafür, klein zu sein und es ist albern, dumm und armselig, sich darüber lustig zu machen. Es sagt sehr viel über solche Personen aus, wenn sie so etwas nötig haben.

Es ist im Übrigen auch nicht gesagt, dass du nicht noch einen Wachstumsschub bekommen wirst. Doch egal ob du noch wachsen oder stets eine der Kleinsten in deinem Umfeld bleiben wirst - du kannst dir immer wieder sagen: ICH bin gut so, wie ich bin!

Zum Schluss möchte ich dir noch verraten, dass ich in meinem bisherigen Leben ein paar (sehr) kleine Mädchen und Frauen kennengelernt habe und diese ihre ganz eigene Anziehung und Faszination mit sich brachten - indem sie sich nicht auf ihre Größe reduzieren haben lassen und sich souverän auf sich selbst konzentriert haben.

Ich wünsche dir alles Liebe!
Nuala