Soforthilfe von Michaela und Sarah

Borderline ? Emotionales Bullenreiten

Du glaubst Du hättest Borderline? Oder willst Dich einfach nur darüber informieren?
Dies hier ist der Artikel einer 18jährigen Betroffenen, die einerseits Eindrücke und andererseits die Persönlichkeitsstörung aus Betroffenensicht vermitteln will.

Ich habe hier einmal das wohl größte Symptom der Krankheit dargestellt ? emotionale Instabilität. Dazu erfährst du etwas über Nebensymptome wie Ängste, kleinere Halluzinationen, Selbstverletzungen, Essstörungen oder Depressionen.

Sarah:
Meine Geschichte beginnt im Jahre 1988 mit meiner Geburt, recht unspektakulär wie jede andere auch ist. Im Verlaufe meiner Kindheit wurde mir dann Hochbegabung diagnostiziert, ich übersprang die vierte Klasse und landete auf dem Gymnasium, wo ich die nächsten sechs Jahre gemobbt wurde. Neben den Beleidigungen und Beschimpfungen gab es Drohungen oder Schläge, ich wurde mit nässen Schwämmen beworfen oder an den Haaren gezogen, weil ich anders war. Immer kleiner, kindlicher und angeblich eine Klugscheißerin, die ja sowieso alles besser weiß als andere. Höhepunkt war die Aktion Furzspray ? meine Sachen stanken, nachdem mich eine meiner netten Mitschülerinnen mit dem Zeug eingesprüht hatte. Logische Folge: Isolation.
Ich fand mich in Supermärkten Essen kaufen, schaute fern und ließ mich bedudeln, nahm zu und glaubte auf voller Linie zu versagen.
In der 11. Klasse lernte ich meinen ersten festen Freund kennen, der mich zu seinem Objekt machte und mich anfasste. Ins Detail möchte ich an dieser Stelle nicht gehen, mein Psychiater nannte es sexuellen Missbrauch.
Meine beste Freundin aus Grundschulzeiten hat versucht sich umzubringen. Die einzige Person, der MIR hinterher lief, weil sie wirklich an einer Freundschaft interessiert war. Die einzige Person, die ich bedingungslos lieb hatte, diese Person besuchte ich in der Psychiatrie. Kurze schwarze Haare, dünn geworden und länger fixiert gewesen, damit sie sich und anderen nicht wehtun konnte.
Als dann mein Cousin anscheinend Selbstmord beging, war für mich erstmal Ende im Gelände. Ich hatte ihn so unendlich lieb und bekam dann die Nachricht er sei tot. Meine Welt bröckelte.
Mein Abitur hab ich zwar bestanden aber verhauen, was mir auch immer und immer wieder vorgehalten wird. Es würde mich ja noch den Rest meines Lebens verfolgen, etc. Das Lieblingshobby meiner Mutter: Kleine Töchter fertig machen.
Sie bekommt Antidepressiva und lässt ihren Frust gern mal an mir aus, mein kleiner Bruder ist 14 und Alkoholiker und mein Vater Workaholic. Man kann also durchaus von mir sagen: Hier stimmt rein gar nichts. Zumindest fällt mir auf Anhieb nichts ein.

Bewusst wurde mir erst, dass ich ein Problem hatte, als ich darauf angesprochen wurde, weshalb ich so traurig durch die Gegend laufe. Eine ganz liebe Frau, ich vertraue mehr als jeder anderen Person, sie bedeutet mir so unendlich viel und sie weiß ALLES über mich, niemand kennt mich besser als sie.
Sie hielt mir den Rücken frei, wenn ich Arzttermine hatte oder begleitete mich zu Beratungsgesprächen, sie tat einfach alles und ich bin ihr so unendlich dankbar, dankbarer als Worte jemals sagen könnten.

Die Diagnose Borderline traf mich fast völlig unvorbereitet. Ich hatte doch schon mal darüber gelesen, aber bis dato dachte ich an eine ?simple? Depression.

Wenn man es mal genauer mit der Verhörlampe beleuchtet, scheint die Diagnose, die mir jetzt von zwei Ärzten bestätigt wurde, gar nicht mal so weit hergeholt. Diese Extreme in Stimmungen finden bei mir Ausdruck darin, dass ich, wenn es mir richtig gut geht, Bäume ausreißen könnte. Ich lache viel und sprudele so vor albernen Witzen, was mich mit meinem besten Freund verbindet. Am selben Tag kann es dann schon so runter gehen, dass ich verheult und mit dem ?Was soll ich denn hier?!? - Gedanken vor mich hin vegetiere und diesen Zustand meist mit dem Schnitt in meine Schulter beende, der für mich das Ende dieser inneren Unruhe und der Leere darstellt. Das Blut fließen zu sehen zeigt mir ein Stückchen, dass ich noch da bin und dass ich die Kontrolle über mich habe.

Jeder Tag zeigt mir aufs Neue, dass ich Personen einerseits sehr nahe sein will und andererseits schnell in Wut gerate und diese an entsprechenden Personen auslasse. Beispiel ist der junge Mann, mit dem ich seit Anfang diesen Jahres chatte und dem ich einerseits von meiner Diagnose und dem Antidepressivum, das ich nun bekomme, erzählt habe, er mich andererseits aber schnell auf die Palme bringt, ich beginne ihn anzumeckern und beschließe erstmal nicht mehr mit ihm zu chatten. Eine halbe Stunde später reden wir wieder als wäre nichts gewesen.

Die letzte Ärztin brachte nun das Thema Klinik auf. Ich wäre ihr zu heikel und sie sähe keine Chance auf Besserung, wenn ich zu Hause bleibe und einmal in der Woche eine Stunde Therapie hätte. Sollte das so kommen und ich ein Klapsenfall werden sollte, müsste ich das alles meinen Eltern sagen, die noch rein gar nichts wissen, NICHTS! Für die ist meine Welt vollkommen in Ordnung, bis auf das kleinere Versagen im Abitur?

Ich müsste auch von den kleineren Halluzinationen erzählen, die mich manchmal heimsuchen. So saß ich zum Beispiel vorm PC und schrieb eine Mail, als ich auf einmal dachte ich würde jemanden einatmen hören, schrak hoch und drehte mich um, suchte nach jemanden und fand mich zitternd unter meiner Decke wieder.

Ängste verfolgen mich ebenso. Ich habe Angst niemandem genügen zu können, habe Angst im Dunkeln und Angst vor Höhe und Spinnen, Angst in Geschäften oder bei größeren Menschenmassen als hässlich, fett und fehl am Platze angesehen zu werden. Also eigentlich die ?normalen? Ängste.

Ein weiteres Symptom sind Essstörungen. Ich esse manchmal soviel, dass mir schlecht wird und ich es am liebsten wieder loswerden würde, bis sich mein Verstand einschaltete, als ich überm Klo hing und mich fragte: ?Brauchst du wirklich noch eine Sucht? Reichen dir die Schnitte nicht??

Als ich gerade hinterm Steuer saß, überkam mich immer wieder diese ?Da könnte ja jemand von rechts aus der Straße kommen? ? Gedanken, weshalb ich deutlich unter den empfohlenen 50 km/h blieb. Ständig glaubte ich anfahrende Autos zu sehen, die bei näherer Betrachtung parkend abgestellt wurden. Ich musste mir immer aufs Neue klarmachen: Ich hab hier Vorfahrt, ich mache gerade nichts falsch, ich kann doch Autofahren. Und wenn ich mal jemandem die Vorfahrt nehme, weil ich in aus der von rechts einmündenden Straße zu spät gesehen habe und eigentlich keine Gefahr dadurch aufkam, dass ich vor ihm fuhr, mache ich mir Vorwürfe bis zum Gehr-nicht-Mehr, besonders wenn andere Menschen mit mir im Auto sitzen.

Das ist nicht nur beim Autofahren so. Selbst wenn ich was sage, kann es sein, dass ich mir später den Kopf zerberste, ob das denn nun richtig war oder ich jemanden mit meinen Äußerungen verletzt haben könnte.

Was ihr euch bestimmt auch fragt: Was macht die den ganzen Tag?
Wenn ich nichts zu tun habe, sitze bzw. liege viel mehr vor meinem Laptop auf meinem Bett (wie jetzt gerade auch) und höre Musik, die ich am Anfang noch toll fand aber noch spätestens 2 Tagen langweilig ist. Wie alles in meinem Leben, einmal gemacht und schon ist es langweilig. Meine Rollladen hab ich schon seit mindestens 4 Monaten nicht mehr hochgezogen, ich spare mir einerseits lästiges Fensterputzen und muss dieses kalte Licht von draußen nicht ertragen. Meine Vorhänge sind gelb und wärmen das Licht etwas an, wenn es in mein Zimmer fällt, so dass ich diese vorziehe, wenn ich die Rollladen hochziehen muss, weil eines meiner Nachhilfekinder kommt und was lernen will.

Wenn Du glaubst, dass Du eventuell Borderliner/-in bist, lass es bitte untersuchen. Geh zu Deinem Hausarzt / Deiner Hausärztin und sprich mit ihm / ihr darüber, damit Dir geholfen werden kann. Zu dieser Persönlichkeitsstörung [ICD-10 Code F60.31] gehören nämlich Depressionen und Ängste (mir wurde eine schwere, rezidivierende Depression ohne psychotische Symptome diagnostiziert, [F33.2]), so dass man einerseits in vielen Fällen nicht mehr von Lebensqualität sprechen und Borderline andererseits zum Suizid führen kann. Im akuten Depressionsschub ist Dir das wahrscheinlich egal, aber denke bitte daran, dass Du Angehörige und Freunde hinterlassen würdest, die Du in tiefe Löcher reißen könntest (wie es mein Cousin bei mir tat). Depressive Menschen in suizidalen Krisen beteuern bei Besserung oftmals, dass sie sehr dankbar sind noch zu leben, obwohl sie ihr Leben eigentlich beenden wollten.
Wie ich selbst erfahren musste ist es sehr schwierig Hilfe zu finden, aber es gibt sie! Borderline ist therapierbar und man kann gut damit leben, auch wenn es in den meisten Fällen nicht soweit zurückgeht, dass man den Patienten als geheilt ansehen kann, aber es lohnt sich durchaus dafür zu kämpfen ein Leben zu haben, das man auch als Borderliner als normal bezeichnen kann!