Problem von Tobi - 17 Jahre

Was ist nur los mit mir?

Hallo, wie immer wäre mir am liebsten wenn Paul G. das Thema über nimmt.

So, das mit meiner kaputten, unerfüllten große n Liebe ist jetzt eine Weile her, ich versuche die ganze Zeit sie zu vergessen, doch es gibt immer irgendwas, was mich an sie erinnert, und sei es nur eine Werbung wo ihr Name vorkommt. Ich dachte ich hab es geschafft und bin über sie hinweg.

Ich hab mich persönlich verändert, ich lache weniger, lächle kaum noch, hab immer einen leeren Blick ( wurde deswegen in der Arbeit angesprochen). Ich verbringe Zuhause viel Zeit am Computer und spiele irgendwelche Spiele. Ich hab einfach kein festes Ziel im Auge, nichts was mich Antreibt. Mein Job gefällt mir schon gut, trotzdem freu ich mich um jede Stunde die im Arbeitstag vergeht.
Ich Frage mich immer mehr, warum ich überhaupt am Leben bin, wärend mein kleiner Bruder und meine kleine Schwester, das nicht sind. Warum ich, warum nicht sie?
Ich kann einfach nichts mehr richtig machen, einen Fehler gibt es immer.
Wahrscheinlich kann ich nichts selbstständig erledigen, ohne Fehler zu machen.
Vermutlich kommt das von meinem Vater, er ist ein Perfektionist, alles muss exakt passen. Wenn ich dann was falsch mache, wird er wütend, sagt das ich nix kann und mich verziehen soll. Dagegen kann man aber nix machen, ansonsten ist er ja ein toller Vater, der auch mal was mit mir unternimmt. Aber ist es normal, das ich mit ihm noch nie über meine Probleme gesprochen habe? Er weiß fast nix von meinen Problemen. Einmal hat er gesagt, das ich Schwul bin, weil ich noch nie ein Mädchen mit nach Hause gebracht hab und nur zu Freunden fahre. Hat mich sehr sauer gemacht. Ich bin jetzt übrigens in der Berufsschule, es gibt viele Mädchen dort, doch ich bin Luft, niemand nimmt mich wahr. Das ist aber egal weil mir die ach so schöne Liebe einfach am Arsch vorbei geht. Es gibt Tage, da wirds richtig schlimm, muss sogar heulen, oder bin von allem generft.

Danke

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Tobi,

diesmal bin ich es, der dich gleich zu Anfang etwas fragen muss: Was ist mit deinen Geschwistern geschehen? Sind sie verunglückt, oder krank gewesen? Ich kann es vollauf verstehen, wenn du darüber nicht schreiben möchtest. Aber ich fände es gut, wenn wir das besprechen könnten. Du hattest die beiden schon mal erwähnt. Vielleicht schreibst du einmal, was passiert ist? Selbstverständlich werde ich dir dann antworten. Jetzt gerade schrecke ich ein wenig davor zurück, das Thema aufzugreifen - weil ich das Gefühl habe, da sind Dinge, die ich lieber wissen will, statt sie einfach vorauszusetzen.

Fühl dir auf die Schulter geklopft: Ich finde es richtig toll, dass du trotz allem weißt, was gut ist. Dass du noch immer das Positive siehst, obwohl dir das so schwer gemacht wird. Dazu zähle ich, dass du dich über deinen Vater nicht nur ärgerst, sondern all seine Züge wahrnimmst. Die guten, und die weniger angenehmen. Und auch, dass du deine Arbeit nicht schleifen lässt, sogar etwas Freude daran hast.

Im Moment würde ich von mir selber auch nicht mehr erwarten. Schraube den Anspruch an dich nicht zu hoch. Sei etwas freundlicher zu dir! Denn was du schon unternimmst, hätte ich Anderen in einer schweren Situation geraten. Du setzt es um, du lässt dich nicht hängen und siehst nicht alles schwarz. Das ist wirklich stark. Bei all dem musst du von dir aber nicht erwarten, dass es vorüber zieht, und du den Kopf total frei bekommst; das wird es nicht. Was ich wichtig fände, ist, dich nicht mehr selbst abzulehnen, und nicht so viel von dir zu erwarten. Das gilt nicht nur für jetzt, sondern immer.

Kannst du wirklich über sie hinweg kommen? Oder besser gesagt, willst du das? Dahinter steckt eine Bewertung. Die sieht so aus: Es hat nicht geklappt, besser, ich vergesse das. Tue so, als wäre das Gefühl nie dagewesen. Aber kann es nicht viel fruchtbarer sein, wenn du es anders betrachtest?

Noch heute erinnern mich bestimmte Lieder im Radio, unweigerlich an ganz bestimmte Gesichter und Namen; beschwören Bilder herauf. Aber ich versuche dann, sie nicht zu ignorieren, sondern zuzulassen. Sie sind Teil meiner Geschichte. Manchmal sind die Bilder schmerzhaft, oder peinlich für mich. Aber trotzdem gehören sie dazu. Woran werden viele Freunde und Mitschüler denken, wenn sie sich an die Zeit jetzt erinnern, wenn sie älter sind? Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Jahre in Räuschen verschwimmen sehen - oder so individuelle, intensive Gefühle nachspüren, wie du sie jetzt hast. Ich möchte niemanden kritisieren. Ich erzeuge diesen Gegensatz, weil ich dir sagen möchte, dass es in Ordnung ist, was du fühlst. Du hilfst dir nicht, wenn du dir sagst: "Ich sollte eigentlich..., oder "Ich hätte viel lieber..."; wenn du dich fragst: "Warum schaffe ich nicht...? Frag nicht nach dem, was nicht ist. Sage dir immer wieder, dass du schwer in Ordnung bist - genau WEIL dir all das passiert. Es ist eine einzigartige Geschichte. Und ich werde nicht müde, dir zu versichern: Es darf dich stolz machen, so traurig es verlaufen ist. In dem Traurigen, dem Tragischen, dem Schmerzhaften, zwischendurch Hoffnungsvollen und Kämpferischen, lag das Leben. Du hast es erfasst - sei dir dessen bewusst.

Wenn du selbst sagst, dass dein leerer Blick schon aufgefallen ist: Dann ist das, was du als Ignoranz wahrnimmst, vielleicht geheimer Respekt? Ein Hauch des Mysteriösen? Ein leises Munkeln, welcher Stern deinen Augen entglitten ist? Diese Worte kannst du dir erlauben, um dich zu beschreiben! Nenn dich nicht Luft, Schwächling, unbeliebt, missglückt. Du weißt, dass dein Liebesleid und die innere Erschöpfung, noch immer sichtbar sind. Wo es möglich ist, suhle dich nicht darin - aber weise es auch nicht von dir. Was da ist, muss gelebt werden; es darf dich nur nicht am Leben hindern. Gib dir nicht so negative Namen. Nenne dich lieber geprüft und erfahren, nachdenklich, in sich versunken; nenne dich leidenschaftlich statt schwach, teilnahmsvoll statt verzweifelt. Denn du bist gut, wie du bist. Wenn du dich selber falsch und lachhaft findest, wird man dich skeptisch ansehen - weil du, ohne es zu wollen, auch ausstrahlst: "Ihr wisst nicht, worauf ihr euch vielleicht einlasst...!" Du solltest so sein, wie du dich gerade wohlfühlst; gib auch den Launen nach, die sich nicht ablegen lassen. Aber hasse dich nicht dafür, sage dir nicht, das sei ein Zeichen von Schwäche. Es ist Zeichen eines Reifens, darin liegt Prüfung und Erfahrung, aber nicht Abwertung. Du bist noch mehr der ganz besondere Mensch geworden, der du schon immer warst.

Es tut weh, wenn dein Vater so zu dir spricht - das verstehe ich. Warum redet er so? Ich kenne ihn nicht, und kann es letztlich nicht beantworten. Aber ist es nicht vielleicht besser, wenn er sagt: "Verzieh dich!", als noch Schlimmeres? Als dir deine angeblichen Schwächen aufzuzählen, dich noch wüster zu beschimpfen? Dein Vater muss auch einsehen, dass du ein ganz besonderer Mensch bist. Dazu zählt, dass er Vorstellungen ablegen muss, die er für die Zeit jetzt hatte; dass er lernen muss, seine eigene Enttäuschung und Wut, woher sie auch kommt, nicht an dir auszulassen. Du bist kein Nichtskönner - du hast sehr viel geleistet, tust es weiter und wirst es weiterhin tun. Wenn es geht, lege den Schwerpunkt auf das, was du auch geschrieben hast: Du könntest einen weit schlechteren Vater haben. Wenn bei ihm Probleme bestehen, kann das dieses Verhalten dir gegenüber, nicht entschuldigen. Aber ich möchte dir zusichern: Er hat nicht recht, auch wenn er dein Vater ist. Du als sein Sohn fühlst es am schlimmsten, wenn er so ist. Kannst du mir glauben, wenn ich dir sage, dass es ihm auch weh tut? Dass er sich auch um dich kümmert, zeigt, dass du ihm wichtig bist. Er fühlt auch Angst und Hoffnung, was dich betrifft. Fühlt er das eine bestätigt und das andere enttäuscht, kann er leicht Dinge sagen, die nicht okay sind. Vor lauter Sorge um dich.

So seltsam es klingt: Viele Eltern wissen sich vor lauter Sorge und Liebe, nicht anders zu helfen. Das Schwerste für sie ist, anzuerkennen, dass sie damit nicht im Recht sind, die Schere bei sich ansetzen müssen. Das kann schwer fallen, wenn das Kind erwachsen wird, und nicht mehr nach einem verlangt. Aber es kann gelingen. Glaubst du, du kannst sehen, dass du deinen Vater unterstützt, wenn du nicht zurück schimpfst ? Er wird es einmal einsehen. Und auch, dass es schlimm für dich ist. Das zu merken, wird ihm selbst weh tun. Du musst ihn nicht bemitleiden - er ist zu Recht in dieser Pflicht. Aber lass ihm diese Zeit. Er weiß es gerade nicht besser, das wird einmal anders sein. Du weißt schon heute, dass solche Sätze von ihm Quatsch sind. Dazu gehört auch die Behauptung, du wärst schwul. Ihr beide wisst, dass du es nicht bist. Und wenn er es denkt: Läge er richtig, hätte er sich jeden Weg verbaut, es bald von dir zu erfahren, oder?

Würde es dir helfen, mit deinem Vater über deine Probleme sprechen zu können? Oder würdest du dich fühlen, als seist du angreifbar geworden? Würdest bei jedem Streit einen hämischen Satz erwarten? Vielleicht Angst haben, dass er es weiter erzählt? Wenn du eigentlich nicht das Bedürfnis hast, mit deinem Vater darüber zu reden, hat es ja auch sein Gutes. Du musst viel von ihm aushalten; da ist es doch angenehmer, sich die letzten Rückzugsorte im Kopf, durch Schweigen zu erhalten? Es kann auch etwas sein, dass dir ein Gefühl von Macht verleiht: "Ihr wisst es nicht, und werdet es nicht wissen. Keiner von euch kann spüren, wie es mir geht!" Das kannst du dir erlauben. Was dich stärkt und Anderen nicht schadet, ist in Ordnung. Trau dich, ein bisschen Egoist zu sein.

Wozu bist du auf der Welt? Der Schlüssel liegt vielleicht nicht darin, die Suche nach dem Glück zu beenden. Das Glück beim Suchen ist wichtig. Und Glück, das ist alles, was du erleben darfst und dich weiterbringt. Das trifft auch auf deine unglückliche Liebe zu. Wozu bist du auf der Welt? Du bist auf der Welt, ein wunderschönes muslimisches Mädchen zu lieben, deren Bild dir immer wieder von Augen treten, und der du vieles widmen wirst. Weil diese Zeit dir die Augen geöffnet hat: Sollte jemals jemand mit so einem Problem zu dir kommen, wirst du ihn oder sie nicht abweisen. Sie war deine erste große Liebe - du hast sie nicht gewinnen können, aber: Du hast trotzdem zahlreiche Facetten dieses so zentralen Gefühls durchlebt. Niemand erwartet von dir, dass du dich freust. Aber ich fände es schön, wenn du nicht mehr so sehr nach dem Sinn fragen könntest. Wenn du ihn in dem Ereignis selbst erkennen würdest. Dies ist ein Teil deiner Bestimmung - du hast sie in der Hand, sie ist nicht da, um dich zu quälen. Und ich weiß, dass du sie zum Guten nutzen wirst.

Bist du wirklich der Meinung, nichts richtig machen zu können? Dann möchte ich dir sagen: In meinen Augen hast du nur richtige Dinge getan, seit wir miteinander schreiben! Ich wüsste an deinem Verhalten und deiner Art, mit dem Erlebten umzugehen, nichts auszusetzen, ganz im Gegenteil. Kannst du es von mir annehmen? Lieber Tobi, dir gehört meine Sympathie, und ich wünsche dir, dass du findest, wonach du suchst. Doch habe den Mut, es nicht gleich finden zu wollen. Auch Männer dürfen schwach sein. Habe den Mut, dir zu sagen, dass du - genau du - eine Aufgabe hast. Vielen jungen Männern da draußen, würde ich dieses Gefühl der Liebe, das du kennst, genauso wünschen, wie ich dir andere Wünsche ausspreche. Nicht deshalb würde ich das, damit sie leiden. Sondern weil ihnen etwas entgeht, das du kennst und von dem ich hoffe, dass du es einmal schätzen kannst. Du bist einzigartig und nicht umsonst in der Welt. Das gilt für dich und für uns alle. Aber wir müssen so verwegen sein, daran zu glauben. Ich bin sicher, dass du das schaffst.

Unten habe ich nochmal die Links aufgeführt, die zu deinen bisherigen Beiträgen führen. Wenn du das Gefühl hast, dass es dir hilft, bin ich gern weiter für dich da. Keine Angst, du nervst mich nicht. Ich bin ganz zuversichtlich und glaube, dass deine Gedanken auch vielen hilfreich sein können.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul

http://mein-kummerkasten.de/309012/Sie-darf-mich-nicht-lieben.html

http://mein-kummerkasten.de/309607/Die-Liebe-zu-ihr-toetet-mich-innerlich.html

http://mein-kummerkasten.de/310240/Es-macht-keinen-Sinn-mehr-sie-zu-lieben.html

http://mein-kummerkasten.de/310918/Es-macht-sehr-wohl-Sinn-sie-nicht-aufzugeben.html

http://mein-kummerkasten.de/311193/Vielen-Dank-Paul-G.html