Meine Beste Freundin
Hallo ihr,
meine seit mehr als 4 Jahren beste Freundin ist 15 Jahre alt, hat eine kleine Schwester, ihre Eltern leben getrennt. Sie wohnt bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in meiner Stadt, ihr Vater wohnt mit ihrer Stiefmutter im Ausland doch sie besucht ihn regelmäßig.
Vor ungefähr 1 einhalb Jahren hat sie mir einen Brief gegeben, in dem sie schrieb, dass sie als Kind von einem ehemaligen Freund ihrer Mutter vergewaltigt wurde, doch sie sagte mir ich sollte es nur wissen und es niemanden sagen, sie auch nicht darauf ansprechen.
Ich hab mir sehr große Sorgen gemacht.
Heute morgen rief sie bei mir an, ich war allerdings nicht erreichbar, doch die hinterließ mir eine weinende Nachricht auf meiner Mailbox und sagte, dass sie so dumm sei. Sofort ging ich zu ihr und sie erzählte mir etwas sehr schlimmes. Sie sagte, sie habe gelogen mit der Nachricht an mich, dass es nicht in ihrer Kindheit passiert ist, sondern erst vor ein paar Jahren. Es war ihr jetziger Stiefvater. Und was noch viel schlimmer ist, dass sie von ihm auch heute noch missbraucht wird.
Ihre Mutter weiß natürlich nichts von all dem, auch wenn sie schon in der Wohnung war, wenn es passiert ist. Sofort hab ich ihr gesagt, dass sie es früher oder später jemandem erzählen muss.
Doch sie wusste nicht, was sie machen sollte: Sie dachte, dass wenn sie es der Polizei sagt, dass sie dann weg von ihren Freunden seien würde, wahrscheinlich im Ausland bei ihrem Vater. Sie wollte nicht, dass sich ihre Mutter schuldig fühlt. Doch am wichtigsten war ihr, dass sie ihre kleine Schwester nicht im Stich lässt, falls dieser das auch passieren würde. Doch sie sagte mir auch, dass sie verzeifelt sei, denn "was wäre wenn" sie ihre Schwester nicht beschützen könnte. Sie wollte ihre Mutter und ihre Schwester nicht alleine mit ihm lassen.
Ich wollte auf keinen Fall nach stochern, weil ich sah es ihr an, wie solle sie das belastete. Doch ich fühle mich total schlecht, da ich nicht weiß, wie ich ihr helfen kann/ soll! Ich habe ihr versprochen, es nicht meinen Eltern oder Freunden zu sagen, da sie mir gesagt hat, sie schicke dieses Wochenende noch eine E-Mail an die Polizei oder an eine andere Stelle für Sorgen. Ich werde auf alle Fälle noch einmal mit ihr reden. Und wenn sie es niemandem sagt? Bin ich dafür verantwortlich, dass ich die Wahrheit ans Licht bringe? Ich kann meine Freundin in allem was sie sagt sehr gut nachvollziehen und respektiere ihre Gründe auch, aber sind diese denn Grund genug, sich weiterhin missbrauchen zu lassen und keine Hilfe zu holen? Wenn wir Hilfe holen wollen, wo können wir welche finden?
Josi
Anwort von Delia
Hallo Josi,
vielen Dank für dein Vertrauen in uns!
Zuerst möchte ich dir sagen, dass ich es wirklich toll von dir finde, dass du dir Sorgen um deine Freundin machst und ihr gerne helfen möchtest. Und so wie du die Situation beschreibst, braucht sie auch wirklich dringend Hilfe.
Ich kann gut verstehen, dass deine Freundin Angst hat, etwas über ihren Missbrauch zu erzählen. Das ist eine sehr schlimme Erfahrung und viele Mädchen schämen sich dafür, auch wenn sie keinen Grund dafür haben, denn sie haben schließlich nichts falsch gemacht. Auch die Angst ihre Familie verlassen zu müssen oder ihre Schwester ungeschützt zurück zu lassen kann ich nachvollziehen.
Doch Josi, über eine Sache solltest du mit ihr wirklich reden: Es ist schön, dass sie ihre Schwester beschützen möchte, aber um sie wirklich richtig zu beschützen muss sie ganz dringend mit jemandem darüber reden! Denn nur weil sie den Missbrauch weiterhin erträgt, heißt das ja nicht, dass sich ihr Stiefvater nicht doch noch an ihrer Schwester vergehen wird. Deine Freundin tut ihrer Schwester keinen Gefallen damit wenn sie weiterhin schweigt!
Liebe Josi, am besten setzt du dich so schnell wie möglich noch einmal mit deiner Freundin zusammen. Es gibt viele Beratungsstellen, an die ihr beide euch wenden könnt, sie braucht auch nicht alleine zu gehen sondern kann dich mitnehmen. Die Beratung ist auf Wunsch anonym, sodass sie nicht sofort ihren Namen und ihre Adresse sagen muss. Außerdem ist die Beratung vollkommen kostenlos und sie muss keine Angst haben, dass sofort ihre Eltern benachrichtigt werden.
Ihr könnt euch zusammen mal diese Homepage anschauen: http://www.hilfeportal-missbrauch.de/nc/adressen/hilfe-in-ihrer-naehe/kartensuche.html
Das ist ein Hilfeportal für Menschen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben und auf dieser Seite könnt ihr herausfinden, welche Beratungsstellen es in eurem Umkreis gibt. Gebt einfach in dem grünen Bereich eure Postleitzahl an und in dem Feld darunter wählt "Weibliche Jugendliche 14-18" aus. Ihr könnt natürlich noch mehr Angaben machen, aber das ist nicht unbedingt nötig. Wenn ihr schließlich auf "Suche starten" klickt, werden euch einige Beratungsstellen angezeigt, von denen sicherlich einige in eurer Nähe sein werden. Wenn ihr direkt auf die Überschrift der einzelnen Angebote klickt, öffnet sich eine weitere Seite, wo dann Informationen über z.B. die Telefonnummer, die Adresse oder die Homepage stehen. Wenn ihr auf die Homepages der Beratungsstellen geht, findet ihr in der Regel auch die Öffnungszeiten oder manchmal auch offene Sprechstunden. Offene Sprechstunde bedeutet, dass ihr zu der genannten Zeit einfach in die Beratungsstelle gehen könnt ohne vorher einen Termin zu machen. Solche offenen Sprechzeiten gibt es z.B. hier: http://www.sperrgebiet-hamburg.de/
Ihr seht also, dass es eine Menge Stellen gibt wo ihr euch Hilfe holen könnt. Schaut welche Beratungsstellen es in eurer Nähe gibt und ruft einfach mal dort an. Ihr braucht dabei nicht sofort euren Namen zu nennen, sondern ihr braucht einfach nur sagen, dass ihr Hilfe braucht und gerne einen Termin hättet.
In diesen Beratungsstellen sind Menschen, die bereits sehr viel mit dem Thema sexueller Missbrauch zu tun hatten und sich damit sehr gut auskennen. Ihr braucht euch für nichts zu schämen, besonders deine Freundin nicht, und ihr braucht auch keine Angst zu haben, dass ihr nicht ernst genommen werdet. Ich weiß, es ist immer schwer, sich an fremde Menschen zu wenden und um Hilfe zu bitten, vor allem für deine Freundin wird es schwer, mit jemandem über ihre Erfahrungen zu reden.
Es ist aber nicht so, dass ihr zu einer Beratungsstelle geht und deine Freundin sofort alles erzählen muss was sie erlebt hat. Sie muss nicht sofort ganz genau beschreiben was passiert ist, sondern sie kann vorerst auch einfach nur sagen, dass sie von ihrem Stiefvater missbraucht wird. Das alleine ist natürlich schon schwer auszusprechen, aber deine Freundin soll wissen, dass sie nicht dazu gezwungen wird alles ganz genau zu erzählen. Sie braucht also keine Angst zu haben vollkommen ausgefragt zu werden.
Stattdessen kann sie selbst viele Fragen stellen, z.B. darüber was mit ihrer Mutter und ihrer Schwester passieren wird oder allgemein was sie jetzt tun soll. Sie kann bei der Beratungsstelle alles fragen was sie fragen möchte und was ihr Angst macht. Das Gespräch ist vertraulich und auf Wunsch auch anonym. Ihr braucht keine Angst zu haben, dass plötzlich ihre Eltern angerufen werden. Es wird auch keinesfalls so sein, dass sie einfach zu ihrem richtigen Vater ziehen muss und ihre Schwester bei ihrem Stiefvater bleiben muss. Davor braucht sie also keine Angst zu haben, aber natürlich kann sie auch das in der Beratungsstelle ansprechen.
Liebe Josi, ich weiß, das alles wird schwer und es ist wirklich nicht angenehm. Aber es ist wirklich sehr wichtig, dass deine Freundin nicht länger unter dem Missbrauch leiden muss. Wenn sie weiterhin schweigt, beschützt sie niemandem außer ihren Stiefvater und der hat diesen Schutz wirklich nicht verdient! Außerdem besteht keine Garantie, dass er nicht auch ihre Schwester missbrauchen wird. Es ist also wirklich sehr sehr wichtig, dass deine Freundin mit jemandem darüber redet was ihr passiert ist. Du kannst auf diesem Weg für sie da sein und sie auch zu den Beratungsgesprächen begleiten wenn sie das möchte. Sie muss das nicht alleine schaffen! Ihr müsst es aber auch nicht zu zweit schaffen, denn es gibt diese Hilfe in Form von Beratungsstellen, die euch wirklich weiter helfen können und wo ihr alle Informationen bekommen könnt die ihr braucht. Bitte schweigt nicht weiter, sondern erzählt jemandem was passiert ist und auch immer noch passiert!
Und wenn sich auf dem Weg noch weitere Probleme ergeben oder du dir einfach mal alles von der Seele schreiben möchtest weil dich die Situation selbst belastest, kannst du uns sehr gerne noch einmal schreiben. Ich würde mich freuen zu hören wie es bei euch beiden weitergeht und ob ihr Hilfe gefunden habt und auch wie es DIR mit der ganzen Situation geht.
Ich wünsche euch beiden von Herzen ganz viel Kraft und Glück!