Problem von Kathrin - 21 Jahre

Ausziehen?

Hallo, ich habe ein Problem und ich hoffe, ihr könnt mir helfen.


Ich bin 21 Jahre alt und wohne noch bei meinen Eltern auf dem Land. Allerdings unterm Dach und bis auf eine Küche habe ich mein eigenes Reich, in dem mein Bruder ein Zimmer hat.

Meine Eltern oder vielmehr mein Vater ist allerdings so streng bzw. konservativ, dass ich regelmäßig an die Decke gehe. Und grundsätzlich kann ich es ihm nie recht machen. Ich bin nämlich eine Frau.
Mein Vater hat mehr oder weniger die Ansicht, dass eine Frau hinter dem Herd bzw. Putzlappen gehört um ihren Mann zu bekochen und zu betüddeln, die Familie jede Woche mindestens einmal in die Kirche geht, dass alle Amerikaner keine richtigen Menschen & alle Ausländer scheiße sind. dass es Leute wie Harald Schmidt, Dieter Bohlen, Nina Hagen, Michael Mittermeier, Johnny Depp u.a. bei Hitler nicht gegeben hätte und noch ein paar vorsintflutliche Ansichten, die ich hier nicht alle aufführen kann. Jeder 2. Satz fängt mit ?Das gehört sich so? ein normaler Mensch ?. ein normaler Deutscher? an bzw. hört damit auf.
Er hat die Hosen an, hat immer Recht und meine Mutter hat so gut wie gar nix zu melden (und sie lässt es sich gefallen). Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt und wenn ich es doch mal wagen sollte, mir selbst was zu machen, werde ich gleich angeschnauzt. Ach ja, und mein Zimmer habe ich auch nicht für mich alleine. Wenn ich nicht da bin, werden Kontrollbesuche gemacht, und überprüft, dass alles in Ordnung ist.
Mein Bruder (fast 18) bekommt zwar auch einiges ab, aber nicht so viel, weil er ja ein Mann ist. Mit meinem Bruder komm ich inzwischen ganz gut aus.

Ich arbeite ca. 90 km von meinem Wohnort entfernt und fahre jeden Tag mit der Bahn, die mir momentan auch total auf die Nerven geht (Bauarbeiten, Streik ?). Ich verlasse um 5.15 Uhr das Haus und komm in der Regel um 18.30 Uhr wieder nach Hause. Dann esse ich was und verschwinde in meinem Zimmer, weil ich einfach nur geschafft bin. Dann bekomm ich zu hören, dass ich ja nie da bin, mich ständig in meinem Zimmer verkrieche.

Wenn man das so alles liest, kommt man gleich auf die Lösung des Problems: ausziehen. Wenn ich in die nächst größerer Stadt ziehe, dann habe ich aber immer noch das frühe Aufstehen, die Bahnfahrt und dann zusätzlich noch die Miete.
Ziehe ich in meinen Arbeitsort, dann hab ich das frühe Aufstehen und die Bahnfahrt nicht mehr, aber dafür bin ich ?ziemlich? weit weg von daheim, wo alle meine Freunde und Verwandtschaft (ein Großteil meiner Familie ist total in Ordnung) wohnen.

Noch dazu hab ich irgendwie unwahrscheinlich große Angst, dass ich dann nicht klar komme und wieder Heim muss und dann vor meinem Vater zu Kreuze ziehen muss. Außerdem bin ich keine Partymaus, die ständig auf Achse ist um neue Leute kennen zu lernen. Ich ziehe ein gutes Buch oder ein Gespräch mit meinen engsten Freunden vor.

Alexandra Anwort von Alexandra

Liebe Kathrin,
du hast schon recht: Eine Entscheidung in deiner Situation zu fällen, ist nicht ganz einfach. Pro und Contra hast du ja bereits aufgezählt - und im Grunde kann ich dir die Entscheidung nicht abnehmen. Was ich dir aber vielleicht nehmen kann, ist die Angst davor, das "Nest" zu verlassen. Früher oder später musst du ja eh auf eigenen Beinen stehen - und natürlich ist das mit vielen Pflichten und viel Eigenverantwortung (Mieten, Rechnungen etc.) verbunden. Aber es ist vor allem auch eine schöne Erfahrung. Selbstständig sein, sein Leben nach den eigenen Wünschen und Abläufen leben zu können, tun und lassen was man will (im jeweiligen Rahmen, versteht sich) - das alles ist ein Riesen-Vorteil. Klar: Der Kontakt zu Freunden und Familien, zur Heimat, wird weniger, das bleibt dabei nie aus. Aber jedes Mal wenn du "alte" Freundschaften verlässt, werden neue entstehen. Auch wenn du nicht jeden Abend auf die Piste gehst, heißt das doch nicht, dass du keine Menschen kennen lernst. Du hast zum Beispiel deine Arbeitskollegen, vielleicht hast du ja auch Lust, dich in einem Verein o.ä. zu engagierem Sport zu treiben oder dergleichen. Leute kennenzulernen funktioniert auch - oder vor allem - ohne in Clubs und Diskos abzufeiern.
Wenn dich die Situation zu hause wirklich so nervt (und ich kann das gut nachvollziehen, nach dem was du schreibst), solltest du wirklich ernsthaft überlegen, ob du den Schritt in die Eigenständigkeit wagst. Wie gesagt: Irgendwann kommt eh der Zeitpunkt, wo du ausziehen wirst. Und: Du bist ja auch nicht aus der Welt - wenn du jetzt schon 90 km täglich zur Arbeit fährst, kannst du diesen Weg ja auch öfter mal auf dich nehmen um Familie und Freunde zu treffen.
Lass dir gesagt sein: Von zuhause ausziehen ist natürlich mit vielen "Ängsten" verbunden - aber es ist ein so wichtiger und vor allem spannender Schritt, dass du dich eigentlich drauf freuen kannst, einen neuen Lebensabschnitt anzugehen. Also: Schlaf nochmal ein wenig drüber, aber versuch deine Entscheidung dann unabhängig von der Angst, wegzugehen, zu treffen. Denn die brauchst du wirklich nicht zu haben!
Alles Liebe & Schöne für deine Zukunft!
Alexandra