Problem von Gemma - 18 Jahre

Mein Vater - ich hasse und ich liebe ihn

Hallo liebes KuKa- Team,
Zuerst einmal möchte ich euch sagen das ich eure Web-site wunderbar finde... Oft hilft es einem nämlich schon wen man alle seine Probleme einmal aufschreibt, man kann so etwas Distanz gewinnen.
Ich möchte hier einfach einmal meine Geschichte aufschreiben. Nicht unbedingt weil es ein Notfall ist oder ich eine Sofortlösung brauche, eher zum verarbeiten der Gesamtsituation. Wer häusliche Gewalt über lange Zeit erlebt hat wird nicht von heute auf morgen alles vergessen und vergeben können, den die Mauern zu bauen hat lange gedauert und dauert doppelt so lange um sie wieder einzureisse. Und einreissen kann man sie nur selber. Aber manchmal giebt es jemanden der einem hilf das Fundament zu lockern :-)
OK, am besten fange ich ganz vorne an:
Bis ich etwa 8 Jahre alt war und meine Sshwester (Rahel) 6 hatten wir eine sehr schöne Kindheit. Eine intakte Familie, einen Ort der Zuflucht. Unsere Eltern waren zwar etwa idealistisch doch sie gaben sich sehr viel Mühe mit der Erziehung und nahmen sich viel Zeit für uns. Mama war immer Zuhause und es wurde viel gespielt und zusammen unternommen. Und wir waren die Prinzessinen unseres Vaters. Er verwöhnte uns richtig... Oft brachte er uns ein Geschenk mit wen er Feierabend hatte, wir alberten viel herum.
Meine Eltern wünschten sich noch ein Kind und als meine Mutter tatsächlich schwanger wurde war die Freude riesig. Heimlich hofften Rahel und ich auf ein kleines Brüderchen :-) Doch meine Mutter hatte eine Fehlgeburt. Im 6ten Monat. Alle waren furchtbar traurig. Das Problem wurde aber auch mit uns Kinder verständlich besprochen und wir konnten uns gut damit abfinden das unsere kleine Schwester eine Abkürzung genommen hatte und jetzt schon im Himmel ist. Schon kurze Zeit später wurde Mama wieder schwanger. Natürlich waren wir jetzt vorsichtiger mit freuen, aber das war vollkommen unnötig. Die Schwangerschaft verlief ohne Komplikationen.
Nun, ich war damals erst 8 und kann mich nicht mehr gut an diese Zeit erinnern, aber an den einen Tag, als mein Vater Mama das erste mal schlug erinnere ich mich noch als wäre es gestern gewesen... Mama war hochschwanger. Sie hat sich dann im Badezimmer einsperren können... Ich weis es nicht mehr und habe es wahrscheinlich auch nie gewusst, warum sie sich gestritten haben oder was meinen Vater dazu gebracht hatt gewalttätig zu werden. Für Rahel und mich war das natürlich ein imenser Schock! Unsere ganze heile Welt viel innerhalb von Sekunden zusammen wie ein Kartenhaus. Wir hofften das es ein einmaliger Ausrutscher gewesen war... War es aber nicht.
An die Zeit danach habe ich keine genaue Erinnerungen mehr. Ich weis auch nicht ob mein Vater zu der Zeit getrunken oder gekifft hat. In meiner Erinnerung ist dort nur ein grosses schwarzen Loch, das zwischendurch immer wieder aufreisst und mir schreckliche Szenen zeigt. Z.B. erinnere ich mich noch an eine Szene in der Rahel und ich irgendwas (verhältnissmässig harmloses) angestellt haben sollen, ich weis aber nicht mehr genau was. Er hat uns beide verprügelt. Ich erinnere mich noch ganz genau das mir die Schläge unendlich viel weniger weh gemacht haben als die Schläge die Rahel bekommen hat. Ich sehe immer noch das Bild vor augen wie er sie an einem Arm hochgehoben hat und mit der andere auf sie eingeschlagen hat. Sie hat nicht mehr geweint. Es sind keine Tränen mehr gekommen. Damals war sie 7.
Eina anderes mal musste ich für die Schule etwas schreiben. Er hat mich so verwirrt das ich keine Ahnung mehr hatte wie man "Apfelkuchen" schreibt... Jedemal wen es wieder falsch war hat er mit einem Holzstock auf mich eingeschlagen. Meine Mutter versuchte mir zu helfen aber er schrie sie an, wenn sie mir auch nur einen Buchstabe sage werde er sie veprügeln, dass sie niemehr aufstehe... Und als sie mich dann vor den Schlägen verstecken wollte hat er sie auch geschlagen mit dem Stock. Körperlich hat mir das zwar ein paar Schrammen und blaue Flecken gebracht, aber die seelischen Wunden sind immer noch nicht verheilt. Ich verstehe nicht was einen starken erwachsenen Menn dazu bringen kann ein kleines wehrloses Mädchen so zu verprügeln... Das ist für mich viel schlimmer als die Schläge selber. Vorallem weil ich weis das er es in vollem Bewusstsein gemacht hat. Woher hat er nur diesen Hass genommen?
Ich habe mich sehr verändert in dieser Zeit. Ich bin eine grosse Träumerin. Immer gewesen, aber dort sehr stark. Ich habe in meiner Fantasie ein zweites Leben geführt. Dort hatte ich das Sagen. Ich konnte alles nach meinen Wünschen gestalten. So oft habe ich mich in den Schlaf geweint oder mich in meine Fantasiewelt verkrochen. Wen Papa mich angeschrien hat oder sonstwas habe ich versuchte es nicht zu hören. Ich habe mir vorgestellt ganz klein zu werden, in meinen Körper hinein zu schrumpfen. Ich habe mir vorgestellt wie ich hinabschwebe und ganz oben kommt nur ganz wenig Licht herein, dort wo die Augen sind. Ich hab mich in eine dunkle Ecke gesetzt, die Knie angezogen und gesungen oder mein Luftschloss weitergebaut. Wen es dan vorbei war bin ich wieder gewachsen. So habe ich viel überstanden.
Was mir vorallem Mühe machte, und immer noch macht, ist, dass meine Mutter nach der "Apfelkuchen-Geschichte" nie mehr versucht hat Rahel und mir zu helfen oder uns zu beschützen. So sind Rahel und ich immer mehr verschmolzen. Wir sind praktisch eins geworden. Wir machten nichts ohne die andere, wir kannten uns inn- und auswendig. Wir wussten das wir es zusammen schaffen werden auch wen sonst niemand hilft. Es war wie ein Anker. Solange wir uns hatten konnte uns niemand etwas anhaben. Sie ist meine zweite Hälfte, meine Seelenverwandte, wir verstehen uns ohne etwas zu sagen. Ohne sie hätte ich schon so lange aufgegeben.
Oh, ich habe nie gezählt wie viele blaue Flecken, Prellungen, blaue Augen und aufgeplatze Lippen wir hatten. Aber er wusste genau das er nicht zu weit gehen durfte. Nur einmal landete Mama im Spital. Natürlich haben alle weggesehen und klar wollte meine Mutter nichts sagen. Die Treppe heruntergefallen...
Ich habe wahrscheinlich unbewusst meinem Bruder Simon die Schuld gegeben. Er hatte das pech genau dasn zu kommen als das ganze Anfing. Irgendwie habe ich das wahrscheinlich verbunden. Heute tut es mir sehr leid, dass wir nicht so ein inniges Verhältniss zueinander haben. Aber er ist auch eine sehr schwierige Person (kein Wunder...). Wen ich nun so zurückblicke wird mir erst bewusst wie komisch ich damals war. Ich war sehr frühreif. Mit 12 hatte ich mein erstes mal Sex. Ich trug nur schwarz, ich habe 3 Selbstmordversuche gemacht. (wie man sieht knapp erfolglos). Rahel und ich waren mehrmals beim Jugendamt, aber immer hiess es sie können nichts machen solange kein Notfall sei. Ich habe mich seelisch und emotional verkrochen. Ich hatte nie Freundinne (ausser Rahel natürlich, aber ich bezeichne sie nicht als Freundin, sie ist sehr viel mehr als das.) Ich war immer die die mit den Jungs zusammen war. Dort brauchte man nicht über Gefühle und so zu reden. Mehrmals bin ich abgehauen, aber es endete immer mit Prügel zuhause. Ich habe äusserlich kapituliert, sich seinen hirnlosen irrsinnigen Regeln gebeugt, aber innerlich hatte ich einen verdammten Hass. Ich wollte ihn umbringen, so langsam und schmerzhaft wie irgendwie möglich. Ich wollte ihm sagen was er uns angetan hatt, ihm ins Gesicht spucken, damit er meine Verachtung spürt! Und gleichzeitig liebte ich ihn! Ich weis nicht wiso, aber wen ihm tatsächlich etwas passiert wäre hätte ich ein enormes Problem damit gehabt.
Es ist schon ein Gefühlsbad das hier alles zu schreiben. Immer wieder sehe ich Situationen vor mir, erlebe sie nocheinmal. Ich spüre was ich damals gespürt habe. Ich weis noch wie es sich angefühlt hat als ich ohnmächtig wurde vor Angst als ich ihn die Treppe heraufkommen hörte und ich mit seiner scheiss Aufgabe noch nicht ganz fertig war. Ich spüre genau wie sich damals meine Kehle zugeschnürt hat und ich keine Luft mehr bekahm, wie ich in panischer Verzweiflung wie eine Irre weiterarbeitete und sich dann der Raum anfing zu drehe und der Schleier vor den Augen immer dichter wurde.
Ich weis noch wie ich zufällig durch das Fenster hörte wie Papa zu Rahle sagte er machte sie kalt. Wie ich mir geschworen habe wen er das macht bring ich alle um, dan hat es eh keinen Sinn mehr.
Wie wir eine geladene Waffe in seinem Schrank gefunden haben, wie er mir gesagt hat ich soll doch auf den Strich gehen, zu etwas anderem sei ich ja anscheinend nicht fähig, wie er mir den ganzen Tag lang immer wieder gesagt hat ich sei eh viel zu fett, ich würde ja nächstens platzen und ich sei unglaublich hässlich ( ich war damals mit 15 1.57 und wog 45 Kilo...)
Schlampe, verdammte Hure, ... Mein Bruder schnappte das natürlich auf... Schlampe, Hure, Arschloch... immer war ich schuld... was fällt dir eine! Er ist doch noch ein Baby!
Er kiffte, war agressiv, trank Alkohol, schlug uns, kontrollierte unds, terrorisierte uns und meine Mutter , die einzige die die Macht gehabt hätte etwas zu tun, tat nichts. Sie liebte ihn ja immer noch, sie würde nie einen anderen Mann finden, so schlimm ist das ja auch wieder nicht, es giebt viele gewaltätige Väter... ich habe ihre Argumente gehasst, konnte sie nicht mehr hören... Ich liebe meine Mutter, ich will nicht das sie das erleben muss, aber ich hasse sie dafür uns im Stich gelassen zu haben.
Ich entwickelte ein ziemlich gestörtes Verhältniss zu Männer. Ich hatte immer zu viel älteren Männer Kontakt, schlief mit ihnen, hatte keine Gefühle, Gefühle lassen Verletzungen zu, schlief mit ihnen für Geld... hat Papa ja so gesagt!
Liebe? Ha, das ich nicht lache, nur für schwache, naive Bitches! So entwas giebt es nicht, lächerlich! Wie kann man nur so unendlich dumm sein!
Ich war schwer depressiv, sprach kaum mit jemandem, Rahel brauchte ja keine Worte, zwischen uns war alles klar... Karakterzüge meines Vaters, aber das ist mir egal. Ich liebe sie!
In der Lehre wurde es auch nicht besser... Ich klaute, wurde erwischte, sie haben mich behalten, aber 3 Jahre haben sie mich offen spüren lassen was sie von mir halten... Ich habe bei meinen Groseltern gewohnt... Immer wegschauen... Ich kann sie nicht ausstehen... Sie nerven mich.. Und dan das! Ausgerechnet ein Typ mit dem ich Sex hatte für Geld... Ich kann, darf das nicht glauben.. es ist sowieso unmöglich, ich weis nicht wie er sich das vorstellt, ich weis nicht was ich mir dabei gedacht habe, aber trotzdem schreibe ich den Text hier an seinem PC... Ich weis halt auch nicht... mal schauen was daraus wird...
Meine Mutter hat einen 24 Jährigen Geliebten, mein Bruder ist jetzt schon der Agressive in der Schule, meine Schwester spielt Sklavin für 40 Jährige in einem Bunker, nur sie und er und sehr abgelegen... Sie lässt nicht mit sich reden... mein Vater kommt nur am Wochenender heim um uns wieder in unsere Schranken zu verweisen. Ich war seit 5 Wochen nicht mehr daheim... Unsere Familie ist ein Schutthaufen... Ich weis nicht wie ich damit umgehen soll, manchmal vergesse iches und dan geht es mir gut. Dan überkommt es mich wie eine Welle und ich mag nicht mehr. Habe einfach keine Kraft mehr für das alles! Irgendwann habe auch ich Grenzen...

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Gemma!

Ich weiß nicht, was ich Dir antworten soll... Deine Mails ist ergreifend, bewegend; man spürt, dass Du beim Schreiben die Situationen nocheinmal vor Augen hattest. Deine Geschichte geht mir sehr nah. Und dennoch habe ich keine Antwort - auch wenn ich schon den halben Tag nach einer suche.

Hast Du daran gedacht, all die Erlebnisse, die Gefühle, die so zwiespältig sind, die Schmerzen zusammen mit fachlicher Hilfe aufzuarbeiten. Das ist wohl der einzige Rat, den ich geben kann.

Du wirst es nicht ganz und gar vergessen, aber einen Weg finden, mit und trotz dieser Vergangenheit in die Zukunft zu schauen. Die Vergangenheit prägt uns für das Jetzt, sie sollte aber niemals unsere Zukunft bestimmen - irgendwo habe ich diesen Satz mal gelesen und gerade kam er mir in den Sinn.

Du weißt, dass Du Deinen Vater anzeigen kannst? Vielleicht ist es ein, einen Strich unter all das zu ziehen? Ein Stück weit loszulassen, weil es dann -mit einer Verhandlung- vorbei sein kann? Ich weiß es nicht und vermag mich auch nicht wirklich in Dich hinein zu versetzen. Auch das kann ein Thema mit einem Therapeuten sein.

Genauso kannst Du Dich z.B. an den Weißen Ring wenden. Sie können Dir wohl sehr viel mehr gerade zur rechtlichen Situaition sagen und auch Möglichkeiten nennen, eine eigene Wohnung zu bekommen (oder hast Du die?).

Wenn Du magst, dann schau in den nächsten Tagen / Wochen immer mal wieder auf diese Seite. Ich bin sicher, dass Du einige Feedbacks bekommen wirst - und ich hoffe, dass Dir unsere Lehrer besser helfen können, als ich es gerade kann.

Alles Gute und jede Menge Kraft!
Dana