Problem von Marcel - 21 Jahre

Nachdem es bergauf ging, wieder gefallen

Hi Dana und Kuka-Team,

Es ist jetzt schon wieder eine Weile her, als ich euch das letzte mal geschrieben habe.

In der letzten Zeit ist bei mir einiges gut aber auch vieles einfach nicht so gut gelaufen. Wegen meiner Krebserkrankungen und die dadurch nötige Therapie ging und geht es mir im moment nicht so gut.
Ehrlich gesagt geht es mir, wenn ich es so sagen darf, richtig beschissen.

Ich bin nicht mal in der Lage kurze Strecken oder Treppen zu laufen ohne das ich danach völlig erschöpft und müde bin. Ich bin momentan für nichts zu gebrauchen.
Meine Familie und meine Verlobte die ich alle über alles liebe sind immer da für mich und unterstützen mich wirklich wo sie nur können aber manchmal ist mir ihre Fürsorge einfach zuviel.

Vor zwei Wochen gab es eine Situation mit meiner Freundin wo mir sehr leid tat. Ich war für 2 Tage daheim und fühlte mich besser als davor und jetzt, ich wollte ihr eine Freude machen und habe das Frühstück machen wollen. Als sie aufwachte und merkte das ich nicht mehr im Bett war, kam sie runter und als sie mich Frühstück machen sah sagte sie Schatz leg dich hin und ruh dich aus du brauchst dich um nichts zu kümmern.
Da sind mir alle Sicherungen durchgebrannt und ich habe sie angeschrien, was mir hinterher auch sehr leid tat, und wir hatten zwei Tage lang funkstille bzw. sie wollte nicht mit mir reden.

Wir haben uns wieder vertragen, aber das hat mir einfach zu denken gegeben, denn bei allem was ich machen möchte oder tue, sagen alle:"das musst du nicht tun leg dich doch hin und ruh dich ein wenig aus!"

Aber ich kann doch nicht nur rumliegen und mich ausruhen! Ich fühle mich unverstanden von meiner Familie.

Auch die Chemo macht sich gerade durch ihre nebenwirkung bemerkbar. Ich habe einen starken Ausschlag von einem Antibiotika, was nicht gerade angenehm ist.

Immer wenn ich denke jetzt bin ich am Tiefpunkt angekommen jetzt kann es nicht mehr schlimmer werden kommt irgendetwas was mir noch mehr zu schaffen macht.

Ich frage mich was ist der Sinn von dem ganzen??? Der ganze mist muss doch einen Sinn haben, wofür kämpfe ich denn jeden Tag wenn es sowieso immer schlechter wird??

Das einzigste was mich ein wenig aufmuntert ist wenn ich sehe das es Menschen wie euch gibt, die anderen zu hören und versuchen zu helfen wo sie nur können und das in der Freizeit. Ich bin sehr beeindruckt von euch.

LG Marcel

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Marcel!

Ich freue mich immer wieder, wenn ich eine Mail von Dir auf dem Bildschirm entdecke. Diese ist gerade eben erschienen, da wir ja immer nur die ältesten 50 sehen. Tut mir Leid wegen der großen Wartezeit; aber mehr als mir die Finger wund tippen kann ich / wir dagegen kaum tun.

Weißt Du, was ich denke? Es darf Dir richtig beschissen gehen. Niemand kann immer stark sein, immer klar sehen und immer dem Schicksal die Stirn bieten. Und nach all den Mails kann ich mir nicht vorstellen, dass Deine Familie und Deine Verlobte das von Dir erwarten. Du hast in dieser einen Situation die Fassung verloren und es hat Deine Freundin verletzt - aber ich bin sicher, sie versteht es tief im Inneren auch sehr gut.

So wie Du all die Fürsorge verstehst und wahrscheinlich auch immer mal genießen kannst, Dich ein Stück darauf ausruhen kannst - verstehen die anderen sicher auch, wenn es Dir zu viel wird. Du bist ein erwachsener Mann, der sein Leben für sich und seine Lieben eigenständig führen möchte. Jeder, der das augenblicklich nicht so kann, ist manchmal einfach ungenießbar ;-) Der Vergleich hinkt vielleicht, aber ich musste gerade daran denken, wie mein Vater nach einer Op maulend auf dem Sofa gelegen hat und uns alle ein klein wenig tyrannisierte. Nicht, weil wir alles falsch machten, sondern weil er es nicht machen konnte. Wie gesagt, ich denke wirklich, das kann jeder gut nachvollziehen. Wenn nicht sofort, dann mit etwas Abstand.

Manchmal bekommt der Mensch, der das Fass mit einem kleinen Tropfen zum Überlaufen brachte, auch Emotionen zu spüren, für die er nichts kann und mit denen er eigentlich auch nichts zu tun hat. In diesem Moment ist wohl eine Menge aus Dir herausgebrochen - habt ihr inzwischen darüber reden könnne? Und hat es Dir vielleicht sogar ein Stück weit gut getan, einfach mal zu brüllen? Das kann befreien. Okay, man sollte es sich nicht zur Angewohnheit machen, die Freundin anzuschreien ;-) aber das Schreien an sich kann irre gut tun. Denn die Gefühle sind da. Du bist traurig, Du bist wütend, Du bist sauer und fühlst Dich auch hilflos - in einem Schrei kannst Du einen Teil davon immer mal loswerden.

Versuche, Deiner Familie zu erklären, wie es Dir geht. Du fühlst Dich unverstanden, aber ich denke, so unverstanden bist Du gar nicht. Du möchtest etwas tun - aber es ist wohl auch sehr schwer für die anderen, sich an einen von Dir gedeckten Tisch zu setzen. Nicht, weil das irgendwie mit Deiner Person zu tun hat, sondern viel mehr, weil sie auch wissen, wie rar die Kräfte sind. Sie möchten für Dich etwas tun, Dir jede Menge abnehmen, möglichst alles. Erkläre ihnen einfach, dass Dir das gar nicht so gut tun, wie sie denken.

Den Sinn würde ich Dir gerne nennen - kann ich aber nicht. Vielleicht findest Du ihn, wenn Du in den Spiegel schaust? Dort würde ich ihn jetzt einfach mal vermuten... Dein Sinn ist sicher nicht die Krankheit - aber dort siehst Du den Grund, den Kampf weiterhin zu führen. Da steht er und er wird von ganzem Herzen geliebt.

Es ehrt mich sehr, dass Du so beeindruckt von unserer Arbeit bist. Möchte die Worte aber gerne auch zurückgeben: Denn, dass wir helfen können auf irgendeine Art und Weise, ist unser Motor. Und ich bin immer wieder 'von den Socken', wenn ich von Menschen lese, die eine wahnsinnige innere Kraft haben; so, wie ich sie bei Dir erkennen kann. Sie ist da - auch wenn Du sie vielleicht nicht immer spürst und siehst.

Alles, alles Gute!
Dana

http://mein-kummerkasten.de/117409/Endlich-Bergauf-3.html